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Titel
Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Vowinckel, Annette
Reihe
Visual History. Bilder und Bildpraxen in der Geschichte 2
Erschienen
Göttingen 2016: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Stiegler, Fachbereich Literaturwissenschaft, Universität Konstanz

Der Untertitel von Annette Vowinckels umfassender Studie lässt eine Reflexion über das Bildhandeln erwarten, das sich vor allem dank Horst Bredekamp und Gerhard Paul seit einiger Zeit einer regen, wenn auch umstrittenen theoretischen Beliebtheit erfreut.1 Der Historiker Gerhard Paul ist zudem Mitherausgeber der Reihe. Die Formel „Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert“ verspricht eine historische Präzisierung dieser theoretischen Agenda. Auch die Einleitung verfolgt noch dieses Anliegen, indem die Autorin dort programmatische Überlegungen zum Bildhandeln anstellt, diese analog zu Sprechakten begreift und einen Wandel der politischen Kommunikation nicht zuletzt aufgrund der massenhaften Verwendung der fotografischen Bilder konstatiert. Ihre These, dass die Geschichtswissenschaft besser und kompetenter in der Lage sei, die „Geschichte der Öffentlichkeit und vor allem die Geschichte von Institutionen wie Presseorganen, Bildagenturen und Zensurbehörden zu erforschen, als die Kollegen aus der Kunstgeschichte“ (S. 15), legt die Latte relativ hoch und geht von einem recht klassischen Wissenschaftsverständnis aus, das mir spätestens seit Aufkommen der disziplinenübergreifenden Arbeiten zur Visual Culture ein wenig überholt zu sein scheint. Wie dem auch sei, die Fragen werden jedenfalls präzisiert und das Profil geschärft: „Was ist also eine Bildhandlung und was unterscheidet eine Bildhandlung von einer Sprachhandlung? Welche Formen des Bildhandelns hat die Moderne im Schatten der Massenproduktion und -reproduktion von Bildern hervorgebracht? Im welchem Verhältnis steht das Bildhandeln zum großen Ganzen des Politischen?“ (Ebd.) Das sind lauter große Fragen – auf die das Buch dann bedauerlicherweise eine Antwort schuldig bleibt, da im darauf Folgenden, um es so zu sagen, das Bildhandeln durch den Handel mit Bildern ersetzt wird. Gegenstand des Buches ist nämlich mitnichten eine theoretische Klärung des Bildhandelns, sondern eine materialgesättigte Rekonstruktion der Geschichte der Fotoagenturen und darüber hinaus. Es geht also um den historisch präzise zu fassenden Handel mit Fotografien.

Zu Beginn liest sich das noch anders. In der Einleitung verfolgt Annette Vowinckel nämlich durchaus die theoretischen Linien etwas weiter, unterscheidet verschiedene Kategorien des Bildhandelns und leitet dann zu einem neuen Begriff über: demjenigen des bzw. der „Agenten der Bilder“. Das wird dann ihr eigentlicher Gegenstand sein. „Die ‚Agenten der Bilder‘ sind also diejenigen oft namenlosen Akteure, die dafür sorgen, dass die Bilder selbst zum Zug kommen können. Nur im Zusammenspiel von ‚Bildhandlung‘ und ‚Bildakt‘ (Bredekamp) können die Bilder selbst agieren, handelnde Menschen affizieren und politische Entscheidungen präfigurieren.“ (S. 28) Bemerkenswerterweise wird das Buch hingegen zeigen, dass mitnichten von einem Bildhandeln in diesem Sinn die Rede sein kann, im Gegenteil: Annette Vowinckel führt anhand von zahlreichen Belegen und Quellen vor, wie das Bildhandeln geplant und organisiert wird, welche Kanäle es braucht und welche Institutionen, welche Agenten zu identifizieren sind und welche Rollen sich ausbilden. Es wird eben schlicht mit und durch die Bilder gehandelt. Dass Agenten – im Sinne von Vertretern von Fotoagenturen – nicht nur mit Bildern handeln, sondern dabei auch höchst praktisch politisch handeln, scheint mir nicht eigens begründet werden zu müssen. Allerdings ersetzt eine historische Rekonstruktion des ökonomischen Bildhandels eben weder eine Theorie des politischen Bildhandelns noch ist diese per se theoriefähig.

Mit anderen Worten: Wenn Annette Vowinckel der Kunstgeschichte einen Fehdehandschuh hingeworfen hat, so war das vielleicht etwas arg mutig. Denn das, was sie dann durchaus filigran ausführt, zeichnet sich zwar durch die Tugenden einer archiverprobten Geschichtswissenschaft aus, bietet aber mitnichten befriedigende Antworten auf die von ihr selbst aufgeworfenen großen Fragen. Das ist auch deshalb etwas irritierend, weil sie schließlich anderes in Angriff nimmt – und ihr dies dann auch gut gelingt. Wenn sie jedoch in der Einleitung erst einmal fünf „idealtypische Fälle“ beschreibt, „in denen Bilder als Argumente fungieren: die Herstellung einer visuellen Öffentlichkeit (1), Agitation, Propaganda und Public Relations (2), Solidarisierung mit den Opfern von Krieg und Gewalt sowie humanitäre Anklage (3), die fotografische Subversion (4) und die Beibringung von Evidenz (5)“ (S. 19), überrascht dann doch die Aussage, dass die Struktur des Buchs nicht den Kategorien folge, sondern diese nur als „mentales Rüstzeug“ (S. 27) verwende. Auf eine Präzisierung der Theorie aufgrund der historischen Recherchen wird man also vergebens warten.

