Das Bild deutscher Trümmerfrauen ist allgegenwärtig, wenn es um Deutschland in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg geht. Ob Schulbücher, Ausstellungen, TV- oder Printmedien: Sie alle zeigen Fotografien von Trümmerfrauen als konstitutiven Bestandteil der unmittelbaren Nachkriegszeit. Diese Fotografien bildeten bereits 2009 den Ausgangspunkt zweier Aufsätze von Marita Krauss und Nicole Kramer, die das „visuelle Konstrukt“ bzw. die „Ikone“ der Trümmerfrau überzeugend dekonstruiert haben.1 Ausführlich und systematisch widmet sich dem „Mythos Trümmerfrauen“ jetzt Leonie Treber in ihrer Dissertation, mit der sie 2013 an der Universität Duisburg-Essen promoviert wurde und die eine Fortführung ihrer bereits 2006 abgeschlossenen Magisterarbeit darstellt.2 Obwohl Krauss und Kramer einige ihrer zentralen Ergebnisse zur Entstehung und Etablierung des Trümmerfrauen-Mythos bereits vorweggenommen haben, ist Trebers Studie doch äußerst lohnend und lesenswert, weil sie inhaltlich und methodisch über das bisher Bekannte hinausgeht.
In einer gelungenen Kombination von wirtschafts- und sozialgeschichtlichem, begriffs- und erinnerungsgeschichtlichem Zugriff unternimmt Treber zum einen eine systemvergleichende Untersuchung des erinnerungskulturellen Umgangs mit der Trümmerräumung in DDR und Bundesrepublik. Zum anderen schreibt sie eine Geschichte der Enttrümmerung deutscher Städte selbst, die zwischen der Geschichte des Luftkriegs und des Wiederaufbaus bislang ein Forschungsdesiderat darstellte. Für das Schließen dieser Lücke erhielt die Autorin jüngst den Nachwuchspreis der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung.
Die erste Hälfte des Buches beschäftigt sich mit der Trümmerräumung in elf ausgewählten, stark zerstörten deutschen Städten in allen vier Besatzungszonen. Indem Treber den Akteuren, Maßnahmen, regionalen Besonderheiten und zeitlichen Entwicklungen der Enttrümmerung nachgeht, liefert sie quasi die realgeschichtliche Folie für die Frage nach den „kollektiven Gedächtnissen“ in Ost- und Westdeutschland, die sie im zweiten Teil ihrer Arbeit untersucht. Das wichtigste Ergebnis im Hinblick auf den späteren Trümmerfrauen-Mythos ist dabei, dass Frauen in größerer Zahl nur in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beteiligt waren, während in den Westzonen schon früh das professionelle Bauhandwerk die Trümmerbeseitigung übernahm. Weil aufgrund der höheren Reparationsleistungen an die sowjetische Besatzungsmacht in der SBZ ein erheblicher Mangel an Großgeräten bestand, war hier der Einsatz der Bevölkerung zum Räumen der Trümmer generell von größerer Bedeutung. Nach einer kurzen Phase der Verpflichtung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern (darunter auch Frauen) in allen Besatzungszonen wurden daher vor allem in der SBZ und in Berlin Arbeitslose herangezogen, unter denen wegen des anfänglichen Männermangels für eine kurze Zeit Frauen die Mehrheit bildeten. Der Arbeitseinsatz von Frauen entsprach in der SBZ auch dem sozialistischen Frauenideal und wurde gezielt forciert. In den Westzonen wurden teilweise ebenfalls Arbeitslose verpflichtet, Frauen durften aber nur in der britischen Zone herangezogen werden. Selbst dort setzten die deutschen Verwaltungen dies allerdings kaum um, weil es dem traditionellen Frauenbild zuwiderlief. Auch im Rahmen freiwilliger oder obligatorischer „Bürgereinsätze“, die sich in allen Zonen etablierten, war der Anteil von Frauen lediglich in der SBZ von Bedeutung.
