J. Scialpi: Der Kulturhistoriker Richard Benz

Cover
Titel
Der Kulturhistoriker Richard Benz (1884–1966). Eine Biographie


Autor(en)
Scialpi, Julia
Reihe
Buchreihe der Stadt Heidelberg 14
Erschienen
Ubstadt-Weiher 2010: Verlag Regionalkultur
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Triebel, BMW Group Classic, München

Es ist kaum zu übersehen: Nach einer lang währenden Dominanz strukturhistorischer Ansätze wendet sich die Geschichtswissenschaft wieder verstärkt den Gestaltern und Akteuren historischer Prozesse zu. Bereits eine kurze Recherche in den aktuellen Ankündigungen, Berichten und Besprechungen von H-Soz-u-Kult belegt diesen Trend. Doch ist hier nicht der Ort, um für das Fach mit seiner an Wenden und Windungen so reichen jüngeren Geschichte einen neuen „turn“ zu postulieren. Beschränken wir uns also an dieser Stelle darauf, den offensichtlichen breiter werdenden Strom an Veröffentlichungen und Tagungen mit biographischem Schwerpunkt in nahezu allen historischen Teildisziplinen zu konstatieren.

Julia Scialpis Lebensbeschreibung des Kulturhistorikers Richard Benz (geboren 1884, gestorben 1966) fügt sich in dieses wiedererweckte Interesse an den Personen der Geschichte. Benz eröffneten sich während seines Studiums der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Heidelberg die Volksbücher des Hochmittelalters und die Literatur und Musik der Romantik, die er als genuin „deutsche Volkskultur“ verstand. Er machte es zu seiner Lebensaufgabe, zentrale Texte dieser Epochen durch Neuausgaben wiederzubeleben und durch wissenschaftliche Neuinterpretationen diesen Epochen der deutschen Nationalkultur eine – in seinen Augen – wesentliche Quelle und Inspiration zurückzugeben. Dabei blieb er Zeit seines Lebens einem fast schon als radikal zu bewertenden konservativen Kulturverständnis verpflichtet, das alle neueren kulturellen Entwicklungen und Phänomene als Degeneration ablehnte und die Renaissance als elitäre „Hochkultur“ brandmarkte, die der von ihm so geschätzten deutschen „Volkskultur“ des Hochmittelalters den Todesstoß verabreicht habe.

Zur Untermauerung seiner Thesen überschritt Benz in seinen Arbeiten behände die Grenzen der geisteswissenschaftlichen Teildisziplinen. Gemeinsam mit der Radikalität seiner Thesen förderte dies nicht eben die positive Rezeption seiner Aufsätze und Bücher in der akademischen Welt. Die Ablehnung beruhte dabei auf Gegenseitigkeit, denn Benz hatte bereits während seines Studiums eine veritable Abneigung gegen die deutsche Universitätswissenschaft entwickelt und sich zu einem frühen Zeitpunkt selbst gegen den akademischen Berufspfad mit der Professur als Zielpunkt entschieden. So blieb er Zeit seines Lebens Privatgelehrter. Anders als in der akademischen Zunft stießen seine Themen und Thesen in der an kulturellen Fragen interessierten Öffentlichkeit hingegen auf breites Interesse. Neben teilweise recht guten Absatzzahlen seiner Bücher gelang es ihm insbesondere durch seine Vorträge, große Wirkung zu erzielen und seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

