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Titel
Women Writing War. From German Colonialism through World War I


Herausgeber
Hammerstein, Katharina von; Kosta, Barbara; Shoults, Julie
Reihe
Interdisciplinary German Cultural Studies 24
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 339 S.
Preis
€ 86,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Helfert, Department of History/Department of Gender Studies, Central European University

In den letzten Jahren sind zahlreiche Forschungsarbeiten zur (deutschen) Gewaltgeschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts erschienen; viele von ihnen im Zuge der Zentenarien des Ersten Weltkrieges, der Novemberrevolution in Deutschland und der Gründung der Weimarer Republik.1 Der hier vorgestellte Sammelband ergänzt diese rezenten Publikationen und positioniert sich im Spannungsfeld von War und Gender Studies, wie die Herausgeberinnen betonen. Während es zwar Studien gibt, die die Kriegserfahrungen von Frauen thematisieren, werden hier auf innovative Weise die Kriege in den deutschen Kolonialgebieten und der Erste Weltkrieg in Verbindung gesetzt. Dies gelingt den Herausgeberinnen überzeugend und bindet den Sammelband an neuere Forschungen zu politischer Gewalt an und ergänzt diese um wichtige Aspekte.2 Die „interconnectedness“ des Ersten Weltkriegs und der deutschen Kolonialgeschichte kommt damit vielfältig zum Vorschein, ebenso wie die Kontinuitäten zum Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, ohne diese aber explizit zu betonen. Der Genozid an den Herero und Nama ist bis heute vom deutschen Bundesrat nicht als solcher anerkannt worden. Umso erfreulicher ist es, dass dieser Sammelband sich in seiner ersten thematischen Sektion den Herero-Kriegen3 (1904–1908) widmet, auch wenn kritisch angemerkt werden muss, dass keine namibische bzw. afrikanische Historikerin im Band vertreten ist.

Der Sammelband zeigt anhand von vierzehn Beiträgen die Bandbreite von möglichen weiblichen Kriegserfahrungen. Basierend auf Christine Sylvesters Definition von „war as experience“4 werden in einer multidisziplinären Zugangsweise in fünf thematischen Sektionen vor allem literaturwissenschaftliche Analysen von „kulturellen Produkten“ von Frauen – überwiegend Literatur und Egodokumente – vorgenommen.

Im ersten Abschnitt „Representations of Colonial Conflicts“ wird den Darstellungen der Herero-Kriege nachgegangen. Katharina von Hammerstein analysiert in ihrem Beitrag Kriegserzählungen von deutschen Siedlerfrauen und kontrastiert sie mit der vor allem mündlichen Überlieferung von Hererofrauen. Ihr Beitrag verdeutlicht die Prekarität der textlichen Tradierungen, da von der Siegerseite deutlich mehr Quellen überliefert sind. Von Hammerstein zeigt eindrücklich das kollektive Trauma von Vernichtung und Vertreibung in Liedern und Erzählungen der Nachkommen der Herero und Nama, während die deutschen autobiographischen Erzählungen vor allem zeigen, wie sehr die Stimmen von Frauen den Völkermord mittrugen, wenn diese etwa den Vernichtungsbefehl Generals von Trotha unerwähnt ließen. Cindy Patey Brewer beleuchtet in der Analyse der „mission memoirs“ der Missionarin Hedwig Irles den, wenn auch marginalen, Gegendiskurs zum deutschen kolonialen Vernichtungsdiktat. Maureen Gallaghers Lektüre von mehreren Mädchenbüchern zeigt in Ergänzung zu den beiden anderen Beiträgen, dass deutsche Frauen in den Kolonien eine größere Freiheit in der Ausgestaltung ihrer Geschlechterrollen hatten und damit auch bereitwillig am – von Trotha so titulierten – „race war“ (S. 31) teilnahmen. Die jugendlichen Heldinnen in diesen Büchern verteidigen ihre sexuelle Unversehrtheit etwa mit der Waffe in der Hand gegen Schwarze Männer – ein Umstand, der für die im Ersten Weltkrieg angesiedelte deutsche Mädchenliteratur undenkbar ist.

Damit leitet der letzte Beitrag zur zweiten Sektion über, die sich mit Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg aus den Kolonien befasst. Marianne Bechhaus-Gerst fragt in ihrer biographischen Skizze der Plantagenbesitzerin Frieda Schmidt in „Deutsch Ostafrika“ danach, wie sich der Erste Weltkrieg und die deutsche Niederlage auf die weißen Zivilisten ausgewirkt hat und konstatiert eine sich in den Egodokumenten Schmidts niederschlagende Umkehrung der kolonialen Ordnung. Livia Rigotti macht in ihrem Aufsatz über die sich teilweise widersprechenden Heimreiseerzählungen Frieda Zieschanks, nachdem die deutsche Kolonie Samoa von neuseeländischen Soldaten besetzt wurde, den Stellenwert von Literatur als Resonanz- und Kommunikationsraum zwischen besetzten Überseegebieten und dem Mutterland deutlich.

