Jagdfalken, nicht Friedenstauben: So verstanden sich, ein Zitat aus den Akten der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) aufgreifend, deren hauptamtliche Mitarbeiter und auch ein guter Teil der verdeckt in Sowjetischer Besatzungszone (SBZ) und DDR operierenden Verbindungsleute (S. 252). Enrico Heitzer wählt in seiner bei Manfred Hettling (Halle-Wittenberg) und Michael Lemke (Berlin / Potsdam) entstandenen Dissertation ein anderes Bild: Während der deutsch-deutsche Systemkonflikt im Kalten Krieg häufig in ostentativer Herausstellung der jeweils eigenen politischen und gesellschaftlichen Vorzüge eine Art „Schaufensterfunktion“ besaß, fanden viele der Aktivitäten der KgU in einem – Diktion Heitzer – verborgenen „Hinterzimmer“ statt. Nicht Selbstdarstellung war deren Ziel, sondern Tat, Handlung, Wirkung. Die KgU war (auch) eine politische und humanitäre Organisation, die eine Suchkartei zu in der SBZ und DDR verhafteten und in den dortigen oder sowjetischen Lagern inhaftierten oder verstorbenen Personen führte und SED-Verfolgten half. Außerdem gab es eine Zentralkartei, in der schon 1951 – mit den Worten des zweiten KgU-Chefs Ernst Tillich – 242.000 Personen erfasst waren, die in der SBZ „positiv oder negativ hervorgetreten“ seien, was „nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine besondere Bedeutung“ habe (S. 310f.). In dieser Hinsicht war die Kampfgruppe eine „Registratur des Unrechts“ (S. 39). Allerdings verweist Heitzer darauf, dass nur ein Drittel ihrer Tätigkeit humanitären Zwecken folgte, die daher nicht im Zentrum seines Buches stehen. Im Oktober 1948 gegründet, beschäftigte die KgU im Folgejahr nämlich mehr als die Hälfte ihrer fest angestellten Mitarbeiter (damals 12 von 19) mit nachrichtendienstlichen Aufgaben; 1954 sandte sie 600 Berichte an die Berliner CIA-Station, und bei der Aufklärung in der DDR war ihre Kapazität dem Autor zufolge offenbar vergleichbar mit der Organisation Gehlen.
Mit der KgU untersucht Heitzer eine jener „Frontorganisationen“ des Kalten Krieges, die Strategie und Operationalisierung der US-amerikanischen Liberation Policy entsprangen. Daher war die CIA – noch vor dem konkurrierenden Counter Intelligence Corps der U.S. Army, dem Bonner Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und dem Berliner Senat – Haupt-, seit Herbst 1952 sogar einziger Geldgeber der Kampfgruppe. Diese fügte sich als eine von vielen (nach Bernd Stöver bis zu 200) Vorfeldorganisationen der westlichen Geheimdienste in der frühen Bundesrepublik1 in den Kampf gegen den kommunistischen Osten ein. Aus Sicht der CIA war die KgU unter ihnen bis Mitte der 1950er-Jahre „the most promising and successful“ (S. 82). Dieses Milieu hatte sich, insbesondere dort, wo es von aktivem gewalttätigem Widerstand geprägt wurde, Ende des Jahrzehnts allerdings überlebt; so auch die KgU, die ab 1957 von inneren Krisen und massiver Verfolgung durch die DDR-Staatssicherheit absorbiert und Ende März 1959 offiziell aufgelöst wurde.
Heitzer gliedert sein Buch in vier Teile: Er wendet sich zunächst der Organisation, dann dem Personal, schließlich in einem sehr detaillierten Kapitel – mit 260 Seiten über die Hälfte der Untersuchung – den Aktionen der KgU zu, um abschließend nach den „Gegen- und Rückschlägen“ zu fragen, die zum Ende der Gruppe führten. Obwohl es einige frühere Arbeiten zum Thema gibt, darunter auch vom Autor selbst2, gelingt es ihm, die Faktenlage auf eine empirisch breite, in dieser Form bislang nicht vorhandene Sichtung der Quellen zu gründen. Er macht dabei seine eigene Position klar: Im Zuge langjähriger Forschungen sei seine Haltung gegenüber der KgU immer kritischer geworden (S. 31). Dafür gibt es zwei Gründe: nämlich die NS-Verstrickung zahlreicher Angehöriger der „Gründerkohorte“ der Gruppe sowie die Radikalität ihrer Maßnahmen, die auch vor Sabotage, Brandanschlägen und Giftattentaten nicht zurückschreckte.
