Cover
Titel
Afterimages. Photography and U.S. Foreign Policy


Autor(en)
Kennedy, Liam
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 220 S., 35 SW-Abb.
Preis
$ 45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Vowinckel, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der Fotojournalismus ist seit den 1970er-Jahren auf dem absteigenden Ast, und: Der Fotojournalismus ist so wichtig wie nie zuvor. Diese beiden einander widersprechenden Aussagen werden gleichermaßen gebetsmühlenartig wiederholt, ohne dass dafür Belege angeführt würden, und beide sind nicht ganz falsch: Im Niedergang befindet sich seit den 1970er-Jahren der Fotojournalismus als ein Feld, in dem es Festanstellungen mit unlimitierten Spesenkonten sowie einige wenige zentrale Publikationen wie „Life“ oder „stern“ gibt. Aber der Fotojournalismus erlebt durch Preise wie die World Press Photo Awards oder durch Großprojekte wie Sebastião Salgados „Genesis“ auch neue Höhenflüge: Sie generieren Millionenumsätze, lenken die öffentliche Aufmerksamkeit und bringen immer neue Held(inn)en hervor.

Der irische Amerikanist Liam Kennedy hat ein Buch über die dokumentarische Fotografie seit dem Vietnamkrieg vorgelegt, in dem er nach der politischen Bedeutung des Mediums fragt und die Antworten überall da sucht, wo die US-Regierung entweder Krieg führt(e) oder Krieg führende Staaten militärisch unterstützt(e): in Vietnam, in Zentralamerika, im ehemaligen Jugoslawien und im Mittleren Osten. Für jede Region wählt er einige wenige Fotografen aus und zeigt anhand ihrer Arbeit, wie sie US-amerikanische Geopolitik – kritisch oder affirmativ – ins Bild setzen. Als „Afterimages“, wie sie im Titel des Buchs genannt werden, bezeichnet er dabei solche Bilder, die nicht nur punktuell als Nachrichtenbilder dienen, sondern über einzelne Ereignisse hinausweisen und sich selbst in der Tradition des investigativen Journalismus verorten.

Das erste von vier Kapiteln behandelt den Vietnamkrieg am Beispiel der Fotografen Larry Burrows („Life“) und Philip Jones Griffiths („Magnum“). Im zweiten Kapitel bespricht Kennedy unter der Überschrift „Pictures from Revolutions“ Fotos, die während der Revolutionen im Iran und in Nicaragua (1979) sowie im El Salvador der 1980er-Jahre entstanden, wobei zu diskutieren wäre, ob der dortige Bürgerkrieg unter dem Signum „Revolution“ gut aufgehoben ist. Im Zentrum dieses Kapitels stehen die Fotografen Abbas, David Burnett und Giles Peress, die im Iran arbeiteten, und Susan Meiselas mit ihren Arbeiten in Mittelamerika. Das dritte Kapitel handelt von „Unseen Wars and Humanitarian Visions“, genauer: von der US-Intervention in Somalia 1993, vom Ersten Irakkrieg 1990/91 und von den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Im vierten und letzten Kapitel untersucht der Autor Visualisierungsstrategien in den Kriegen des 21. Jahrhunderts. Er konzentriert sich dabei auf die Schauplätze Afghanistan und Irak sowie auf den Krieg an der Heimatfront, also auf Innenansichten der US-amerikanischen Gesellschaft.

Seine Motivation bezieht Kennedy aus einem Vortrag von Philip Jones Griffiths, den dieser 2007 in London hielt. Der britische Fotograf hatte darin erklärt, wer den Fotojournalismus verstehen wolle, müsse seine Aufmerksamkeit auf die US-amerikanische Außenpolitik richten: „Follow the Americans!“ (S. 1) Der Autor greift diesen Hinweis auf und argumentiert in der Einleitung plausibel, warum er sich in seiner Darstellung auf die Akteure der visuellen Welt konzentriert: Fotojournalisten könnten, so Kennedy, sowohl als verlängerter Arm US-amerikanischer Geopolitik wie auch als Multiplikatoren des Protests gegen eben diese Geopolitik agieren. Sie seien nicht nur unbeteiligte Zuschauer, sondern Protagonisten der Konflikte, denen sie ein Gesicht geben – zumal dann, wenn sie sich als „embedded photographers“ darin bewegen.

Auf der Grundlage detaillierter Bildbeschreibungen kommt Kennedy zu dem Ergebnis, dass es im Fotojournalismus seit Vietnam keine lineare Weiterentwicklung gegeben habe (weder „aufwärts“ noch „abwärts“), sondern eher eine stetige Suchbewegung: „[P]hotographers are seeking answers to […] ideological problems, ways of seeing war and state violence, ways of seeing U.S. foreign policy. As such, the limits of the photograph’s truth claims are a register of the tensions and challenges that adhere to the ideological conditions of its production and circulation.“ (S. 162) In seiner Rolle als Hüter der Menschenrechte in der Tradition der Agentur „Magnum“ sei der Fotojournalismus dabei jedoch hoffnungslos überdeterminiert. Im „postfotografischen Zeitalter“ (Fred Ritchin) habe er seine Funktion als moralischer Kompass verloren und müsse sich fragen lassen, ob er nicht auch eine strategische Allianz mit neoliberalen Kräften eingegangen sei, indem er statt Sozialreportagen klinisch saubere Golfkriegsfotografie hervorgebracht habe.

