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Titel
Censorship and Propaganda in World War I. A Comprehensive History


Autor(en)
Demm, Eberhard
Erschienen
London 2019: Bloomsbury
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
£ 85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roger Chickering, BMW Center for German and Europeran History, Georgetown University

Propaganda erschien im Rückblick als die große Wunderwaffe des Ersten Weltkrieges, das Mittel mit dem der Krieg moralisch gewonnen und die Solidarität der Heimat durch die schweren materiellen Strapazen des Krieges aufrechterhalten wurde. Im Urteil sowohl der Siegermächte als auch der Verlierer hing das Kriegsergebnis also direkt vom unterschiedlichen Erfolg der Kontrahenten ab, ihre moralische Überlegenheit bzw. die moralische Verwerflichkeit ihrer Feinde überzeugend darzustellen. Diese Auffassung, die 1927 eine vielbeachtete Würdigung in Harold Lasswells „Propaganda Techniques in the World War“ erhielt, wurde mittlerweile allgemein von Kommentatoren übernommen, ob Pazifisten, Soldaten oder radikalen Nationalisten. Dasselbe Argument tauchte auch 2014 während der Jahrhundertfeier des Weltkrieges in Deutschland wieder auf, obwohl der schmale Band Klaus-Jürgen Bremms die einzige deutsche Studie war, die der Kriegspropaganda im Allgemeinen gewidmet wurde. In den großen deutschen Überblicksdarstellungen Herfried Münklers und Jörg Friedrichs etwa wurde die These erneut verteidigt, dass die deutsche Niederlage im Weltkrieg unmittelbar auf der geschickten propagandistischen Kriegsführung der Westalliierten basierte, die es viel besser als die deutsche Führung verstanden, den Feind zu verteufeln und die Emotionen und Animositäten der eigenen Bevölkerungen aufzustacheln und nachhaltig zu mobilisieren.

Das neue Buch Eberhard Demms greift das allgemeine Problem der Propaganda im Ersten Weltkrieg wieder auf. Der Verfasser bietet eine detaillierte und breit angelegte, gut lesbare Einführung in die Problematik. Er zieht Materialien aus neun Ländern (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den USA, Italien, Russland, Belgien, Österreich-Ungarn und der Türkei) in Betracht, wobei den ersten vier Ländern die besondere Aufmerksamkeit des Verfassers gelten. Mit ausgewählten Beispielen aus diesen unterschiedlichen Kontexten setzt er den thematischen Fokus auf die Inhalte, Medien und Formen, Institutionen und Techniken, Protagonisten und Ziele der mündlichen wie schriftlichen Propagandakampagnen und der dazu gehörenden Zensur. Das Material wird durch einen ikonographischen Anhang bereichert. Das große Verdienst des Autors ist es also, auf Grundlage einer extensiven Bibliographie den bisher umfassendsten Überblick über die propagandistischen Aktivitäten der kriegführenden Staaten zu liefern. Hier findet man eine Fülle von Antworten auf grundsätzliche Fragen, etwa „How was propaganda organized?“ „How was the enemy ridiculed?“ „How was propaganda material distributed?“ und „How were entertainment and the visual arts transformed by propaganda?“

Zu bedauern ist jedoch, dass das Buch eine große analytische Chance verpasst, die eine derart breit gefächerte Quellenbasis öffnet. Die leitende Fragestellung wirkt etwas oberflächlich, indem sie sich überwiegend auf das „Wie“ der Propaganda bezieht und eine ganze Reihe von wichtigen Fragen ausblendet, die mit dem „Warum“ zu tun haben. Die reichen Details haben in der Regel die Funktion, interessante aber verstreute Beispiele zu liefern: das Kriegspresseamt als leitendes Gremium in Deutschland; österreichische Karikaturen, die den kleinen italienischen König Viktor Emmanuel III als Baby im Schoß seiner Frau darstellen, als Beispiel der propagandistischen Verspottung eines feindlichen Staatsoberhaupts; zwei britische Propagandastellen in Barcelona als Beispiel für die erfinderische Verteilung der Propaganda; ein italienischer Film über die Hinrichtung Edith Cavells als Beispiel für die Verteufelung des deutschen Feindes. Entsprechend wenig beschäftigt sich der Verfasser mit den übergreifenden Zusammenhängen, den wichtigen vergleichenden Fragen nach der historischen Einwirkung der Kriegspropaganda in unterschiedlichen nationalen Kontexten. So wird zum Beispiel die chronologische Entwicklung der Gestaltung und des Inhalts der Propaganda in den verschiedenen Ländern kaum thematisiert (S. 183). Die Eigenschaften „der Propaganda“ werden also gleichsam homogen definiert, als gäbe es keine nationalpolitischen Unterschiede in der Ausgestaltung und Funktion der Kriegspropaganda. Änderten sich die Thematik und Verbreitung der Propaganda in den kriegführenden Ländern im Lauf des Krieges? Welche propagandistischen Auswirkungen hatte etwa der Kriegseintritt der USA auf die anderen kriegführenden Länder, Feinde wie Freunde?

