Die Studie von Karsten Uhl zu Genesis, Formen und Veränderungen des fordistischen Produktionsregimes im 20. Jahrhundert ist aus zahlreichen Gründen spannend und innovativ. Ein Grund: Sie geht das Thema aus der Perspektive des Raumes an. So beginnt Uhl seine in sechs große Kapitel gegliederte Habilitationsschrift mit den überlieferten Abbildungen des historischen Raums. Er diskutiert unter anderem die Frage, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Industriefotografie etwa aus Jubiläumsschriften der Unternehmen und die heimlich geknipste, unverstellte Arbeiterfotografie aufweisen. Im zweiten Kapitel skizziert Uhl, wie die Fabrikgebäude seit der Wende zum 20. Jahrhundert architektonisch von einer Hülle der zumeist noch handwerklich geprägten Produktion zu einem zentralen Element der „rational factory“ wurden, die Produktionsorganisation(en) strukturierte(n).1
In den anschließenden Kapiteln werden spezifische Trends und Folgewirkungen tayloristischer und fordistischer Produktionsregime anhand von drei Fallbeispielen anschaulich dargelegt. Diese sind gut gewählt. Es wäre allerdings zu wünschen gewesen, dass Uhl zusätzlich ein viertes Exemplum aus den neuen Bundesländern herangezogen hätte. Dies hätte es erlaubt, Kontinuitäten und Brüche zwischen den Konstellationen im Dritten Reich, in der DDR und in der Berliner Republik plastischer zu konturieren. So muss Uhl sich darauf beschränken, die tayloristisch-fordistischen Rationalisierungsbewegungen in der DDR im Schlusskapitel zwar ausführlich, aber summarisch und ohne empirische Belege zu diskutieren.
Das erste Exemplum, Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln mit seinem von Uhl ausführlich gewürdigten „Betriebsführer“ Helmut Stein, ist deshalb gut gewählt, weil sich an ihm das Grundthema der Arbeit anschaulich entwickeln lässt. Schon seit Ende der 1920er-Jahre wurde dort, über die Einführung des „Selbstkalkulators“, gezielt eine mit Rationalisierung gekoppelte Politik des relativen Freiraums und der kalkulierten Nutzung von Subjektivität und Eigenmotivation praktiziert. Die Personalpolitik von KHD ist Uhl ein zentrales Argument, die These von einer „Entdeckung des Personalmanagements [erst] in der Bundesrepublik“ und einem relativ abrupten „Übergang von [der] Konfrontation zur Kooperation“ Mitte der 1970er-Jahre zurückzuweisen. Eine solche holzschnittartige Gegenüberstellung würde den viel stärker ausgebildeten Kontinuitäten nicht gerecht, so die grundsätzlich überzeugende Argumentation Uhls. Interessant ist das Beispiel KHD außerdem, weil sich an ihm zeigen lässt, dass die transatlantische Rezeption von Konzepten und der Austausch betriebspraktischer Erfahrungen zwischen den Kontinenten nicht einseitig war. Zwar orientierte sich Stein in den 1920er-Jahren wie viele andere an „Amerika“, in seinem Fall an General Motors mit seiner elaborierten, gegenüber den ursprünglichen Prinzipien Fords elastischeren Personalpolitik und Produktionsorganisation. Ende der 1930er-Jahre waren es dann allerdings umgekehrt US-Amerikaner, die nach Deutschland kamen, um die Steinschen Methoden zu studieren. KHD blieb bis 1945 freilich (das hätte schärfer betont werden können) in mancherlei Hinsicht ein Sonderfall. Zudem wurden die begrenzten Freiräume, die KHD unter Stein einer kleinen Zahl von Arbeitnehmern gewährte, obsolet, als ab 1941 Millionen von „Fremdarbeitern“ in die Industrie des „Altreichs“ strömten. Gleichwohl schuf namentlich Stein Traditionen, an die (nicht nur) KHD nach 1945 relativ bruchlos anknüpfen konnte.
