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Titel
Das Humboldt-Forum. Eine Ethnografie seiner Planung


Autor(en)
Bose, Friedrich von
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S., 37 Abb.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Markus Tauschek, Freiburg

Ein Rohbau mit Gerüsten an den ersten Stockwerken, Baukräne, Bagger und Baumaterial, und im Hintergrund der Berliner Funkturm – eine Baustelle. Der Umschlag der von Friedrich von Bose vorgelegten Dissertationsschrift steht paradigmatisch für den Forschungsgegenstand: Es geht um eine ethnografische Annäherung an die komplexen Planungsprozesse zum Berliner Humboldt-Forum, das im rekonstruierten Berliner Schloss entstehen soll. Damit knüpft von Boses Studie an die ebenfalls ethnografisch ausgerichtete Arbeit der Berliner Europäischen Ethnologin Beate Binder zum Berliner Schlossplatz und zu den Debatten um die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses an der Stelle des Palasts der Republik an.1 Beide Studien zusammen entwickeln ein faszinierendes Bild zur gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bedeutung und Genese eines spezifischen Raums im Herzen der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.

Fünf Jahre lang hat von Bose den Planungsprozess ethnografisch begleitet. Einmal losgetreten, laufe dieser unbeirrbar weiter – mit Widersprüchlichkeiten, kontingenten Entscheidungen und machtvollen Positionierungen der darin beteiligten Akteur/innen und Akteursgruppen. Die Arbeit hebt mit spannenden Fragen an. Warum und in welchen Kontexten und mit welchen Begründungen etwa entschied man sich für den Einzug der ethnologischen Sammlungen in das Humboldt-Forum? Welche Narrative wurden nach innen wie nach außen – an eine breite Öffentlichkeit – vermittelt? Welchen kulturellen Logiken folgten die Planungsprozesse? Wie waren die damit verbundenen Aushandlungsprozesse konturiert?

Das ausgewählte Feld ist – wie auch schon im Rahmen der bereits erwähnten Schlossplatzdebatte – für eine kulturwissenschaftliche Analyse höchst gewinnbringend, stoßen hier doch nicht nur verschiedenste Akteur/innen mit zum Teil gegenläufigen Interessen aufeinander. Die Studie kann auch zeigen, wie ethnologische Sammlungen heute in Deutschland im Rahmen postkolonialer Debatten neu bewertet werden. Und gleichzeitig manifestieren sich, so Bose, kulturpolitische und stadtidentitäre Logiken. Es sind also viele Themen, die an einem Ort zusammentreffen. Damit ist die Arbeit gleichzeitig eine museologische, die sich mit dem sozialen Leben spezifischer Sammlungen befasst, eine kulturpolitische, die sich mit übergeordneten Fragen kulturpolitischer Governance auseinandersetzt, und eine Arbeit, die mit dem ethnografischen Fokus auf Planungsprozesse einen spezifischen Modus der Herstellung von Wirklichkeit und Zukunft kulturanalytisch untersucht. Und letztere stellen, so von Bose in seiner methodologischen Reflektion, eine große Herausforderung dar, gelte es doch, die zeitliche Abfolge, das Überholt-Sein von Unterlagen und sich rasch wandelnde Entscheidungsgrundlagen und -kontexte zu erfassen. Rein praktisch stellte sich etwa das Problem, dass Unterlagen mitunter schwer zu erhalten waren, wenn sie für die beteiligten Akteur/innen bereits obsolet geworden waren. Ohnehin war die Studie mit methodischen Herausforderungen verbunden: Mit einem kulturpolitisch mitunter heiklen Thema, mit Herausforderungen des Feldzugangs oder mit disziplinären Friktionen, die sich daraus ergaben, dass von Bose als Europäischer Ethnologe bei und mit Ethnolog/innen im Kontext der ethnologischen Sammlungen forschte. Die Rolle des Forschenden war hier besonders herausgefordert. All diese Punkte reflektiert der Autor in vorbildhafter Weise – er nutzt die Erkenntnisse aus Feldzugang und Positionierung für die Analyse.