Für seine Position hat Heitzer Gegenkritik einstecken müssen: Von Jochen Staadt in der Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat3 und von lebensälteren Personen aus dem Umfeld der KgU – darunter der Witwe ihres Gründers Rainer Hildebrandt –, die heute ihr seinerzeitiges politisches Engagement in Frage gestellt sehen. Wie hoch die Wogen schlagen, wurde in einer hitzigen Diskussion während der Buchvorstellung Mitte Februar 2015 in Berlin deutlich, die den Rezensenten in vorheriger Unkenntnis der wortmächtigen Ehemaligenzirkel deutlich überraschte. Zeitgeschichte zeigte sich dort exemplarisch als „Streitgeschichte“. Der Historiker Heitzer sah sich Anwürfen der Zeitzeugen ausgesetzt. Das ist legitim, darf so sein, gibt der Forschung bestenfalls Impulse, und kann zugleich doch in beide Richtungen verletzen. Die Frage lautet daher: Ist die Kritik an Heitzers Buch gerechtfertigt?
Radikaler Antikommunismus und Fundamentalopposition gegen „Pankow“ begründeten Legitimation und Handeln der KgU. Nicht „Demokratie“ war ihr Leitbegriff, sondern „Freiheit“. Ihr Antitotalitarismus war ideell äquidistant gegenüber nationalsozialistischem und kommunistischem Unrecht; während aber ersteres überwunden schien, war letzteres Alltag. So richtete sich der Fokus exklusiv auf die SED-Diktatur, so wurde nicht nach der Vergangenheit der Hauptamtlichen und der V-Leute gefragt. Es fällt auf, dass Heitzer immer wieder auf NS-Bezüge verweist, die allerdings bei der auf die „Gründerkohorte“ folgenden „Ausbaukohorte“ und der anschließenden „Integrationskohorte“ keine zahlenmäßig fassbare Rolle mehr spielten. Das Nebeneinander solcher NS-Verstrickter etwa mit den beiden Leitern der KgU, Hildebrandt und Tillich (CIA-Jargon: „Hilly and Tilly“), die im „Dritten Reich“ im Gefängnis oder sogar im Konzentrationslager saßen und sich dem Widerstand vom 20. Juli 1944 zu einem Zeitpunkt eng verbunden sahen, als dessen Würdigung in Westdeutschland noch längst nicht Allgemeingut war, ist nur vor dem Hintergrund des frühen Kalten Krieges zu verstehen: Die wahrgenommene Bedrohung aus dem Osten machte den Antikommunismus zum „Bindemittel“ (S. 134) der bundesdeutschen Gesellschaft in dieser Zeit. Wie auch bei anderen staatlichen und privaten Agenturen der Nachkriegszeit fehlte, wenn nicht immer in ihrer Rhetorik, so doch in der Praxis der KgU die Sensibilität für einen antitotalitären Konsens nach links wie nach rechts.
Antikommunismus erklärt auch die teilweise ausgeprägte Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt innerhalb der KgU. Sie korrespondierte mit dem Glauben an die Möglichkeit eines bewaffneten Umsturzes in Osteuropa, den die verantwortliche amerikanische Abteilung Operation Policy Coordination unter anderem auch mit dem Versuch, im Baltikum und auf dem Balkan Partisanengruppen zu entfalten, betrieb. Die von Heitzer zum Teil als „terroristisch“ eingestuften Aktionen (neben durchaus originellen Störungen des geordneten Wirtschaftsablaufes in der DDR z.B. in der Aktion „Osterhase“, S. 295f.) passen sich konzeptionell in die Liberation Policy ein – insofern waren sie eine Zeitlang als angemessen erachtete radikale Mittel zu politischem Zweck. Denn die KgU, so der Autor selbst zu Recht, lässt sich keineswegs nur als Vehikel der US-Außenpolitik interpretieren. Sie war auch Ausdruck eines Selbstbehauptungswillens von Teilen der DDR-Bevölkerung, die sich der Diktatur in Ostdeutschland nicht beugen wollten, deshalb mit der KgU zusammen arbeiteten und zu militantem Vorgehen bereit waren. Die Wahl dieser Mittel, darauf haben während der Buchvorstellung Jens Gieseke und Klaus-Dietmar Henke hingewiesen, konnte damit eben als durchaus gerechtfertigter Widerstand gegen die Zwangsherrschaft begriffen werden. Richtig bleibt allerdings, hier stimmen Heitzer und Stöver überein, dass die Militanz der Gruppe indirekt den SED-Staat stabilisierte, indem sie den Tatsachenhintergrund für dessen Propaganda und die Gründe für Professionalisierung und Expansion des Staatssicherheitsdienstes lieferte.