Da die Trümmerräumung als weibliche Erfahrung weitgehend auf Berlin und die SBZ beschränkt war, entwickelten sich nur hier bis 1949 der Begriff und das Bild der Trümmerfrau. Wie Treber in einem kurzen Kapitel zeigt, das als eine Art Scharnier zum zweiten Hauptteil dient, war die ‚Geburt‘ der Trümmerfrau Teil einer gezielten Medienkampagne, die die Bevölkerung zu einer stärkeren Mitarbeit bei der Trümmerräumung motivieren sollte. Das Bild der vermeintlich ebenso schuld- wie selbstlosen Trümmerfrau sollte die Trümmerbeseitigung vom Stigma der Zwangsarbeit befreien, das ihr seit dem Einsatz von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern im NS-Regime noch anhaftete und durch die anfängliche Heranziehung ehemaliger Parteimitglieder zunächst weitergeführt worden war. Die Stilisierung verantwortungsbewusster Frauen, die freiwillig an der Trümmerräumung mitwirkten, sollte demgegenüber das Image verbessern. Sie machte die Trümmerfrau in Berlin und der SBZ kurzzeitig zum „Medienstar“ (S. 275). Auch wenn diese Kampagne unter den Zeitgenossen offensichtlich keinen großen Erfolg hatte, entstand dabei doch ein Großteil der Stereotypen und der Fotografien, die bis heute zur Visualisierung der deutschen Trümmerfrauen verwendet werden.
Im zweiten Hauptteil, in dem Treber die „kollektiven Gedächtnisse“ systemvergleichend verfolgt, zeigen sich deutliche Differenzen zwischen den beiden deutschen Staaten. In der DDR hatte die Figur der Trümmerfrau bis 1989/90 einen „beständigen Platz im Inventar des kollektiven Gedächtnisses“ (S. 432). Seit den 1950er-Jahren diente sie als positive Identifikationsfigur und „Prototyp der neuen sozialistischen Frau“ (S. 281). Fortan wurde sie als Sinnbild für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Sozialismus, für die friedliche Aufbauleistung der DDR, aber auch für eine moralische Arbeitspflicht der Frau instrumentalisiert. An Jahrestagen wie dem „Internationalen Frauentag“, dem „Tag der Arbeit“ oder dem „Tag der Befreiung“ wurde das Bild der Trümmerfrau beständig reproduziert und eng mit dem Gründungsmythos der DDR verbunden.
In der Bundesrepublik war die Figur der Trümmerfrau dagegen im öffentlichen Diskurs bis in die 1980er-Jahre kaum präsent. Lediglich in West-Berlin existierte aufgrund des tatsächlichen lokalen Erfahrungsbezugs ein positives Bild der Trümmerfrau als Symbol des spezifischen „Berliner Aufbauwillens“, bei dem der tatsächliche Anteil von Männern schon früh ausgeblendet wurde. In der Bundesrepublik wurde die Trümmerfrau nur gelegentlich als Berliner Besonderheit thematisiert, spielte ansonsten aber, etwa in den Debatten um die Gleichberechtigung, keine Rolle. Nur in den 1950er-Jahren wurde sie im Zeichen der Systemkonkurrenz manchmal als Negativbild der „armen Schwester“ im Osten (S. 335) und Gegenbild zum bürgerlichen Frauenideal der Bundesrepublik angeführt.
Erst in den 1980er-Jahren wurde die Trümmerfrau in der Bundesrepublik entdeckt und rasch zu einem feststehenden Mythos. Trebers Untersuchung stützt Nicole Kramers Erkenntnis, dass dies insbesondere ein Resultat zweier nahezu zeitgleicher Entwicklungen war: der Frauengeschichtsschreibung einerseits und der politischen Debatte um die rentenrechtliche Berücksichtigung älterer Frauen andererseits. Im Rahmen einer stärkeren Hinwendung zum Alltagsleben von Frauen nach dem Krieg entwickelte sich in der Frauengeschichte – mit einem starken identifikatorischen Impetus – das Narrativ der deutschen Alltagsheldin, die sich durch eigene Tatkraft aus ihrer Opferrolle befreit und aktiv eine neue Gesellschaft aufgebaut habe. Politisch wurde gleichzeitig, angetrieben durch eine zunächst relativ kleine Akteursgruppe, das Bild der deutschen Trümmerfrau zum „Argument im Kampf um Besserstellung im gegenwärtigen Rentensystem“ (S. 409), das bald von allen politischen Richtungen als vermeintliches Konsenswissen geteilt wurde. Historiographisch wie politisch wurde das aus der Berliner Erinnerung entlehnte Bild der Trümmerfrau auf eine ganze deutsche Frauengeneration bezogen. Die Trümmerfrau wurde besonders für die Generation der Kriegskinder in einer Kombination von Leidens- und Leistungsgedächtnis zur Chiffre für eine vor allem weiblich gedachte Zivilgesellschaft.
