Cover
Titel
Roman Disasters.


Autor(en)
Toner, Jerry
Erschienen
Malden 2013: Polity Press
Anzahl Seiten
IX, 224 S.
Preis
$20.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Lentzsch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Jerry Toner verfolgt in seinem Buch „Roman Disasters“ die Absicht, an verschiedenen Katastrophen in der römischen Antike zu untersuchen, „how the Romans coped with, thought about and used these events“ (S. 5). Reaktionen, Umgang und Deutung von Katastrophen in der Antike waren in den letzten Jahren Gegenstand einiger Publikationen, so dass sich Toners Studie in eine lebendige Forschungsdiskussion einfügt.1

Im ersten von zehn Abschnitten („What is a Disaster“, S. 1–16) präzisiert Toner seinen Untersuchungsgegenstand: Ob ein Ereignis zum „Disaster“ werde, ließe sich nicht allein an quantitativen Maßstäben wie fixen Zahlen festmachen (S. 12), sondern hinge entscheidend von der Wahrnehmung in der jeweils betroffenen Gesellschaft ab. Im Falle von Naturkatastrophen sei das Ereignis als solches nicht mehr als ein „set of reactions“; erst die Reaktionen bzw. der Umstand, dass Menschen betroffen sind, mache es zur Katastrophe (S. 13). Folglich sei ein Ereignis dann ein „Disaster“, wenn es eine für eine größere Gruppe erkennbare Krise hervorrufe, die sich von Fall zu Fall naturgemäß stark unterscheiden könne (S. 11f.).

Im nächsten Kapitel gibt Toner einen Überblick zu „Rome’s Disasters“ (S. 17–28), und entsprechend seiner offenen Definition fällt hier ein breites Spektrum von Ereignissen unter diesen Oberbegriff: Naturkatastrophen im engeren Sinne stehen neben Hungersnöten, ‚technischen Katastrophen‘ (wie Bränden) und solchen, die Menschen anderen Menschen bewusst zufügen, wie Kriegen und Verfolgungen. Auch Katastrophen, die weitgehend nicht als solche wahrgenommen wurden, wie großflächige Umweltzerstörungen nimmt Toner mit in seine Aufzählung hinein und weist zudem auf die vielen kleineren Katastrophen hin, die zum alltäglichen Leben der Antike gehörten, wie lokale Missernten oder Schiffbrüche. Dieser Überblick soll nicht nur einen Eindruck von der Vielzahl der Katastrophen geben, sondern auch den weniger Versierten unter den Lesern einen chronologischen Überblick ermöglichen.2 Das ist sicher notwendig, denn Toner betrachtet Ereignisse aus einem weiten Zeitraum von der frühen Republik bis ins 6. Jahrhundert n.Chr. teils direkt nebeneinander stehend. An einer solchen Darstellung ist problematisch, wie Toner selbst einräumt (S. 17), dass die Römer als „essentially unchanged over the centuries“ erscheinen könnten. Da sich der chronologische Durchgang in diesem Abschnitt sehr auf einzelne Ereignisse konzentriert, ist es zudem durchaus fraglich, ob weniger informierte Leser hieraus schon einen adäquaten Epochenüberblick erhalten, der für das Verständnis der folgenden Kapitel notwendig wäre.