In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre hatte sich die KgU überlebt. Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus im Osten Deutschlands nahm neue Formen an. Sie verlor an offener Gewaltbereitschaft und setzte sich in „psychologischer Kriegführung“ sowie in Aufklärung durch politische Bildungsarbeit fort. Ein hoher Blutzoll, den die Kampfgruppe zahlen musste (mindestens 126 Hingerichtete mit KgU-Verbindungen in der DDR und überwiegend nach ihrer Verschleppung in die UdSSR), fand im Bonner Regierungsapparat und in den westlichen Medien zunehmend weniger Akzeptanz. Die privaten Apparate des Kalten Krieges, als „graue Verwaltungen“ (S. 75) eng mit der staatlichen deutschen, gegebenenfalls auch US-amerikanischen Administration verknüpft, hatten weitgehend ausgedient. Das Scheitern der KgU im Besonderen erklärt sich aus ihrer unklaren Positionierung von Anfang an: humanitärer Hilfsdienst, Lobbyorganisation, Sabotagetruppe, Protagonistin der „psychologischen Kriegführung“, eine Art Geheimdienst – diese kaum zu vereinenden Strukturmerkmale führten das begründete Anliegen des Widerstandes gegen die kommunistische Diktatur spätestens dann ins Abseits, als sich die politische Großwetterlage änderte und das verdeckte Instrumentarium der KgU nicht mehr in die Zeit passte.
Heitzer hat in einer quellenmäßig gut abgesicherten, streckenweise sehr detaillierten Analyse das exemplarische Porträt einer herausragenden antikommunistischen Organisation im „Hinterzimmer“ unmittelbarer Nachkriegspolitik gezeichnet. Die starke Betonung militanter gegenüber den humanitären Maßnahmen der KgU begründet er aus deren Aktivitäten, die nur zu einem Drittel dem Suchdienst, der Beratung von SBZ/DDR-Bürgern und sozialer Unterstützung gewidmet waren und weder in der personellen Aufstellung noch in der inhaltlichen Orientierung dort ihren Schwerpunkt legten. Künftige weitere Studien zu anderen Gruppierungen und darauf aufbauend ein Vergleich jener vielfach vergessenen Aktivisten des Antikommunismus erscheinen gewinnversprechend nicht nur für die Politik-, sondern – so bereits Stöver4 – gerade auch für die Mentalitätsgeschichte des Kalten Krieges.
Anmerkungen:
1 Vgl. Bernd Stöver, Politik der Befreiung? Private Organisationen des Kalten Krieges. Das Beispiel Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), in: Stefan Creuzberger / Dierk Hoffmann (Hrsg.), „Geistige Gefahr“ und „Immunisierung der Gesellschaft“. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, München 2014, S. 215–228, hier S. 218.
2 Vgl. vor allem Enrico Heitzer, „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, Berlin 2008; siehe dazu die Rezension von Helmut Müller-Enbergs, in: H-Soz-Kult, 24.03.2009, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-12355> (06.07.2015), dort auch mit Hinweisen zu der Auseinandersetzung Jochen Staadts schon mit diesem frühen Buch Heitzers. Als ältere Gesamtdarstellung zur KgU mit begrenztem Quellenzugang vor 1989/90 vgl. Kai-Uwe Merz, Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948–1959, München 1987; sowie als Zeitzeugenbericht eines maßgeblichen KgU-Mitarbeiters Gerhard Finn, Nichtstun ist Mord. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, Berlin 2000.
3 Vgl. Jochen Staadt, Ein Historikerreinfall. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit – Desinformation macht Geschichte, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 33/2013, S. 94–111. Die Buchvorstellung mit anschließender Diskussion fand am 19. Februar 2015 in der Freien Volksbühne in Berlin-Wilmersdorf statt.
4 Vgl. Stöver, Politik der Befreiung?, S. 228.