J. Fugmann (Hrsg.): Ps. Aurelius Victor. De viris illustribus urbis

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Titel
Ps. Aurelius Victor, De viris illustribus urbis Romae. Über berühmte Männer der Stadt Rom. Lateinisch und deutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert


Herausgeber
Fugmann, Joachim
Reihe
Texte zur Forschung 110
Erschienen
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, München

Die anonyme, zeitweilig dem Aurelius Victor zugeschriebene Schrift De viris illustribus urbis Romae, ein in Kurzbiographien unterteilter Überblick zur römischen Geschichte von Procas, dem König von Alba Longa, bis zum Ende der Republik, hat bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren. Selbst brauchbare Editionen und Übersetzungen waren bislang Mangelware. Die kritischen Ausgaben von Wijga (1890) und Pichlmayr (1911) sind noch immer wichtig, genügen aber nicht allen Ansprüchen an eine moderne Edition, und die zweisprachige Ausgabe Sherwins (1973) ist insgesamt verfehlt und weitgehend unbrauchbar. Erst seit kurzem liegen mit der (umstrittenen) Budé-Edition Martins1 und der kommentierten Übersetzung Fugmanns gewichtigere Beiträge zu diesem Werk vor.

In der Einleitung (S. 9–33) befasst sich Joachim Fugmann mit der Überlieferungsgeschichte (S. 9–16), der Gattung (S. 16–27) und den Quellen der Schrift (S. 27–33). Hierzu seien die wichtigsten Ergebnisse vorgestellt: De viris illustribus urbis Romae wurde wohl in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts verfasst und im späteren 4. Jahrhundert zusammen mit der Origo gentis Romanae und Aurelius Victors Liber de Caesaribus zu dem Corpus vereinigt, im Rahmen dessen das Werk teilweise überliefert ist. In der Frage, ob die letzten neun Biographien dem ursprünglichen Werk zugehörig oder eine spätere Ergänzung sind, entscheidet sich Fugmann für die erstgenannte Option; diese These hat Martin in seiner zeitgleich erschienenen Edition (die von Fugmann nicht mehr konsultiert werden konnte, vgl. S. 15 und S. 35) mit einer deutlich ausführlicheren Argumentation belegt. Die zeitlichen Irrtümer in De viris illustribus sprechen gegen die Verwendung einer annalistischen Vorlage. Im Wesentlichen geht der Text, ein von Livius unabhängiges Werk, auf eine ausführliche biographische Vorlage zurück, die vor 20 v.Chr. entstanden sein muss und wiederum eine gemeinsame Vorlage mit den Elogien des Augustusforums aufweist. Der Autor der Quelle von De viris illustribus sei im Umfeld des Augustus zu suchen; einige Indizien sprechen für Hyginus.

Den ersten großen Block des Buches bilden Text und Übersetzung (S. 35–211). Bei der Textgestaltung orientiert sich Fugmann an Pichlmayr, folgt aber manchmal Wijga oder vertritt eine abweichende Lesart. Ein kurz gehaltener, aber übersichtlicher Apparat notiert die entsprechenden Fälle. Die Übersetzung verrät die jahrelange Beschäftigung Fugmanns mit dieser Schrift, beginnend mit seiner Dissertation (Konstanz 1988), da sie den stilistischen Eigenarten des Textes gerecht wird und nicht zuletzt gerade deswegen (der Stil der Schrift ist einfach gehalten) im besten Sinne Zuverlässigkeit mit Lesbarkeit vereint. Der einzige Kritikpunkt zu diesem Teilbereich ist der verschwenderische Umgang mit dem Platz, da nach dem Ende jeder Kurzbiographie eine neue Seite beginnt und somit der Raum oft nur zur Hälfte ausgefüllt ist. Eine ökonomischere Anordnung hätte das Buch mehrere Dutzend Seiten kürzer (und vielleicht auch etwas preiswerter) ausfallen lassen.