Die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS) als zweites Beispiel kontrastiert mit KHD unter anderem deshalb, weil die Belegschaft bereits Mitte der 1930er-Jahre zu knapp sechzig Prozent weiblichen Geschlechts war. Die zentrale These dieses Kapitels, in dem Uhl ausführlich vor allem auf die Sozialen Betriebsarbeiterinnen ab 1935 eingeht, ohne den Untersuchungen vor allem von Carola Sachse2 substantiell Neues hinzuzufügen, lautet: Ob Unternehmensleitungen Teilen der Belegschaft Freiräume zubilligten, war wesentlich „vom Glauben des Managements an die Fähigkeiten des deutschen Facharbeiters abhängig“. Da die AKS überwiegend Frauen beschäftigte, blieben „personalpolitische Experimente, anders als bei KHD, weitgehend aus“. Die betriebliche Sozialpolitik dieses Textilunternehmens blieb „von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ‚fordistischen Jahrhunderts‘ um 1970 stark von der betrieblichen Wohlfahrtspolitik unter paternalistischen Vorzeichen geprägt“ und wandelte sich bestenfalls graduell (S. 276f.).
Die Kölner Stollwerck AG, das dritte Fallbeispiel, ist Uhl ein Beleg dafür, dass Unternehmensleitungen „stets eine Kombination aus Disziplinierung und der geregelten Zubilligung von Freiräumen“ zur Anwendung brachten, allerdings „in unterschiedlichen Abteilungen zur gleichen Zeit verschiedene Strategien der Machtausübung“ praktizierten. Die Geschichte des Unternehmens Stollwerck zeige eindringlich, dass „keinesfalls die Disziplinierung im Verlauf des 20. Jahrhunderts völlig fallen gelassen“ wurde und dies mindestens „mittelbar mit dem Geschlecht zu tun“ hatte. Die „Eingruppierung der Frauen in den Niedriglohnsektor“ spiegele, dass „ihrer Subjektivität kein verwertbares Potential für das Unternehmen“ zugebilligt wurde (S. 326f.). Die in den Arbeitswissenschaften der 1920er- und 1930er-Jahre generell ausgeprägten frauenspezifischen Ressentiments kamen, dafür steht dieses Süßwaren-Unternehmen exemplarisch, nach 1945 weiter zum Tragen. Auch sonst sind die geschlechtsspezifischen Differenzierungslinien und Rollenerwartungen ein ‚roter Faden‘, der die gesamte Studie in geradezu vorbildlicher Weise durchzieht. Wie stark diskriminierende geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen das Betriebsinnenleben bestimmten, drängt sich bereits im ersten Kapitel dem Leser optisch geradezu auf. Hier treten auf mehreren Fotos Frauen in Masse quasi-uniformiert und individuell kaum unterscheidbar auf, während demgegenüber die wenigen männlichen (Vor-)Arbeiter markante individuelle Züge zeigen.
Alle Kapitel kreisen um die gut begründete Hauptthese Uhls, dass Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit nicht gegenläufige Bewegungen darstellen oder unterschiedliche Epochen markieren, sondern zwei Seiten derselben Medaille bildeten. Unternehmensleitungen setzten in der Regel nicht allein auf Kontrolle und brachiale Disziplinierung. Sie wollten daneben – und in den verschiedenen historischen Phasen auf jeweils unterschiedliche Weise – „Disziplin zur Selbstdisziplin“ werden lassen und selbst in der Hochphase des Fordismus zwischen den 1920er- und 1970er-Jahren die „subjektiven Potentiale der Beschäftigten durch den Transfer von Verantwortung und die Gewährung von Freiräumen nutzbar“ machen (S. 97). Eine „Dichotomisierung zwischen Subjektivierung und Taylorisierung“ mache keinen Sinn; „die Entwicklung eines ‚enterprising self‘“ sei vielmehr „bereits als Bestandteil des fordistischen/tayloristischen Projektes zu betrachten“ (S. 159f.). Uhl nimmt damit neuere Überlegungen auf, die etwa dem Toyotismus nicht eine Stellung als eigenständigen Typus unter den Produktionsregimen einräumen, sondern ihn als weichgespültes fordistisches Produktionsregime sehen.
