„Wir leben im Zeitalter der Fitness.“ Mit dieser These eröffnet Jürgen Martschukat seinen Essay, in dem er kenntnisreich und virtuos durch Geschichte und Gegenwart eines Dispositivs führt, das als Anforderungsregime moderner Gesellschaften omnipräsent erscheint. Davon künden nicht zuletzt die sozial- und geschichtswissenschaftlichen Einordnungsversuche, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben und zu denen Martschukat selbst maßgeblich beigetragen hat.1 Auch eine kritische Gegenbewegung zum „Fitnesswahn“ hat sich längst formiert und findet im Buch Erwähnung.
Was kennzeichnet dem Verfasser zufolge das „Zeitalter der Fitness“, das er vor allem in Bezug auf die USA und (West-)Deutschland untersucht? Nicht durch Zwang, sondern durch die Etablierung einer gesellschaftlichen Norm werden Individuen zu einer Selbstführung angeleitet, in der sie sich eigenständig und verantwortungsvoll um ihre körperliche Fitness kümmern, um so leistungsfähig wie möglich zu sein. Dies schließt körperlich-sportliche Betätigung ebenso ein wie gesunde Ernährung und sexuelle Performance. Im Sinne eines „biological citizenship“ (Nikolas Rose) gerät die Fähigkeit zu solch einer Lebensführung zum Gradmesser staatsbürgerlicher Eignung und produziert laut Martschukat damit Ein- wie Ausschlüsse. So ist die Beschäftigung mit der eigenen Fitness stets mehr als eine körperliche Praxis: Sie hat gesellschaftspolitische Bedeutung. Diese Grundannahmen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Kapitel – an der einen oder anderen Stelle vielleicht zu oft reformuliert.
Chronologisch ordnet Martschukat das „Zeitalter der Fitness“ im engeren Sinne dem „Neoliberalismus“ zu, dessen Beginn er in den 1970er-Jahren ausmacht. Denn hier habe sich die Idee des eigenverantwortlichen, sein Verhalten auf Leistungsfähigkeit ausrichtenden Individuums mit besonderer Kraft entfaltet. Andererseits – und darin liegt eine der Stärken des Essays – geht Martschukat auch immer wieder den älteren historischen Spuren des Fitnessdispositivs nach. Eine wichtige Prägephase sieht er etwa in den drei bis vier Jahrzehnten um 1900. Noch einmal ausgeweitet, bezeichnet er Fitness sogar als „Kennzeichen und regulierendes Ideal“ der Moderne seit dem späten 18. Jahrhundert (S. 12).
Nach einer kurzen Einleitung, die diese Grundideen prägnant umreißt, werden sie im ersten Kapitel vertieft. Dabei wird speziell die Kehrseite von Fitness – nämlich Körperfett beziehungsweise „Dicksein“ – als integraler Bestandteil der Norm sichtbar gemacht. Auf diese Kehrseite richteten sich in der Konsum- und Überflussgesellschaft der Nachkriegszeit zum einen die verstärkt unternommenen Versuche, die Menschen zu gesunder Ernährung zu erziehen. Zum anderen waren auch die Diskurse, die sich rund um Kampagnen wie Trimm-Dich oder neue Bewegungsformen wie Joggen, Aerobic oder Fitnessstudios entwickelten, geprägt von der Sorge, individuelle Körper fit zu halten – und eben nicht dick werden zu lassen.
Das zweite Kapitel unternimmt einen begriffsgeschichtlichen Ausflug, der zeigt, dass das Konzept „Fitness“ bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, sich seitdem jedoch stark gewandelt hat. Während ihm anfangs das statische Verständnis einer Einpassung in die bestehende Ordnung zugrunde lag, wurde es im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend dynamischer gedacht. Speziell unter den Vorzeichen von bürgerlichem Liberalismus und (Sozial-)Darwinismus wurde Fitness als etwas begriffen, das es individuell zu erreichen und zu erhalten galt. Die Fähigkeit zur (auch körperlichen) Selbstführung war dabei gleichermaßen Voraussetzung wie Ausweis staatsbürgerlicher Eignung. Eine Intensivierung, ja einen „neue[n] Hype um den Körper“ (S. 87), brachte vor allem der Degenerationsdiskurs um 1900 mit sich, in dessen Mittelpunkt der Körper des weißen, bürgerlichen Mannes stand, dem eine „Verweichlichung“ diagnostiziert wurde. Ebenjener Krisendiskurs wurde in den 1950er-Jahren erneut virulent, als Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bewegungsmangel die Grundlagen der modernen Leistungsgesellschaft zu bedrohen schienen.
