Irgendwann während des Studiums begreift der angehende Geisteswissenschaftler, dass es zuweilen hinreichend ist, Einleitung und Schluss eines Buches lesend zu verstehen, um den oder die Grundgedanken des Autors zu erfassen. Behauptungen böser Zungen unterstellen, ein Gutteil des Rezensionswesens beruhe auf nicht mehr als lediglich der Lektüre dieser den eigentlichen Kern des Werks "umfassenden" Kapitel. Im vorliegenden Fall ist es der Herstellungsabteilung des Reclam-Verlages gelungen (wofür ihr ein – an dieser Stelle sicherlich ungewohntes – Lob gebührt), den Grundgedanken der "Geschichte des Automobils" aus der Feder Johann-Günther Königs bereits in der Umschlagillustration des Bändchens anschaulich herauszuarbeiten. Für eine kritische Würdigung des Bändchens reicht dieser erste Anblick allerdings keineswegs aus.
Was nun ist auf dem Umschlag zu sehen? In der zweigeteilten Grafik ist im oberen Teil schemenhaft das Heck eines schwarzen, offenen Sportwagens vor dunkler Kulisse zu erkennen. Der Bolide steuert zurück in den, von seinen Scheinwerfern zaghaft ausgeleuchteten, Hintergrund. Der untere Teil der Abbildung fokussiert auf (s)eine Tankanzeige. Die Nadel des Instruments zittert bedenklich nah auf das rote "R" der Treibstoffreserve zu – weit wird der Wagen wohl kaum mehr kommen. Das ‚sprechende Titelbild‘ fasst somit kurz und anschaulich den Grundgedanken des Buches zusammen: Das Automobil, wie wir es heute kennen, ist eine Erscheinung des vergangenen Jahrhunderts, ist nicht mehr zeitgemäß und wird auch keine große Zukunft mehr haben.
Dies macht bereits deutlich, dass das pünktlich zum 125jährigen Jubiläum des Automobils publizierte Bändchen keine freundliche Gabe zum runden Geburtstag sein kann. Eine solche würde auch Königs These zuwiderlaufen, dass die 1886 zeitgleich von Carl Benz und Gottlieb Daimler ersonnenen, durch einen schnelllaufenden Explosionsmotor angetriebenen Fahrzeuge tatsächlich nicht die Erfindung des Automobils darstellen. Denn in seinen ersten Kapiteln verwendet König viel Mühe darauf, alle Haupt- und Nebenstränge, Umwege und Sackgassen in der Entwicklung von "selbstfahrenden Straßenfahrzeugen" zu ergründen und zu beschreiben. Dabei fördert er nichts Neues zutage, er fasst lediglich das Bekannte (und gelegentlich auch nur Behauptete) zur Vor- und Frühgeschichte des Automobils durchaus gelungen zusammen. Unübersehbar ist hierbei, dass König den Siegeszug des schnelllaufenden, durch Ölderivate betriebenen Explosionsmotors für einen Irrweg der Technik- und Mobilitätsgeschichte hält. Er trauert den Dampfautomobilen nach und natürlich den durch Elektromotoren angetriebenen Fahrzeugkonzepten, die bis in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hinein veritable Wettbewerber der frühen "Benzinkutschen" waren.
Über dieser Trauer bleibt König jedoch dem Leser die Begründung schuldig, wieso sich die von Benz und Daimler erstmalig auf die Räder gestellten Konstruktionen gegenüber den konkurrierenden Konzepten durchsetzten – trotz anfänglicher konzeptioneller Nachteile der Fahrzeuge mit Explosionsmotor, wie der deutlich schwierigeren und technisches Vorwissen voraussetzenden Handhabung sowie der steten Bedrohung für die Reinlichkeit des Fahrers und seiner Passagiere. Tatsache ist aber, dass die unerreicht hohe Energiekonzentration pro Gewichtseinheit im Erdöl und seinen Derivaten sowie die technische Verbesserung der Motorkonstruktionen die Leistungsentwicklung und Reichweite der Benzin-Automobile enorm steigerten und sie dadurch den konkurrierenden Fahrzeugkonzepten bald schon weit enteilen ließen. Dadurch versprachen die mit Benzin betriebenen Fahrzeuge für die Konsumenten einen höheren Nutzwert, was dem Autor allerdings eher suspekt erscheint: Denn eine solche, in Königs Augen ‚Fehlentwicklung‘ sei eben die Folge, "wenn ausschließlich dem ‚Markt‘, sprich dem Konsumenten, die Entscheidung überlassen" (S. 106) werde. Was aber stattdessen Innovationen und Fortschritt treiben solle, lässt König unerwähnt.
