M. Schindelegger: Die Armierung des Blickes

Cover
Titel
Die Armierung des Blickes. Margaret Bourke-Whites Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Schindelegger, Maria
Erschienen
Berlin 2017: Neofelis Verlag
Anzahl Seiten
373 S., 75 SW-Abb.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sandra Starke, Berlin

Margaret Bourke-White (1904–1971) war während des Zweiten Weltkriegs keine Berufsanfängerin mehr, sie hatte sich als Industrie- und Werbefotografin schon seit den späten 1920er-Jahren einen Namen gemacht. Nach Auftragsarbeiten für große Industrieunternehmen war sie ab 1930 verstärkt als Fotojournalistin tätig, mit Schwerpunkt auf Wirtschaftsthemen. Ihre Reisen führten sie nach Deutschland, Russland, Ungarn, Spanien, Großbritannien, Rumänien, Ägypten und in die Türkei. Seit 1936 stand sie für das neue Magazin „LIFE“ unter Vertrag, dessen innovative Bildredaktion primär Fotos zur Vermittlung von Inhalten heranzog. Nun verbreiterte sich Bourke-Whites Themenspektrum zusehends: Landschaft, Kultur, Gesellschaft, Religion, Tradition, Architektur und Straßenfotografie. Von ihr stammen aber auch die häufig rezipierten Portraits führender Politiker wie Winston Churchill und Josef Stalin, den sie der Legende nach im Jahr 1941 für ein Foto zum Lächeln brachte.

„Weil ich vor allem eine Photographin bin“, so Margaret Bourke-White in der Widmung zu ihrem 1946 erstmals erschienenen Buch „Dear Fatherland, Rest Quietly“, „habe ich mich hauptsächlich um ein ehrliches Bild bemüht und darauf verzichtet, Lösungen für die Probleme anzubieten, die ich dort vorfand.“1 Emotionale Distanz scheint bis heute fast ein Mantra der professionellen Kriegsfotografie zu sein: Neutral dokumentierende Fotografen – oder auch Fotografinnen – erzeugen mit technischer Hilfe Ausschnitte der Wirklichkeit, die Authentizität versprechen. Bourke-White agierte seit 1945 als Mitglied einer Siegernation, wenn auch nicht als Militärangehörige, sondern als 1942 akkreditierte Kriegsberichterstatterin. Wie bei fast allen Kriegsfotografinnen und -fotografen bestand an ihrer patriotischen Gesinnung kein Zweifel, der Sinn des Kriegs wurde nicht in Frage gestellt; vielmehr diente die Fotografie der Motivation und Zustimmung der US-amerikanischen Bevölkerung zum Krieg, zur Bildung einer Heimatfront und nach Kriegsende zur Besatzungsherrschaft in Deutschland.

In einer beeindruckend detailreichen Studie unternimmt Maria Schindelegger nun den Versuch, die „kulturhistorische Aufarbeitung eines Konvoluts historischer Kriegsfotografien [...] mit aktuellen Forschungsansätzen zur Bildpolitik von Kriegen [...] zu verbinden“ (S. 10). Sie sieht ihre Arbeit weniger im Umfeld der deutschen Bildwissenschaft als vielmehr im Kontext der US-amerikanischen Visual Culture Studies. Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung ihrer Dissertationsschrift, die am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München 2015 verteidigt wurde. Schindelegger verfolgt mit Hilfe des überlieferten Bildbestands im Wesentlichen drei Themen: Das Selbstbild der US Army („Der ,friedliche‘ Soldat: visuelle Zivilisierung des Krieges“), Orte der Auseinandersetzung („Aufeinandertreffen der Gegner: Metaphern eines entgrenzten Schlachtfeldes“) sowie den Blick auf die Anderen („Bilder vom Feind“). Diesen Hauptteilen stellt die Autorin zwei einleitende Kapitel zum Werdegang Bourke-Whites bis 1941 und zu den Rahmenbedingungen der Kriegsfotografie voran. Darin erläutert sie die Arbeitssituation des Journalismus an der Front, die allgemeine Zensur, die Bildpolitik der Regierung und die Haltung von „LIFE“. Die drei Hauptteile folgen einer chronologischen Ordnung, die sich aus den unterschiedlichen Einsätzen der Fotografin ergibt.

