Wie haben sich die Ergebnisse frühneuzeitlicher Friedenskongresse auf regionaler und lokaler Ebene ausgewirkt? Diese Frage steht im Zentrum des Sammelbandes Frühneuzeitliche Friedensstiftung in landesgeschichtlicher Perspektive, der von Michael Rohrschneider unter redaktioneller Mitarbeit von Leonard Dorn herausgegeben worden ist. Es wirkt angesichts der zunehmenden Fülle von Studien zur Historischen Friedens- und Konfliktforschung zunächst überraschend, dass die aufgeworfene Frage ein Forschungsdesiderat berührt. Doch macht Rohrschneider genau dies in seiner Einführung überzeugend deutlich. Erst ein weiterer Band hat sich in jüngerer Zeit diesem Thema dezidiert gewidmet und sich dabei auf Hessen fokussiert.1 Im vorliegenden Werk wird der Blick nun auf mehrere Länder und Regionen ausgeweitet. Auch geht es um die Frage nach einer spezifischen Methodik, die dabei hilft, „die vorhandenen Erkenntnispotenziale“ (S. 8) aus der Verknüpfung von Landesgeschichte und Historischer Friedens- und Konfliktforschung zu nutzen.
Die Methodik steht denn auch in der ersten Sektion des Bandes im Vordergrund. Hier ist es der Beitrag von Siegrid Westphal, der einen greifbaren Ansatz liefert und dabei die Besonderheiten landesgeschichtlicher Friedensforschung für das Heilige Römische Reich aufzeigt. Demnach müsse – in Anlehnung an Peter Moraw und Volker Press2 – Reichsgeschichte mit Landesgeschichte verknüpft werden, um „politische Prozesse in ihrer Komplexität“ (S. 22) zu erfassen. In Bezug auf den Frieden bedeute dies, festzuhalten, dass die Landesherren dem Reichslandfrieden unterlagen und sie gemeinsam mit dem Kaiser zu dessen Erhaltung verpflichtet waren. Hervorzuheben ist schließlich Westphals Plädoyer, die Friedensordnung des Reiches als eine Friedenstradition innerhalb der deutschen Geschichte wiederzuentdecken, die angesichts der Weltkriege des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten sei.
In derselben Sektion skizziert Indravati Félicité einen Überblick über die regionalgeschichtliche Friedensforschung in Frankreich. Dabei zeichnet sie das Bild einer defizitären Forschungslandschaft, die trotz der in jüngerer Zeit innovativ wirkenden nouvelle histoire diplomatique nur wenige Ergebnisse hervorgebracht habe, die sich als regionalgeschichtliche Friedensforschung bezeichnen ließen. Ursachen sieht die Autorin insbesondere in dem lange vorherrschenden Bild eines französischen staatlichen Zentralismus und in einem „recht starke[n] Misstrauen“, das „der Friedensforschung in Frankreich weiterhin […] entgegenschlägt“ (S. 62).
Der Rest des Bandes enthält in chronologischer Ordnung drei Sektionen mit insgesamt elf Beispielstudien. Zunächst finden sich vier Beiträge in der Sektion „Reformation und konfessionelles Zeitalter“. Darin widmet sich Werner Freitag der frühneuzeitlichen Friedensstiftung in Städten, wie sie in Folge der konfessionellen Auswirkungen der Reformation notwendig wurde. Bei den beispielhaft untersuchten westfälischen Städten fand Freitag Rein- und Mischformen zweier Konfliktlösungskonzepte vor: zum einen die ältere Praktik des Strebens nach Eintracht und zum anderen den „‚modernen‘ Typus des Interessenausgleichs“ (S. 65). Spielt in diesem Beitrag der Augsburger Religionsfrieden bereits eine nicht unbedeutende Rolle, so steht er im darauffolgenden Aufsatz im Zentrum der Betrachtung. Darin untersucht Stephan Laux das schon oft behandelte Thema des ius reformandi im Religionsfrieden von 1555. Der Beitrag spart dabei nicht mit Kritik an den historiographischen Traditionsbildungen zum Augsburger Reichsabschied und beklagt etwa, dass noch immer die Ausbildung von religiöser Toleranz mit 1555 verbunden werde. Am Ende steht eine Empfehlung für die weitere Erforschung der großen Vertragswerke von 1555 und 1648: „Der landesgeschichtliche oder regionale Ansatz stellt gegenüber dem reichsgeschichtlichen mehr als nur ein Korrektiv, sondern vielmehr den eigentlichen Bewertungsmaßstab dar“ (S. 98).
