„Mit Kriegen fiengst du an, mit Kriegen endest du“, schrieb Johann Wilhelm Ludwig Gleim über das 18. Jahrhundert. Diesen Vers stellt Johannes Birgfeld an den Beginn seiner literaturwissenschaftlichen Untersuchung der deutschsprachigen Kriegsliteratur der Aufklärungsepoche. In zwei Bänden stellt er die Ergebnisse seiner an der Universität des Saarlandes eingereichten Dissertation vor, in der er darlegt, wie Literaten des zweiten Drittels des 18. Jahrhunderts den Krieg beschrieben, erklärten, erdichteten. Die Aufklärungsepoche wurde dominiert vom Siebenjährigen Krieg. Deshalb stellen dieser und die beiden anderen schlesischen Kriege den Erfahrungsraum für die von Birgfeld angeführten Schriftsteller dar; den Fluchtpunkt der Analyse bilden gleichwohl die Koalitionskriege der 1790er-Jahre.
Neben der Einleitung und Zusammenfassung umfasst die Arbeit vier Kapitel. Der erste Abschnitt behandelt die Geschichte des Militärs vom Stehenden Heer bis zu den Revolutionskriegen 1792. Das zweite Kapitel bietet eine Kategorisierung der Autoren, das dritte informiert über die Kriegstechnik bzw. das Kriegswissen in literarischer Form. Der vierte Abschnitt behandelt „Gewalt und Bereitschaft zum Engagement in der Literatur im Kontext der Schlesischen Kriege“. – Letzteres ließe sich bündig mit „Bellizismus des 18. Jahrhunderts“ zusammenfassen. Dass dabei die Frage nach Fiktion und literarischer Freiheit nicht konkret gestellt – und dementsprechend auch nicht zu beantworten versucht wurde – befreit die Studie von dem Druck, die althergebrachten Diskurse um Realität und Wahrheit aufgreifen zu müssen.
Gleim wie Kleist, Goethe und Gottsched mögen bekannt sein als Literaten, die den Krieg literarisch bearbeiteten. Dass weitaus mehr Schriftsteller – und nicht selten weniger bekannte bzw. in Vergessenheit geratene – sich dem Krieg und damit dem Militär widmeten, macht Birgfeld durch detaillierte Quellenzitate sichtbar. Er verweist auf Offiziere wie Joseph Freiherr von Sonnenfels, auf Feldprediger wie Adolph Dieterich Ortmann, Beamte wie Theodor Gottlieb Hippel, Diplomaten wie Justus Möser und schließlich auf die Monarchen Katharina II. von Russland und Friedrich II. von Preußen. Die Anzahl derer, die in der Epoche der Aufklärung den Krieg schriftstellerisch thematisierten, war groß. Sie zu erfassen erleichtert der Autor durch ein Personenregister wie auch durch eine Gruppierung der Autoren nach sozialer Herkunft bzw. nach ihrer Aussageabsicht.
Birgfelds Aufstellung erweckt den Eindruck, dass jeder und jede in der Zeit der Europäischen Aufklärung den Krieg zum literarischen Sujet erwählte. Tatsächlich trügt dieser Eindruck nicht. Er begründet sich in der Ausrichtung der Aufklärungsbewegung, die seit den 1980er-Jahren in der deutschen Geschichts- und Literaturwissenschaft verstärkt erforscht wird und gegenwärtig in den Einführungswerken und den Feuilletons angekommen ist.1
Die Arbeit ist zwar literaturwissenschaftlichen Charakters, bedient sich aber geschichtswissenschaftlicher Methoden. Birgfeld verweist auf die Erfahrungsgeschichte (S. 49), ohne jedoch die Ergebnisse des Tübinger Sonderforschungsbereich 437 zu Kriegserfahrungen zu rezipieren.2 Vielmehr baut er seine Arbeit auf das Fundament des New Historicism (S. 52). Damit begründet er seinen Ansatz, alle auffindbaren Texte zu berücksichtigen, die im 18. Jahrhundert als Literatur galten. Die Texte systematisiert er nicht nach der Entstehungszeit oder den Gattungen, wie zu erwarten gewesen wäre: So finden sich Predigten und Lehrgedichte unter Kriegsjournalismus und Kriegslyrik. Das ist insofern stimmig, als es dem Anspruch Birgfelds entspricht, die Breite der literarischen Überlieferung aufzuzeigen und damit einen Beitrag zur Literaturgeschichte zu leisten (S. 50f.).