Doch erst seit den 1970er-Jahren entfaltete Martschukat zufolge das neue, individualisierte Fitnessdispositiv seine volle Wucht. Anhand dreier zentraler Komponenten desselben – Arbeiten, Sex haben, Kämpfen – geht der Verfasser diesem Wandel in den folgenden drei Kapiteln noch einmal gesondert nach und macht dabei stets auf die historischen Spuren aufmerksam. So wird etwa im Kapitel „Arbeiten“ dargelegt, wie sich der Ende des 19. Jahrhunderts etablierte Betriebssport in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin zu Corporate Fitness und betrieblichem Gesundheitsmanagement wandelte. Als gemeinsamen Nenner sieht Martschukat „das Bemühen um ‚vernünftig‘ erholte, gesunde, fitte Arbeiterkörper und deren höhere Leistungsfähigkeit“ (S. 111). Im Mittelpunkt stand meistens der neue Typ des Angestellten. Im Zuge des sich entfaltenden Fitnessdispositivs habe sich jedoch eine Verschiebung arbeitsbezogener Gesundheitsförderung ergeben – weg von paternalistischer „Fürsorge und Disziplinierung“, hin zu individueller „Eigenverantwortung und […] präventiver Selbstsorge“ (S. 136).
Das Kapitel „Sex haben“ fällt etwas aus der Reihe, weitet aber den Blick darauf, dass Fitness sexuelle Leistungsfähigkeit einschließt (oder als Ziel hat). Es geht hier vor allem um den Einsatz von Viagra, der laut Martschukat wiederum stellvertretend für andere Formen des körperlichen Enhancement steht, also der Leistungssteigerung durch medizinische oder technische Hilfsmittel. Angesichts der Verbreitung von allen möglichen Nahrungsergänzungsmitteln, aber auch sich verändernder materieller Ausstattungen, wäre es lohnend gewesen, dem weiter nachzugehen. Dies hätte jedoch mutmaßlich den Rahmen des Buches gesprengt und bleibt künftigen Studien vorbehalten. Sehr deutlich zeigt Martschukat stattdessen, welche Rolle die Furcht vor Impotenz und körperlicher Schlaffheit im Rahmen des sexbezogenen Leistungs- und Fitnessdiskurses spielt(e) und wie hetero-männerzentriert dieser Diskurs zugleich war (und ist).
Das Kapitel „Kämpfen“ widmet sich dem Zusammenhang von Fitness und Heldentum, welches wiederum lange Zeit stark soldatisch (und damit männlich) konnotiert war. Auch hier wird den Spuren dieser Verknüpfung bis ins ausgehende 19. Jahrhundert nachgegangen, als bürgerlich-soldatische Wehrhaftigkeit zunehmend an körperliche Leistungsfähigkeit gekoppelt wurde. Soldatisches Heldentum geriet allerdings unter dem Eindruck zweier Weltkriege und – im Falle der USA – durch den Vietnamkrieg in eine tiefe Krise. In postheroischen Zeiten lebten die westdeutsche und die US-amerikanische Gesellschaft laut Martschukat damit aber keineswegs. Vielmehr entstand seit den 1970er-Jahren ein „neuartige[s] Heldentum“, dessen „Fluchtpunkt […] weniger die Nation, sondern vielmehr das Ich und der eigene Erfolg“ (S. 204) bildete. Der Fitnessheld, der gegen den eigenen „Schweinehund“ ankämpft, entwickelte sich so zur „geradezu prototypische[n] Subjektform der Fitnessgesellschaft“ (S. 220).