Die folgenden drei Abschnitte („The Disaster Experience“, S. 29–44; „Dealing with the Aftermath“, S. 45–66; „Thinking about Disaster“, S. 67–86) geben einen ersten Eindruck von den Herausforderungen der Forschung und der Begrenztheit der Erkenntnismöglichkeiten, aber auch den erreichbaren Ergebnissen. So liefern antike Autoren oft andere Nachrichten über Katastrophen als moderne Quellen. Der Schwerpunkt der Berichte liegt oftmals auf moralisch erbaulichen oder didaktisch wertvollen Geschichten über Einzelschicksale, die Erzählungen weisen zahlreiche topische Elemente auf und alle Zahlen, speziell zu Opfern, sind notorisch unzuverlässig (S. 29–44, siehe auch S. 89 u. 140f.). Die Bewältigung der Folgen von Katastrophen habe insgesamt vor allem der gesellschaftlichen Elite eine Gelegenheit geboten, sich zu profilieren (S. 45). Da von Ausnahmen abgesehen alles in allem kaum feste Strukturen des Katastrophenschutzes bestanden hätten, seien nur die Eliten bis hinauf zum Kaiser zu größeren Hilfsaktionen in der Lage gewesen, was ihnen Gelegenheit gab, den eigenen Status zu demonstrieren und zu festigen – analog zu den Wohltaten, welche man in normalen Zeiten der Gemeinschaft öffentlichkeitswirksam zukommen lassen konnte. Es sind zwar durchaus Ansätze zu vorbeugenden Maßnahmen (wie die Einrichtung einer Feuerwehr unter Augustus) zu erkennen, letztlich handelt es sich dabei aber wohl um vereinzelte Initiativen bzw. Entscheidungen. Insgesamt seien vorbeugende Maßnahmen eher selten gewesen.

Der Mangel an Vorbeugung ist, neben den technischen Schwierigkeiten der Umsetzung, sicher auch den gängigen Erklärungen für Katastrophen geschuldet (S. 67–86). Zwar gab es in der Antike auch wissenschaftliche Erklärungsansätze, insgesamt seien aber religiöse Erklärungsmuster vorherrschend gewesen (S. 72–82). Wenn Katastrophen in solchen Fällen als göttliche Strafe bzw. als warnendes Vorzeichen gedeutet wurden, ließen sie sich auch gut zu ‚didaktischen Zwecken‘ einsetzen – eine Entwicklung, die Toner mit dem Aufkommen des Christentums erstarken sieht. Die Allgegenwart gerade kleinerer Katastrophen, wie Schiffbrüche oder lokale Hungersnöte, habe außerdem die Entstehung einer „Culture of Risk“ (S. 87–107) begünstigt. Gerade diese alltäglichen Gefahren und Bedrohungen bestimmten das Leben vielmehr als etwa ein Jahrhundertbeben und regten in diesen Fällen auch Strategien zur Risikominimierung (wie Streuung der Einkommensquellen) an.

Im siebten Kapitel wirft Toner einen genaueren Blick auf die narrativen Muster, die sich in Berichten über Katastrophen wiederfinden (S. 108–130). So stehen Zerstörungen an großen öffentlichen Gebäuden oft im Mittelpunkt der Erzählungen – also solcher Gebäude, die von Angehörigen der Eliten gestiftet worden waren bzw. diesen besonders wichtig schienen (S. 111f.). Dies muss aber nicht die Perspektive aller Betroffenen gewesen sein. Von den anderen Perspektiven erfahren wir, wie so oft, in unseren Quellen jedoch wenig. Der Transgression der Situation entspreche zudem oftmals eine Transgression im (berichteten) Verhalten der Betroffenen, um das Ausmaß der Zerstörung zu versinnbildlichen (S. 119–121). Häufig seien Katastrophen zudem als Folge moralisch verwerflichen Verhaltens gedeutet worden (S. 121), aber auch als Folie, vor der Herrscher eine vorbildliche Rolle als ‚Vater‘ ihrer Untergebenen betonen konnten (S. 122f.). Im Zuge der Christianisierung des Römischen Reiches seien dann spezifisch christliche Deutungsmuster auch in Berichte von Katastrophen eingeflossen (S. 123–129). Das gängige Erklärungsmuster (göttliche Strafe) konnte so beibehalten werden, im Rahmen eschatologischer Vorstellungen erhielten Katastrophenberichte aber nun einen prominenteren Platz, auch weil sie sich gut eigneten, Gottes Wirken in der Welt plastisch darzustellen und so als Träger christlich-moralischer Botschaften zu fungieren.

