Die geschichtswissenschaftliche Terrorismusforschung beschreitet seit den frühen 2000er-Jahren neue Wege, vor allem in methodischer Hinsicht. Die bis dahin dominanten politik-, personen- oder strukturzentrierten Ansätze wurden durch sozial- und kulturgeschichtliche erweitert. Bisweilen sind auch trans- und internationale Vernetzungen untersucht worden, zumindest auf der Seite der militanten Akteure. Bernhard Blumenaus Buch, das auf seiner Genfer Dissertation basiert, fügt eine weitere wichtige Perspektive hinzu, indem der Autor die Antiterrorismusaktivitäten der Vereinten Nationen der 1970er-Jahre untersucht. Im Mittelpunkt stehen bundesdeutsche Akteure, vor allem deren Bemühungen um eine internationale Regelung gegenüber Geiselnahmen. Damit rückt die UN-Resolution 34/146 vom 17. Dezember 1979 in den Fokus1, die seit 1976 intensiv diskutiert und speziell durch bundesdeutsche Initiativen vorangebracht wurde.
Im Forschungsfeld der Internationalen Beziehungen verortet sich die Studie zwischen realistischen, funktionalen und konstruktivistischen Blickwinkeln. Konzentriert auf die bundesdeutschen Aktivitäten in den UN-Generalversammlungen und deren Umfeld diskutiert Blumenau vor allem, wodurch die Verabschiedung von Resolution 34/146 möglich wurde – war die Bundesrepublik (ebenso wie die DDR) doch erst seit 1973 UN-Mitglied und zudem ein geteilter Staat ohne vollständige Souveränität. Für die bundesdeutsche Politik bildeten die Vereinten Nationen eine sehr gute Bühne, um internationale Politik mitzubestimmen, aber auch, um mit Akteuren im innenpolitischen Feld zu kommunizieren, wenn es zum Beispiel um Terrorismus im eigenen Land ging. Zudem ließ sich in den UN, so der Autor, sehr gut der Multilateralismus umsetzen, der neben der Westorientierung das Kennzeichen bundesdeutscher Außenpolitik war.
Das Buch fußt auf einer dichten Quellengrundlage und bietet sehr solide Grundlageninformationen. Es handelt sich um die erste archivalische Studie über die Antiterrorismuspolitik der UN. Vor allem die Akten aus den Beständen des Auswärtigen Amts werden gewinnbringend genutzt. Insgesamt gesehen ist das Buch überzeugend gegliedert und entwickelt seine Argumentation gut nachvollziehbar in fünf Hauptkapiteln. Kapitel 1 schildert die Rahmenbedingungen des Linksterrorismus in der Bundesrepublik (S. 14–39), während die Fallstudien in Kapitel 2 die verschiedenen Entführungen und Geiselnahmen darstellen (S. 40–86): Es geht um die Ereignisse in Guatemala City (Botschafter Karl von Spreti), München 1972, die saudi-arabische Botschaft in Khartum (1973), die Wiener OPEC-Konferenz 1975, die Air-France-Maschine in Entebbe (Uganda, 1976) und schließlich um die Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu (Somalia, 1977). Kapitel 3 (S. 87–121) untersucht die Entwicklung der bundesdeutschen Antiterrorismus-Maßnahmen auf UN-Ebene von ersten tastenden Sondierungen bis hin zu den zielgerichteten Initiativen von 1975. Die Kapitel 4 (S. 122–163) und 5 (S. 164–190) sind den Entwicklungen seit 1976 gewidmet; sie thematisieren die ersten Entwürfe, die Verhandlungen sowie die Verabschiedung der UN-Resolution 34/146.
Blumenau sieht um 1975/76 eine Zäsur der internationalen bundesdeutschen Antiterrorismuspolitik. Seitdem bemühten sich die westdeutschen Akteure darum, größeres politisches Ansehen auf internationaler Bühne zu gewinnen, ein Ansehen, das dem wirtschaftlichen Potential des Landes angemessen war. Der Autor ergänzt jedoch: „But lastly, Bonn pursued these efforts more out of self-interest than an internationalist normative conviction.“ (S. 4) Denn internationale Konventionen und Kooperationen konnten auch dazu beitragen, den Terrorismus im eigenen Land effektiver bekämpfen zu können. Zudem war die Antiterrorismuspolitik ein Feld, auf dem Bonn internationalen Einfluss erreichen und demonstrieren konnte (S. 5).
