A. Krause: Verwaltungsdienst im Schatten des Weimarer Musensitzes

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Titel
Verwaltungsdienst im Schatten des »Weimarer Musensitzes«. Beamte in Sachsen-Weimar-Eisenach zwischen 1770 und 1830


Autor(en)
Krause, Andreas
Erschienen
Anzahl Seiten
351 S. + 1 CD-ROM
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benigna Carolin Kasztner, Institut für Geschichte, Universität Wien

Fundiert im Diskurs des ehemaligen Sonderforschungsbereichs 482 „Weimar-Jena. Kultur um 1800“ zeichnet Andreas Krause in seiner Dissertation ein detailliertes, vielgestaltiges Bild des lokalen Verwaltungsdienstes. Dabei löst er sich von großen Erzählmustern des als ‚Ereignisraum’ verstandenen Ganzen um die zentrale Gestalt Johann Wolfgang von Goethes und fokussiert auf die ausführenden Beamten. Diese Gruppe differenziert der Autor zum einen in ländlichen und städtischen Dienst, zum anderen hinsichtlich der Herkunft. Die untersuchten Personen sieht Krause als „gesellschaftliche Träger der Umbruchszeit um 1800“.1 In diesem Rahmen tritt insbesondere deren Vermittlungsfunktion zwischen Herzog und Untertanen hervor. So betrachtet Krause die in der Verwaltung agierenden Personen in einer Gesamtschau, die sich vom Verständnis einer Verwaltungsgeschichte als Institutionengeschichte abgrenzen möchte (S. 18) und zur Darstellung individueller Handlungsspielräume auch die sozialen Netzwerke der Beamten herausarbeitet. Im Zentrum der umfangreichen Quellenanalyse stehen die Akten des Verwaltungsdienstes des Regierungskollegiums Weimar. Zu diesem städtischen Fokus werden drei ländliche Ämter – Creuzburg, Ilmenau und Großrudestedt – als Vergleichs- und Kontrollgruppe hinzugezogen.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Verwaltungsstruktur sowie auf den konkreten Dienstverrichtungen der Beamten. Deutlich bezieht sich Krause hier auf die Konstanten innerhalb der (groß-)herzoglichen Verwaltungspolitik, insbesondere das Bildungs- und Leistungsprinzip, das Landeskinderwesen sowie die finanzielle Rentabilität der Anstellung des Einzelnen. Im Beobachtungszeitraum wurde entsprechend eine Prüfung der Bewerber um einen städtischen Verwaltungsposten obligatorisch: „Ich reiste sogleich hinüber und hatte des andern Tags bei Serenissimo Audienz. Höchstdieselben fragten nach meinem Namen, Alter, Eltern, studiis und hundert andern Sachen; sprachen französisch und befahlen mir, was ich noch für Collegia hören sollte.“ Dies berichtete der spätere geheime Assistenzrat Christian Friedrich Schnauß.2

Bei gleicher Eignung zweier Bewerber kam die fürsorgliche Landesvaterrolle des Herzogs zum Zuge und wurde zum entscheidenden Kriterium. Gleichzeitig verwiesen die Bewerber um eine Position in der Verwaltung ihrerseits auf das Indigenatsrecht, ein aus der Geburt im Land erwachsenes Recht, das eine Bevorzugung bei der Stellenvergabe möglich machte. Krause weist dessen Auftreten in Supplikationen bis in die 1820er-Jahre nach. Dieses Kriterium erwies sich jedoch als recht ‚flexibel’ anwendbar, wie der Autor an verschiedenen Einstellungsverfahren nachweist. Bei einer vakant gewordenen Sekretärsstelle für Kommissions- und Vormundschaftsangelegenheiten meldeten sich beispielsweise zwei beinahe gleich geeignete Bewerber, der aus Preußen stammende Friedrich Sachse und der Jenaer August Schnaubert. Obwohl sich in der Ausbildung ein Vorteil für Sachse ergab, wurde Schnaubert eingestellt, denn – so die Argumentation – für Sachse war „ein Studium in Jena […] nicht nachweisbar.“ Deutlich wird die wechselnde Gewichtung des Landeskinderarguments, als Sachse kurz danach auf eine andere, unvorhergesehen freigewordene Stelle berufen wurde.

Doch auch durch die Bereitschaft, die ersten Jahre ohne Lohn zu arbeiten, konnte der Bewerber die Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflussen. In diesem – für die jeweilige Herrschaft risikofreien – Beschäftigungsverhältnis erhielt der Beamte die Möglichkeit, sich als zuverlässig zu bewähren. Die Festanstellung hing dann von seiner Effizienz ab. Jedoch wurde diese Regelung im Falle des wirtschaftlich schwachen Sachsen-Weimar-Eisenachs von der Herrschaft auch hinsichtlich eigens angestrebter Sparmaßnahmen angewendet. So erhielt eine große Anzahl von Berufseinsteigern erst nach zwei Jahren eine Teilbesoldung.3 Die finanziellen Möglichkeiten der zukünftigen Beamten waren es dann letzten Endes, die den Kreis der Bewerber erheblich einschränkten. Denn ohne finanzielle Absicherung war eine Karriereplanung in der Verwaltung für den Einzelnen nicht möglich, da für die ersten Arbeitsjahre von einer gehaltfreien Zeit ausgegangen werden musste. Die jungen Beamten waren in dieser beruflichen Phase gezwungen, sich vermehrt auf die Mitgiftvermögen ihrer Ehefrauen sowie auf bereits erhaltene Erbschaften zu stützen. Doch auch für die Zukunft des beruflichen Aufstiegs erschien das persönliche Netzwerk als entscheidender Faktor. So finden sich die Patenschaften der Kinder als strategisches Mittel zur Festigung sozialer Beziehungen. Dass die Möglichkeiten der Patenschaftsanfrage und -übernahme um 1800 von der Herrschaft des (Groß-)herzogtums geregelt wurden, zeigt deren besonderen Stellenwert.

Beispielreich und auf umfangreicher Quellenbasis leitet der Autor seine Thesen nachvollziehbar her. Und auch wenn man versucht ist, sich hinsichtlich einzelner Einwürfe zur Mentalitätsgeschichte (wie etwa S. 67, 192, 259) eine weiterreichende theoretische Fundierung zu wünschen, besteht kein Zweifel daran, dass diese gründliche Auseinandersetzung mit der praktischen Verwaltungsarbeit des Ereignisraums Weimar-Jena um 1800 die Ergebnisse des ehemaligen Sonderforschungsbereichs 482 um einen grundlegenden Aspekt erweitert hat.

Anmerkungen:
1 Andreas Krause bezieht sich hinsichtlich dieser Fokussierung (S. 17) auf die Darstellung Hans-Werner Hahns: Gesellschaftlicher Wandel und kulturelle Blüte: Die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen des Ereignisses Weimar-Jena im Spiegel der neueren Forschung, in: Lothar Ehrlich / Georg Schmidt (Hrsg.), Ereignis Weimar-Jena. Gesellschaft und Kultur um 1800 im internationalen Kontext, Köln 2008, S. 47-65.
2 Carl von Beaulieu-Marconnay, Ein Weimarischer Beamter des achtzehnten Jahrhunderts, in: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte, N. F. 4 (1875), S. 649-702, hier S. 658.
3 Andreas Krause führt hier den Fall des Johann August Rost an (S. 179), der erst nach zwei Jahren 60 Reichstaler jährlich, also „nur etwas mehr als ein Drittel der normalen Besoldung“ erhielt.

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