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Titel
Engel der Effizienz. Eine Mediengeschichte der Unternehmensberatung


Autor(en)
Hoof, Florian
Erschienen
Anzahl Seiten
412 S., 125 SW- und 9 Farb-Abb.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Geulen, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Eine Filmkamera, ein Arbeiter mit kleinen Glühbirnen an Armen und Beinen sowie ein Kameramann, der die Bewegungen des Arbeiters mehrfach aufnimmt. Dazu ein ‚Berater‘, der das Ganze choreographiert und jene Bilder, auf denen fast nur noch die Bewegungslinien der Glühbirnen erkennbar sind, analysiert, um dem Unternehmer gegen Bezahlung sagen zu können, welche der Bewegungen des Arbeiters die produktivste, die effektivste ist. So ungefähr begann die moderne Unternehmensberatung, glaubt man zumindest Florian Hoof, der jetzt unter dem schönen Titel „Engel der Effizienz“ eine glänzende „Mediengeschichte der Unternehmensberatung“ vorgelegt hat. Das Buch basiert auf seiner Bochumer Dissertation, betreut von Vinzenz Hediger.

Die Geschichte der Rationalisierung der Arbeit und des modernen Wirtschaftslebens ist von Historikern vielfach untersucht worden. Diesen Prozess aber als Mediengeschichte zu beschreiben und vor allem zu denken, ist neu. Dabei ist es keineswegs nur der Einsatz der Filmkamera als unbestechliches Instrument der Vermessung rationaler und rationeller Produktionsabläufe, der die mediale Seite dessen ausmacht, was Hoof das moderne „Beraterwissen“ nennt. Vielmehr waren es erst die visuellen Medien, die jenes Geheimwissen von den verborgenen Effizienz- oder auch Ineffizienzstrukturen industrieller und ökonomischer Abläufe hervorbrachten, mit dem die Unternehmensberater bis heute gegenüber den Unternehmen ihre Expertise und ihre stattlichen Honorare begründen. Richtete sich Unternehmensberatung im 19. Jahrhundert noch auf klar definierte Ressourcen und deren möglichst objektiv festzusetzende Nutzung, begriffen die medial denkenden Berater des frühen 20. Jahrhunderts, allen voran der kinobegeisterte US-Amerikaner Frank B. Gilbreth (1868–1924), ein Unternehmen als instabiles, nicht-determiniertes und sich selbst steuerndes wie auch veränderndes Netzwerk. Hoof nennt das den Paradigmenwechsel vom thermodynamischen zum kybernetischen Unternehmensbegriff und kann in der Tat zeigen, dass auf diesem Feld die Kybernetik bereits im ersten Jahrhundertdrittel und nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle spielte.

Das Besondere dieser neuen, medial induzierten Vorstellung industrieller Produktionsabläufe wird an jenem eingangs erwähnten Beispiel deutlich. Denn es war Gilbreth, der das Grundprinzip der filmischen Visualisierung von Arbeitsabläufen zum Zwecke ihrer Rationalisierung auf die Gesamtstruktur von Unternehmen übertrug. Vor dem Hintergrund seiner filmischen Experimente1 begann er, Unternehmen als Bewegungsnetzwerke zu beschreiben, deren verschiedene Faktoren er generalisierend und wiederum visuell, nämlich grafisch, in einem „wheel of motion“ darstellte, dessen eigene Struktur er dem ‚Rad des Lebens‘ aus der hinduistischen Bilderwelt entlehnt hatte. Gleich zu Beginn weist Hoof den Leser darauf hin, dass eben dieses „wheel of motion“ noch 70 Jahre später in fast identischer Form als „7-S-Modell“ der Unternehmensberatung McKinsey wieder auftauchte, diesmal entwickelt in Auseinandersetzung mit japanischen Modellen des ökonomischen Managements. Die hier nur angedeutete Kontinuität des medialen Beraterwissens quer durch das 20. Jahrhundert ist Leitmotiv und eine der Hauptthesen der Studie.