Birgfeld geht davon aus, dass die Texte mehr sind als Ergebnisse der Umstände ihres Zustandekommens. Sie sind für ihn nicht nur „Repräsentanten der Alltags-, Mentalitäts-, Kriegs- oder der politischen Geschichte“ (S. 57). Auch ihre lebensweltliche Verankerung, so Birgfeld, trägt zu ihrer Bedeutung bei. Daher beginnen die argumentativ gegliederten Ausführungen zu „Krieg und Aufklärung“ mit einer Beschreibung des Kriegswesens, überschrieben mit der gezähmten Bellona (S. 65).
Im ersten Kapitel kann der Leser militärhistorische Hintergrundinformationen finden, für die Birgfeld in weiten Teilen auf Georg Ortenburg zurückgreift.3 Mit dem Ausblick auf die levée en masse, die Aushebung breiter Bevölkerungsschichten in Frankreich infolge der Französischen Revolution, wird die Ablösung der Lineartaktik von neuen Kriegsformen begründet. Die Neuerungen um 1800 kündigen sich jedoch – so könnten Birgfelds Ausführungen verstanden werden – bereits in der Literatur der vorangehenden Jahrzehnte an.
Das zweite Kapitel beinhaltet Biographien der Schriftsteller; hier wird die aufgrund der offenen Definition von „Literatur“ große Bandbreite der Autoren vorgeführt. Birgfeld erläutert, wie diese mit dem Krieg in Berührung kamen und wie sie den Krieg persönlich erlebten. Die Schriftsteller, die über den Krieg schrieben, verfügten häufig über persönliche Kontakte zum Militär. Daraus lässt sich ableiten, dass es Frauen in geringerem Maße möglich war, den Krieg zu ihrem Thema zu machen. Der Krieg war Bestandteil einer männlichen, gelehrten Welt, selbst wenn Birgfeld einige wenige Schriftstellerinnen vorweist, wie Therese von Artner, Anna Louisa Karsch, Therese Huber und Marianne von Meißenthal.
Im dritten Kapitel werden an einzelnen Werken die Aussagen zu Krieg und Militär nachgezeichnet: Auf 400 Seiten (S. 287–687) erörtert Birgfeld unter anderem, wie unerwartet detailliert die Literaten die militärischen Techniken beschrieben. Über ihr Wissen verfügten sie aus ihrer Tätigkeit beim Militär oder ihrem unmittelbaren Kontakt zur Armee, etwa durch administrative Aufgaben oder familiäre Beziehungen. Manchmal ist nicht zu rekonstruieren, wo sie ihre Einblicke erhielten. Doch die Details in den Beschreibungen etwa bei Thomas Abbt (S. 294) deutet Birgfeld als Beleg dafür, dass sie über derartige Einblicke verfügten.
Abbt, Verfasser der breit rezipierten patriotischen Schrift „Vom Tode fürs Vaterland“ (1761), ist ein Protagonist der Bewegung, die das militärische Heldentum neu konzipierte (S. 702). Im vierten Kapitel legt Birgfeld anhand einer Auswahl von Abbt, Gotthold Ephraim Lessing, Moritz August Thümmel wie auch Friedrich Nicolai und Andreas Belach den „literarischen Kriegsdiskurs“ (S. 842) dar, in dem die Schriftsteller aufeinander referierten und die Frage debattierten, inwieweit das Aufopfern des Untertanen zu rechtfertigen war.
Man könnte ohne Probleme weitere Zitate, Quellen und Autoren hinzufügen, etwa Jean Paul, der in seiner Figur des Feldpredigers Schmelzle seine Eindrücke vom Krieg ausdrückte.4 Doch macht die vorliegende Arbeit ausreichend deutlich, wie facettenreich das Verhältnis von Aufklärungsliteratur und Krieg ist. Die Schlussfolgerungen der Dissertation fasst das fünfte Kapitel zusammen.