Im achten Kapitel beschäftigt sich Toner mit direkt von Menschen verursachten Katastrophen wie Kriegen und Belagerungen („Inflicting Catastrophe“, S. 131–152). Als Beispiel dienen ihm die Schlacht von Cannae (216 v.Chr.) und die Maßnahmen, welche die Römer nach ihr trafen. Hier beleuchtet er besonders die religiösen Maßnahmen des Senates und die Aussetzung der regulären Rekrutierungsregeln, um die Elastizität der römischen Reaktion auf diese Krise zu zeigen. Gerade hier hätte auch ein Blick auf die besondere Art der Verteilung von militärischen Kommanden im Hannibalkrieg seinen Platz gehabt, die zweifellos als Reaktion auf diese Krise bezeichnet werden kann; eine Perspektive, die bei Toner aber fehlt. Zu Recht betont er das Leiden und den Blutzoll der einfachen Menschen, besonders bei Belagerungen, der in unseren Berichten oft im Schatten bleibt (S. 136–141). Gerade an Cannae lässt sich noch eine weitere Facette von Katastrophenberichten zeigen: Die Fähigkeit der Römer, auch nach solchen Rückschlägen wieder aufzustehen und geradezu gestärkt aus ihnen hervorzugehen, wird in der Tat in den Quellen gerne betont und darf als Teil einer „construction of Roman identity“ gelten (S. 142).

Im neunten Kapitel („The Psychological Impact“, S. 153–170) versucht Toner, Erkenntnisse psychologischer Forschungen zum Umgang und zu den Folgen von Katastrophen für die Betroffenen (wie Posttraumatischer Belastungsstörungen) auf die Antike zu übertragen. Toner weist selbst auf die Schwierigkeiten dieses Vorhabens hin (die Studien stammen zum größten Teil aus den USA im 20. Jahrhundert, in Rom herrschten aber andere soziokulturelle Voraussetzungen). In der Tat muss sein Beispiel, ‚wahnhaftes‘ Verhalten in Amida nach einem Erdbeben im Jahr 528, mit Vorsicht bewertet werden, da die narrativen Muster und Strategien in der Erzählung von der Krankheit und Heilung der Betroffenen in der Tat recht deutlich zu erkennen sind. So kommt Toner im abschließenden Kapitel („Roman Disasters in Context“, S. 171–185) auch zu dem Schluss, dass epochenübergreifende Vergleiche in diesem Bereich schwer zu leisten sind, wenn man nach konkreten Zahlen und Folgen fragt. Günstiger gestalteten sich die Möglichkeiten hinsichtlich des Vergleichs von Narrativen und Erklärungsmustern.

Die Beispiele, die Toner genauer untersucht, stammen überwiegend aus der Kaiserzeit und der Spätantike und aus dem östlichen Mittelmeerraum. Auch wenn die von ihm präsentierten Ergebnisse nicht in allen Fällen ganz neu sein mögen, bieten sie zweifellos einen interessanten Blick auf antike Gemeinschaften in Krisensituationen und können dazu anregen, diese Betrachtungen in chronologischer wie geographischer Hinsicht auszuweiten.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa: Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt, Stuttgart 1998; Holger Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung, Deutung, Management, Stuttgart 1999; Mischa Meier, Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen 2003. Vgl. auch die Forschungsvorhaben des Projektbereichs „Katastrophen“ des Tübinger Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“, von denen sich ein Teilprojekt auch explizit auf die literarischen Reflexe, die Erdbeben in antiker Literatur hinterlassen haben, bezieht: <http://www.uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-923/teilprojekte/b01-erdbeben.html> (27.07.2013). Bei einem Vergleich zwischen diesen Arbeiten und Toners Werk sollte allerdings bedacht werden, dass sich Letzteres explizit an einen breiteren Leserkreis wendet.
2 Nicht nur diese dürften sich jedoch über Toners Schnitzer in Hinsicht auf geographische Zuordnungen wundern, wenn er Karthago zur Herrscherin über den östlichen Mittelmeerraum adeln möchte (S. 17) und den Teutoburger Wald „in what is now southern Germany“ vermutet (S. 19).

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