„Was ist Wirtschaft?“ Diese scheinbar simple Frage leitet den Klappentext des Sammelbandes ein. Die Autor/innen begeben sich anhand von elf Themen in einer offenen und diskussionsfreudigen Weise auf die Suche danach, was in einer historischen Perspektive eigentlich unter Ökonomie zu verstehen ist. Den Ausgangspunkt für diese Fragestellung bildete ein „gefühlter Bruch“ zwischen der Wirtschaftsgeschichte und der Kulturgeschichte (S. 8). In der Tat herrscht unter Wirtschaftshistoriker/innen nach wie vor Unbehagen, sich mit den Erkenntnissen des cultural turn auseinanderzusetzen; umgekehrt ist allerdings auch eine gewisse Verunsicherung unter kulturalistisch arbeitenden Historiker/innen zu beobachten, sich mit den materiellen Grundlagen historischer Prozesse zu befassen. Vor diesem Hintergrund suchten Dejung, Dommann und Speich Chassé nach einer Forschungsperspektive, „welche die klassischen wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen nicht a priori in einen Gegensatz zu kulturwissenschaftlichen Perspektiven stellt, sondern Kultur und Wirtschaft als zwei im historischen Wandel eng verknüpfte Konzeptionen versteht“ (S. 9).
Mit diesem Anliegen knüpft der Band an Diskussionen um die theoretische Ausrichtung der Wirtschaftsgeschichte an, die seit einigen Jahren innerhalb des Faches geführt werden.1 Zu den Beiträgern des vorliegenden Bandes zählen denn auch vornehmlich Historiker mit wirtschaftsgeschichtlichen Qualifikationen und Interessen, die sich den Herausforderungen der Kulturgeschichte stellen, und nicht umgekehrt. Trotz oder gerade wegen der Verortung an der Schnittstelle zwischen Wirtschafts- und Kulturgeschichte weisen die Herausgeber eine „übergreifende Theorieannahme“ (S. 11) als Leitmotiv für die Autor/innen und ihre Texte von sich, was dazu führt, dass diese ihre Leser durch ganz eigene Theorieannahmen und kritische Überlegungen herausfordern. Offenbar angesichts dieser Vielfalt haben sich die Herausgeber/innen dazu entschlossen, die Texte entlang der zentralen Schlagworte, die zugleich als Überschriften dienen, schlicht alphabetisch zu gliedern.
Den Anfang macht Michael Jucker mit einem Beitrag über Beute, in dem er deren Ambivalenz zwischen wirtschaftlichem und kulturellem Gut aufzeigt. Beutestücke können sowohl Bestandteil von Kriegsökonomien als auch symbolisch bedeutsam sein, und sie sind ökonomisch umso wertvoller, je höher ihre symbolische Aufladung ist. Diesem Problemaufriss geht Jucker an Hand der Kriegsbeute im Spätmittelalter im Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft und am Oberrhein sowie im Herzogtum Burgund nach. Mit Juckers Text enthält der Band erfreulicherweise nicht nur einen Beitrag jenseits der neuesten Geschichte, sondern zeigt vor allem, dass die Grenzen zwischen Kultur und Ökonomie schon seit langer Zeit fließend sind.
Dem Konzept der sozialen Einbettung und seiner Genealogie geht Christof Dejung nach, um zu zeigen, dass Wirtschaft nicht als ein spezifisches soziales Subsystem verstanden werden muss, welches nur mit wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen angemessen beschrieben werden kann. Vielmehr unterstützt er einen Zugang, bei dem die Sphäre der Wirtschaft in Bezug zu den politischen und kulturellen Umständen gesetzt wird: „Die Unterscheidung zwischen Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen bleibt damit das Resultat von sozialen Selbstdeutungsprozessen oder von analytischen Kategorisierungen“ (S. 67).
