I. Baumann u.a.: Schatten der Vergangenheit

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Titel
Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik


Autor(en)
Baumann, Imanuel; Reinke, Herbert; Stephan, Andrej; Wagner, Patrick
Reihe
Polizei + Forschung, Sonderband
Erschienen
Anzahl Seiten
374 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wigbert Benz, Karlsruhe

Im Herbst 2008 beauftragte das Bundeskriminalamt (BKA) eine Historikergruppe unter der Leitung Patrick Wagners mit der Untersuchung seiner Frühgeschichte. Die Forschungsergebnisse wurden Ende 2011 in dem hier vorzustellenden Band veröffentlicht, der zusammen mit anderen einschlägigen Publikationen des Projekts „BKA-Historie“ auch auf der Website des BKA heruntergeladen werden kann.1 Zusätzlich haben die Historiker ihre Ergebnisse in einem online verfügbaren Fachaufsatz bilanziert.2 An erster Stelle sollte die Frage geklärt werden, „welche Folgen die NS-Belastung eines Teils der Gründungsgeneration des BKA für dessen Entwicklung hatte“ (S. 9). Die Autoren betonen, dass die Recherchen von Dieter Schenk, einem ehemaligen Kriminaldirektor im BKA, „in vielem die Basis für das Forschungsprojekt gelegt“ hätten (S. 8).3 Sie selbst hätten ihre Arbeit jedoch nicht auf „Enthüllungen“ von Personen gerichtet, sondern vielmehr auf die Frage nach den Wirkungen für das BKA als Institution (S. 11). Deshalb habe man alle Personen, auf die man im BKA-Archiv gestoßen sei und die nicht schon in anderen Publikationen öffentlich gemacht worden waren, anonymisiert und nur mit Buchstabenkürzeln angegeben. Diese rigide Anonymisierung nationalsozialistischer Täter von „Paul V.“ über „Robert B.“ bis „Heinrich P.“, die nach 1945 im BKA beschäftigt wurden4, erschwert die von der NS-Täterforschung geforderte Konkretisierung solcher Täter „als eigenständige Akteure des Vernichtungsprozesses“.5

Die Studie ist in vier Großkapitel gegliedert, für die jeweils am Beispiel biografischer Skizzen die Einwirkung von NS-belastetem Personal auf das BKA und seine Strukturen untersucht wird. Teil I gibt einen Überblick zur Geschichte der Institution BKA; Teil II widmet sich dem Personal, das schon im Nationalsozialismus kriminalpolizeilich tätig war; Teil III untersucht den stark durch Einflüsse ehemaliger SS- und Einsatzgruppenangehöriger geprägten polizeilichen Staatsschutz des Amts; Teil IV richtet den Blick auf die Maßnahmen des Amts gegen im Nationalsozialismus verfolgte Gruppen, zum Beispiel Sinti und Roma. Diese Kapitel werden chronologisch jeweils nach den Phasen der Gründung (1950er-Jahre), der prekären Konsolidierung (1960er-Jahre) und der Reformen (1970er-Jahre) dargestellt sowie mit Kurzbiographien zur Beschäftigung und Wirkung ehemaliger NS-Täter im BKA abgerundet.

In den 1950er-Jahren wurden ehemalige NS-Polizisten in großer Zahl und ohne besonderes Aufsehen in das BKA integriert. So bestand etwa die dem Schutz der Regierung dienende „Sicherungsgruppe“ des BKA zu mehr als der Hälfte aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Eine bestimmende Rolle bei der Auswahl des Personals spielte der damalige Personalchef des Amts, Eduard Michael, der selbst als SS-Offizier in schwerste Massenverbrechen involviert gewesen war. Er und andere führende Vertreter des BKA entwickelten nach dem Krieg erfolgreich die Legende, dass Kriminalpolizisten im Nationalsozialismus quasi Opfer einer „Dienstgradangleichung“ ihres kriminalpolizeilichen Ranges an einen SS-Rang geworden seien. Sie verschwiegen dabei, dass „der ‚Dienstgradangleichung‘ ein bewusster Eintritt in die SS voraus[ging]“ (S. 145). In einer Fußnote teilt Imanuel Baumann als Autor dieses Teils mit, dass „über die Umstände seiner [= Michaels] Bestellung als Personal- und Verwaltungschef im BKA, die über das Bundesinnenministerium erfolgt sein muss, […] keine Informationen“ zu finden waren (S. 144, Anm. 468).

1959 setzte sich das BKA-Führungspersonal zu 65 Prozent aus ehemaligen SS-Mitgliedern zusammen; drei Viertel des Leitungspersonals waren NSDAP-Mitglieder gewesen. Ein Jahrzehnt später verringerten sich diese Anteile auf ein Viertel bzw. knapp die Hälfte, um dann 1980 auf einen vernachlässigenswerten Anteil geschrumpft zu sein. Dieser Prozess eines allmählichen Abschieds von „alten Kameraden“ war jedoch weniger den ab den 1960er-Jahren eingeleiteten internen Ermittlungen und einzelnen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geschuldet, die von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg unterstützt wurden. Der Wandel war auch nicht „das Ergebnis einer gezielten Personalpolitik von Amt und Ministerium“, sondern „eher ein Begleitumstand der Generationenfolge“ (S. 137).