Der Essay besticht insgesamt durch pointierte Zuspitzung sowie den Mut, große interpretative Bögen zu schlagen. Dies macht ihn zu einer spannenden und eingängigen Lektüre, die unbedingt zu empfehlen ist.2 Bei den folgenden Punkten handelt es sich daher weniger um eine Kritik an mangelnder Differenzierung im Detail als um Fragen, denen weiter nachzugehen das Buch einlädt.
Da wären zum einen die zeitlichen Einordnungen: Martschukat koppelt die Hochphase des „Zeitalters der Fitness“ eng an den „Neoliberalismus“. Aber lässt sich das für die USA und die Bundesrepublik Deutschland gleichermaßen behaupten? Viele Beispiele, die zur Kennzeichnung neoliberaler Fitnesspraktiken angeführt werden (Self-Tracking, Viagra, massenweise Verbreitung von Fitnessstudios), entfalteten ihre volle Dynamik erst Ende der 1990er- beziehungsweise Anfang der 2000er-Jahre. Hier bleibt vielfach noch offen, welche Veränderungen innerhalb dieser Zeit vor sich gingen. Auch bleibt die Zeitspanne zwischen dem ersten Fitnesshype um 1900 und dem eigentlichen „Zeitalter der Fitness“ ab den 1970er-Jahren etwas unterbestimmt. Sie erscheint vor allem als Unterbrechungsphase, in der stärker wohlfahrtsstaatlich-paternalistische Konzepte den Fokus auf das sich um die eigene Fitness kümmernde Individuum verdrängten. Allerdings betonen mehrere jüngere Beiträge, dass beispielsweise auch im nationalsozialistischen Betriebssport, in Sportangeboten von „Kraft durch Freude“ oder in DDR-Breitensportdiskursen Appelle an Gesundheit, Spaß an Bewegung, eigenverantwortliche Lebensführung und Freiwilligkeit zentral waren.3 Und zu diskutieren wäre ebenfalls, ob beispielsweise die Trimm-Dich-Kampagnen der 1970er- und 1980er-Jahre oder vergleichbare (halb)staatliche Kampagnen jüngeren Datums wirklich gut ins Bild des rein selbstverantwortlich handelnden Fitness-Individuums passen. Zugespitzt gefragt: Lässt sich das „Zeitalter der Fitness“ wirklich so eng an die 1970er-Jahre und den „Neoliberalismus“ koppeln?
Ein zweiter Aspekt, der Fragen aufwirft, betrifft die geografische Schwerpunktsetzung auf die USA und (West-)Deutschland: An vielen Stellen wird erkennbar, dass wir es mit einer komplexen Gemengelage von teils länderspezifischen Dynamiken, teils parallelen Entwicklungen, teils zeitlich verzögerten Übernahmeprozessen zu tun haben. Manchmal wird aber in der Darstellung nicht deutlich, welches dieser Phänomene gerade beobachtet wird. Interessant wäre es daher, diesen Aspekten noch systematischer nachzugehen, jedoch zugleich den Blick auf weitere – auch staatssozialistische – Länder oder andere Weltregionen auszuweiten.
Und schließlich werden einige spannende Punkte angerissen, können jedoch aufgrund des begrenzten Platzes nicht erschöpfend behandelt werden. So erscheint Fitness vorwiegend als weiß, männlich, heterosexuell konzipiert, wie Martschukat an mehreren Stellen hervorhebt und Fitness damit zugleich als intersektionale Kategorie kennzeichnet. Die Verwobenheit mit anderen sozialen Kategorisierungen (speziell Geschlecht) wird zwar angedeutet, könnte aber noch gründlicher untersucht werden. Damit zusammenhängend betont Martschukat ebenfalls, dass sich nicht-hegemoniale gesellschaftliche Gruppen Fitness durchaus eigensinnig angeeignet haben. Auf dieses Spannungspotenzial zwischen Selbstermächtigung und Anpassung an gesellschaftliche Normen hinzuweisen ist äußerst wichtig. Lohnend wäre es für künftige Studien, hierbei noch stärker die Perspektiven der Akteure einzubeziehen, etwa in Form von Selbstzeugnissen. Wirtschaftshistoriker/innen schließlich könnten den verstreuten Hinweisen zum Aufkommen einer Fitnessindustrie nachgehen – ein äußerst wichtiger Punkt für die Erklärung des Fitnessbooms in seinen verschiedenen Wellen, der in der Darstellung nur am Rande eine Rolle spielt.