Solche Fragen wiegen besonders schwer im deutschen Fall. Auch in der neueren Literatur scheint die These weit verbreitet zu sein, dass die deutsche Kriegspropaganda, die von der OHL und anderen militärischen Einrichtungen geleitet wurde, aus eben diesem Grund fantasielos, plump, starr und ineffektiv im Vergleich zur britischen oder nordamerikanischen Propaganda wirkte. Soweit Demm dieses Problem thematisiert, argumentiert er, dass die deutsche Propaganda vor allem deshalb schwach war, weil die deutsche Sache nach den deutschen Gräueltaten in Belgien und Nordfrankreich am Anfang des Krieges moralisch nicht mehr zu verteidigen war. Reicht das als Erklärung oder wirkten sich etwa die Verfassungsformen der kriegführenden Länder auf den Charakter und die Effektivität der Kriegspropaganda aus?

Verpasst wird auch eine Auseinandersetzung mit der damit verbundenen Frage, wie wichtig die Kriegspropaganda für die Fortsetzung und das Ergebnis des Krieges eigentlich war. Der Verfasser geht davon aus, dass Propaganda in jedem kriegführenden Land eine „indispensable“ Rolle spielte. Ihre Funktion bestehe darin, „to keep the people in an atmosphere of utter ignorance and unshaken confidence in the authorities“ (S. 1). In dieser Verbindung weist er mit Sympathie auf die französischen HistorikerInnen der sogenannten „coercion school“ hin, die die Meinung vertreten, dass Zensur, Propaganda und brutale Disziplin an der Front die unentbehrlichen Bedingungen für die Fortsetzung des Krieges bildeten. Der Verfasser notiert zwar, dass viele Historiker in Frankreich und anderswo diese Meinung ablehnen, nimmt deren Argumentation aber nicht unter die Lupe, obwohl diese auch Fragen über einige seiner Thesen zur Kriegspropaganda erheben. Der Streitpunkt ist der Begriff einer „war culture“ als unverzichtbare, ungezwungene moralische Grundlage der populären Unterstützung des Krieges. Für die meist französischen Protagonisten dieser Auffassung war die Rolle der Zensur und Propaganda stets eine Sekundäre, da die Übereinstimmung zwischen Volk und Regierung im Namen der nationalen Verteidigung fundamental blieb. Auch Demm scheint dieser Argumentation einiges zuzugestehen, etwa wenn er die Frage streift, wie es mit „guter Propaganda“ bestellt ist (S. 180). Diese müsse, unterstreicht er, mindestens glaubwürdig sein, weil, so möchte man folgern, die Glaubwürdigkeit schließlich das Signum einer gewissen Übereinstimmung zwischen der Propaganda und den populären Überzeugungen ist. Den Behörden gelang es jedenfalls, weder die Soldaten im Feld noch die ZivilistInnen in der Heimat in „utter ignorance“ zu halten. Man lernte schnell, die Propaganda zu deuten.

Als Einführung in die Geschichte der Propaganda des Ersten Weltkrieges ist das Buch Eberhard Demms dennoch zu empfehlen. Nicht nur bietet es eine Fülle nützlicher Informationen zu verschiedenen Dimensionen dieses Problems, sondern es lädt zu weiterreichenden Fragen ein.

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