Titel
Alfred Hermann Fried: „Organisiert die Welt!“. Der Friedens-Nobelpreisträger – sein Leben, Werk und bleibende Impulse


Herausgeber
Grünewald, Guido
Reihe
Schriftenreihe Geschichte & Frieden 36
Erschienen
Bremen 2015: Donat Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 16,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Reinhold Lütgemeier-Davin, Kassel

Der Band über ein im Oktober 2011 maßgeblich von Guido Grünewald in Verbindung mit dem Internationalen Friedensbüro organisiertes zweitägiges internationales Symposium im Potsdamer Stadthaus über den Friedensaktivisten Alfred Hermann Fried (1864–1921) liegt nun vor und zeigt ein breites Panorama von Handlungsimpulsen und Handlungsmöglichkeiten eines pazifistischen Freigeistes. Ausgerechnet in Potsdam, einstmals Hort des preußischen Militarismus, seit 1994 allerdings ohne Kasernen im Stadtgebiet, wurde von Friedensforscherinnen und -forschern aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, Japan und den USA des fast vergessenen Friedensjournalisten und Theoretikers des Pazifismus gedacht, der vor hundert Jahren den Friedensnobelpreis verliehen bekam. Sie nähern sich der Persönlichkeit und dem politischen Handeln Frieds aus sehr unterschiedlichen Perspektiven, dabei mit einer Mischung aus kritischer Distanz und wohlwollendem Verständnis, keineswegs aber mit uneingeschränkter Ehrerbietung. Daraus ergibt sich ein facettenreiches wie widersprüchliches Bild einer Persönlichkeit mit beachtlicher Tatkraft, aber begrenzter Handlungsmächtigkeit.

Fried, zeit seines Lebens ohne wirkliches akademisches und gesellschaftliches Renommee, war selbst ein Mann der Kontraste, nicht nur, weil sein Engagement für weltweiten Frieden, Demokratie, Menschenrechte und Gleichberechtigung der Geschlechter mit seinem Leben als Privatperson mitunter schwer in Deckung zu bringen war. Er war ein assimilierter ungarischer Jude ohne religiöse Bindung; ein einfacher Buchhändler ohne Gymnasialabschluss und mit einem ungesicherten sozialen, finanziell gar prekären Status; enger Mitarbeiter der weit berühmteren Schriftstellerin Bertha von Suttner, einer, der, wie er meinte, den Pazifismus nicht auf weiblich-sentimentalem, sondern wissenschaftlich-rationalem Fundament begründen wollte und trotz seines schiefen Geschlechterverständnisses feministische Pazifistinnen förderte (Laurie R. Cohen); ein Organisationstalent mit schwacher eigener Verankerung in der Friedensbewegung; ein Friedensjournalist mit dem Anspruch, Chauvinismus und Völkerverhetzung mit aufklärerischen Artikeln zu bekämpfen und die Opfer von Krieg und Gewalt nicht zu verschweigen (Andreas Landl); ein Theoretiker des Pazifismus; ein Visionär von einem Zweckverband Europa, in seinem Einfluss auf die Weltpolitik zu seinen Lebzeiten allerdings überschätzt. Spätestens als Emigrant während des Ersten Weltkrieges war Fried davon überzeugt, dass Frieden zwischen souveränen Staaten und eine innerstaatliche demokratische Ordnung untrennbar miteinander verbunden waren. Vor 1914 hatte er noch auf den Friedenswillen der Herrschenden gesetzt und gar den Friedensbeteuerungen eines Wilhelm II. geglaubt.

Optimistisch setzte er auf die zunehmende ökonomische wie technische Verflechtung der Staaten- und Gesellschaftswelt, die unweigerlich die Organisierung der Welt und eine friedliche Entwicklung der Menschheit befördern helfen müsste. Die Ursachen der internationalen Anarchie wollte Fried bekämpfen, nicht zuvörderst deren Symptome: „Wer eine Folge beseitigen will, muss zunächst ihre Ursache beseitigen. Wer eine Folge an Stelle einer anderen gezeitigt sehen will, muss an Stelle der einen Ursache jene andere setzen, die die gewünschte Folge hervorbringen kann“ (S. 195) – so Frieds Programm eines „ursächlichen Pazifismus“.