Birgfeld hält hier fest, dass der Aufklärungsliteratur eine „Selbstkritik“ (S. 878) inhärent war, wie er unter anderem an Thümmels „Wilhelmine“ (1764) illustriert. Diese Selbstkritik oder allgemein Reflexion scheint auf den ersten Blick eine geistige Tätigkeit zu sein, die für Literaten als Beobachter der sozialen Welt eine Selbstverständlichkeit darstellen müsste. Doch die Reflexion zum Beispiel in Berlachs „Nachtgedanken“ (1761) entspricht, so Birgfeld in seiner Schlussbetrachtung, einer neuen, die Literatur der Aufklärungszeit charakterisierenden Qualität, wenn dort „die individuelle Erinnerung an die auf den Schlachtfeldern vergehenden, verfallenden Leichenkörper und -reste der einstigen Soldaten“ (S. 877) gefordert wird.
Das heißt: Birgfeld arbeitet Aufklärungsprinzipien wie das der Reflexion heraus, ohne dass er seine Ausführungen mit langen Definitionen der Aufklärung belastet. Sein Aufklärungsbegriff bezeichnet nicht nur eine Epoche an der Schwelle zur Moderne. Für ihn bezeichnet die Aufklärung eine soziale Bewegung und, angewandt auf sein Themenfeld, auch die „Partizipation der Autoren an einem gemeinsamen Problembewusstsein“ (S. 50).
Der Gewinn der Arbeit liegt darin, dass der Autor literarische Interpretationen hinterfragt und für die Häufigkeit und Gewichtigkeit der Kriegsthematik in der Aufklärungsliteratur sensibilisiert. Wie umfangreich die Literatur der Aufklärung mit Verweisen auf den Krieg respektive das Militär versehen ist, lässt sich auch erahnen, wenn man Bibliothekskataloge dahingehend durchsucht. Steht daher am Ende die wiederkehrende Erkenntnis, dass die neue Perspektive der Aufklärung auf die Gesellschaft den Krieg zwangsläufig mit einschloss?
Nochmals sei gesagt: Birgfeld fragt in seiner Arbeit nicht danach, ob eine Literarisierung des Krieges eintrat oder die Literatur den Krieg in ein anderes Licht tauchte. Müsste aber eine literaturwissenschaftliche Arbeit nicht genau diese Frage stellen, da sie doch beansprucht, soziale Phänomene – zu denen kriegerische Gewalt gezählt werden muss – ausgehend von deren ästhetischer Verarbeitung zu reflektieren? Führte, so ließe sich etwa mit Blick auf die Epoche des Siebenjährigen Krieges fragen, der Distanzkrieg zu einem weniger schrecklichen und eher ästhetischen Bild des Krieges? Thomas Abbt gab den Dichtern schließlich mit auf den Weg: „Die Bilder können zwar erweitert, größer gemacht werden; man kann ihnen mehr Leben geben; sie näher an das Auge rücken; aber was ihnen durch die Einbildungskraft zugesetzt wird; muß zu ihrer Würde, zu ihrer Verschönerung beitragen“.5
Anmerkungen:
1 Etwa Iwan-Michelangelo D’Aprile / Winfried Siebers, Das 18. Jahrhundert. Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2008; Alexander Košenina, Blitzlichter der Aufklärung. Köpfe – Kritiken – Konstellationen, Hannover 2010.
2 Ute Planert (Hrsg.), Krieg und Umbruch in Mitteleuropa um 1800. Erfahrungsgeschichte(n) auf dem Weg in eine neue Zeit, Paderborn 2009.
3 Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986.
4 Jean Paul Richter, Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Mit fortgehenden Noten, nebst der Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne [1808], Berlin 2013.
5 Thomas Abbt, Vom Tode für das Vaterland [1761], in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Aufklärung und Kriegserfahrung. Klassische Zeitzeugen zum Siebenjährigen Krieg, Frankfurt am Main 1996, S. 589–650, hier S. 644.