Insgesamt liefert das Buch eine eindrückliche Interpretationsfolie mit vielfältigen Anknüpfungspunkten für weitere Untersuchungen, mithin im besten Sinne eine „Geschichte der Gegenwart“, wie vom Autor intendiert (S. 9). Ob das „Zeitalter der Fitness“ noch lange andauern wird oder aber, angesichts der vielen kritischen Stimmen, die sich mittlerweile gegen den „Fitnesswahn“ richten und alternative Modelle der Selbstführung propagieren, womöglich bereits im Vergehen begriffen ist, werden zukünftige Historiker/innen zu beurteilen haben.
Anmerkungen:
1 Jürgen Martschukat, The Pursuit of Fitness. Von Freiheit und Leistungsfähigkeit in der Geschichte der USA, in: Geschichte und Gesellschaft 42 (2016), S. 409–440; ders., Fitness and Fatness. Über Körper und Ausnahmezustände in der Zeitgeschichte, in: Hannah Ahlheim (Hrsg.), Gewalt, Zurichtung, Befreiung? Individuelle „Ausnahmezustände“ im 20. Jahrhundert, Göttingen 2017, S. 186–200; Jürgen Straub, Das optimierte Selbst. Kompetenzimperative und Steigerungstechnologien in der Optimierungsgesellschaft. Ausgewählte Schriften, Gießen 2019; Stefan Scholl (Hrsg.), Körperführung. Historische Perspektiven auf das Verhältnis von Biopolitik und Sport, Frankfurt am Main 2018; Nina Verheyen, Die Erfindung der Leistung, Berlin 2018; Dierk Spreen, Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft, Bielefeld 2015; Shelly McKenzie, Getting Physical. The Rise of Fitness Culture in America, Lawrence 2013; Simon Graf, Leistungsfähig, attraktiv, erfolgreich, jung und gesund. Der fitte Körper in post-fordistischen Verhältnissen, in: Body Politics 1 (2013), S. 139–157, http://bodypolitics.de/de/wp-content/uploads/2013/04/Heft_1_07_graf_leistungsfaehig_end.pdf (25.10.2019).
2 Das Buch hat auch schon breite Aufmerksamkeit im Feuilleton erfahren, wobei die Besprechungen in ihren Urteilen durchaus divergieren: Jens-Christian Rabe, Selbsthass macht fit. Der Körper des Ausdauerläufers: Der Historiker Jürgen Martschukat begleitet das neoliberale Selbst beim New-York-Marathon, in: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2019, Literaturbeilage, S. 16; Tobias Becker, Rambo würde CrossFit machen. Der Historiker Jürgen Martschukat untersucht das „Zeitalter der Fitness“. Die Trophäe des Sportlers heute: der trainierte Körper, in: Spiegel, 28.9.2019, S. 130–132; Andrea Diener, Was haben Schwarzenegger und Sloterdijk dazu zu sagen? Arbeit an den Körpern: Jürgen Martschukat versammelt Materialien zum Siegeszug der Fitness-Kultur, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2019, S. L18; Maja Beckers, Rennen ist die erste Bürgerpflicht. Fünfzig Jahre Fitness: Jürgen Martschukat scheucht den Leser vom Trimmpfad bis in die Crossfit-Box, in: ZEIT Literatur, 10.10.2019, S. 30, https://www.zeit.de/2019/42/juergen-martschukat-das-zeitalter-der-fitness-buch (25.10.2019).
3 Diana Wendland, „Turne!“ Bewegungsdiskurse in Werkszeitschriften während des Nationalsozialismus, in: Scholl, Körperführung, S. 153–176; Rüdiger Hachtmann, „Bäuche wegmassieren“ und „überflüssiges Fett in unserem Volke beseitigen“. Der kommunale Breitensport der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, in: Frank Becker / Ralf Schäfer (Hrsg.), Sport und Nationalsozialismus, Göttingen 2016, S. 27–66; Molly W. Johnson, Training Socialist Citizens. Sports and the State in East Germany, Leiden 2008.