Die dreizehn Historiker und Politologen nähern sich dem Vorkämpfer einer internationalen Friedensordnung nicht hagiographisch; eine unbefleckte Lichtgestalt, charakterologisch wie wissenschaftlich, war A. H. Fried ohnehin nicht, auch nicht mit einer ungebrochenen Ausstrahlungskraft bis in unsere Gegenwart hinein. Der vorliegende Band liefert nicht nur biographische Miniaturen über Fried (Petra Schönemann-Behrens), sondern er verweist auch auf dessen gesellschaftlichen wie politischen Aktionsradius. Frieds Handeln wird überzeugend den wirksamen Prägekräften seiner Zeit, Nationalismus, Militarismus (Bellizismus) und Antisemitismus, zugeordnet (Christoph Jahr); sein überzogener optimistischer Fortschrittsglaube wird als typisches Zeitphänomen beschrieben und dabei einer grundsätzlichen Kritik unterzogen, seine internationale Vernetzung wird untersucht (Sandi E. Cooper), sein Konzept des „revolutionären“ bzw. „ursächlichen Pazifismus“ analysiert (Peter van den Dungen), seine Sondierungen in Richtung politischer Parteien und gesellschaftlicher Gruppen maßgeblich im liberalen und sozialistischen Milieu werden gedeutet, auch Frieds Vorliebe für die im Geheimen operierenden Freimaurer, die in auffälligem Widerspruch stand zur Forderung der Pazifisten nach Offenheit und Aufrichtigkeit hauptsächlich in der internationalen Politik, wird thematisiert (Walter Göhring). Frieds Bemühungen um die Förderung der Kunstsprache Esperanto als Mittel zur Erleichterung internationaler Verständigung werden mit recht großer Sympathie vorgestellt (Bernhard Tuider), sein mechanistisches Weltbild als typisches Phänomen seiner Zeit interpretiert.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte kurzfristig zum Zusammenbruch aller pazifistischen Zukunftserwartungen, erzwang eine politische Korrektur und Gegensteuerung. Auffällig bei Fried war zunächst seine Hinwendung zu eindeutig parlamentarisch-demokratischen Positionen. Trotz ungeschminkter Kritik an der Kriegstreiberei und der Kriegsführung der Mittelmächte blieb A. H. Fried ein unbedingter Verfechter eines Verständigungsfriedens, warnte vor dem militärischen Kollaps Deutschlands und Österreichs. Auf deren militärische Niederlage setzte er nicht, um dem preußischen Militarismus den Nährboden zu entziehen, glaubte vielmehr an einen diplomatischen Ausgleich zwischen den Kriegsparteien (Dieter Riesenberger). Den Versailler „Gewaltfrieden“ lehnte er wie die meisten seiner Zeitgenossen aus unterschiedlichen politischen Lagern rundweg ab.

Einige Autoren des Sammelbandes arbeiten schwerpunktmäßig die Bedeutung der Friedenstheorie Frieds für die Gegenwart heraus (Klaus Schlichtmann, Ulrich Schneckener, Dieter Senghaas), hatte er sich doch mit den sozialen, politischen, rechtlichen und institutionellen Bedingungen für eine dauerhafte globale Friedensordnung beschäftigt, mit der Stärkung internationaler Institutionen und dem Ausbau des Völkerrechts, mit Problemen also, die angesichts der Massenvernichtungswaffen, der globalen sozialen Verwerfungen und der asymmetrischen Konflikte der Gegenwart dringlicher denn je zu lösen sind. Frieds Grundanliegen werden von den Autoren als aktuell eingeschätzt, aber, so die Befunde, für eine komplexer gewordene Welt im 21. Jahrhundert taugten seine Vorschläge nur bedingt; sie lieferten allerdings noch brauchbare Ansätze für eine Überwindung der Anarchie in der Staaten- und Gesellschaftswelt.

Freilich: Die meisten zeitgenössischen Friedensforscher haben in ihren Ansätzen zunächst überhaupt nicht an Überlegungen ihrer historischen Vorläufer angeknüpft, kannten sie mitunter gar nicht. Der Tagungsband will einen Beitrag dazu leisten, einige der historischen friedenspolitischen Ansätze für die Gegenwart handhabbar zu machen, zumindest sie auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen und zugleich zu erweitern. Das ist ein hoher Anspruch; nötig und vielversprechend erscheint er in jedem Fall.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/