Der Senatorenstand der Spätantike steht seit langem im althistorischen Forschungsinteresse. Neben prosopographischen und epigraphischen Untersuchungsschwerpunkten, wie sie Arbeiten von André Chastagnol und Werner Eck zugrunde liegen, treten in neueren Arbeiten bei der Beurteilung des senatorischen Standesdenkens auch literarische Quellen in den Vordergrund, so bei Beat Näf,1 oder es wird, wie von Dirk Schlinkert,2 der spätantike "Senatsadel" mit Hilfe literarischer und rechtlicher Quellen begrifflich zu erfassen versucht. Dabei beherrschen in unterschiedlichem Maße sozial- und mentalitätsgeschichtliche Gesichtspunkte den Untersuchungsgang. In dieses Umfeld paßt gut hinein, wenn mit Hilfe des Bestandes an epigraphischen Nachrichten jetzt für einen überschaubaren Zeitraum (4. Jahrhundert und erste Hälfte des 5. Jahrhunderts) und ein begrenztes Gebiet (Stadt Rom) Fragen der senatorischen Selbstdarstellung in der Spätantike nachgegangen wird.
Heike Niquet hatte denkbar günstige Voraussetzungen, sich ein umfassendes Bild über den im Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) Bd. VI (Inscriptiones urbis Romae Latinae) publizierten einschlägigen Inschriftenbefund zu machen: Sie wirkte am Supplementband VI 8,3 dieser Edition mit,3 konnte das gesamte in Frage kommende Material einsehen und Inschriften durch Autopsie vor Ort erforschen. Hieraus ist die von Géza Alföldy betreute, 1998 eingereichte Heidelberger Dissertation entstanden.
In einem ersten Teil (S. 15-109) erarbeitet Niquet den äußeren Bedingungsrahmen für die von ihr untersuchten Inschriften, die sie zum Zweck einer sachgerechten Auswertung in Zusammenhang mit den dazugehörigen, meist nicht mehr erhaltenen Monumenten betrachten möchte. Sie geht die Aufstellungsorte für senatorische Ehren- und Grabdenkmäler durch und differenziert zwischen Monumenten im öffentlichen (Foren, besonders das Trajansforum und das Forum Romanum) und im "halböffentlichen" Raum, womit sie in nicht ganz glücklicher Diktion Denkmäler in den Privathäusern von Senatoren bezeichnet, "in denen Privatsphäre und Öffentlichkeit ineinanderflossen" (S. 26). Schließlich treten noch die Grabdenkmäler hinzu, deren Präsentation mehr auf die - privaten - Bedürfnisse der Familienangehörigen zugeschnitten ist.
Ein weiterer Schwerpunkt dieses Teils ist den Statuen gewidmet, ihrem Erscheinungsbild, ihrer Größe und dem Material, Aspekten, über die wegen der schlechten Überlieferung, was die spätantike Zeit betrifft, nur wenig Konkretes ausgesagt werden kann, manches aus der hohen Kaiserzeit abgeleitet ist, die Größe aus den Maßen der Basis erschlossen wird, das Material aus Angaben in der Inschrift. Hier wie auch bei den statuarischen Mehrfachehrungen treten bestimmte prominente Heerführer der Zeit und Angehörige der ersten Senatorenfamilien in den Vordergrund: der ältere Symmachus zum Beispiel, Stilicho, Flavius Constantius, Aëtius, Petronius Maximus. Hinzu kommen Überlegungen zum formalen Ablauf einer Ehrung durch eine Statue von der Initiative bis zur Aufstellung und ein Kapitel über die Wiederverwendung von Denkmälern oder Denkmalteilen in der Spätantike.
In diesen Kapiteln vergleicht Niquet die Ergebnisse der einschlägigen Sekundärliteratur mit den Befunden, die sie aus ihrem Inschriftenmaterial gewonnen hat. Ihre Überlegungen etwa zur (Über-)Größe von Statuen basieren auf den Ergebnissen der ungedruckten Magisterarbeit von Brigitte Ruck,4 denen sie sich anschließt und die letztlich hierdurch publiziert werden, beim Material setzt sie sich kritisch mit Götz Lahusens 5 Schlußfolgerungen bezüglich des Statuenmaterials auseinander, im Kapitel über die Verwendung von Spolien lehnt sie die landläufigen Begründungen (wirtschaftliche Motive, Mangel an Rohstoffen, Niedergang des Kunsthandwerks) ab und schließt sich den von Frank Kolb 6 und jüngst Christian Witschel 7 gebotenen Erklärungen an, die von einem Mentalitätswandel ausgehen, der einerseits von "einer neuen Wertschätzung der Vergangenheit" (S. 104), andererseits von "wachsendem Desinteresse an ästhetischen Gesichtspunkten" (S. 105) künde - freilich ohne daß sich das (einer gründlichen Untersuchung würdige) Phänomen damit befriedigend erklären ließe, wie sie selber erkennt (vgl. S. 109).
