T. Vordermayer: Bildungsbürgertum und völkische Ideologie

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Titel
Bildungsbürgertum und völkische Ideologie. Konstitution und gesellschaftliche Tiefenwirkung eines Netzwerks völkischer Autoren (1919–1959)


Autor(en)
Vordermayer, Thomas
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 109
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 470 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Köck, Universität Bern

Die Beschäftigung mit der Völkischen Bewegung ist aktuell nicht nur unter Historikern en vogue. Die kommentierte Edition von „Mein Kampf“ lenkt den Blick auf Hitlers viele völkischen Ideengeber, und die AfD wird in der FAZ als „neue völkische Bewegung“ apostrophiert.1 Dieses Interesse ist zu begrüßen, stand die Völkische Bewegung doch lange kaum im Fokus der Forschung, und trotz der richtungweisenden Schriften von Uwe Puschner und Stefan Breuer2 und verschiedenen, von ihren Arbeiten angeregten Einzeluntersuchungen3 gilt es noch viele Lücken zu schließen. Umso erfreulicher ist es, dass sich Thomas Vordermayer dezidiert mit dem – oft unterbewerteten4 – Einfluss der Völkischen auf das Justemilieu bzw. das Bildungsbürgertum, wie es im Titel der Arbeit heißt, beschäftigt.

Das Grundgerüst der Arbeit wird durch biographische – und längt überfällige – Detailstudien zu den Romanciers Hans Grimm („Volk ohne Raum“) und Erwin Guido Kolbenheyer (Paracelsus-Trilogie, „Die Bauhütte“) sowie zum Publizisten Wilhelm Stapel (Herausgeber der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“) gebildet. Für Vordermayer stellt der Erste Weltkrieg den Ausgangspunkt für die weltanschauliche Entwicklung der drei „Hauptfiguren“ dar. Die Niederlage und die Revolution führten zu einer „Verengung des politischen Denkens“ (S. 45) und zur Schaffung von Weltanschauungen, die ihre Arbeit in der Zeit der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik gleichermaßen, wenn auch jeweils mit leicht unterschiedlichen Nuancen, prägen sollten. Überzeugend macht Vordermayer deutlich, dass letztlich keine dieser drei ganz unterschiedlichen Versionen einer deutschen Gesellschaft die ungeteilte Zustimmung von Grimm, Kolbenheyer und Stapel fand.

Wie weite Teile der deutschen Rechten lehnten die drei Autoren die Weimarer Republik als durch und durch undeutsche Einrichtung ab, ohne dem Kaiserreich zu sehr nachzutrauern. In mehreren Untersuchungsschnitten sucht Vordermayer die „Ebenen gesellschaftlicher Tiefenwirkung“ (S. 105) aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang beschäftigt er sich zuerst mit dem schriftstellerischen Erfolg von Grimm und Kolbenheyer (S. 105–150); obwohl die „rechtsgerichtete Presse“ und auch andere Organe – so wurde der Paracelsus z.B. auch im Berliner Tageblatt positiv rezensiert (S. 122) – ihre Werke sehr positiv aufnahmen, inszenierten sie sich als Opfer, deren Bestseller von der linken, als „undeutsch“ erachteten Presse totgeschwiegen würden. Anschließend geht Vordermayer auf Wilhelm Stapels Antisemitismus ein (S. 150–170), wobei er betont, dass Zionisten ihn teilweise positiv rezipierten5, aber auch andere jüdische Publizisten (unter anderem Julius Goldstein) sich damit auseinandersetzten. Stapels Antisemitismus fußte auf der Annahme der „Existenz natürlicher, historisch konstanter ‚Volksverschiedenheiten‘“, deren Überbrückung nicht wünschenswert sei. Ein weiteres umfangreiches Kapitel ist dem „biologistischen Weltbild“ von Kolbenheyer gewidmet (S. 170–192). Weiterhin thematisiert Vordermayer die Verbindungen von Grimm und Kolbenheyer zur universitären Landschaft. Seine Ausführungen machen deutlich, dass die Schriften beider Autoren auch bei Professoren Anklang fanden, der Einfluss ihrer politischen Ansichten aber nicht überschätzt werden sollte. Dies wird besonders deutlich bei den Reaktionen auf Kolbenheyers „Aufruf der Universitäten“ von 1929, der die moralische Verpflichtung der deutschen Professoren gegenüber der zeitgenössischen deutschen Literatur in Erinnerung rufen wollte. Zwar gab es Ordinarien wie den Tübinger Medizinhistoriker Johannes Mewaldt, den Erlanger Germanisten Ewald Geißler oder den Wiener Literaturhistoriker Josef Nadler, die Kolbenheyer vom Grundsatz her zustimmten, doch gelang es ihm nicht, die zeitgenössische Germanistik zu prägen – auch nicht nach 1933.