Hiermit ist bereits ungefähr die Hälfte des Textkorpus erreicht – und der Autor hat das für den Erfolg des Automobils so wichtige 20. Jahrhundert gerade erst beginnen lassen. Deswegen nimmt König – quasi parallel zur enormen Leistungssteigerung der Automobile – in seiner Schilderung dann auch deutlich Fahrt auf. Die starke Beschleunigung der Darstellung führt jedoch dazu, dass sich das Gesichtsfeld des Autors zunehmend verengt und in dessen ‚Tunnelblick‘ die Geschichte des Automobils im 20. Jahrhundert diffus und verschwommen am Leser vorbeizieht. Nach der minutiösen und detailreichen Beschreibung der frühen Automobil-Konstruktionen verzichtet König mehr und mehr darauf, Innovationen und technische Weiterentwicklungen dazustellen, und verweist mit leichter Hand auf zeitgenössische Kataloge oder Internet-Präsenzen, ohne dem Leser eine Einordnung der Entwicklungsstränge zu geben. So bleiben auch die weit reichenden Veränderungen in der Wertschöpfungskette (Entwicklung – Produktion – Marketing/Vertrieb) der Automobilindustrie nahezu vollständig ausgeblendet. Parallel verengt sich zunehmend die räumliche Perspektive der Darstellung. Während anfangs die internationale Entwicklung mit einbezogen wird, beschränkt sich König nach und nach immer mehr auf die deutsche Situation; verschiedenartig verlaufende Stränge in anderen Ländern oder gar Kontinenten bleiben dem Leser vorenthalten. Dies ist umso misslicher, als die Entwicklungsstrategien wichtiger Schwellenländer maßgeblich auf der Schlüsselrolle individueller (Auto-)Mobilität aufbauen, was in der Regel auch den Aufbau nationaler Kapazitäten im Automobilbau vorsieht. Dies erstaunt allerdings nicht, nachdem man die ausweislich der Bibliographie von König konsultierte, wenig balancierte Literaturauswahl zur Kenntnis genommen hat.
Ferner unterlaufen König bei der hohen Geschwindigkeit der Darstellung auch einige ‚Fahrfehler‘. So übernimmt er beispielsweise unkritisch irrige Darstellungen zur ökonomischen Rolle der deutschen Automobilindustrie in den 1920er-Jahren und über die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise; oder er beklagt die Verkürzung der Modell-Laufzeiten in der Automobilindustrie der Nachkriegszeit, ohne darauf einzugehen, dass in der Zwischenkriegszeit die Modell-Zyklen eher in Monaten denn in Jahren bemessen waren.
Insgesamt durchzieht Königs Darstellung ein stark technik- und kulturkritischer Oberton, der die unbestreitbaren Auswirkungen des Automobils mit Verbrennungsmotor auf die Umwelt sowie die urbanen und ländlichen Räume heraushebt, ohne aber auf die positiven Effekte individueller Mobilität auf die kulturelle und soziale Entwicklung der nationalen und globalen Gemeinwesen, die ökonomische Prosperität, die technologische Entwicklung sowie auf Kreativität und kognitive Mobilität zumindest hinzuweisen. So führt denn Johann-Günther Königs Bändchen den falschen Titel: Er hat eher einen Abgesang auf das Automobil vorgelegt denn "eine" oder gar "die" Geschichte des Automobils.