Den umfangreichsten Teil der Ausgabe stellt der Kommentar (S. 213–467) dar, dessen Ziel es ist, die Schrift in den Kontext der Überlieferung einzuordnen, nur in De viris illustribus überlieferte Details herauszuarbeiten und historische Ungenauigkeiten zu dokumentieren; die eigentlichen Sacherklärungen sind dagegen bewusst knapp gehalten. Der Kommentar stellt ein ausgesprochen nützliches Arbeitsinstrument dar, erweist sich aber bei genauerer Betrachtung nicht immer als vollkommen zufriedenstellend. In De viris illustribus werden immer wieder sozial-, religions-, wirtschafts- oder rechtsgeschichtlich interessante Details geboten, die eine genauere Betrachtung wert wären. In vielen Fällen geht Fugmann auf diese Angaben näher ein oder bietet weiterführende Literatur; so beispielsweise zu dem Appellationsgesetz (15,5 S. 68f. mit S. 253f.), den Maßnahmen zur Beschränkung von Landbesitz (20,3 S. 78f. mit S. 264; 64,3 S. 166f. mit S. 369) und den Anordnungen bezüglich der Freigelassenen (32,2 S. 102f. mit S. 289; 34,1 S. 106f. mit S. 294; 72,5 S. 182f. mit S. 394). Interessant gewesen wäre allerdings auch eine detailliertere Kommentierung der von Romulus und Remus bei der Beobachtung des Vogelfluges gesichteten Geier (1,4), des genau bezifferten hinterlassenen Vermögens des Publius Scipio Aemilianus (58,11; dazu nur allgemein S. 360) und des Ausspruchs des Marcus Livius Drusus gegenüber seinem Amtskollegen Remmius (66,2; dazu nur allgemein S. 374). Zudem drängt sich die Frage auf, warum der Triumvir Crassus zwar an drei Stellen erwähnt wird (77,8; 79,4; 83,1), aber keine eigene Biographie erhält, obwohl mit Lucius Cornelius Cinna eine gleich eingangs als flagitiosissimus rem publicam summa crudelitate vastavit (69,1) charakterisierte Persönlichkeit aufgenommen wurde. Bei der Angabe zur Selbstdarstellung des Sextus Pompeius als Sohn Neptuns (84,2) bleiben im entsprechenden Abschnitt des Kommentars (S. 456f.) die Münzen weitgehend unbeachtet.

Das Literaturverzeichnis (S. 469–496) ist in seiner Anordnung platzsparend, aber etwas unübersichtlich, da nicht für jedes Werk eine neue Zeile begonnen wird, sondern alle Forscher, deren Nachnamen mit demselben Anfangsbuchstaben beginnen, in einen großen Block einsortiert werden. Manche Fehlstellen, die man anmerken könnte, gehen auf eine gezielte Auswahl Fugmanns zurück: So wurde die ältere Forschung weitgehend ausgeklammert (selbst der Name von Theodor Opitz bleibt unerwähnt) und auch ein Aufsatz Fugmanns ist nicht berücksichtigt.2 Dennoch wären auch einige aktuellere Beiträge zu ergänzen.3 Der Registerteil (S. 497–504) bietet das, was bei einer Edition zu erwarten ist: Die im lateinischen Text vorkommenden Namen werden gewissenhaft und zuverlässig verzeichnet. Mit Blick auf den Umfang des Kommentars wäre es allerdings auch für diesen ein Register wünschenswert gewesen.

Ein ausführlicher historischer und philologischer Kommentar zu De viris illustribus steht bislang noch aus. Einen solchen kann und will Fugmann in seiner Ausgabe nicht bieten, doch hat er künftigen Kommentatoren sowie jedem Forscher, der sich mit diesem Geschichtsabriss befasst, reichhaltiges Material zur Verfügung gestellt, das weitere Forschungen deutlich vereinfacht. Seine kompetent und sorgfältig erstellte Edition4 wird daher ein unverzichtbares Grundlagenwerk zu diesem Text darstellen.5

