Title
Schaufeln - Schubkarren - Stacheldraht. Peter Demant - Erinnerungen eines Ósterreichers an Zwangsarbeitslager und Verbannung in der Sowjetunion


Author(s)
Scharr, Kurt
Series
Erfahren - Erinnern - Bewahren. Schriftenreihe des Zentrums für Erinnerungskultur und Geschichtsforschung 4
Published
Extent
211 S.
Price
€ 28,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Mariana Hausleitner, Freie Universität Berlin

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine beeindruckende Darstellung der Erfahrungen des Österreichers Peter Demant in verschiedenen Lagern der Stalinära, die er selbst 1992 in russischer Sprache unter dem Pseudonym Vernon Cress als Roman veröffentlichte. Mit dem Titel „Sekameron des XX. Jahrhunderts“ kombinierte er das „Dekameron“ des Italieners Giovanni Boccaccio mit der Bezeichnung der Gefangenen im Lagerjargon ZeK (für zaključjennyj). Die von Demant ins Deutsche übersetzten und vom Innsbrucker Historiker Kurt Scharr kommentierten und edierten Erinnerungen erlebte Demant nicht mehr, er starb 2006. Die verdienstvolle Editionsleistung umfasst eine biographische Skizze, Texte zu österreichischen GULag-Häftlingen und der russischen Erinnerungskultur nach 1991 sowie zahlreiche Fotos. Außerdem liegen dem Band Film- und Tonbeilagen bei, wovon hier nur der Beitrag des Südwestfunks über Menschen in Magadan erwähnt werden soll. Zusammengenommen liegt eine sehr informative Dokumentation und Reflexion über den Alltag der Lagerinsassen in der Stalinära vor.

Peter Demant wurde 1918 in Innsbruck geboren und zog als Kind mit seiner Familie in die rumänische Bukowina. Nach der Matura in Czernowitz begann er 1936 ein Studium an der Technischen Universität in Brünn, das er in Aachen fortsetzte. Er kehrt nach Rumänien zurück um seinen Militärdienst zu leisten. Nach der Besetzung der Nordbukowina durch die Rote Armee im Juni 1940 reiste er überraschend aus Bukarest nach Czernowitz. Gegenüber Kurt Scharr wie auch der Rezensentin äußerte sich Demant ausweichend über den Grund dieser Reise.

Demant arbeitete in Czernowitz als Assistent im Landesmuseum. Unmittelbar vor dem deutschen Angriff wurde er am 13. Juni 1941 in das Innere der Sowjetunion deportiert. Ein Sondergericht verurteilte ihn mit dem Vorwurf der „Spionage für einen ausländischen Geheimdienst“ zu einer fünfjährigen Haftstrafe. Sein Leidensweg im Gulag begann als Zwangsarbeiter in einer Papierfabrik im westlichen Sibirien. Von dort floh Demant 1942 und lebte etwa fünf Monate versteckt in der Taiga, bis er aufgegriffen wurde. Kurz vor Ablauf seiner Haftzeit wurde er im September 1945 zu zehn Jahren „Besserungsarbeitslager“ und zusätzlichen fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Im Dezember 1946 gelangte er mit 5.000 anderen Gefangenen nach Magadan am Ochotskischen Meer, einer eisigen Gegend im Fernen Osten Russlands.

Mit der Ankunft in dem riesigen, tausende Quadratkilometer großen Lagerkomplex beginnen die Aufzeichnungen von Demant, der dort zusammen mit Kriminellen und politischen Häftlingen in einer Goldwaschanlage arbeitete. Hundert Karren Erd- und Sandmaterial mussten sie abtransportieren und bekamen nur sehr wenig zu essen. Er schaffte die Norm nicht und wurde deswegen geschlagen. Zur Strafe bekam er nur noch eine Strafration Brot und verwandelte sich schnell in ein Wrack. Er hatte Glück, dass der Lagerarzt ihn drei Tage lang damit beschäftigte, englische Anweisungen auf Medikamenten zu übersetzen. Durch die etwas substantiellere „Krankenkost“ erholte er sich, doch bald danach kippte er bei der Arbeit wieder um. Erneut hatte er Glück, denn die Chefärztin war gerade auf Inspektion und verordnete ihm erneut Krankenkost. Er bekam eine privilegierte Arbeitsstelle als Wasserträger für die Küche. Von dieser Position aus lernte er die sozialen Strukturen im Lager gut kennen. Nachdem er sein Normalgewicht erreicht hatte, musste er wieder zu den Goldwäschern. Doch da geschah ein Wunder: Beim Graben nach einer neuen Latrine wurde unter dem Wurzelwerk eine dicke Schicht körnigen Goldes gefunden. Nun erhielt die Brigade besseres Arbeitsgerät und besonders nahrhaftes Essen. Solange viel Gold geschürft wurde, herrschte bei Häftlingen und Aufsehern Euphorie. Doch bald schrumpfte die Ausbeute und es verschwanden die Prämie des Robbenfleisches und die Extrazulagen an Zucker und Fett. Der Lagerarzt teilte Demant als Begleiter eines Krankentransportes ein und es gelang ihm, den Winter im Krankenrevier zu verbringen. Hier bricht der von Demant übersetzte Text ab, den er um 1970 russisch niederschrieb und 1990 übersetzte.