Jan-Otmar Hesse stellt in seinem Beitrag über Geld zunächst heraus, dass selbiges in der Forschungsliteratur oftmals als unhistorische wirtschaftswissenschaftliche Kategorie konzipiert wird. Demgegenüber fordert er eine „konsequente Historisierung des Geldes“ (S. 92). Hesse argumentiert in einem ausgesprochen gut lesbaren und klar strukturierten Beitrag, dass Geld nicht von den seine Benutzung regelnden Institutionen und ihrer Geschichte zu trennen sei. Dazu zeichnet er verschiedene historisch gewachsene Ansätze zur Bestimmung der Funktion von Geld nach und skizziert dessen institutionelle Entwicklung sowie die Regelung seines internationalen Austauschs.
In einer Verbindung von Diskursanalyse und Institutionengeschichte lotet Lea Haller das Spannungsgefüge rund um den Begriff der Innovation aus. Sie beschreibt zum einen Fortschritts- und Innovationsvorstellungen des 19. und 20. Jahrhundert und koppelt diese an zeitgenössische Strategien, Innovationen im weitesten Sinne zu planen oder zu regulieren. Um für die Regulierungs- und Institutionalisierungsmaßnahmen Vergleichsebenen zu schaffen, wäre allerdings eine trennschärfere Argumentation entlang nationaler Maßnahmen aufschlussreich gewesen.
Thomas Welskopp begibt sich auf die Suche nach begrifflichen und inhaltlichen Bestimmungen des Konsums. Dabei kommt er zu der Erkenntnis, dass Konsum nicht ohne Produktion zu denken sei und dass kapitalistische Produktionssysteme konsumgesellschaftliche Strukturen hervorbringen. Produktionsgesellschaften und Konsumgesellschaften seien in gewisser Hinsicht „die zwei Seiten ein und derselben kapitalistischen Münze“ (S. 147). Aufschlussreich sind neben dieser ökonomischen Anbindung seine Ausführungen zu Konsum als kulturellem Akt, in denen der Vorgang des Kaufens ins Zentrum gerückt wird. Spannend wird es, wenn der Prozess des Erwerbens wichtiger scheint als das erworbene Gut, wenn Konsum und Religion miteinander konkurrieren oder sich lebensweltliche Zwecke und Bedürfnisbefriedigung in ökonomisches Handeln einlagern; wie Welskopp süffisant sagt, eine „Win-Win-Situtaion“ für Konsument und Anbieter (S. 149).
Im weiten Feld des Themas Krise sucht Jakob Tanner nach „sich wandelnden Bedeutungen von wirtschaftlichen Sachverhalten und nach Formen der Selbstverständigung von Gesellschaften“ (S. 153), wobei er sich freilich auf den europäisch-transatlantischen Raum beschränkt. Tanner argumentiert entlang des Spannungsfeldes von Krise und Kritik und verortet den Begriff der Krise zunächst als Spezifikum der Moderne, um ihn dann näher zu bestimmen und die überbordende Vielzahl definitorischer Ansätze zu bündeln. Schließlich fragt er nach den leitenden Theorievorschlägen, die sowohl gängige Vorstellungen über Krisen als auch die historische Forschung geprägt haben. Dazu geht er insbesondere auf die Erklärungsansätze von Karl Marx, John Maynard Keynes, Friedrich A. Hayek und Hansjörg Siegenthaler ein.
An der Grenze zwischen moralphilosophischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fragen bewegt sich Monika Dommann mit ihren Ausführungen zum Markttabu. Dommann denkt über die Anstößigkeit und den schlechten Ruf von Märkten nach und schreibt im Grunde eine Mentalitätsgeschichte der wirtschaftlichen und moralischen Debatte zum Thema Markt. Dazu reflektiert sie über die historische Entwicklung des Marktprinzips bzw. seiner moralphilosophischen Absicherung und wendet sich anschließend dem Konzept der Gabe als Gegenbegriff zum Markt zu.