Trotz höchst unterschiedlicher west- und ostdeutscher Diskurstraditionen wurde das relativ neue westliche Trümmerfrauen-Bild, wie Treber in ihrem Schlusskapitel zeigt, nach der Wiedervereinigung auffallend schnell und „scheinbar problemlos zu einem gesamtdeutschen Erinnerungsort“ (S. 24). Erleichtert wurde dies durch die kontinuierliche Präsenz des sozialistischen Trümmerfrauen-Bildes in der DDR, das nun – ähnlich wie die Luftkriegserinnerung – von seinem sozialistisch-ideologischen Gehalt gelöst und dadurch anschlussfähig an den bundesdeutschen Diskurs wurde. Aufschlussreich wäre in diesem Zusammenhang, ob nicht unterhalb der offiziellen Gedenkpolitik der DDR, etwa in der Literatur, auch alternative Erinnerungen an die Trümmerfrauen wirksam waren.3 Wesentlich für den gesamtdeutschen Erfolg des Trümmerfrauen-Mythos nach 1990 war – ähnlich wie im Bild weiblicher Vertriebener4 –, dass er sich als geeignet erwies, sowohl das Unschulds- als auch das Leistungsmotiv zu evozieren. Wie wenige andere Narrative konnte dies zu einem positiven nationalen Selbstbild der Deutschen beitragen.
Am Ende ihrer durchweg klar gegliederten, konzentriert durchgeführten, plausibel argumentierenden und flüssig lesbaren Arbeit zeigt Leonie Treber noch einmal die bekannten, fast ausnahmslos aus Berlin stammenden Fotografien von Trümmerfrauen, um sie mit Bildern zu konfrontieren, die den Mythos „leicht aus dem Weg räumen“ könnten (S. 418). Die Aufnahmen dokumentieren die professionelle Trümmerräumung mit Großgeräten, wie sie in den westlichen Besatzungszonen üblich war, sowie „Bürgereinsätze“ der ersten Nachkriegsjahre, bei denen neben Frauen mehrheitlich Männer eingesetzt waren. Diese Fotos liegen nach wie vor weitgehend unbeachtet in den Bildarchiven.
Anmerkungen:
1 Marita Krauss, Trümmerfrauen. Visuelles Konstrukt und Realität, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 1: Bildatlas 1900 bis 1949, Göttingen 2009, S. 738–745; Nicole Kramer, Ikone des Wiederaufbaus. Die „Trümmerfrau“ in der bundesdeutschen Erinnerungskultur, in: Jörg Arnold / Dietmar Süß / Malte Thießen (Hrsg.), Luftkrieg. Erinnerungen in Deutschland und Europa, Göttingen 2009, S. 259–276 (nahezu identisch auch in Nicole Kramer, Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung, Göttingen 2011, S. 320–335).
2 Leonie Treber, „Trümmerfrauen“. Die Geschichte eines Mythos. Von der Trümmerbeseitigung 1945 bis zur „Generation der Trümmerfrauen“, unveröffentlichte Magisterarbeit, Darmstadt 2006.
3 Für das Thema Flucht und Vertreibung zeigt dies jetzt überzeugend Bill Niven, Representations of Flight and Expulsion in GDR Prose, New York 2014.
4 Vgl. Stephan Scholz, Zwischen Viktimisierung und Heroisierung. Geschlechterkonstruktionen im deutschen Vertreibungsdiskurs, in: K. Erik Franzen / Martin Schulze Wessel (Hrsg.), Opfernarrative. Konkurrenzen und Deutungskämpfe in Deutschland und im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2012, S. 69–84.