Das fünfte Kapitel ist treffend mit „Große Erwartung und bittere Enttäuschung“ überschrieben. Es thematisiert das Verhältnis der drei Hauptfiguren zum Nationalsozialismus. Vordermayer arbeitet an mehreren Beispielen heraus, was auch viele andere rechte Intellektuelle erlebten: Während man die NSDAP als eine Gruppe unter mehreren empfand und sie (intellektuell von oben) zu belehren und anzuleiten gedachte, wehrten sich die Nationalsozialisten gegen eine solche Vereinnahmung und dachten nach 1933 mitnichten daran, nach der Pfeife der „verhinderte[n] Mentoren“ (S. 273) zu tanzen. Selbst prinzipiell zustimmende Texte wurden scharf geahndet, wenn sie auch nur leichte Kritik am Nationalsozialismus enthielten. Die einstigen Kritiker der Weimarer Republik, die sich im parlamentarischen System in ihrer Meinungsfreiheit unterdrückt sahen, wurden nun, nach der so lange herbeigesehnten Revolution, zensiert. Entsprechend fielen die Briefe aus, die man sich gegenseitig schrieb. 1935 heißt es beispielsweise in einem Schreiben Stapels an Kolbenheyer: „Wir alle werden von dem Untermenschentum, das mit der Revolution von 1933 auch hochgekommen ist [...] noch viel zu leiden haben“ (S. 334, Fn. 396). Dies ist nur ein Beispiel für das elitäre Selbstverständnis der drei Autoren, die sich genauso wenig in den „Volkskörper“ der „Volksgenossen“ einreihen wollten wie zuvor in die perhorreszierte demokratische „Masse“.

Nach 1945 resignierte Stapel und bekundete, das deutsche Volk gäbe es nicht mehr, nur noch „Dschörmans“ (S. 357). Grimm und Kobenheyer dagegen glaubten einmal mehr, dazu berufen zu sein, dem deutschen Volk die richtigen Ideale zu vermitteln. Den Zweiten Weltkrieg suchten sie geradezu als ein Missverständnis innerhalb der „weißen“ Rasse zu erweisen; England, Frankreich und auch die USA hätten nicht verstanden, dass es den Deutschen doch nur um die Verteidigung der („weißen“, das heißt europäischen) Kultur gegangen sei (S. 365ff.). Allerdings – das stellt Vordermayer schlüssig dar – gelang es ihnen nicht, sich mit dieser Argumentation in die bürgerliche Front wider den Kommunismus einzureihen und an ihre Publikumserfolge in der Weimarer Republik und im NS anzuknüpfen. Artikel von ihnen erschienen in eher randständigen Zeitschriften wie „Nation Europa“, „Der Fortschritt“ oder „Die Aula“, die Literaturkritik vergaß ihre Bestseller nach und nach.