Die Arbeit selbst ist in vier größere Abschnitte unterteilt. Der erste Teil nähert sich dem Feld und reflektiert theoretische Prämissen und Fragen der methodischen Zugriffe. Der zweite Teil untersucht die kulturpolitischen Entscheidungsprozesse zum Humboldt-Forum. Von Bose interessiert sich hier für jene Diskursformationen, die das kulturpolitische Projekt plausibel machten. Wie wurde also diskursiv die Bedeutung des Humboldt-Forums für Berlin und die Bundesrepublik hergestellt? Hier zeigt sich beispielsweise, wie sich mit dem Fokus auf außereuropäische Kulturen u.a. auch geschichtspolitische Revisionen artikulierten. Mit der diskursiven Absage an als überholt wahrgenommene eurozentrische Perspektiven verband sich beispielsweise dann auch eine Distanzierung von überkommenen völkerkundlichen Ausstellungen (und damit häufig verbunden einer Abwertung) nicht-europäischer Gesellschaften. In der Plausibilisierung des Humboldt-Forums – so interpretiert von Bose – ging es auch um Distanzierungen von der eigenen Geschichte, von der eigenen Kultur und den Kulturen der Welt. In diesen Distanzierungen fand sich häufig die Rede vom Dialog. Und diese impliziere stets auch die diskursive Herstellung der vermeintlich eigenen Kultur – es ging also um ein „Differenzverhältnis“ (S. 76) und letztlich um „Vorstellungen kultureller Zugehörigkeit und Diversität“ (S. 77). Ein spannender Effekt, der die Ambivalenzen in den Deutungen ganz besonders sichtbar werden lässt, liegt in der damit verbundenen ‚Europäisierung’ der anderen Museen auf der Berliner Museumsinsel. Von Bose kann zeigen, wie die Rede von einer Schwerpunktsetzung auf außereuropäische Kulturen im Humboldt-Forum eben gleichzeitig auch den Fokus auf Europa in den umgebenden Häusern herstellte. Die Planungsprozesse insgesamt seien von Ambivalenzen durchzogen: Die Plausibilisierungsstrategien „knüpfen an gesellschaftlich etablierte Vorstellungen über ‚Kultur’ und ‚kulturelle Differenz’ an. Dabei werden selbst im Versuch, die gesellschaftliche Realität als von Uneindeutigkeit und von kulturellen Verflechtungen geprägt zu beschreiben, in den konkreten Narrativierungen die Grenzen doch wieder vereindeutigt, wird die Praxis der kulturellen Grenzziehung affirmiert.“ (S. 112)

Die Planungsprozesse zum Ausstellungskonzept stehen im Zentrum des folgenden Kapitels. Auch hier macht von Bose Ambivalenzen aus. So folgte das Museumskonzept von 2008 überwiegend einer kulturräumlichen Aufteilung. Während die interdisziplinäre Ethnizitätsforschung mit Nachdruck auf die Konstruktion ethnischer Differenz hingewiesen hat, fanden sich in der Beschreibung einzelner Ausstellungsabteilungen Hinweise darauf, dass die musealen Repräsentationen in sich vermeintlich geschlossene Ethnien im Blick hatten. Auch in der kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte schienen problematische Klassifikationssysteme reproduziert zu werden.

Am Beispiel der geplanten Afrika-Abteilung zeigt von Bose etwa eindrücklich, wie Kurator/innen zwar Fragen der Dezentrierung, der museologischen Autorität oder der Fragmentierung kritisch-reflektierend artikulierten, nicht aber die nach geografischen Kriterien ausgerichtete Aufteilung der Abteilungen, die die diskursive Dekonstruktion in gewisser Weise konterkariert.

Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit dem mit über vier Millionen Euro von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Humboldt Lab Dahlem, das 2013 seine Arbeit aufnahm. Hier analysiert von Bose beispielsweise interventionistische und partizipative Formen des Nachdenkens über die neue Ausstellung, wenn etwa Mäntel von Besucher/innen in Vitrinen ausgestellt wurden. Die Grenzen von Partizipation wurden dabei jedoch ebenfalls sichtbar, so etwa, als Flyer der Aktivistengruppe „No Humboldt 21!“ schnell wieder aus einer Vitrine entfernt wurden. Ähnlich zu den bereits problematisierten Vorstellungen von Ethnizität zeigte sich auch im Experiment des Ausstellens der Identität von Besucherinnen und Besuchern letztlich „ein essentialistisches Verständnis von kultureller Herkunft“ (S. 272). Insgesamt interpretiert von Bose das Humboldt Lab Dahlem als Störung klassischer Ausstellungskonstellationen, waren etwa die Kurator/innen hier auch mit der Infragestellung ihrer eigenen Rolle konfrontiert.

Von Boses Arbeit liefert faszinierende Einblicke hinter die Kulissen eines Planungsprozesses. Sie zeigt in eindrucksvoller Weise Kontingenzen, Widersprüchlichkeiten, Ambivalenzen. Sie zeigt ebenfalls, wie trotz aller kritischen Reflexion überkommene Deutungsmuster und Ausstellungspraktiken reproduziert werden und wo gleichermaßen die Grenzen musealer Darstellung liegen können. Das Potenzial der Arbeit manifestiert sich ohne jeden Zweifel in einem durchgehend kritisch-dekonstruierenden Ton, der Versprechungen und Zwänge offenlegt. Ein resümierendes Fazit, das die einzelnen Argumentationsstränge noch einmal mit theoretischen Bezügen zusammengebunden hätte, hätte der Arbeit ebenso wie eine etwas breitere museologische Literaturbasis sicher noch gutgetan. Gleichwohl führt das geradezu offene Ende deutlich vor Augen, dass die untersuchten Planungsprozesse eben noch nicht abgeschlossen sind. Und so kann von Boses Arbeit ein gewichtiger Anstoß sein für eine folgende Arbeit, die sich mit der Realisierung der Museumskonzeption ebenso auseinandersetzt wie mit der Rezeption durch Besucherinnen und Besucher. Denn ob die formulierten Ziele im Humboldt-Forum dann auch beim Museumsbesuch erreicht werden können, bleibt eine ebenso spannende wie herausfordernde Frage.

Anmerkung:
1 Beate Binder, Streitfall Stadtmitte: Der Berliner Schlossplatz, Köln 2009.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/