Umweltgeschichte ist in Deutschland seit rund 15 Jahren eine historische Subdisziplin, die ihre besten Zeiten noch vor sich hat. Waehrend die Zahl der umwelthistorischen Veroeffentlichungen steigt, haben die eigene Zeitschrift und der eigene Verband einschlaegig interessierter Forscher vor kurzem ihre Existenz beendet, eine Institutionalisierung der Umweltgeschichte ueber die Umwidmung von Lehrstuehlen befindet sich ebenfalls in der Anfangsphase. Dieser unsichere Status zwischen wohlwollender Vernachlaessigung und sich abzeichnender Etablierung schlaegt sich auch in den Veroeffentlichungen der deutschen Umwelthistoriker und Umwelthistorikerinnen nieder. Beinahe scheint es, als muessten sie immer noch ihr Forschungsobjekt definieren, Methoden und Forschungsfelder umreissen und damit letztlich ihr Forschungsinteresse rechtfertigen.
Diesem Abgrenzungs- und Etablierungsbeduerfnis gegenueber einer tendenziell skeptischen geschichtswissenschaftlichen community, also nach aussen, entspricht unter den Umwelthistorikern selbst der Hang zu einer bemerkenswerten Selbstvergewisserung. Offenbar gepaart mit einer aus der deutschen geschichtswissenschaftlichen Tradition stammenden Neigung zu kanonisierbaren Begrifflichkeiten, hat dies zu einem Missverhaeltnis bei den Veroeffentlichungen gefuehrt: Auf der einen Seite steht eine ganze Reihe methodisch ambitionierter Arbeiten mit hohem theoretischen Anspruch, auf der anderen Seite stehen kaum zu verallgemeinernde Mikrostudien. Das Fehlen einer vermittelnden Ebene von Untersuchungen hat bereits der Bielefelder Umwelt- und Technikhistoriker J. Radkau beklagt. Erst in juengster Zeit werden solche Forderungen eingeloest, und die Veroeffentlichung des Cottbuser Technik- und Umwelthistorikers Guenter Bayerl, Professor an der dortigen Brandenburgisch Technischen Universitaet, und zweier seiner Assistenten, Norman Fuchsloch und Torsten Meyer, ist ein praegnantes Beispiel dafuer. Um es vorwegzunehmen: Der Sammelband vermag diesen middle ground zumindest teilweise zu erschliessen, und er ist jedem zu empfehlen, der sich mit Umweltgeschichte vertraut machen oder seinen Kenntnisstand auffrischen moechte.
Die Tagung, auf die der Sammelband zurueckgeht, fand im November 1994 in Hamburg statt. Die Herausgeber erheben den Anspruch, zum einen umwelthistorische Forschung "im Schnittfeld unterschiedlichster Disziplinen zu lokalisieren" und zum anderen die "praktische Relevanz umwelthistorischen Arbeitens" aufzuzeigen, also die oben angesprochene Kluft zu ueberwinden. Dazu haben sie die 19 Beitraege in drei Abschnitte eingeteilt. Zuerst werden Methodenfragen der Umweltgeschichte in sechs Abhandlungen untersucht, darauf folgen zehn Fallbeispiele, und abschliessend versuchen drei Autoren, Theorien und Ertraege zu neuen "Potentialen" der Umweltgeschichte zusammenzufassen.
Im methodisch ausgerichteten Abschnitt gehen Norman Fuchsloch und Reinhold Reith Fragestellungen nach, die den Untersuchungsgegenstand der Umweltgeschichte - also Umwelt oder Natur - und historiographische Herangehensweisen zum Inhalt haben. Fuchsloch stellt die erschienene Literatur zusammen und erlaeutert die Frage, ob historische Umweltforschung eine jenseits menschlicher Akteure vorkommende Umwelt untersuchen solle oder doch menschliche Handlungen in der Umwelt. Seiner Bilanz nach schlaegt die heutige Umweltgeschichte vor, die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt zu untersuchen. Am Ende seines Beitrages stehen jedoch offene Fragen, die die Vielfalt der Ansaetze in der Umweltgeschichte einmal mehr unterstreichen. Reith rueckt daraufhin die methodische Debatte in ein neues Licht. Fuer ihn ist eine Praezision der Begriffe fuer die Umweltgeschichte unangemessen, da jene nur zu unfruchtbaren Einengungen fuehre. Anschliessend diskutiert er die in Deutschland enge Verbindung zwischen Technik- und Umweltgeschichte und die Quellengattungen der historischen Umweltforschung.