Thomas Vordermayer hat eine wichtige Studie zu drei rechten Autoren vorgelegt, deren Nachlässe in diesem Umfang und mit dieser Genauigkeit bisher noch nicht untersucht worden sind. Wie bereits der Titel der Arbeit signalisiert, begreift er die drei als ein „Netzwerk“; deshalb umreißt er in der Einleitung detailliert die Bedeutung von Netzwerktheorien für die Geschichtswissenschaft (S. 14–20). Er verweist darüber hinaus auf die Publikationen von drei, mit diesem „Netzwerk“ „ideologisch wahlverwandte[n] Professoren“ (S. 225): Felix Krueger, Andreas Thomsen, Adalbert Wahl. Beim Philosophen und Psychologen Krueger handelte es sich um einen „Familienfreund“ Stapels (S. 225), während der Jurist Thomsen nur randläufig mit Grimm bekannt war. Der Historiker Wahl schließlich hatte regelmäßigen Umgang mit Kolbenheyer. Ohne Zweifel handelte es sich bei diesen um rechte Autoren, allerdings wirken die Ausführungen wie ein Fremdkörper in dieser ansonsten gruppenbiographisch angelegten Arbeit zu Grimm, Kolbenheyer und Stapel. Dieser Eindruck wird durch den Umstand verstärkt, dass Vordermayer seine drei „Hauptfiguren“ innerhalb der deutschen Rechten nicht verortet und den Begriff „völkisch“ sehr weit auslegt. Ein kurzer Blick in die aktuellen Standardwerke zur Völkischen Bewegung zeigt, dass die drei Autoren dort – mit einer Ausnahme – nicht als Völkische behandelt werden.6 Vordermayer selbst macht in seiner Einleitung deutlich, dass seine „Hauptfiguren“ gerade „nicht zum Kreis radikaler Völkischer“ gehört haben; allerdings wird nicht so recht klar, was diese „gleichsam gemäßigte[n] Völkische“ eigentlich charakterisiert (S. 4). Hier hätte die Berücksichtigung von Stefan Breuers Systematik der Rechten hilfreich sein können.7 So bleibt dem Leser der Eindruck, etwas über wichtige rechte Autoren gelernt zu haben, weniger aber über das Verhältnis von Bildungsbürgertum und Völkischer Bewegung bzw. der völkischen Ideologie.

Anmerkungen:
1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.2015, <http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-die-neue-voelkische-bewegung-13937439.html> (29.02.2016).
2 Vor allem Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001, und Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008. Vgl. zu weiteren Veröffentlichungen: Julian Köck, „Die Geschichte hat immer Recht“. Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder, Frankfurt am Main 2015, S. 34, Fn. 151, sowie S. 37, Fn. 168.
3 Hier sei exemplarisch verwiesen auf: Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003; Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012; Gregor Hufenreuther, Philipp Stauff – Ideologe, Agitator und Organisator im völkischen Netzwerk des Wilhelminischen Kaiserreichs. Zur Geschichte des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes, des Germanen-Ordens und der Guido-von List-Gesellschaft, Frankfurt am Main 2011, und Walter Jung, Ideologische Voraussetzungen, Inhalte und Ziele außenpolitischer Programmatik und Propaganda in der deutschvölkischen Bewegung der Anfangsjahre der Weimarer Republik – Das Beispiel Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund, Diss. Göttingen 2000.
4 Als Beispiele hierfür können einflussreiche Studien von Kurt Sontheimer und Jost Hermand dienen. In Sontheimers „Antidemokratisches Denken“ werden die Völkischen als „Produkt typisch kleinbürgerlicher Ressentiments“ begriffen (Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962, S. 38), in Hermands „Der alte Traum vom neuen Reich“ (Jost Hermand, Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1991) wird ihnen nicht einmal innerhalb der Rechten eine wichtige Rolle zugesprochen.
5 Die den heutigen Leser immer wieder überraschende Nähe von Antisemiten und Zionisten lässt sich bereits um die Jahrhundertwende nachvollziehen: In der zionistischen „Die Welt“ wurde mit Heinrich Driesmans einer der ersten völkischen Rassentheoretiker mit seinen Aussagen über die jüdische Rasse ausdrücklich gegen die Kritik des Reformrabbiners Paul Rieger in Schutz genommen (Anonymus, Zur jüdischen Rassenfrage, in: Die Welt 6/50 (1902), S. 4f.). Ein Jahr später publizierte Driesmans an dieser Stelle über „Ethos und Physis der jüdischen Rasse“ (Die Welt, Jg. 7/1, S. 2–5).
6 In Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008, kommt nur Kolbenheyer einmal am Rand vor (S. 99); in Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München 1999, wird Grimm gar nicht erwähnt, Kolbenheyer nur einmal ohne weitere Ausführungen (S. 668), und Stapel ist zweimal genannt (S. 157, S. 271) – einmal freilich als Gegner „radikal-völkische[r] Ideen“ im Umfeld der Fichte Hochschule (S. 271). Stefan Breuer (Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871–1945, Darmstadt 2001, S. 94) rechnet ihn dem „Neuen Nationalismus“ und eben nicht der Völkischen Bewegung zu.
7 Stefan Breuer, Grundpositionen der deutschen Rechten 1871–1945, Tübingen 1999; ders., Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871–1945, Darmstadt 2001.

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