„Zentrale Wasserversorgung und Vollkanalisation sind bereits lange vorhanden, ein Gruppenklärwerk mit fünf weiteren Gemeinden befindet sich in Planung; für staubfreie Müllabfuhr ist gesorgt. Der gut geleitete Kindergarten soll zur Mittelpunkteinrichtung auch für Nachbargemeinden werden. Neben dem Sportplatz ist eine neue Turnhalle im Bau, die mit angegliederten Mehrzweckräumen gleichzeitig die Funktion eines Dorfgemeinschaftshauses übernehmen soll. Die Erneuerung des Freibades ist geplant.“ (S. 184f.)
Dieses Zitat aus dem Jahr 1971 mag überraschen – entstammt es doch der damaligen Begründung der Bundesbesichtigungs- und -bewertungskommission des weithin bekannten Wettbewerbs „Unser Dorf soll schöner werden“ (ab 1997: „Unser Dorf hat Zukunft“) für die Prämierung der Gemeinde Wallrod im Westerwald mit der höchsten Auszeichnung, einer „Goldplakette“. Damit hatte sich Wallrod im Wettbewerbsjahr 1971 zusammen mit wenigen anderen Siegerdörfern zunächst auf Kreis-, dann aber auch auf Landes- und Bundesebene unter 4.080 teilnehmenden Orten erfolgreich als „Golddorf“ durchgesetzt – und dies eben nicht nur oder nicht vorrangig aufgrund von Maßnahmen zur optischen Verschönerung und Ausschmückung im Sinne einer typisch dörflich-ländlichen Ästhetik. Vielmehr waren es vor allem die erwähnten Ergebnisse, Initiativen und Planungen einer lokalen, funktionalen, überörtlich vernetzten und zukunftsorientierten Infrastrukturpolitik, welche die Gemeinde Wallrod aus Sicht der Jury zu einem der „Leuchttürme“ moderner Entwicklung und Neuordnung des ländlichen Raums machten (S. 183ff.).
Dieser Befund verweist bereits auf die gleichermaßen zentrale wie innovative Leitperspektive des vorliegenden Buches, das auf einer Münchener Dissertation basiert: Sebastian Strube arbeitet in seiner flüssig geschriebenen, sehr gut lesbaren Studie auf breiter Quellen- und Literaturgrundlage erstmals systematisch heraus, in welch hohem Maße das 1961 gestartete Projekt „Unser Dorf soll schöner werden“ – anfangs noch mit dem erklärenden Untertitel „Unser Dorf in Grün und Blumen“ versehen (S. 25) – Spiegelbild und zugleich Motor jenes tiefgreifenden Strukturwandels war, der sich seit den 1950er- und 1960er-Jahren auf dem Land vollzog. Angestoßen und begleitet von den Agrar-, Verkehrs-, Kommunikations- und Lebensstilumbrüchen sowie dem sich deutlich verstärkenden Prozess der Suburbanisierung markierte dieser Wandel bekanntlich den endgültigen Übergang von der alten Bauern- zur modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Begriffe wie „stille Revolution auf dem Lande“, „Entbäuerlichung des Dorfes“ und „Urbanisierung des Landes“ sind zu Synonymen für dieses historische Phänomen geworden.
Mit seinem Hauptuntersuchungszeitraum 1961 bis 1979 konzentriert sich Strube auf zwei Jahrzehnte, in denen (laut Reglement des Wettbewerbs) eigenständige westdeutsche Dörfer sowie auch nichtselbständige Dörfer oder Ortsteile „mit vorwiegend dörflichem Charakter“ (alle jeweils unter 3.000 Einwohnern) insgesamt über 40.000 Mal an dem bundesweiten Projekt teilnahmen. Kein anderes Programm erreichte den ländlichen Raum so flächendeckend und intensiv. Allerdings war dies nur möglich, weil sich die maßgeblichen Akteure und Konzepte des Wettbewerbs bei dessen Indienstnahme für das fortdauernde übergeordnete Ziel – die aktive „Steuerung und Gestaltung“ des Strukturwandels im ländlichen Raum (S. 220) – als „äußerst wandlungs- und anpassungsfähig“ erwiesen (S. 193). Zu den Richtungsgebern gehörten so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Graf Lennart Bernadotte, Besitzer der Bodenseeinsel Mainau, der frühere NS-Landschaftsgestalter Heinrich Wiepking oder der ehemalige Landwirtschaftsminister und Bundespräsident Heinrich Lübke.
Das Projekt, das inhaltlich-konzeptionelle Vorläufer in den „Dorfwettbewerben“ der NS-Zeit hatte (S. 54ff.; zum Beispiel dem Wettbewerb „Schönheit in Stadt und Land“ des Gaus München-Oberbayern 1937), machte in kürzester Zeit drei Neuausrichtungen durch. Dabei wirkten Paradigmenwechsel im Natur- und Raumverständnis, Veränderungen (in der Wahrnehmung) des Stadt-Land-Verhältnisses1 sowie wechselnde Akteurskonstellationen mit Schwerpunktverlagerungen auf der allgemeinen gesellschaftspolitischen Agenda zusammen.
