Y. Krumenacker u.a. (Hrsg.): Entre Calvinistes et Catholiques

Cover
Titel
Entre Calvinistes et Catholiques. Les relations religieuses entre la France et les Pays-Bas du Nord (XVIe-XVIIIe siècle)


Herausgeber
Krumenacker, Yves; unter Mitarbeit von Olivier Christin
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 22,31
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Mudrak, École des hautes études en sciences sociales, Paris

In den letzten Jahren sind die Kulturgeschichte und vergleichende Studien bzw. Arbeiten zu Kulturtransfers eine fruchtbare und erkenntnisfördernde Beziehung eingegangen. Besonders gilt das für die französische Forschung mit den seit Marc Bloch verankerten Methoden der „histoire comparée“. Mit dem Sammelband Entre Calvinistes et Catholiques wird dies erneut unter Beweis gestellt. Ausgehend von einer 2007 veranstalteten internationalen Konferenz in Lyon versammeln die Herausgeber Yves Krumenacker und Olivier Christin 20 Beiträge, in denen es um den französisch-niederländischen Kulturaustausch in den protestantischen Lagern geht. Daneben kommen auch die Katholiken und die jüdischen Gemeinden zu ihrem historiographischen Recht. Positiv fällt gleich in der Einleitung die Richtschnur auf, es handle sich um eine „histoire religieuse profondément ancrée dans le culturel et le social“ (S. 10).

Der erste Teil befasst sich mit dem „temps des Réformes“. Monique Weis stellt die Frage nach den Beziehungen zwischen den Hugenotten und den niederländischen Geusen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und besonders in den jeweiligen Religions- und Freiheitskriegen, die eng miteinander verflochten waren. Dies drückte sich in der militärischen Unterstützung durch Ludwig von Nassau für die französischen Protestanten sowie in der hugenottischen Truppensendung in die Niederlande aus. Hugues Daussy geht in seinem Beitrag näher auf die Person Ludwigs von Nassau ein, der sich nicht nur militärisch für die französischen Protestanten engagierte, sondern gleichzeitig auf eine innerfranzösische Union hinwirkte, um dann eine französische Intervention in den Niederlanden gegen Spanien zu ermöglichen. Mit Versuchen der Beilegung der konfessionellen Konflikte befasst sich Thomas Nicklas, der den Frieden von Nîmes (1575) mit der Pazifikation von Gent (1576) vergleicht. Bei beiden Verständigungen stand im Vordergrund, den konfessionellen Status quo zu legitimieren und durch konfessionelle Parität in den öffentlichen Einrichtungen beide Bekenntnisse als politisch gleichwertig anzuerkennen. Judith Becker untersucht den Einfluss des Johannes a Lasco auf Theologie und Strukturierungsnormen in den niederländischen und französischen Exilkirchen in England. Dabei dienen ihr die Kirchenverfassungen als Vergleichsmuster, um den mitunter großen posthumen Einfluss a Lascos bis nach Nordfrankreich nachzuweisen.

Im zweiten Teil des Bandes geht es um das Verhältnis von Politik und Religion im 17. und 18. Jahrhundert. Claire Martin beleuchtet das Agieren des französischen Botschafters Benjamin Aubery du Maurier auf seiner Mission in den Vereinigten Provinzen (1613-1624). Der Calvinist trat seinen Dienst in Zeiten von Spannungen zwischen den beiden Ländern, aber auch von konfessionellen Spannungen innerhalb der Vereinigten Provinzen an, die Frankreich und sein Botschafter verhindern wollten, um sich den Verbündeten gegen Spanien zu erhalten. Trotz konfessioneller Einschläge in den politischen Handlungen spricht Martin für das frühe 17. Jahrhundert nicht von einer Konfessionalisierung, sondern von einer „sécularisation progressive des pratiques politiques“ (S. 93). In seiner Repräsentationsgeschichte der „skandalösen“ Medaillen zeichnet Fabrice Charton den Propagandakampf um die Darstellung Ludwigs XIV. nach. Anhand von Illustrationen kann gezeigt werden, wie das Bild des Königs von den niederländischen Protestanten als das eines Tyrannen und Verräters der Christen geprägt wurde. Zwei weitere Beiträge widmen sich den Kolonien. Gérard Lafleur untersucht die gesellschaftlichen Konsequenzen der holländischen Präsenz auf den Antillen. Viele Holländer verbanden sich durch Heirat mit den protestantischen französischen Kolonisten. Die Widerrufung des Toleranzedikts erzwang die Auswanderung zahlreicher niederländischer und französischer Protestanten. Jean-Pierre Duteil befasst sich mit der Wahrnehmung der holländischen Präsenz in Indonesien durch die katholischen Missionare. Die Holländer wurden, wenig überraschend, trotz mancher Zusammenarbeit von den Missionaren aus Frankreich meist sehr negativ wahrgenommen.

Der dritte Teil ist den Jansenisten in Frankreich und den Vereinigten Provinzen gewidmet. Angela Berlis und Dick Schoon untersuchen das Zusammenspiel jansenistischer Theologen in Frankreich und den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert. Dabei geht es den Autoren nicht nur um theologische Ideen, sondern auch um deren Austausch und praktische Umsetzung. Untersucht werden diese Phänomene anhand der Träger des Kulturaustausches, zum Beispiel niederländischer Vikare, die in Frankreich ausgebildet wurden, aber auch anhand von französischen Reisenden sowie jansenistischen Emigranten. Christine Gouzi befasst sich mit den Einflüssen der Amsterdamer Gravurwerkstätte des Bernard Picart auf die jansenistischen Graveure in Paris im 18. Jahrhundert. Vergleiche der Motive demonstrieren den großen Einfluss Picarts anschaulich. Ein bedeutender Beitrag von Juliette Guilbaud erklärt die Verbreitung jansenistischer Schriften zwischen den Vereinigten Provinzen und Frankreich im 17. Jahrhundert. Die holländischen Verleger profitierten ökonomisch von den Aufträgen der Jansenisten, die wiederum von den Niederlanden aus den europäischen intellektuellen Markt bedienten.

