Mittlerweile hat sich die Geschichte der Nachrichtendienste als eigenständiges Forschungsfeld weitgehend etabliert, auch wenn dies im deutschen Sprachraum nicht direkt sichtbar wird. Generell ist ihr Potential in der Militärgeschichte längst akzeptiert, der Krieg der Geheimdienste findet beispielsweise auch in jüngeren Darstellungen des Ost-West-Konflikts angemessene Beachtung.1 Diese und andere Einbettungen weisen die vielfältigen Aktivitäten von Nachrichtendiensten als einen relevanten Aspekt der internationalen Geschichte insgesamt aus. Ihre Tätigkeit beschränkte sich nie nur auf Spionage in unmittelbar sicherheitsrelevanten Bereichen. Sie betrieben zusätzlich Wirtschaftsspionage oder suchten mit verdeckter Propaganda und anderen Techniken fremde Regierungen und Gesellschaften zu beeinflussen. Im Extremfall unterstützten sie nahezu kriegsähnliche Operationen gegen Regierungen, die nicht genehm waren, oder führten sie gleich selbst durch. Zur Aufgabenbeschreibung gehörten und gehören Maßnahmen im Kampf gegen den Terror und die internationale Kriminalität, mitunter die Verfolgung der politischen Opposition im Ausland. Aufgrund der spezifischen Kompetenzen und Machtmittel wirken Nachrichtendienste seit jeher – in unterschiedlicher Intensität – nicht nur an der Implementierung politischer Entscheidungen mit, sondern auch an den relevanten Entscheidungsprozessen. Je nach Stellung in den staatlichen Machtstrukturen sowie in Abhängigkeit von politischen Kontrollmöglichkeiten können Nachrichtendienste die Außenpolitik ihrer Regierungen beeinflussen, prägen, oder konterkarieren. Den komplexen Verschachtelungen zwischen nachrichtendienstlichen Zugängen zu internationalen Beziehungen, Regierungsinteressen, innenpolitischen Konstellationen, innerdienstlichen bürokratischen Strukturen und individuellen Interessen einzelner nachrichtendienstlicher Akteure gehen Christoph Franceschini, Thomas Wegener Friis und Erich Schmidt-Eenboom in ihrer gemeinsamen Studie vor allem am Beispiel der Beziehungen der westdeutschen Organisation Gehlen (Org.) und ihrem Nachfolger, dem Bundesnachrichtendienst (BND), zu Diensten anderer NATO-Staaten und neutraler Länder nach. Schnell wird hierbei deutlich, dass die Neugier eines Nachrichtendiensts keine Grenzen kennt. Sie macht auch vor Verbündeten oder Nachbarn nicht Halt. Die enge Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen schließt die gegenseitige Erforschung in anderen Feldern keineswegs aus. „Spying on enemies, knowing your friends“, so hat Christopher Nehring kürzlich diesen allumfassenden Wissensdurst prägnant auf den Punkt gebracht. Die Unterschiede zwischen Freund und Feind werden möglicherweise in der Bewertung und gegebenenfalls in der Nutzung von Informationen gemacht, nicht aber in der Beschaffung.2 Der sogenannte NSA-Skandal beweist im Grunde nur, dass dieser Sachverhalt heutzutage immer noch zutrifft.
Für den Band bringen die drei Autoren Regionalkompetenz aus Süd-, Mittel- und Nordeuropa zusammen. Sie verzichten aber leider darauf, die Auswahl der untersuchten Dienste zu begründen. Ungeachtet dessen lässt sich eine enorme Bandbreite von Motiven und Zielsetzungen, aber auch von Problemlagen dieser grundsätzlich ambivalenten Kontakte von Org. und BND ins westliche und neutrale Ausland erkennen. Insbesondere die Ausführungen von Wegener Friis erweitern den Blick zusätzlich, indem sie die skandinavischen Perspektiven auf die Zusammenarbeit in den Blick nehmen. Auf diese Weise ergeben sich zudem interessante Einblicke in unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe und variierende Urteile ausländischer Dienste über die Qualität des westdeutschen Dienstes (S. 14f., 164, 203, 208).