Unter dem Dach der „Deutschen Gartenbau-Gesellschaft“ (DGG) auf Initiative einer Gruppe von Gärtnern und Landschaftsgestaltern um den prominenten und rührigen Lennart Bernadotte begonnen, stand anfangs ein Umdenken „vom Volksraum zum bäuerlichen Kulturraum“ (S. 65ff.) im Vordergrund: Ein nun stärker „ökologisch“ ausgerichteter Landschafts- beziehungweise Naturschutz („Grüne Charta von der Mainau“, 1961), der zudem von der biologisch-rassistisch kontaminierten Vorstellung „wesenhaft deutscher“ Volks-, Kultur- und Lebensräume entschlackt worden war, sollte in den Dienst der Erhaltung einer „authentischen“ bäuerlich-dörflichen Heimat- und Volkskultur gestellt werden. Zwar sollte das im Zeichen des „Wirtschaftswunders“ (zunächst) wachsende Gefälle zwischen Stadt und Land durch eine „ästhetische Aufwertung des ländlichen Raums“ (S. 25) verringert werden, aber eine (weitergehende) Angleichung der beiden Pole wurde gerade nicht angestrebt.
Mitte der 1960er-Jahre schwenkte der Wettbewerb in eine andere Richtung: Im Zeichen des zeittypischen, zum Teil geradezu euphorischen „Planungs“- und „Modernisierungs“-Diskurses, eines wachsenden Einflusses von Experten aus Ministerien und Behörden sowie einer zunehmenden Akzeptanz des Verschwindens dörflich-ländlicher Strukturen im älteren Sinne drehten sich das Leitbild und die lokalen Aktivitäten des Programms jetzt darum, „die verschiedenen Anforderungen, die ein Dorf in der ‚Funktionsgesellschaft‘ als Wirtschafts-, Wohnungs- und Erholungsraum erfüllen musste, in Einklang zu bringen“ (S. 165). Das „Dorf neuer Ordnung“ (S. 142) sollte die Angleichung der Lebensbedingungen der Stadt- und Landbevölkerung voranbringen, aber gleichzeitig seine ästhetischen und sozialen Eigenheiten („schöne“ geschlossene Siedlung, intakte „Community“) möglichst bewahren – auch um weiterhin als Erholungsraum und attraktive Wohnortalternative für Menschen aus der Stadt fungieren zu können.
Ab den frühen 1970er-Jahren galt der Wettbewerb dann – befördert vor allem von entsprechenden Stimmen aus dem Lager der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt – vornehmlich als Modell und Medium verantwortungsbewusster bürgerschaftlicher Beteiligung und Selbsthilfe auf dem Weg zu mehr Reform und Demokratie. In dieser Funktion versprach er gleichzeitig eine Abfederung des damaligen politisch-administrativen Selbstständigkeitsverlustes vieler Dörfer infolge ihrer städtischen Eingemeindungen durch die kommunale Gebietsreform. Die veränderten Stadt-Land-Beziehungen spielten aber auch noch auf andere Weise in den erneuten Kurswechsel hinein: Einerseits schien die laufende Angleichung der Lebensverhältnisse unumkehrbar zu sein. Daher sollte der Wettbewerb noch stärker dazu beitragen, den mehr und mehr dominierenden, medial vermittelten urbanen „Lebensstil“ auch im Alltag des ländlichen Raums erfahrbar werden zu lassen (S. 181f.). Andererseits erlebten kritische Stimmen von (alten) Heimat- und Denkmalschützern eine Renaissance. Sie beklagten eine – nicht zuletzt durch den Wettbewerb selbst verursachte – funktionale und optische „Verstädterung der Dörfer“, die in ihren Augen „hässlich“ war, und machten sich für den bewussten Erhalt alter, historisch-kulturell signifikanter Bausubstanz und eine wieder stärker „bodenständige“ Bepflanzung privater und öffentlicher Grünflächen stark (S. 212, S. 217).
Die Wettbewerbsgeschichte wird so vor allem mit Blick auf die wechselnden Leitperspektiven der maßgeblichen Richtungsgeber „von oben“ überzeugend periodisiert. (Nicht zufällig hat Strube seiner Studie den klugen Titel „Euer Dorf soll schöner werden“ gegeben.) Gleichzeitig werden jedoch immer wieder auch instruktive systematische Schlaglichter auf die Umsetzung und Wirkung der Richtlinien vor Ort geworfen. Dies geschieht am Beispiel von drei gut gewählten Vergleichsdörfern: Altenburschla im hessischen Werra-Meißner-Kreis (nahe der innerdeutschen Grenze), Niederdreisbach im rheinland-pfälzischen Westerwald und Westerheim auf der Schwäbischen Alb nahe Ulm. Strube kann überzeugend zeigen, dass die Gemeinden und ihre Bewohner im Zuge des (gesteuerten) Strukturwandels und der Modernisierung des ländlichen Raums auch selbst eine hohe Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit zeigten und zum Teil nachhaltig von dem Wettbewerb profitierten. Gleichzeitig gingen dörflicher Eigensinn und lokale Identität nicht verloren; sie wurden vielmehr durch die Wettbewerbspraxis oftmals noch zusätzlich stimuliert.
Freilich hatte das „Bild“, das den Kommissionen und Preisrichtern „präsentiert“ wurde, häufig „wenig mit dörflichem Alltag zu tun“ (S. 227). Dieses Spannungsverhältnis zwischen Inszenierung und Realität hätte in Sebastian Strubes ansonsten sehr gelungener Studie noch stärker ausgeleuchtet werden können. Nicht zuletzt für diesen Zweck wäre auch eine stärkere Bebilderung des Buches hilfreich gewesen. Mit nur einer Abbildung (S. 82) ist das reiche Visualisierungspotenzial des Themas jedenfalls praktisch ungenutzt geblieben.2
Anmerkungen:
1 Siehe dazu jetzt auch: Franz-Werner Kersting / Clemens Zimmermann (Hrsg.), Stadt-Land-Beziehungen im 20. Jahrhundert. Geschichts- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Paderborn 2015.
2 Auf diesen Mangel hat auch Anna-Katharina Wöbse in ihrer Rezension hingewiesen, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4, <http://www.sehepunkte.de/2014/04/23651.html> (03.06.2015).