Im Teil zum Selbstbild der US Army schildert die Autorin überzeugend, wie die amerikanische Zivilbevölkerung durch vertraute Bildmuster der visuellen Massenkultur à la Hollywood, industrielle Massenproduktion und Fortschrittsglaube motiviert wurde, sich mit dem Krieg positiv zu identifizieren. Dazu bemühte Bourke-White verschiedene Sujets, wie Soldatenportraits als Heldenfiguren oder visuelle Ähnlichkeiten zu Abläufen der zivilen Industrieproduktion. Einzelne Fotografien Bourke-Whites konfrontiert und vergleicht Schindelegger auf anregende Weise mit ikonischen Bildern als Referenzen aus der visuellen Kultur der USA.

Das Kapitel zu den Orten des Kriegsgeschehens, die eben nicht mehr innerhalb eines klar definierten Schlachtfeldes vorzufinden waren, diskutiert so unterschiedliche Aspekte wie Luftbildfotografie, Kriegsindustrie und technisches Material wie auch Bilder von verletzten und toten Körpern. Bourke-White, so Schindeleggers These, war nicht wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen einer vormodernen Repräsentation des Kriegs verhaftet, sondern „setzte die [...] erfolgte Entgrenzung, Enträumlichung und Abstraktion des Schlachtfeldes gerade auf struktureller und prozessualer Ebene um“ (S. 118). Damit trug sie zur spezifischen Visualisierung des Zweiten Weltkriegs und seiner neuen Bedingungen bei, wie Schindelegger in ihrem umfangreichsten Kapitel nachweisen kann. Gerade in dem Abschnitt über die Körper der Soldaten scheint auch die Person der Fotografin stärker auf, die sich nunmehr bemühte, zerstörerische Aspekte des Kriegs deutlicher hervorzuheben. Durch Zensur, die Bildauswahl von „LIFE“ oder auch durch Materialverluste wurde sie zunächst an diesem Vorhaben gehindert, konnte die sozialdokumentarische Tendenz aber seit 1944 weiter ausbauen.

Im letzten Hauptkapitel beschäftigt sich Schindelegger mit zwei wichtigen Werkgruppen Bourke-Whites aus dem Frühjahr 1945. Bei der Visualisierung der besiegten Deutschen und ihrer Physiognomie ging es um die Frage, ob und wie man Anhänger/innen und Gegner/innen der Nazis unterscheiden und repräsentieren könnte. Bourke-White hatte dazu schon im März 1945 einen Auftrag von „LIFE“ erhalten, unter dem Titel „Faceless Fritz“. Anscheinend wurde das umfangreiche Material der Fotografin nicht gleich veröffentlicht, sondern erst in dem 1946 erschienenen Buch „Dear Fatherland, Rest Quietly“. Leider versäumt es Schindelegger an diesem Punkt, ergänzend zu ihrer gelungenen Analyse von Fotos und Texten die Entstehung des Buchs weiter zu kontextualisieren.

Bourke-White bewegte sich ab dem Frühjahr 1945 in einem Land, dessen Zivilbevölkerung mitnichten als unbeteiligt am Kriegsgeschehen gesehen wurde. Ihre moralische Überlegenheit und der Mangel an Empathie mit den besiegten Deutschen muss bei ihren Bildern immer mitgedacht werden. Die Kriegsberichterstatterin konzentrierte sich auf die Visualisierung des Anderen, das „Othering“: Deutsche waren keine Opfer, und ihr Bild sollte „eine kulturelle und moralische Differenz zur amerikanischen Nation herstellen“ (S. 38).

Die vielleicht bekannteste Werkgruppe, die Schindelegger bespricht, sind die Fotografien aus dem befreiten Konzentrationslager Buchenwald und seinem Außenlager Leipzig-Thekla. Die unfassbaren Szenen nur wenige Tage nach der Befreiung Buchenwalds am 11. April 1945 schockierten auch die erfahrene Fotografin: „Ich sagte mir ständig vor, ich würde erst dann an das unbeschreiblich gräßliche Bild in dem Hof vor mir glauben, wenn ich meine eigenen Photos zu sehen bekäme. Die Kamera zu bedienen, war fast eine Erleichterung, es entstand dann eine schwache Barriere zwischen mir und dem bleichen Entsetzen, das ich vor mir hatte.“2 Dabei stellt Schindelegger zwei Thesen auf: Bourke-White zeige zum Teil ein selbstbewussteres Bild der Häftlinge als andere Fotografinnen und Fotografen; und in einer Aufnahme thematisiere sie auch den voyeuristischen Charakter des Fotografierens im Konzentrationslager. Zwar vergleicht Schindelegger einige Bilder Bourke-Whites mit Aufnahmen anderer anwesender Fotograf/innen, doch lassen sich die beiden Thesen an den gezeigten Bildern nicht direkt nachvollziehen. Sicher wäre es für die Autorin hilfreich gewesen, sich mit den Ereignissen der Lagerbefreiung stärker auseinanderzusetzen – nicht nur aus der „Erlebnissicht“ der US-Armee, sondern auch aus der Perspektive der ehemaligen Häftlinge und der Geschichtsforschung.3 Insgesamt wirkt die Darstellung des wichtigen Themas verkürzt und enthält eine Reihe von Ungenauigkeiten, etwa die unkritische Verwendung des Schuldbegriffs im Zusammenhang mit der Reeducation-Politik der Alliierten.4 Leider werden in diesem Kapitel keine Beispiele gezeigt, wie die Bilder in „LIFE“ publiziert wurden. So erhält man weder einen Überblick zu den angefertigten Aufnahmen noch zu den publizierten Fotos.