Anmerkungen:
1 Paul Marius Martin (Hrsg.), Les hommes illustres de la ville de Rome. Texte établi et traduit, Paris 2016. Vgl. dazu die Besprechungen von Justin A. Stover in: Bryn Mawr Classical Review 2017.03.50, <http://bmcr.brynmawr.edu/2017/2017-03-50.html> (01.03.2018) sowie des Rezensenten in: Historische Zeitschrift 306 (2018), S. 168f.
2 Joachim Fugmann, Zu Vir. ill. 2. 10, in: Prometheus 16 (1990), S. 43f.
3 Walter K. Sherwin Jr., Scribe and Ovid, Ex ponto 1.2, in: Classical Bulletin 44 (1967); S. 29–30; Walter K. Sherwin Jr., De viris illustribus 2.9., in: Classical World 62 (1968), S. 10; Robert Dale Sweeney, The ascription of a certain class of MSS of the De viris illustribus of the Pseudo-Aurelius Victor, in: Rheinisches Museum für Philologie 111 (1968), S. 191–192; Walter K. Sherwin Jr., The title and manuscript tradition of the De viris illustribus, in: Rheinisches Museum für Philologie 112 (1969), S. 284–286; Nevio Zorzetti, Il Codex Danielensis del De viris illustribus, in: Atti della accademia della scienze di Torino, classe di scienze morali, storiche e filologiche 105 (1971), S. 109–122; Walter K. Sherwin Jr., De viris illustribus. An unexamined codex, in: Manuscripta 17 (1973), S. 181; Marieluise Deissmann-Merten, Zu einem Ausspruch des Scipio Aemilianus, in: Chiron 4 (1974), S. 177–181 (zu 58,8); Luigi Bessone, Di alcuni „errori“ di Floro, in: Rivista di filologia e di istruzione classica 106 (1978), S. 421–431; Lorenzo Braccesi, De viris illustribus e falsificazioni augustee (in margine ai primi due consoli della repubblica), in: Rivista di filologia e di istruzione classica 106 (1978), S. 63–75; Jerzy Linderski, A witticism of Appuleius Saturninus, in: Rivista di filologia e di istruzione classica 111 (1983), S. 452–459 (Neudruck: Roman questions, Stuttgart 1995, S. 534–541 mit Addenda S. 670–671 und Roman questions II, Stuttgart 2007, S. 634 zu 73,6-8); Georges Delvaux, Des proches parents. Plutarque et les De viris ill. v. R. (pseudo-Aurélius Victor), in: Études classiques 61 (1993), S. 13–23 u. S. 115–130; Alexis D’Haucourt, „Quand je serai grand, je serai banquier“. Une idée du jeune M. Aemilius Scaurus?, in: Revue belge de philologie et d’histoire 79 (2001), S. 203–211 (zu 72,2); Jacques Elfassi, Ostie et ostium chez Isidore de Seville: Festus, Ps.-Aurélius Victor, Servius auctus et quelques autres, in: Eruditio antiqua 4 (2012), S. 357–370. Eine französische Schulausgabe der Schrift von Stéphane Ratti von 1997 wurde mir nur aus der Rezension von Marcel Meulder, in: Latomus 59 (2000), S. 240f. bekannt. Aus den zahlreichen Qualifikationsschriften der Ohio State University, von denen einige nicht mehr verfügbar zu sein scheinen (S. 25, Anm. 68), hätte man noch auf die beiden verweisen können, die mittlerweile digitalisiert sind: Mildred Wagner / An examination of the Codex Borbonicus C IV 48 of the anonymous Liber de viris illustribus, M.A. Thesis Ohio State University 1935, in: OhioLINK, http://rave.ohiolink.edu/etdc/view?acc_num=osu1392047401 (01.03.2018); Louis A. Zarembski / A comparison of content and historical method in the anonymous Liber de viris illustribus urbis Romae, Florus, and Velleius paterculus, M.A. Thesis Ohio State University 1935, in: OhioLINK, http://rave.ohiolink.edu/etdc/view?acc_num=osu1298294360 (01.03.2018).
4 Es fielen nur vier Detailfehler auf: Die Schrift Origo gentis Romanorum (S. 17, Anm. 35) wurde wohl erst nachträglich in den Chronographen von 354 eingearbeitet (dazu jetzt die neue Edition von Bleckmann u.a.); der S. 21, Anm. 55 zitierte Beitrag von Wiseman findet sich S. 408f. (so auch S. 31, Anm. 99), nicht aber S. 406f. (S. 21, Anm. 55); S. 73 bei 17,4 „sechszehnten“; die Dissertation Rosenhauers wurde nicht in Kempten (S. 490), sondern in Erlangen eingereicht (in Kempten wurde sie nur gedruckt).
5 Vgl. auch die Rezensionen von Ulrich Lambrecht, in: Historisch-politisches Buch 65 (2017), S. 246f., und Michael P. Schmude, in: Forum Classicum 60/3 (2017), S. 175f.

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