An Einführungen und Übersichtsdarstellungen zur Geschichte der römischen Republik besteht sicher kein Mangel. Aber auch wenn der Bestand an literarischen Quellen seit dem 19. Jahrhundert kaum zugenommen hat, sind neue Synthesen immer wieder lohnend, um gewandelte Fragestellungen und neue methodische Zugriffe sowie Quellenzuwachs auf anderen Gebieten einzubeziehen (vgl. S. XIII).1 Das zu besprechende Buch von Michael Sommer ist gewissermaßen der Nachfolger der zuerst 1938/39 im Kröner-Verlag erschienenen Römischen Geschichte von Ernst Kornemann. Sommer hat den zweiten Teil der Römischen Geschichte zur Kaiserzeit bereits im Jahre 2009 vorgelegt, so dass der erste Teil nun den Abschluss dieser neuen Römischen Geschichte des Kröner-Verlags darstellt.2
Der Band ist in drei Hauptteile gegliedert, deren Kapitelüberschriften den wachsenden Horizont des römischen Einflussbereiches widerspiegeln. Einer kurzen Einleitung, in der wichtige Quellen und Forschungsarbeiten knapp vorgestellt werden (S. XVII–XXXII), folgt der erste Teil „Urbs Roma“ (S. 1–139), der chronologisch von den Anfängen der Siedlung(en) am Tiber bis zum Pyrrhoskrieg reicht. Der zweite Teil „Res publica“ (S. 141–302) behandelt den Zeitraum vom Vorabend des Ersten römisch-karthagischen Krieges bis zum Ende des Dritten Makedonischen Krieges und zum ‚Tag von Eleusis‘ (168 v.Chr.); im dritten Teil (S. 303–575) wird schließlich die Zeitspanne bis zum Ende der Republik beleuchtet, das Sommer im Januar 27 v.Chr. mit der Verleihung des Augustus-Namens an Oktavian ansetzt (S. 571). Ein umfangreiches Literaturverzeichnis schließt an den Darstellungsteil an (S. 577–617), ein Glossar (S. 618–625) und ein Register schließen den Band ab (S. 626–654).
Für die frühe römische Geschichte stellt sich die Quellensituation bekanntlich weniger günstig als für die späte Republik dar, was sich auch in Sommers Buch in einer jeweils unterschiedlichen Herangehensweise niederschlägt. So werden im ersten Teil sich eher langfristig ändernde Strukturen dargestellt, während es im zweiten und dritten Abschnitt möglich ist, einzelne Prozesse im helleren Licht zu erkennen und zu erörtern. Gemeinsam ist allen Abschnitten der Anspruch, eine Römische Geschichte zu schreiben, die „eurozentrische Verengungen überwinden möchte“ (S. XX), um Rom als Teil einer in vieler Hinsicht vielfältigen und heterogenen Mittelmeerwelt zu beschreiben. Dieser Anspruch gelingt Sommer größtenteils: Immer wieder weist er etwa auf die Heterogenität Italiens (noch im 1. Jahrhundert v.Chr.) und die Bedeutung von Kelten, Griechen, Karthagern, Parthern oder Ägyptern für Prozesse und Ereignisse der Geschichte Roms hin oder unterbricht den Fortgang der chronologischen Darstellung zugunsten von Einschüben, die zeitlich wie räumlich weit ausgreifen, um den Kontext der römischen Geschichte zu erläutern und diese somit erst wirklich verständlich zu machen (zum Beispiel S. 49–58, 142–210 u. 377–386).
Zu Beginn der Geschichte Roms steht in den Quellen meist der Mythos. Sommer nutzt dies, um die Funktionen und die Relevanz von Mythen in und für antike Gesellschaften am Beispiel von Romulus und Aeneas pointiert herauszustellen (S. 2–18), was ihm die Gelegenheit bietet, sowohl neuere Forschungsansätze zu präsentieren als auch in die komplexe Quellenlage zur italisch-römischen Frühzeit einzuführen. Im Zusammenhang mit der archäologischen Erforschung des frühen Rom (und Italiens), der wir zweifellos viele wichtige Erkenntnisse über diese Epoche verdanken, hebt er zu Recht hervor, dass das Bestreben, „mithilfe der Archäologie wenigstens ein grobes Gerüst von Daten und Fakten rekonstruieren zu können, die sich in den Texten finden“ (S. 59), aussichtslos ist – so verlockend der Versuch auch erscheinen mag. Auch gegenüber den Schriftquellen für die ersten Jahrhunderte Roms und der frühen Republik, in der Debatte um „structural facts“ und „narrative superstructure“, zeigt sich Sommer eher skeptisch, auch wenn er die Möglichkeit der (mündlichen) Überlieferung einzelner Bestandteile alter Traditionen keineswegs ausschließen möchte (S. 71f.).
Dennoch wirkt die Frühzeit Roms in Sommers Darstellung keineswegs statisch. Krisen und Umbrüche im archaischen Italien und dessen Umgebung werden deutlich benannt, auch wenn Details in der Regel nicht mehr auszumachen sind. Ein besonders intensiver Blick gilt im ersten Hauptabschnitt der langsamen Formierung der römischen Bürgergemeinde in den ‚Ständekämpfen‘ und der Expansion der jungen Republik in Mittelitalien, die mit dem Versuch der Integration der Besiegten einherging.