Demants nächste Lebensstationen kann man seinem 2001 verfassten Lebenslauf entnehmen. Nach Stalins Tod 1953 begann die schrittweise Auflösung der Straflager. Da Demant von dem Sondergericht zusätzlich zu fünf Jahren „Ehrverlust“ und eine lebenslängliche Verbannung verurteilt worden war, konnte er seinen Wohnort nicht selbst bestimmen. Im sibirischen Jagodnoe arbeitete er 22 Jahre lang zuerst als Lastträger, später als Kraftfahrer und Buchhalter. Er begann seine Erlebnisse in den Lagern nachts aufzuschreiben. Trotz mehrerer Hausdurchsuchungen nach Denunziationen gelang es ihm das Manuskript zu retten. Nachdem die Verbannung abgeschafft wurde, konnte er 1977 nach Moskau umziehen. Zeitungen in Russland und in den USA druckten seine Novellen aus dem Band „Sibirische Fata Morgana“, unter demselben Pseudonym Vernon Cress wie bei dem Roman.

Demant beteiligte sich 1996 als Ehrengast von „Memorial“ an der Einweihung des ersten Denkmals für die vielen Todesopfer der Stalinzeit in Magadan. Er sprach über Ausländer im Gulag und warnte vor einer Beendigung der Entstalinisierung.

Zur Einrahmung steuerte der Historiker Barry McLoughlin zu dem Band einen Beitrag über „Österreicher als GULag-Häftlinge: Die Kriegsjahre“ bei. Von 1920 bis 1945 wurden 769 Österreicher in der UdSSR verhaftet, von denen etwa siebzig Prozent während des Großen Terrors 1937/38 inhaftiert worden waren. Von ihnen wurden 240 erschossen und 230 ausgewiesen, davon 92 ins NS-Deutschland. Zumeist unterstellte man ihnen „Spionage“. Seit 1939 wurden aus den von der Roten Armee besetzten Teilen Ostpolens viele tausende Personen zwangsumgesiedelt. Die letzte Massenoperation in den neu erworbenen Randgebieten erfolgte in der Nacht vom 12. zum 13. Juni 1941, das war der Zeitpunkt, als auch Demant verhaftet wurde.

Die russische Historikerin Irina Ščerbakova skizziert in ihrem Beitrag die Erinnerungskultur in Russland nach 1991. Im Herbst 1991 wurde unter Druck der Öffentlichkeit ein Gesetz über die Rehabilitierung aller Opfer der politischen Repression verabschiedet. Die Mitarbeiter von „Memorial“ erhielten von den Familien ehemaliger Häftlinge eine riesige Sammlung von Dokumenten, Briefen und Gegenständen aus Lagern. Die Aufarbeitung der Massenverbrechen der Stalinära kam nach Beginn des ersten Krieges in Tschetschenien 1994 kaum mehr voran. Die sowjetischen Mythen über den Zweiten Weltkrieg wurden wiederbelebt und Stalin zum Symbol des Sieges erklärt. Das staatliche Fernsehen baute besonders seit 2005 Stalin zum großen Helden auf. Präsident Putin forderte 2007 ein neues einheitliches Lehrbuch zur russischen Geschichte, das der patriotischen Erziehung dienen solle. Sein Nachfolger Dimitrij A. Medvedev versprach zwar 2011 die Unterstützung von Opfern der Stalinzeit und freien Archivzugang. Doch es formierten sich starke Gegenkräfte, die eine Umsetzung verhinderten. Inzwischen kämpft die Organisation „Memorial“ für ihren Fortbestand, weil sie sich nicht nur mit den Verbrechen der Stalin-Ära auseinandersetzt sondern auch aktuelle Verletzungen der Menschenrechte im Krieg in der Ostukraine öffentlich anprangert. Zwar scheiterte in einem Prozess Ende Januar 2015 der Versuch des Justizministriums den Dachverband zu verbieten, doch gegenwärtig wird über die Eintragung von „Memorial“ in eine staatliche Liste von „ausländischen Agenten“ verhandelt.

Dieses Buch macht deutlich, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Stalin-Ära in der russischen Gesellschaft ist und warum sich auch ausländische Historiker dabei einbringen sollten.

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