Auswirkungen hatte die Ballung ehemaliger NSDAP- und SS-Angehöriger im BKA vor allem bei der weiteren Stigmatisierung von Gruppen, die im Nationalsozialismus einem hohen Verfolgungsdruck ausgesetzt gewesen waren: Sinti und Roma, Homosexuelle, aber auch kommunistischer Aktivitäten Verdächtige. So spielten bei der von Josef Ochs und später Theo Saevecke geleiteten Exekutive der „Sicherungsgruppe“ Bonn Ermittlungen gegen NS-Täter kaum eine Rolle, dafür umso mehr die Unterstützung von Ermittlungen des Oberbundesanwalts im Sinne eines „Präventivkampfes“ gegen die beschworene kommunistische Gefahr. Dies führte zu 125.000 Ermittlungsverfahren mit mehr als 6.000 rechtskräftigen Verurteilungen (S. 164f., mit Verweis auf Forschungen von Josef Foschepoth und Alexander von Brünneck). Und derselbe Josef Ochs, der schon 1940 an der Deportation von Sinti und Roma mitgewirkt hatte, beklagte nun als „Zigeunerexperte“ des BKA zusammen mit Kollegen der „AG Kripo“, die der Kooperation des BKA mit den Landeskriminalämtern dienen sollte, dass die jetzt „Landfahrer“ statt wie im Nationalsozialismus „Zigeuner“ genannten Sinti und Roma als vor 1945 „rassisch verfolgt“ nun einen „besonderen Schutz“ genießen würden, der ihre kriminalpolizeiliche Kontrolle erschwere (S. 262).

Diese Einflussnahme NS-belasteten Personals sei jedoch primär, so die Forscher, auf die 1950er-Jahre konzentriert gewesen. Sie habe während einer „Phase prekärer Normalität“ in den 1960er-Jahren teilweise noch Bestand gehabt, sei dann aber im Rahmen einer von 1969 bis 1981 dauernden Reform- und Wachstumsphase auch strukturell bedeutungslos geworden (S. 325f.) – eine Phase, die wesentlich von dem an sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen orientierten BKA-Präsidenten Horst Herold geprägt wurde (Amtszeit 1971 bis 1981). Selbst während der 1950er-Jahre habe die Mehrheit der BKA-Beamten mit NS-Vergangenheit eher unspektakulär die „Routinen der Alltagsarbeit“ bewältigt (S. 331) und sei nicht durch Übertretung der gesetzlichen und institutionellen Vorgaben aufgefallen. Insgesamt könne man feststellen, „dass sich das Bundeskriminalamt trotz der biografischen Prägungen seiner Gründungsgeneration in den Rechtsstaat eingefügt, ihn letztlich gestärkt und verteidigt hat“, was im Hinblick auf die Wirkungen des NS-belasteten Personals angesichts der „quantitativen Bedeutung und angesichts ihres Einflusses innerhalb des Amtes“, so Patrick Wagner in seinem Fazit, „als bemerkenswert“ erscheine (S. 341).

Im Unterschied zu dem ebenfalls als „Auftragsforschung“ realisierten, spektakuläre mediale Aufmerksamkeit erregenden Band „Das Amt und die Vergangenheit“6 vermeiden die Autoren der Studie zur Geschichte des Bundeskriminalamts plakative Zuspitzungen. Insgesamt überzeugt ihre Arbeit durch eine differenzierte Darstellung der Forschungsergebnisse, die weder für eine platte „Erfolgsgeschichte“ des BKA und der Bundesrepublik insgesamt noch für deren simple Zurückweisung instrumentalisiert werden, sondern in eine Erörterung münden, die Spannungsverhältnisse und Grauzonen deutlich macht.

Anmerkungen:
1 <http://www.bka.de/DE/Publikationen/BKA-Historie/bkaHistorie__node.html?__nnn=true> (27.3.2012).
2 Imanuel Baumann / Andrej Stephan / Patrick Wagner, (Um-)Wege in den Rechtsstaat. Das Bundeskriminalamt und die NS-Vergangenheit seiner Gründungsgeneration, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 9 (2012), S. 33-53; auch online unter <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Baumann-Stephan-Wagner-1-2012> (27.3.2012).
3 Vgl. Dieter Schenk, Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001; ders., Die braunen Wurzeln des BKA, Frankfurt am Main 2003.
4 Insgesamt bleiben Dutzende ehemalige NS- und SS-Täter anonym. Allein auf S. 110-117 werden 11 Namenskürzel genannt.
5 Klaus-Michael Mallmann / Gerhard Paul (Hrsg.), Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 4.
6 Eckart Conze / Norbert Frei / Peter Hayes / Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010. Zur Debatte um dieses Buch siehe die ausführliche Dokumentation unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Auswaertiges-Amt> (27.3.2012).

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