Aus der Sicht des historisch arbeitenden Naturwissenschaftlers nimmt der Anthropologe Bernd Herrmann eine eindeutige Position jenseits jeden Sozialkonstruktivismus ein. Fuer ihn "gibt es ein Gegebenes auch ausserhalb der Naturwahrnehmung" (S. 22); er bemueht Ranke gegen Radkau, dem er eine eingeengte Sicht vorwirft. In der Folge bietet er "ganz selbstverstaendlich" eine universalgeschichtliche Perspektive der Naturwissenschaft an. Abschliessend stellt er graphisch ein systemtheoretisches Phasenmodell vor. Inwiefern der inklusive Anspruch Herrmanns fuer die historische Analyse operationalisierbare Methoden zeitigen kann, laesst er aber offen. Der Biologe Hansjoerg Kuester, Autor einer "Geschichte der Landschaft", benennt anschliessend moegliche Erkenntnisgewinne durch die botanische Methode der Pollenanalyse. Pollenkoerner lassen Ruckschluesse auf vor- und fruehgeschichtliche Vegetationsformen zu; die Vorstellung, dass Buchenwaelder die ohne Einwirkung des Menschen vorherrschende Waldform seien, kann damit zumindest in Zweifel gezogen werden. Mit dem Instrumentarium palaeo-ethnobotanischer Untersuchungen gelingt Ulrich Willerding eine praezise Darstellung mittelalterlicher Kulturlandschaften.
Auf eine etwas aus dem Rahmen fallende Untersuchung Elke Rottlaenders ueber interdisziplinaere Verstaendigung im Studiengang Umweltwissenschaften an der Universitaet Bielefeld folgen die Fallstudien. Sie sind chronologisch geordnet. Zur einer umwelthistorisch erweiterten mittelalterlichen Montangeschichte gehoeren die Aufsaetze von Joerg Wiesemann ueber "Spaetmittelalterliche Steinkohlenfoerderung im Raum Aachen" und Lothar Suhling ueber "Huettentechnik und Umwelt im 16. Jahrhundert". Verschiedene Arten der Waldnutzung und damit der Waldzustandsentwicklung im Harz zwischen 1550 und 1800 beleuchtet Peter-Michael Steinsiek, waehrend Martina Kaup der Urbarmachung des Oderbruchs unter Friedrich II. erstmals umwelthistorische Aspekte abgewinnt. Mit ihrem Beitrag ueber das Wachstumsdenken im 18. Jahrhundert belegen Guenter Bayerl und Torsten Meyer, wie sehr die Umweltgeschichte von ideengeschichtlichen Methoden profitieren kann. Ohne sie waere ihre These von einer "Oekonomisierung der Natur" im untersuchten Zeitraum kaum nachzuvollziehen.
Weitere Fallbeispiele widmen sich den Ideen Gustav Vorherrs zur "Landesverschoenerung" im Bayern des 19. Jahrhunderts (Gert Groening) und den umweltgeschichtlichen Auswirkungen der Energiewirtschaft: Matthias Baxmann untersucht die Wasserversorgung der Niederlausitz im fruehen 20. Jahrhundert und Helmut Maier die Schnittmengen nationalsozialistischer Naturschutz- und Energiepolitik. In einem der originellsten Beitraege des Bandes macht Klaus Saul auf die bislang ueberhoerte Antilaermbewegung im Kaiserreich aufmerksam, waehrend Dietmar Klenke erste historische Annaeherungsversuche an eine Umweltgeschichte des Automobilverkehrs in Deutschland und den USA formuliert.
Im Kapitel "Perspektiven" zeigt zunaechst Klaus-Peter Meinicke anhand der Geschichte der elektrischen Gasreinigung, wie eng Technik- und Umweltgeschichte verzahnt sind, ehe Jost Hermands sein apodiktisches Plaedoyer fuer eine Wandlung der anthropozentrischen Umweltgeschichte zur "konsequenten Mitweltgeschichte" (S. 304) abgibt. Hermand erhofft sich durch die Rekonstruktion eben nicht anthropozentrisch denkender historischer Akteure "ideologischen Rueckenwind" fuer die heutige Umweltdebatte - eine normative Ueberfrachtung, die umweltgeschichtliches Arbeiten wohl eher erschwert als erleichtert. Mit einer Untersuchung Bodo von Borries’ ueber die Didaktik der Umweltgeschichte endet der Sammelband.
Gerade weil der vorliegende Band, dem im uebrigen ein Register gutgetan haette, ein so breites Tableau - auch widerspruechlicher - umwelthistorischer Ansaetze und Forschungsergebnisse auffaechert, eignet er sich als Ueberblickspublikation (1). Die vorgelegten Beispiele zeigen ausserdem, dass die mancherorts so vehement geforderte Geschichte einer aussermenschlich verstandenen Natur nur schwer zu schreiben ist - ganz abgesehen davon, wie wuenschenswert sie waere. Vielmehr machen die Beitraege des Sammelbandes deutlich, dass statt solch ueberhoehter Pauschalforderungen und der ewig tiefgruendelnden Suche nach "dem" Subjekt der Umweltgeschichte pragmatische Anleihen der naturwissenschaftlichen Umwelthistoriker bei ihren geschichtswissenschaftlichen Kollegen und umgekehrt fruchtbarer sind. Und damit wird die heutige Methodenvielfalt der Umweltgeschichte zur gewinntraechtigen Basis fuer weitere konkrete Forschungen.
Anmerkung:
(1) In Verbindung mit einigen der Beitraege in Abelshauser, Werner (Hg.): Umweltgeschichte. Umweltvertraegliches Wirtschaften in historischer Perspektive (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 15), Goettingen 1994, waere der Stand der Umweltgeschichte in Deutschland beinahe enzyklopaedisch dargestellt.