Insgesamt schlüsselt der Band zahlreiche Dimensionen und Aspekte nachrichtendienstlicher internationaler Beziehungen auf. Für die eigene Arbeit konnten sicherlich alle Dienste vom partnerschaftlichen Nachrichtenaustausch profitieren. 1984 etwa soll die operative Beschaffung des BND (ohne die Technische Aufklärung) über 105.000 „Sachinformationen“ beigebracht haben, von denen 25.000 von „Partnern“ stammten (S. 45). Doch bereits hier lauerten Gefahren. Mittels gezielter Auswahl oder Färbung von Informationen mochten die Urheber den vermeintlichen Partner manipulieren, um ihn zu einer bestimmten Politik drängen zu können. Die Meldungen ließen Rückschlüsse auf Schwerpunkte und Leistungsfähigkeit eines Dienstes zu, auf Basiswissen also, das man vielleicht auch vor Partnern lieber geheim gehalten hätte. Immerhin machte etwa die CIA in Einzelfällen dem BND besonders gute menschliche Quellen abspenstig (S. 283). Dies waren jedoch nicht die einzigen, vielleicht nicht einmal die schwerwiegendsten Probleme. So agieren in vielen Staaten mehrere Sicherheits- und Nachrichtendienste mit internationalen Interessen. Über die bilaterale Kooperation läuft ein ausländischer Dienst immer Gefahr, für deren Konkurrenzkämpfe instrumentalisiert zu werden oder unter ihnen zu leiden. Daneben betrachtete im multilateralen Bereich beispielsweise die CIA ihre Zusammenarbeit mit Org. und BND als Chance, mehr über den französischen Dienst zu erfahren. Der gab sich gegenüber den US-Partnern im direkten Kontakt offenkundig sehr bedeckt. Auch in anderen Fällen kamen sich Nachrichtendienst und Politik immer wieder in die Quere. So pflegte der BND zwar lange Zeit Verbindungen zu den Diensten Francos, unterstützte später aber zugleich im Auftrag der Bundesregierung demokratische Gruppen in Spanien. In Italien kooperierte der BND mit Diensten, die innenpolitisch an der Zersetzung der italienischen Demokratie mitwirkten. Insgesamt schließlich kann die Entlarvung entsprechender Agenten und Spähoperationen, wie im NSA-Skandal gesehen, politische Beziehungen durchaus belasten.
Die bi- und multilateralen Spannungspotentiale wurden im Fall von Org. und BND durch dienstinterne Schwächen oder innenpolitische Gegensätze in der Bundesrepublik erhöht. Mitunter hatte die westdeutsche Zentrale in Pullach wenig Einfluss auf ihre Vertreter im Ausland, die beispielsweise mit persönlichen Verbindungen zu NS-Belasteten Probleme heraufbeschwören mochten. Zugleich machte sich der Dienst mit klandestinen Operationen gegen „befreundete“ Dienste quasi erpressbar. Es wurde schwierig oder teuer, beteiligte Agenten zu entlassen. Die latente Konkurrenz des BND zum Auswärtigen Amt schließlich führte in der praktischen Arbeit von Zeit zu Zeit zu Verzögerungen, Informationsverlusten oder Redundanzen. Die Liste von Schwachstellen der internationalen Kooperation ließe sich noch verlängern.
Doch trotz aller aufschlussreichen Einzelerkenntnisse kann das Buch nur als ein erster Schritt in Richtung einer fundierten Analyse des Themenkomplexes betrachtet werden. Das liegt einmal an der schwierigen Quellenlage. Archivstudien zu diesem Thema sind bis heute im Grunde unmöglich. Dass ungeachtet dessen viele Daten, Fakten, Personen und Verbindungen zusammengetragen werden können, das demonstrieren die Autoren. Sie arbeiten fast schon mit nachrichtendienstlichen Mitteln, wenn sie bilaterale Kontakte über gemeldete Bewegungen von Dienstflugzeugen rekonstruieren (S. 170). Über Inhalt und Qualität der nachgewiesenen Treffen sagen diese Beobachtungen selbst indes nichts aus. Und damit sind die Grenzen der Monographie auch schon genannt. Zu oft fehlt eine eingehende Analyse des eigentlichen Gehalts der unvollständig greifbaren Verbindungen und Maßnahmen. Dem Leser erschließt sich nicht, was mit den gesammelten Nachrichten geschah, Wert und Gefahren der wechselseitigen Durchleuchtung für ND und Politik bleiben im gegebenen Einzelfall wenig konkret. Mitunter unterbleiben notwendige quellenkritische Reflexionen über das genutzte Material, dargestellte Zusammenhänge können in der Form existiert oder eben nicht existiert haben. In bilateralen Verbindungen gab es deutlich auch Brüche oder Diskontinuitäten, Gründe für derartige Gesinnungswechsel werden nicht erläutert, ja, nicht einmal thematisiert (S. 35f., 128f., 162f., 176f., 182f., 212f., 277f.). Im Fazit markieren die Autoren diverse relevante Problemfelder einer internationalen Geschichte der Nachrichtendienste. Eine kompakte Geschichte von, wie es im Untertitel des Buchs heißt, „Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung“ von Org. und BND muss jedoch erst noch geschrieben werden.
Anmerkungen:
1 Vergleiche Zuletzt etwa Richard H. Immerman / Petra Goedde (Hrsg.), The Oxford handbook of the Cold War, Oxford 2013; Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hrsg.), The Cambridge History of the Cold War, 3 Bd., Cambridge 2010. Für den deutschen Sprachraum Magnus Pahl / Gorch Pieken / Matthias Rogg (Hrsg.), Achtung Spione! Geheimdienste in Deutschland von 1945 bis 1956, 2 Bd., Dresden 2016.
2 Christopher Nehring, Spying on Enemies – Knowing your Friends. Zur Geheimdienstkooperation und Aufklärung unter Verbündeten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016), 43–45 und S. 35–40.