Mit dem zweiten Kapitel „Die Entstehung einer globalen visuellen Öffentlichkeit“ beginnt dann das Buch gewissermaßen neu: Nun geht es fortan um Agenten im Sinne von Presse- und Bildagenturen. Und was dann folgt, ist eine ohne jeden Zweifel kompetente, gut recherchierte, enorm materialreiche und informative Studie. Warum dann aber überhaupt diese Einleitung, die Vorgaben macht, die das Buch schlicht nicht einlösen kann, weil es einen anderen Fokus hat? Man könnte natürlich am Ende noch einmal den theoretischen Faden aufnehmen und Überlegungen anstellen, in welcher Weise der Durchgang durch das historische Material Antworten auf die eingangs gestellten Fragen ermöglicht und Neujustierungen der theoretischen Kategorien gestattet. Doch dafür bleibt die Schlussreflexion zu allgemein und dann mit einem Mal auch zu defensiv. Um die Dinge noch einmal deutlich zu sagen: Mir geht es nicht darum, eine überaus solide und alles in allem überzeugende historische Studie zu „verreißen“ oder der Geschichtswissenschaft ihren theoretischen Deutungsanspruch abzusprechen, wohl aber um eine Kritik eines übergroßen Programms. Denn das, was das Buch leistet, steht im Konflikt mit den arg schematischen Kategorien der Einleitung.

Annette Vowinckel leistet dann in ihrem Buch durchaus Beachtliches: In vier großen Teilen stellt sie die Geschichte der Bildagenturen und -institutionen von den Anfängen bis zur Gegenwart dar, wertet eine Fülle von Archivmaterial aus, wartet mit bemerkenswerten Thesen auf (etwa jener, dass es eine signifikante Ähnlichkeit der Propaganda in England, Japan und Russland gegeben habe) und hat noch dazu eine Fülle von Bildern ausgewählt, die das Dargestellte schön ergänzen und illustrieren. Sie hat zudem auf viele Interviews mit Zeitzeugen zurückgegriffen, die – bemerkenswert genug – bereits zum Archivmaterial geworden sind, und diverse Einzel-Archive gesichtet – von der Associated Press (AP) bis hin zur japanischen Zeitschrift „Nippon“. Wir erfahren viel über die interne Organisation der Agenturen, über die Kommunikationskanäle und über die Beziehungen zwischen den Fotografinnen und Fotografen und denjenigen, die ihre Bilder verwerten, vertreiben und verkaufen. Wir lernen, wie die Netzwerke auf- und umgebaut werden, wie Pressefotografen ihre eigene Arbeit beschreiben (salopp formuliert: eher machistisch mit Tendenz zum Alkohol und beim Genre mit einer signifikanten Neigung zum Abenteuerroman), die Propaganda von Staats wegen organisiert wird und für die Fotografie sogar eigene Institutionen gegründet werden. Wir erfahren weiterhin, dass in einem Regime wie der DDR die Macht der fotografischen Bilder eher niedrig angesetzt wird und dass umgekehrt die Vereinigten Staaten aus den Vietnam-Desaster auch kommunikationspolitische Konsequenzen zogen und nur „embedded journalists“ zuließen. Die multinationale Anlage des Buchs ist Programm: Es geht Annette Vowinckel weniger um große Entwicklungslinien der Dokumentarfotografie vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart als um differenzierte Einzelanalysen, die die Bilder und ihre Agenten im jeweiligen historischen Kontext analysiert. Gerade durch diese Nebeneinanderstellung von Ländern wie Japan, den Vereinigten Staaten und der DDR ergibt sich ein differenziertes und nicht zuletzt oft auch überraschendes Bild hinsichtlich solcher Themen wie Zensur, Subversion, staatlichen Aufträgen und staatlicher Kontrolle.

Das Buch ist durchweg sachlich und mit einigen ironischen Pointen geschrieben, breit belegt und überaus anregend. Auch die unterschiedlichen Berufsgruppen des Fotojournalisten und des Bildredakteurs werden (mitsamt einschlägigen zeitgenössischen Büchern zum Thema) eingehend vorgestellt. Besonders interessant ist der umfassende Teil, der der Fotografie im Staatsdienst gewidmet ist und anhand von Fallstudien von verschiedenen politischen Systemen auch deren Umgang mit Bildern in den Blick nimmt. Und eine Lektüreempfehlung zum Schluss: In Zeiten der Trump’schen „fake news“ lese man insbesondere das Kapitel über „White House Staff Photographers“ (S. 236–255).

Anmerkung:
1 Vgl. dazu exemplarisch Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013, sowie Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Frankfurt am Main 2010. Zu Pauls Buch siehe auch meine Rezension, in: H-Soz-Kult, 29.11.2013, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-20132 (19.10.2017).

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