Dem (vorläufigen) Ergebnis dieser Versuche widmet Sommer auch im zweiten Teil („Res publica“) einen längeren Abschnitt, in dem er das ‚Bundesgenossensystem‘ eingehend analysiert. Dieses kennzeichnet er als Ergebnis des fortdauernden Experimentierens mit verschiedenen Formen direkter und indirekter Herrschaft, das keinem Masterplan, sondern oft genug historischen Zufällen und Gegebenheiten des Augenblicks gefolgt sei (vgl. S. 108 u. 177–210). Einprägsam ist der (entliehene) Vergleich des römischen Herrschaftssystems in Italien mit „einem Verbrechensyndikat […], das seine Opfer entschädigt, indem es sie zu Komplizen seines nächsten Coups macht“ (S. 191). Loyalität zu Rom zahlte sich in Form von Anteilen an der jeweiligen Kriegsbeute aus. Das Verlangen nach einem größeren Anteil, und nicht etwa der Wunsch nach dem römischen Bürgerrecht, war für die meisten Italiker dann wohl auch das Motiv, das in den Bundesgenossenkrieg des 1. Jahrhunderts v.Chr. führte (S. 354f.).
In einem eigenen Unterkapitel bespricht Sommer das politische System der Republik (S. 211–247). Insbesondere skizziert Sommer ausführlich die Forschungsdebatte um den Charakter der Nobilität und der politischen Ordnung der römischen Republik in Rückgriff auf ältere wie neuere Forschungen.3 Die machtvolle Rolle des Adels in der Republik wird dabei deutlich herausgestellt. Gleichwohl brauchte dieser die Volksversammlungen (nicht nur, aber auch) als Zünglein an der Waage in den wohl oft knappen Wahlen zu den höheren Ämtern, so dass das Volk keineswegs gänzlich machtlos gewesen sei.
Das Kapitel über die großen Kriege gegen Karthago und die hellenistischen Königreiche (S. 248–302) nutzt Sommer, um wiederholt auf die den umwälzenden Ereignissen jener Jahrzehnte innewohnende Kontingenz hinzuweisen: zu leicht bewerte man den Weg Roms zur Hegemonie im Mittelmeerraum von seinem Ende her und übersehe dabei historische Zufälle oder Provisorien wie die Einrichtung der ersten Provinzen. In der Diskussion um den römischen ‚Imperialismus‘ weist Sommer zu Recht daraufhin, dass sich die Antriebskräfte der Expansion aus verschiedenen Quellen speisten und dass sich die Republik in dieser Hinsicht im Grunde nur wenig von anderen antiken Mächten unterschied, denen Expansion auf Kosten anderer ebenfalls nicht fremd war; man denke nur an die Ausweitung des Machtraums der Karthager. Roms Sonderstellung sei demnach eher in einer besonders wirkungsvollen Integration Besiegter in den eigenen Herrschaftsapparat und den hieraus resultierenden enormen Ressourcen zu sehen (S. 296–302).
Im letzten Abschnitt liefert Sommer eine dicht erzählte Geschichte der letzten rund 100 Jahre der Republik und analysiert dabei die Faktoren, welche die Krise zunehmend verschärften. Gegen lange in der Forschung herrschende Ansichten relativiert er das auf Appian fußende Bild einer umfassenden italischen Agrarkrise des 2. Jahrhunderts v.Chr. und zeichnet, wie auch in anderen Teilen des Buches in Rückgriff auf aktuelle Forschungsergebnisse, ein differenzierteres Bild, in dem demographische Faktoren, die Unzufriedenheit der Bundesgenossen und militärische Probleme ihren Anteil haben. Die komplexe Gemengelage und der immer wieder aufflammende Konfliktstoff werden von Sommer kenntnis- und einsichtsreich ausgebreitet und die Geschichte der späten Republik über die bekannten Stationen hinweg und anhand prominenter Figuren, immer wieder mit Ausblicken hin zur Kaiserzeit, dargestellt, um an einzelnen Punkten einen kritischen Blick auf einseitige Bewertungen in den Quellen bzw. der Forschung zu werfen (etwa in Hinsicht auf den Triumvir Marcus Antonius).
Dieser Abschnitt bietet Sommer besonders viele Gelegenheiten, auf den Zufallscharakter historischer Prozesse hinzuweisen – und so kam es auch nicht so, wie es kommen musste. Wie die Alternativen in der Krise der Republik hätten aussehen können, bleibt jedoch auch bei Sommer ein wenig unscharf (S. 574f.). Letztlich gewinnt man auch aus seiner Darstellung den Eindruck, dass die Diskrepanz zwischen den enorm gewachsenen Aufgaben, die sich der römischen Herrschaft überall im erweiterten Mittelmeerraum stellten, und der Unzulänglichkeit der institutionellen Mittel der Republik in Kombination mit einer sich verschärfenden Konkurrenz und einer zunehmenden Unfähigkeit zum Ausgleich von Interessen innerhalb des Senatsadels die Kräfte in Gang hielt, welche das System der Republik schließlich zerriss.
Insgesamt bietet Sommers Band eine weitestgehend auf dem aktuellen Forschungsstand basierende, kenntnisreich geschriebene, gut informierende und in mehrfacher Hinsicht umfassende Geschichte der römischen Republik, die bedenkenlos empfohlen werden kann.
Anmerkungen:
1 Sommer bietet auf den Seiten XXXf. eine kommentierte Aufführung wichtiger Überblickswerke.
2 Ernst Kornemann, Römische Geschichte, 2 Bde., Stuttgart 1938–1939 (u.ö.); Michael Sommer, Römische Geschichte, Bd. 2: Rom und sein Imperium in der Kaiserzeit, Stuttgart 2009.
3 Vgl. für einen umfassenden Überblick Karl-Joachim Hölkeskamp, Reconstructing the Roman Republic. An Ancient Political Culture and Modern Research, Princeton 2010 (zuerst deutsch 2004).