Dass es mit dem „Kolonialfieber“ keine friedliche Gesellschaft geben kann, hat schon die österreichische Frauenrechtsaktivistin Auguste Fickert Ende des 19. Jahrhundert konstatiert.5 In diesem Sinne folgt das dritte Kapitel zu Nationalismus und Pazifismus. Die Beiträge verdeutlichen die unterschiedlichen Positionen von frauenbewegten Aktivistinnen zu Krieg und Frieden anhand der beiden bekannten Autorinnen Bertha von Suttner und Ricarda Huch. Julie Shoults schließt diese Sektion mit einer überzeugenden Analyse von weniger bekannten Texten der österreichisch-deutschen Schriftstellerin und Kommunistin Hermynia Zur Mühlen aus den 1920er-Jahren ab. Ihre oft als Trivialliteratur wenig rezipierten Romane warben aus der Perspektive der sozialistischen Mutter für Frieden und Solidarität.

Im vorletzten Kapitel wird auf unterschiedliche Weise die in der Literatur dargestellte Kriegsarbeit von Frauen in den Blick genommen. In einer transnational vergleichenden Perspektive zeigt Jennifer Redmann die Enge der Handlungsspielräume von Mädchen in der deutschen Kriegsjugendliteratur. Die deutschen Jugendlichen hielten sich vor allem in der häuslichen Sphäre auf, während die britischen und amerikanischen auch als Fabrikarbeiterinnen oder Auxiliary Forces am Krieg teilnahmen. Redmann betont: „These differences […] emerge only through a transnational analysis, reminding us that the experience of war – and the way war is written and read – is fundamentally shaped by age, gender, and national identity.” (S. 227) Eine spannende Ergänzung dazu ist der Roman „Als die Männer im Grabe lagen“ der Sozialistin und Filmemacherin Maria Margarethe Hader, der 1935 unter dem Pseudonym Käte Kestien veröffentlicht wurde. Cindy Walter Gensler zeigt, wie Hader angesichts der nationalsozialistischen Zensur ihre Antikriegsbotschaft hinter der Geschichte einer arbeitenden Soldatenmutter verstecken musste, die (scheinbar) ihre patriotische Pflicht erfüllte.

Abgeschlossen wird der Band durch Beiträge, die „Narratives of Loss and Grief in Art and Literature“ nachzeichnen. Erika Quinn fragt, wie sehr die Romanlektüre von Frauen während und unmittelbar nach dem Krieg den circa 600.000 deutschen Kriegerwitwen in ihrer Trauerarbeit half, wenn gewohnte Rituale wie Begräbnisse nicht mehr zur Verfügung standen. Erika Kuhlmann gibt eine ausführliche Kontextualisierung zur wirtschaftlichen Situation dieser Bevölkerungsgruppe und ihrer (symbolischen) Teilhabe an der Nachkriegsgesellschaft. In einem berührenden Abschluss zeichnet Martina Kolb eine Kontinuität der Beschäftigung und Verarbeitung von Trauer in der Kunst von Käthe Kollwitz vom Beginn des 20. Jahrhundert bis in die 1930er-Jahre nach.

Viele der hier versammelten Beiträge laden die LeserInnen ein, sich genauer mit unbekannten Texten, vor allem der Populärkultur, auseinander zu setzen, und heben die Wichtigkeit, „Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie“6 zu betrachten, hervor. Darüber hinaus zeichnet sich der Sammelband dadurch aus, dass die koloniale Geschichte Deutschlands nicht nur eine Fußnote ist, sondern breiten Raum einnimmt, während die Nachgeschichte des Ersten Weltkrieges eher implizit durch die Publikationskontexte der behandelten Texte in den Blick kommt.

Anmerkungen:
1 Siehe z. B. Mark Jones, Founding Weimar. Violence and the German Revolution of 1918–1919, Cambridge 2016; Birte Förster, 1919. Ein Kontinent erfindet sich neu, Ditzingen 2018.
2 Vgl. z. B. Donald Bloxham / Robert Gerwarth, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Political Violence in Twentieth-Century Europe, Cambridge 2011, S. 1–10, hier S. 9.
3 Im Deutschen wird in der Regel vom Herero-Aufstand gesprochen, was, wie auch die Herausgeberinnen betonen, eine Verantwortung bei den kolonisierten Herero sucht und das deutsche Kolonialregime als legitimen Staat setzt.
4 Christine Sylvester, War es experience. Contributions from international relations and feminist analysis, London 2013.
5 Die internationalen Friedenskundgebungen der Frauen, in: Dokumente der Frauen Bd. 1, Nr. 6, 1.6.1899, S. 162 f, hier: S. 162, http://www.literature.at/viewer.alo?objid=1289&viewmode=fullscreen&scale=3.33&rotate=&page=24ate=&page=24 (01.03.2020).
6 Andrea Griesebner, Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie. Methodologische Anmerkungen aus der Perspektive der Frühen Neuzeit, in: Veronika Aegerter / Nicole Graf / Natalie Imboden (Hrsg.), Geschlecht hat Methode. Ansätze und Perspektiven in der Frauen- und Geschlechtergeschichte. 9. Schweizerische Historikerinnentagung, 13. und 14. Februar 1988 in Bern, Zürich 1999, S. 129–138.

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