An drei Wendepunkten der deutschen Geschichte unternahm Benz Ansätze, durch gesellschaftspolitische Aktivitäten auf die kulturelle Entwicklung Deutschlands Einfluss zu nehmen. Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs engagierte er sich im Kunst- und Kulturrat für Baden, 1933 veröffentlichte er sein Buch „Geist und Reich“ mit Thesen für eine kulturelle Neubesinnung Deutschlands, und nach Ende des Zweiten Weltkriegs beteiligte er sich an der „Großen Kontroverse“ um die unterschiedliche Bewertung der Leistung und des Beitrags der Emigranten und der während des „Dritten Reichs“ in Deutschland verbliebenen Kulturschaffenden. Allen drei Initiativen blieb ein durchschlagender Erfolg versagt, sein Buch „Geist und Reich“ wurde gar nach Prüfung durch die Kulturbürokratie nicht mehr weiter vertrieben – nur dem Einfluss seines ansonsten ideologisch untadeligen Verlages, Eugen Diederichs in Jena, war es zu verdanken, dass ein offizielles Verbot unterblieb. Entmutigt zog Benz sich nach 1945 kulturpolitisch zurück und widmete sich verstärkt seinen geisteswissenschaftlichen Arbeiten. Seine Kulturgeschichte Heidelbergs, im Auftrag der Stadt verfasst und 1961 unter dem Titel „Schicksal und Geist“ erschienen, machte ihn in seiner späten Schaffensphase zu einer kulturellen Lokalgröße. In seinem Angedenken stiftete die Stadt 1976 eine „Richard-Benz-Medaille für Kunst und Wissenschaft“, mit der seither Persönlichkeiten geehrt werden, die sich in Kultur und Wissenschaft um die Stadt verdient gemacht haben.

Julia Scialpi beschreibt das Leben Richard Benz’ mit detaillierter Tiefenschärfe anhand eines dichten Quellenfundus aus privaten Überlieferungen sowie einer Vielzahl öffentlicher Archive und ordnet seine Thesen in die relevanten zeitgenössischen Forschungsdiskussionen ein. Dabei folgt sie seinem Leben mit einem strukturiert-diachronen Aufbau. Innerhalb der Kapitel zu einzelnen Lebensabschnitten widmet sie sich getrennt den einzelnen Projekten und Interessenschwerpunkten von Richard Benz. Hiermit führt sie den Leser an sicherer Hand durch die von einem regen und breiten Interessenspektrum gekennzeichnete Biographie. Allerdings gelingt es bei diesem Vorgehen nicht in Gänze, Vor- und Rückbezüge innerhalb der Kapitel zu vermeiden, die im Text nicht immer selbsterklärend sind. Allerdings muss Scialpi am Ende doch konstatieren, dass von der immensen Lebensarbeit Richard Benz’ kaum etwas eine länger währende und seinen Tod überdauernde Wirkung gehabt hätte. Selbst in Heidelberg scheint, trotz „Richard-Benz-Medaille“, das Andenken weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Dies führt unvermeidlich zur Frage, ob es notwendig war, diese Biographie zu schreiben und was der Gewinn aus ihrer Lektüre ist.

Scialpi legt die Lebensbeschreibung eines akademischen Außenseiters in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Hieraus ergeben sich eine Reihe von Fragen und Aspekten, die gegen die Biographien der „Etablierten“ der wissenschaftlichen Welt gelegt werden können. Insbesondere zur Frage über die Wirkungsgeschichten von Ideen und Thesen und die Akzeptanz von Außenseitern innerhalb des akademischen Systems kann die vorliegende Arbeit wertvolle Anregungen geben. Zudem arbeitet Scialpis Biographie auch mit an der schärferen Konturierung der konservativ geprägten Kulturwissenschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die detaillierte Rekonstruktion der Verbots- und Genehmigungsprozesse in Deutschland unter alliierter Besatzung für den Fall Richard Benz ist auch ein Paradefall dafür, wie mitunter erratisch die Behördenwege zwischen den Besatzungsmächten abliefen und welche existentiellen Probleme ihr Vorgehen für einen freischaffenden Autor in diesen Jahren haben konnte. Und schließlich – und das mag überraschen – liest sich Richard Benz’ Lebensbeschreibung mit ihren Brüchen, erfolglosen wie -reichen Projekten, dem Werben um Auftraggeber und Financiers bei laufender Arbeit sowie in vielen weiteren Aspekten sehr gegenwärtig: Man könnte Richard Benz’ Leben gar als prototypischen Vorläufer heutiger Lebensläufe in der akademischen Welt lesen.

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