Im zweiten Teil (S. 111-226) geht es um die senatorische Selbstdarstellung im eigentlichen Sinne. Dieses Thema entfaltet Niquet konventionell auf dem Hintergrund der im späten 4. Jahrhundert durch Ammianus Marcellinus formulierten Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Lebensstil des Senatorenstandes,8 schließt - teilweise selbständige - Überlegungen zu Ammians Namensliste (XXVIII 4,7) an und ordnet sie in die Tendenzen senatorischer Selbstdarstellung der Zeit ein. Das Standesbewußtsein kommt traditionell im cursus honorum der Senatoren und, besonders bei herausgehobenen militärischen Vertretern, in der Darstellung spezieller Verdienste zum Vorschein. Im epigraphischen Material spiegelt sich dieser Aufwand wider, auch wenn die Ämterlaufbahn nicht vollständig und teilweise unbestimmt und vage aufgenommen, jedoch rhetorisch wirkungsvoll in Szene gesetzt wird. Niquet beobachtet auf öffentlichen Denkmälern die Tendenz zu einer gewissen Uniformität zugunsten der Standesrepräsentanz, in die sich auch das Lob der Tugend und der Bildung in Ehren- und Grabinschriften einfügt: "Der Mangel an Fakten wird durch Wortreichtum überspielt" (S. 158f.). Auf Ehrendenkmälern erscheinen zugunsten der Geschlossenheit des Senatorenstandes zumeist keine Aussagen zur Religionszugehörigkeit; traditionelle Wertvorstellungen haben Vorrang. Anders wird dies erst auf christlichen Grabmonumenten, die mit einem entsprechenden, jenseitsbezogenen Tugendlob ausgestattet sind.
Dem Verhältnis von Religion und Selbstdarstellung und der epigraphischen Würdigung von Frauen gelten eigene Unterkapitel. Schließlich geht Niquet noch auf den epigraphischen Befund im Zusammenhang mit der Errichtung und baulichen Pflege von Großbauten und Platzanlagen ein, für die im 4. Jahrhundert anstelle der Kaiser die Stadtpräfekten die Verantwortung übernahmen. Je weniger der Senat das Gravitationszentrum des Römischen Reiches war, um so intensiver pflegten seine Angehörigen durch Restauration des Baubestandes und in verbaler Form bis um die Mitte des 5. Jahrhunderts und teilweise darüber hinaus die Tradition. Exemplarisch für diese Tendenzen stehen die im Exkurs (S. 237-252) behandelten Inschriften auf den Grabdenkmälern für Vettius Agorius Praetextatus und seine Frau Fabia Aconia Paulina, engagierte Vertreter des Heidentums.
Niquets Dissertation belegt an der intensiven Auswertung der einschlägigen Inschriften Entwicklungstendenzen in der senatorischen Selbstdarstellung, wie sie Näf in seiner weitergefaßten Studie an literarischen Quellen namhaft macht, auch wenn sie dessen positives Urteil über die Darstellung individueller Züge in der Spätantike nicht teilt (vgl. S. 159; 164). Mögen die Ergebnisse Niquets, aufs Ganze gesehen, auch wenig Überraschungen bieten, so weisen sie doch anhand profunder Kenntnisse des epigraphischen Materials auf einem methodisch durchaus selbständigen Weg wesentliche Tendenzen senatorischer Selbstdarstellung in Rom stringent nach und bilden so ein wünschenswertes Korrelat zu Aussagen in literarischen Quellen und zu deren Interpretation. Für die dabei zugrunde gelegte Aspektvielfalt werden eine Reihe von Wiederholungen in Kauf genommen.
Hinsichtlich der zunehmenden Bedeutung der christlichen Konfession von Senatoren für die Abwendung vom überkommenen Wertegefüge unter Berücksichtigung eines zunächst noch tragfähig erscheinenden, traditionsgeprägten Konsenses hätte man sich vielleicht schärfer gefaßte Ergebnisse wünschen können, doch steht dieser Gesichtspunkt nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit Niquets.9 Für die Orientierung sehr nützlich sind die im Anhang beigegebenen tabellarischen Übersichten über die Ehreninschriften für Senatoren und Frauen des senatorischen Standes.
Anmerkungen
1 Senatorisches Standesbewußtsein in spätrömischer Zeit (Paradosis. Beiträge zur Geschichte der altchristlichen Literatur und Theologie 40), Freiburg/Schweiz 1995.
2 Ordo senatorius und nobilitas. Die Konstitution des Senatsadels in der Spätantike. Mit einem Appendix über den Praepositus sacri cubiculi, den "allmächtigen" Eunuchen am kaiserlichen Hof (Hermes-Einzelschriften 72), Stuttgart 1996.
3 CIL VI 8,3: Tituli magistratuum populi Romani ordinum senatorii equestrisque thesauro schedarum imaginumque ampliato, hrsg. v. Géza Alföldy, Berlin/New York 2000.
4 Kolossale Porträtstatuen in Rom, Magisterarbeit Heidelberg 1997 (ungedr.).
5 Zuletzt: Zu römischen Statuen und Bildnissen aus Gold und Silber, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 128 (1999), S. 251-266.
6 Die Stadt im Altertum, München 1984, S. 201f. (fehlt in Niquets Literaturverzeichnis).
7 Krise - Rezession - Stagnation? Der Westen des römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr. (Frankfurter Althistorische Beiträge 4), Frankfurt am Main 1999.
8 Vgl. bereits Näf (Anm. 1) S. 56-60.
9 Zu Unrecht ordnet Niquet den Usurpator Eugenius (392-394 n. Chr.) dem Heidentum zu (S. 79) - die Verhältnisse sind komplizierter -, und sie verwechselt Victoriaaltar und Victoriastatue (z. B. S. 175; 211; 251).