Diesen Gegensatz zwischen Sozialkritik und Regierungsfotografie veranschaulicht Kennedy anhand zweier bekannter Fotografien. Die erste ist eine von Chris Hondros (Getty) im Jahr 2005 gemachte Aufnahme eines irakischen Mädchens, dessen Eltern eben bei einer Grenzkontrolle vor seinen Augen von US-Soldaten erschossen wurden. Das andere Bild nahm der Regierungsfotograf Peter (Pete) Souza 2011 während der Übertragung des Angriffs auf Osama Bin Laden im Situation Room des Weißen Hauses auf.1 Das erste Bild visualisiert das Leid der zivilen Opfer, das zweite das Handeln einer Regierung, die sich – so der Subtext – um die zivilen Opfer entweder nicht schert oder sie doch wenigstens nicht sehen möchte. Das erste Bild, so Kennedy, sei eher untypisch für den Fotojournalismus der Gegenwart, denn viele Fotografen seien es entweder müde, die immer gleichen Bilder von Krieg, Tod, Trauer und Zerstörung zu zeigen, oder sie litten unter Posttraumatischem Stresssyndrom, oder beides. Viele von ihnen suchten nach neuen Ausdrucksformen: Einige seien dazu übergegangen, die Folgen der jüngsten Kriege für die eigene Gesellschaft zu zeigen, andere seien Zyniker geworden, wieder andere – zum Beispiel der für die „New York Times“ arbeitende Christoph Bangert – versuchten sich darin, einen ironischen oder gar humoristischen Blick auf den Krieg zu entwickeln, um Aufmerksamkeit zu generieren oder für sich selbst die Situation zu bewältigen.2 Diese Veränderungen seien aber keine Verfallserscheinung; vielmehr liege es in der Natur des Fotojournalismus, dass er sich immer wieder neue Ausdrucks- und Publikationsformen suche.

Die Einleitung des Buchs entfaltet eine interessante Agenda, und das Schlusskapitel gibt durchaus überzeugende Antworten auf die eingangs gestellten Fragen. Allein: Die vier Kapitel dazwischen sind überwiegend langweilig. Sie orientieren sich an bekannten Größen des Fotojournalismus von Larry Burrows über Abbas und Ron Haviv bis Tim Hetherington aus dem Umfeld von „Magnum“ und „Life“. Das Vietnam-Kapitel ist sehr deskriptiv und fördert wenig neue Einsichten zutage. In den folgenden Kapiteln schwankt der Autor zwischen der Diagnose einer historischen Entwicklung (weg von der Sozialdokumentation, hin zur Regierungspropaganda) und der Erkenntnis, dass es eine solche Entwicklung doch nicht gibt. Kennedys Bilddeutungen bleiben teilweise spekulativ. An einigen Punkten wird zudem deutlich, dass der Autor sich wenig mit der Geschichte der dokumentarischen Fotografie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befasst hat – schließlich wurde der gesamte Zweite Weltkrieg von „embedded photographers“ oder gleich von den Armeen selbst dokumentiert, und auch hier haben Regierungen Bildprogramme verordnet, in denen zivile Opfer nur dann vorkamen, wenn sie in das eigene politische Programm passten. Etwas misslich ist, dass im Text erwähnte Fotografien zum Teil gar nicht oder nur in Schwarzweiß abgebildet sind, auch wenn es sich um Farbfotos handelt. Dies dürfte eine Kostenfrage gewesen sein, denn durch das Einholen weiterer Bildlizenzen und durchgehenden Farbdruck wäre die Produktion des Buchs teurer geworden und damit auch der ohnehin hohe Verkaufspreis noch gestiegen.

Unter dem Strich ist dies ein Essay in Buchlänge, der interessante Einblicke in die Arbeit von Fotojournalisten seit den 1970er-Jahren gibt (ganz überwiegend waren es Männer), der aber am Ende eine Antwort auf die Frage schuldig bleibt, warum wir gerade den Amerikanern folgen sollen. Tatsächlich hat die vielleicht wirkmächtigste Veränderung des Bildjournalismus im 21. Jahrhundert nichts mit der Außenpolitik der Vereinigten Staaten zu tun: Sie ist der Verbreitung von Smartphones geschuldet, die jeden zivilen Beobachter zu einem potentiellen Amateurbildjournalisten machen. Die Bilder, die so entstehen, zwingen die Redaktionen der Zeitungen und Fernsehsender, ihre redaktionellen Standards auf den Prüfstand zu stellen, und sie zwingen professionelle Fotojournalisten, ihr eigenes Profil zu schärfen, ganz egal, wo und für wen sie arbeiten. Seinen Anspruch, uns die US-Außenpolitik im Spiegel der Fotografie zu präsentieren, hat Liam Kennedy zwar erfüllt. Wenn wir aber den Fotojournalismus seit Vietnam verstehen wollen, sind wir gut beraten, nicht nur auf die letzte verbliebene Weltmacht zu blicken.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Chris Hondros, How He Got that Picture, in: Columbia Journalism Review, 21.04.2011, <http://www.cjr.org/campaign_desk/chris_hondros_how_he_got_that_picture.php>; Situation Room, <https://en.wikipedia.org/wiki/Situation_Room> (beide 18.10.2016).
2 Fotograf Christoph Bangert, „Entweder du lachst, oder du stirbst“, Spiegel Online, 20.05.2016, <http://www.spiegel.de/politik/ausland/christoph-bangert-hello-camel-zeigt-die-absurditaet-des-krieges-a-1093042.html> (18.10.2016).