Ihr Hauptgegenstand aber ist Gilbreths Firma Gilbreth, Inc., die kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs auch in Berlin tätig war. Detailliert und mit vielen faszinierenden Abbildungen illustriert, schildert Hoof den Wandel Gilbreths vom Unternehmer zum Unternehmensberater, die Entwicklung seines Medienverständnisses, seine Orientierung am Erziehungsgedanken und am Gesundheitssystem des frühen 20. Jahrhunderts sowie schließlich die Herausbildung dessen, was Hoof „visuelles Beraterwissen“ nennt – ein Wissen, das nicht nur visuell repräsentiert werden kann, sondern das überhaupt erst in der Visualisierung entsteht. Wer, und sei es nur im Rahmen einer Veranstaltung zur universitären Qualitätssicherung, einmal einen Beratungs- und Effizienzexperten erlebt und gesehen hat, wie verwirrt dieser wirkt, wenn er einmal nicht Flip-Charts, PowerPoint oder zumindest eine Tafel zur Verfügung hat, und wem einmal aufgefallen ist, dass die Grundvokabeln der Effizienz- und Qualitätssteigerung heute nicht mehr ‚Ertrag‘ oder ‚Produktivität‘, sondern ‚Sichtbarkeit‘ und ‚Darstellbarkeit‘ lauten – dem wird in Hoofs Studie dafür eine grandiose und überzeugende historische Erklärung geliefert: Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist das „Manageriale“ schlicht nicht mehr ohne das „Mediale“ denkbar.

Im Grunde hätte Hoof seine Arbeit am Ende in eine fulminante historische Kritik dieses Zusammenhangs überführen können, doch davon sieht er ab. Das Schlusskapitel betont vielmehr die auch in Zukunft wohl nicht abreißende Kontinuität des medialen Beraterwissens, dessen Relevanz etwa im Kontext von Big Data sogar zunehmen werde. An solchen Stellen, die den gegenwartspolitischen und kulturgeschichtlichen Kontext komplett verlassen, regt sich beim Leser dann doch der Verdacht, hier eine implizite Bewerbung auf einen eigenen Posten in der Beraterbranche vor sich zu haben. Ebenfalls nicht ganz nachvollziehbar ist das erste, theoretische Drittel der Studie, das den Eindruck macht, es sei dem langen empirischen Kapitel zu Gilbreth, Inc. gewissermaßen nachträglich vorangestellt worden. Allein die Einleitung umfasst gut 50 Seiten und entwickelt neben wichtigen Hinweisen zur Vorgeschichte der Unternehmensberatung im 19. Jahrhundert eine fast überkomplexe „historisch-mediale Epistemologie“ als theoretische und methodologische Begründung dafür, die Geschichte der Unternehmensberatung überhaupt als eine Mediengeschichte zu schreiben. Je mehr sich der empirische Teil dann aber durch die Befunde selbst legitimiert, desto weniger ist er in der Lage, die theoretischen Erkenntnisansprüche des ersten Teils einzulösen. Ähnliches gilt für das zweite Kapitel über „Visual Management“, in dem Hoof, nicht ohne einige Redundanzen, die Begriffe des „grafischen Medienverbunds“ und des „visuellen Beraterwissens“ theoretisch einführt sowie die zunehmende Bedeutung grafisch-visueller Darstellungsformen im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert nachzeichnet.

Auch wenn sich der Autor immer wieder bemüht, diese theoretischen Kapitel mit der Fallstudie zu verknüpfen, hat man am Ende doch das Gefühl, zwei Bücher gelesen zu haben: eine Historiographie und eine kulturwissenschaftliche Theorie. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, die Fallstudie an den Anfang zu stellen und die theoretischen Überlegungen aus den Befunden zu entwickeln. Denn theoriefähig sind diese allemal, und umgekehrt sollte Theoriebildung eben nicht darauf reduziert werden, nur die Empirie zu legitimieren.

Das alles fällt aber nicht wirklich ins Gewicht angesichts der so faszinierenden wie überzeugenden Mediengeschichte der modernen Unternehmensberatung, die Florian Hoof hier vorgelegt hat – eine Geschichte, die zeigt, wie eng Rationalisierung und Medialisierung im 20. Jahrhundert zusammenhingen und wohl heute noch zusammenhängen. Auch deshalb sei die Lektüre nicht zuletzt Wirtschaftshistorikern besonders empfohlen.

Anmerkung:
1 Siehe als Anschauungsmaterial etwa <https://lucian.uchicago.edu/blogs/sciencefilm/human-sciences-on-film/human-movement-3/frank-gilbreth-films/> (14.08.2015).