Dem Verhältnis von Wirtschaft und Nation geht Daniel Speich Chassé nach. Im Kern geht es ihm darum, den konstruierten Charakter von Nationalökonomien herauszustellen. Speich Chassé streicht die „Ko-Konstruktion“ (S. 208) von Nation und Wirtschaft im Konzept der Nationalökonomie heraus und zeigt, wie sich diese Vorstellung im Laufe der Zeit verdichtete. Dazu schaut er zum einen die Verbindung von Nation und Wirtschaft im deutschen Vormärz an und zum anderen die Bemühungen in Großbritannien zur statistischen Erfassung international vergleichbarer wirtschaftlicher Daten nach dem Zweiten Weltkrieg. Speich Chassé entlarvt das Konzept der Nationalökonomie mit seiner lückenlosen und kompetitiven Aneinanderreihung der Wirtschaftskraft von Nationen als „globale Imagination“ (S. 224).
Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Ökonomie und Religion bei Niklas Luhmann, Max Weber und Walter Benjamin gehen Jan Behnstedt und Marcus Sandl der Frage nach, inwiefern sich vor allem für die frühe Neuzeit überhaupt eine strukturelle Differenz zwischen beiden ausmachen lässt. Sie plädieren dafür, stärker auf die konkreten historischen Umstände zu fokussieren, um Differenz oder Konvergenz zwischen Religion und Ökonomie zu eruieren.
Alexander Engel fragt nach dem Verhältnis von Ernst und Spiel, wobei er der gesellschaftlichen Rolle und Wahrnehmung von Börsenspekulationen im deutschen Sprachraum der letzten zweihundert Jahre nachgeht. Er analysiert, inwiefern eine Gegenüberstellung von Ernst und Spiel in spezifischen Kontexten als Mittel der Differenzierung und Kontrastierung von Ökonomischem und Nicht-Ökonomischem gewirkt hat. Er zeigt vor allem, inwiefern mit der „Verernsthaftung“ (S. 272) des Börsenspiels der Geltungsbereich des Ökonomischen erweitert wurde.
Den historischen Debatten um Staatseinnahmen und -ausgaben nimmt sich schließlich Gisela Hürlimanns Beitrag über Steuern an. Hürlimann zeichnet die Steuertheorien der letzten 200 Jahre nach und befragt die zeitgenössischen Theorien dahingehend, inwiefern sich wandelnde Auffassungen von Steuern Indikatoren für generelle gesellschaftliche Veränderungen sind. Auf diese ausgesprochen vielversprechende Weise öffnet sie das Thema Steuern für eine Gesellschaftsgeschichte, mit der ganz unterschiedliche soziale Entwicklungen nachgezeichnet werden können.
Die einzelnen Beiträge sind durchweg sehr aufschlussreich, allerdings hat auch dieser Band Schwächen. So ist die Einleitung von allen drei Herausgebern gezeichnet, was vermutlich ihren recht heterogenen Charakter erklärt. In einem Punkt führt die Einleitung die Leser auch in die Irre: So wurde das Buch offenbar als Handbuch konzipiert (S. 11), ein Anliegen, das bei der offenen Fragestellung nach dem Spannungsfeld von Ökonomie und Geschichte wenig überzeugt. Gerade dieser offene, diskussionsfreudige Zugang macht den Charme des Bandes aus.
Diesem kleineren Einwand zum Trotz liegt mit der „Suche nach der Ökonomie“ ein anregend zu lesender Band vor, der es vermag, zahlreiche neuere Zugänge zur Wirtschaftsgeschichte zu bündeln und Anknüpfungspunkte zu anderen Teildisziplinen zu vergegenwärtigen. Eine Erweiterung wäre sehr wünschenswert, um in Beiträgen zu A wie Armut bis Z wie Zeit nicht nur die theoretischen Debatten um die Wirtschaftsgeschichte fortzuführen, sondern auch, um umgekehrt Kulturhistoriker/innen stärker an die Materialität ihrer Untersuchungsgegenstände zu erinnern.
Anmerkung:
1 Vgl. z. B. Hartmut Berghoff / Jakob Vogel (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt a. M. 2004; Hansjörg Siegenthaler, Geschichte und Ökonomie nach der kulturalistischen Wende, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 276–301; sowie die Beiträge von Margit Grabas, Hartmut Berghoff, Mark Spoerer und Christoph Boyer zum Schwerpunkt „Kultur in der Wirtschaftsgeschichte“ in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 94 (2007), S. 173–188.