In fünf Punkten erklärt Blumenau den Erfolg der bundesdeutschen Initiativen. Erstens machte Bonn die Antiterrorismuspolitik zu einem Prestigeobjekt, das intensiv und zielgerichtet verfolgt wurde. Zweitens sieht der Autor mit Blick auf die zeitgenössischen terroristischen Bedrohungen ein internationales Bedürfnis nach einer Regelung, auf die bei Geiselnahmen zurückgegriffen werden konnte. Drittens führte das Engagement von Bundeskanzler Helmut Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher trotz des Kompetenzstreits zwischen bundesdeutschen Ministerien zum Erfolg. Denn das Auswärtige Amt (AA) behielt die Oberhand, vor allem wegen der engagierten Arbeit Rüdiger von Wechmars, des ständigen Vertreters der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen. Viertens förderte die hohe internationale Mobilisierung durch das AA den positiven Ausgang der Bonner Initiativen. Denn das AA war nicht nur auf UN-Ebene sehr aktiv, sondern auch in allen relevanten Hauptstädten sowie natürlich in Bonn. Fünftens siegte schließlich die Beharrlichkeit. So verbesserten sich die internationalen Bedingungen für die Bonner Politik im Untersuchungszeitraum – unter anderem durch Geiselnahmen auch in arabischen Staaten, wodurch letztere mehr motiviert wurden, sich der UN-Antiterrorismuspolitik anzuschließen. Förderlich wirkten zudem Friedensstrategien der PLO und Erfolge der Dekolonisierungsbewegungen, aber auch die Privatisierung des Terrorismus (besonders durch den aus Venezuela stammenden Ilich Ramírez Sánchez, genannt „Carlos“): Es wurde immer deutlicher, dass Terroristen sich gegen jeden wenden können, ob Freund oder Feind. Ob der bundesdeutsche Einfluss allerdings so klar bestimmbar ist, wie es hier durchscheint, bliebe angesichts der komplexen internationalen politischen Verflechtungen kritisch zu diskutieren.
Methodisch bewegt sich das Buch auf bekanntem Terrain. Dem Handeln (außen)politischer Eliten widmet Blumenau viel Raum. Der Terrorismus wird quellennah pragmatisch definiert (S. 11f.). Unter Hinweis auf den fehlenden Konsens in der Forschung entscheidet sich der Autor dafür, den Terminus so zu verwenden, wie das auch im Auswärtigen Amt geschah: Dieses pragmatische Verständnis bezieht den Begriff Terrorismus, zeitgenössisch mitunter als Anarchismus bezeichnet, auf alle Akte politischer Gewalt. Sind internationale Dimensionen erkennbar, wurde von internationalem Terrorismus gesprochen. Die Kernbegriffe zur Erforschung der Geschichte der Internationalen Beziehungen dieser Jahre wie Multilateralismus, Kalter Krieg usw. werden als Setting übernommen, aber kaum kritisch reflektiert. Ähnliches gilt für den Krisenbegriff, der sehr häufig auftaucht, ohne jedoch konzeptualisiert zu werden. Insofern kann es kaum überraschen, dass Blumenau sich entschieden hat, das in der derzeitigen Forschung benutzte Verständnis von Terrorismus als kommunikativer Akt nicht zu nutzen oder sich dazu eindeutig zu positionieren. Wichtige und innovative internationale Arbeiten zu staatlicher Antiterrorismuspolitik (etwa die vergleichende Studie von Beatrice de Graaf2) werden wohl auch deshalb nicht rezipiert. Zudem wäre es wünschenswert gewesen, eine Medienauswertung in die Argumentation einzubeziehen. In Mediengesellschaften fehlt, unabhängig vom verwendeten Terrorismusbegriff, ohne diese Perspektive ein wichtiger Akteur in der Analyse von Terrorismus und von antiterroristischen Maßnahmen.
So bleibt das Innovationspotential von Bernhard Blumenaus Studie begrenzt. Hat man das disziplinäre Forschungsfeld der Internationalen Beziehungen im Blick, ist das sicher nachvollziehbar. Aus Sicht anderer (Teil-)Disziplinen werden so jedoch Erkenntnismöglichkeiten verstellt. Wer in dem Buch neue Perspektiven, Methoden oder weiterführende Fragen sucht, wird weniger fündig. Diese Kritik relativiert sich jedoch beim Blick darauf, was der Autor selbst anstrebt: „to provide a basis on which future research on more precise aspects of the issues examined here can be conducted“ (S. 13). Dieses wichtige Ziel hat die Studie mehr als erreicht.
Anmerkungen:
1 Siehe <http://www.un.org/documents/ga/res/34/a34res146.pdf> (08.10.2015).
2 Beatrice de Graaf, Evaluating Counterterrorism Performance. A Comparative Study, London 2011.