Der vierte Teil befasst sich mit den Beziehungen der französischen Protestanten und der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert. Im ersten Beitrag beschäftigt sich Luc Daireaux mit den reformierten französischen Pastoren und deren internationalen Verbindungen am Beispiel von Samuel Bochart. Wie dieser wurden viele Pastoren der Normandie außerhalb Frankreichs ausgebildet und verfügten durch persönliche Netzwerke und Reisen über bemerkenswerte Beziehungen zu ihren holländischen Kollegen. Ein begeisternder Beitrag von Françoise Moreil untersucht das Fürstentum Orange in Südfrankreich, jene zu großen Teilen reformierte Enklave in der katholischen Bourbonenmonarchie. Im Inneren funktionierte Orange über eine konfessionell paritätische Organisation. Manch ein Pastor aus Orange reiste in die Niederlande oder erhielt dort eine Anstellung. Niederländische Drucker ließen sich in Orange nieder, Militär oder familiäre Bande schufen zusätzliche Verbindungen. Amanda Eurich interessiert sich in ihrem großartigen Aufsatz für Orange während der französischen Besetzungsphasen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als nicht nur zwei Konfessionen, sondern auch zwei gesellschaftliche Ordnungen aufeinander prallten. Schon während der drei Besetzungen der 1660er- und 1670er-Jahre schränkten die Franzosen die Praktiken der konfessionellen Koexistenz zuungunsten der Protestanten ein. Als während einer weiteren Besatzungsphase das Edikt von Nantes widerrufen wurde, traf dies die Protestanten in Orange mit voller Härte: Ihre Kirche wurde zerstört, ein Vorgang, bei dem „les acteurs répètent les rites iconoclastes d’inversion, de violence rituelle et de furie souvent associés aux débuts de la Réforme“ (S. 271). Einer eher traditionellen Frage geht Pierre Bonnet nach, der das theologisch-politische Denken von Pierre Jurieu rund um die Widerrufung des Toleranzedikts untersucht.

Der fünfte Teil versammelt die Beiträge zur niederländischen Unterstützung religiöser Minderheiten im Ausland. Gleich zu Beginn zeichnet Natalia Muchnik in theoretisch und methodisch brillanter Weise die Verbindungen und Einflüsse der jüdisch-hispanischen Gruppen Frankreichs in Bezug auf die jüdische Gemeinde in Amsterdam nach. Beide konstruierten demnach das jeweils Eigene in Anbetracht und in Abgrenzung zur jeweils anderen Gemeinde. Die Amsterdamer Juden beispielsweise gerierten sich als orthodoxe Gruppe, im Gegensatz zu den ihre Religion gezwungenermaßen undogmatischer lebenden „Conversos“ in Frankreich. Gleichzeitig zeigte die Amsterdamer Gemeinde ihren großen religiösen Einfluss auf die französischen Glaubensgenossen. Hubert Borst untersucht das wallonische Konsistorium von Rotterdam um 1700 in Bezug auf die Aufnahme der französischen Glaubensflüchtlinge. So organisierte das Konsistorium Spenden, um hugenottische Gefangene von den französischen Galeeren freizukaufen. Mit der niederländischen Unterstützung der Protestanten in Frankreich befasst sich auch Pauline Duley-Haour. In der ersten Phase (1715-1735) unterstützten die wallonischen Gemeinden vor allem durch Spenden und versuchten, beruhigend auf die Hugenotten einzuwirken. Ab 1735 gewann die Unterstützung eine neue Dynamik, als die holländischen Generalstände die wallonischen Kirchen offiziell mit entsprechenden Maßnahmen beauftragten. Yves Krumenacker untersucht mit der „Barrière“, den niederländischen Militärstützpunkten in den habsburgischen Niederlanden entlang der französischen Grenze, ein reizvolles Studienobjekt. Im Umfeld dieser Militärstützpunkte wurden für die protestantischen, französischsprachigen Besatzungen Kirchen errichtet, die bis weit nach Nordfrankreich ausstrahlten. Von dort strömten im 18. Jahrhundert Tausende Hugenotten über die Grenzen, um sich von einem Pastor verheiraten zu lassen oder den reformierten Gottesdienst zu besuchen. Schließlich folgt eine Untersuchung der Kapelle der holländischen Botschafter in Paris, die, wie Gwenaëlle Lieppe zeigt, zum einzigen „legalen“ Mittelpunkt für protestantisches Gemeindeleben in Paris im 18. Jahrhundert wurde.

Die Aufsätze erhellen in ihrer ganzen Vielfalt auf unterschiedlichste Weise die religiösen (vor allem protestantischen) Beziehungen zwischen Frankreich und den Niederlanden. Abgesehen von dem einen oder anderen theologiegeschichtlichen Rückfall und dem fehlenden geographischen Kartenmaterial zeigen die Autorinnen und Autoren die Möglichkeiten der neuen, transnationalen Sozial- und Kulturgeschichte der Religion in der Frühen Neuzeit. Auch für andere geographische und kulturelle Räume sowie für andere Konfessionen und Religionen kann man sich solche Studien nur wünschen.

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