Seine gut belegte These einer Gleichzeitigkeit von Fordisierung und Humanisierung der Arbeit und ein aufmerksamer Blick auf die Binnenstrukturen der Belegschaften erlauben Uhl darüber hinaus die Feststellung, dass erst die Unterschichtung durch „das vorwiegend weibliche und ausländische ‚Rationalisierungsproletariat‘ die Freiräume des Selbstmanagements für die qualifizierten männlichen bundesdeutschen Arbeiter ermöglichte“ (S. 359f.). Zum gezielten Herauskitzeln von Selbstverantwortung und ‚konstruktiver‘ Eigeninitiative gehören – hier kann man Uhl nur zustimmen – all diejenigen (Rahmen-)Aspekte der Betriebspolitik, die ab 1933 unter dem Schlagwort „Schönheit der Arbeit“ gebündelt wurden. Seine Strukturanalyse und die von mir nur grob umrissenen Thesen erlauben Uhl des Weiteren, die klassischen Periodisierungen zu relativieren. Die Zäsuren 1933 und 1945 besaßen betriebsökonomisch nicht die herausragende Bedeutung, die ihnen gern zugesprochen wird. Auch das Diktum von der Krise und dem Ende des Fordismus seit Mitte der 1970er-Jahre relativiert sich vor dem von Uhl skizzierten Hintergrund.
Kritik an der Studie betrifft lediglich Randbereiche. Die Forschung zum Untersuchungsgegenstand ist nicht vollständig rezipiert. Ältere, grundlegende Untersuchungen zur Rationalisierung in der Weimarer Republik und während des Dritten Reiches3 hat Uhl nicht zur Kenntnis genommen, obwohl dort bereits die Grenzen der Taylorisierung und Fordisierung und ihrer Umsetzung im deutschen Raum ausführlich diskutiert werden. Mehr als aufgewogen wird diese Kritik freilich dadurch, dass er systematisch die angloamerikanische Forschung rezipiert hat und die Entwicklung der Konstellationen in Deutschland überzeugend in den internationalen, vor allem US-amerikanischen Kontext einbettet. Hinzu kommen kleine sachliche Fehler: Der Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung bzw. Arbeitsstudien (REFA) zum Beispiel wurde nicht „in die DAF eingegliedert“ (S. 206); die Deutsche Arbeitsfront und REFA kooperierten seit 1935 freilich eng.
Diese kleinen Defizite können den hohen Stellenwert, den die Studie für die Forschungen zur industriellen Arbeitsorganisation und Fertigungstechnik sowie zum betrieblichen Mikrokosmos im 20. Jahrhundert besitzt, nicht substantiell relativieren. Uhls eingangs formulierte Kritik an der „Entmaterialisierung“ einer inzwischen oft allzu luftigen „neuen Kulturgeschichte“ (S. 23) ist berechtigt. Seine Monographie steht beispielhaft dafür, dass sich Kultur- und Sozialgeschichte auf überzeugende Weise miteinander verknüpfen lassen.
Anmerkungen:
1 Uhl knüpft (nicht nur) hier an die wichtige Studie von Timo Luks, Der Betrieb als Ort der Moderne. Zur Geschichte von Industriearbeit, Ordnungsdenken und Social Engineering im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2010, bes. S. 109–114, an.
2 Vgl. vor allem Carola Sachse, Hausarbeit im Betrieb. Betriebliche Sozialarbeit unter dem Nationalsozialismus, in: dies. u.a., Angst, Belohnung, Zucht und Ordnung. Herrschaftsmechanismen im Nationalsozialismus, Opladen 1982, S. 209–274.
3 Thomas von Freyberg, Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik. Untersucht an Beispielen aus dem Maschinenbau und der Elektroindustrie, Frankfurt am Main 1989; ders. / Tilla Siegel, Industrielle Rationalisierung unter dem Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991.