Die Gesamtschau auf das allgemein bekannte fotografische Werk Margaret Bourke-Whites aus dem Zweiten Weltkrieg hinterlässt einen relativ stark fragmentierten Eindruck. Kaum ein populärer Bildband über den Verlauf dieses Kriegs kann auf die ikonische Qualität ihrer wohlkomponierten Bilder verzichten. Gerade weil die Fotografin im Krieg als erfahrene, hoch professionelle Bildjournalistin agierte, verschwindet ihr eigentlicher Arbeitsprozess in einer relativ kleinen Auswahl von Fotos, die es durch „zahllose Selektionsprozesse bis hin zur Veröffentlichung geschafft hat“ (S. 11). Leider kann das vorliegende Buch den Eindruck von Einzelbildern nicht auflösen, da auf die Wiedergabe von Kontaktabzügen aus dem Archiv der Fotografin verzichtet werden musste, wie Maria Schindelegger zu Beginn vermerkt (S. 11, Anm. 14). Ebenso sind die Fotos – wohl aus Kostengründen – nur spärlich in ihrem Veröffentlichungskontext als Bildreportage in „LIFE“ zu sehen. Beides vermisst man, wenn man einen tieferen Einblick in Bourke-Whites Werk sucht.5 Insgesamt ist das Buch eine gut lesbare und detaillierte Studie für alle, die sich mit diesem Werk auseinandersetzen. Besonders im Hinblick auf das komplexe Thema der Fotografie aus befreiten Konzentrationslagern zeigt es jedoch inhaltliche und methodische Schwächen.

Anmerkungen:
1 Margaret Bourke-White, Deutschland, April 1945. „Dear Fatherland, Rest Quietly“. Mit einer Einleitung von Klaus Scholder. Aus dem Amerikanischen übertragen von Ulrike von Puttkamer, München 1979, S. 23.
2 Bourke-White, Deutschland, S. 90.
3 Der damals 15-jährige Thomas Geve berichtet im Rückblick über die Fotografen: „Mit ihren funkelnden Kameras überfielen sie uns in unseren Schlafquartieren. ‚Habt ihr was dagegen, Jungs? Nur einen kleinen Schnappschuss für unsere Leute zu Hause.‘ – Aber mit Vergnügen! Wir stellten uns auf, Arm in Arm, und lächelten.“ Thomas Geve, Geraubte Kindheit. Ein Junge überlebt den Holocaust, Konstanz 2000, S. 235. Zu den ersten Wochen im befreiten KZ Buchenwald vgl. Volkhard Knigge, Opfer, Tat, Aufstieg. Vom Konzentrationslager Buchenwald zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR, in: Ders. / Jürgen M. Pietsch / Thomas A. Seidel (Hrsg.), Versteinertes Gedenken. Das Buchenwalder Mahnmal von 1958, Spröda 1997, Bd. 1, S. 5-94.
4 Die Alliierten wiesen den Deutschen keineswegs pauschal, wie später oft behauptet, eine Kollektivschuld zu. Einige alliierte Politiker waren zu Beginn der Reeducation-Maßnahmen zwar dieser Meinung; doch bald wurde sie zugunsten einer differenzierteren Einteilung von Tatschuld und Verantwortung aufgegeben. Die Konfrontation der Deutschen mit den Bildern der Konzentrationslager war stets mit der Frage nach der Verantwortlichkeit der Gesellschaft verbunden, in deren Namen solche Verbrechen begangen worden waren. Vgl. Norbert Frei, Von deutscher Erfindungskraft oder: Die Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit, in: Rechtshistorisches Journal 16 (1997), S. 621-634.
5 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt die Rezension von Marion Krammer, in: Visual History, 10.07.2018, https://www.visual-history.de/2018/07/10/rezension-schindelegger-bourke-whites-fotografien-aus-dem-zweiten-weltkrieg/ (23.09.2018).