Die zwei weiteren Beiträge der zweiten Sektion beschäftigen sich mit dem Kölner Pazifikationstag von 1579. Der erste, von Thomas P. Becker verfasste Beitrag, beschreibt Kontexte, Geschehen und Inhalte des Friedenskongresses und ordnet ihn in die Geschichte der Niederlande ein. Das Scheitern des Kölner Pazifikationstages sei „der entscheidende Schritt hin zur Geburt der Republik der Vereinigten Niederlande“ (S. 118) gewesen. Peter Arnold Heuser schreibt seinen Beitrag zum selben Friedenskongress „aus einer ideen- und begriffsgeschichtlichen Perspektive“ (S. 120). Trotz seines Scheiterns sei der Kölner Pazifikationstag für die Historische Friedensforschung wegen der „hochinteressanten staatsphilosophischen und politischen Diskurse“ (S. 120) von Interesse. Heuser zeigt auf, wie Gelehrte wie Jean Matal und Pedro Ximénez im Umfeld des Pazifikationstages wirkten und einige ihrer politiktheoretischen Themen in Druckwerken der Zeit Niederschlag fanden. Ein dezidiert landesgeschichtlicher Zugang steht dabei allerdings nicht im Vordergrund.
Das Thema Scheitern von Friedensinitiativen wird auch in der dritten Sektion des Bandes, die sich der Epoche der großen europäischen Friedenskongresse „vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zeitalter Ludwigs XIV.“ widmet, aufgegriffen – namentlich im Beitrag von Michael Rohrschneider. Er stellt das bemerkenswerte Phänomen der im 17. Jahrhundert gleich zweimal (1636 und 1673/74) „‚verhinderte[n] Friedensstadt‘“ (S. 139) Köln ins Zentrum seiner Betrachtung. Rohrschneider hält fest, dass eine städtische Regierung nur in begrenztem Maße darauf Einfluss hatte, ob ein Kongress in ihren Mauern erfolgreich war bzw. ob er überhaupt dort stattfand. Dabei macht er überzeugend deutlich, dass die Untersuchung von gescheiterten Kongressorten wie Köln wichtige Erkenntnisse über die Attraktivität von Friedenskongressen und das mit ihnen verbundene Prestige liefert.
Zwei weitere Beiträge der dritten Sektion widmen sich mindermächtigen Akteuren auf dem Westfälischen Friedenskongress und lassen sich damit in einen aktuellen Forschungstrend einordnen, der diese lange Zeit zugunsten der Großmächte vernachlässigte Gruppe in den Vordergrund des Interesses rückt. Es ist naheliegend, für die Erforschung der Reichsfürsten und -städte auf dem Westfälischen Friedenskongress landesgeschichtliche Zugänge zu wählen, wie sie in den Aufsätzen von Maria-Elisabeth Brunert und Alexander Gerber verfolgt werden. Während Brunert für Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg feststellen kann, dass dieser auf dem Kongress „niederrheinische Interessenpolitik“ (S. 186) verfolgte, arbeitet Gerber heraus, dass es den Reichsstädten darum ging, ihre Legitimation auf dem Kongress herauszustellen. Er macht auch „Inszenierungsstrategien der Städtekurie als Ganzes und ihrer einzelnen Mitglieder“ (S. 213) aus.
Den Wechselwirkungen zwischen Kongressteilnehmern und den Stadtgesellschaften der Kongressorte widmet sich Guido Braun. Vergleichend nimmt er am Beispiel der päpstlichen Nuntii gleich drei große Kongresse in den Blick: Westfalen, Nimwegen und Baden. Dabei gelingt es ihm, herauszustellen, dass die Vertreter der römischen Kurie in die „gemischt-konfessionellen Kongress- und Stadtgesellschaften“ Nimwegens und Badens „sozial, symbolisch und kulturell“ (S. 240) als reintegriert betrachtet werden müssen – und dies trotz des päpstlichen Protestes gegen den Westfälischen Frieden von 1648, der Konrad Repgen zufolge das Papsttum aus dem Völkerrechtsystem Europas herausgedrängt hatte.
Thomas Lau wiederum untersucht den innereidgenössischen Konflikt um das Toggenburg im Kontext des Friedens von Baden (1714). Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass europäische Großmächte – im gezeigten Fall Frankreich – regionale Konflikte entschärft und damit deren potentielle Ausweitung auf die europäische Ebene verhindert hätten. Dies mag eine zutreffende Analyse für den Einzelfall sein. Doch irritiert die Grundsätzlichkeit in der Ergebnisformulierung wie auch der mehrfach pauschal vorgenommene Vergleich zum Heiligen Römischen Reich. Dieses nimmt Lau – wie die Eidgenossenschaft – primär als „‚Konfliktlandschaft‘“ (S. 243) und instabilen Raum wahr, der der Stabilisierung durch europäische Großmächte bedurft hätte. Auf diese Weise marginalisiert der Autor den Erfolg innerreichischer Konfliktlösungsmechanismen, der etwa im bereits erwähnten Beitrag Siegrid Westphals deutlich wird. Im dort thematisierten Fall des beginnenden 18. Jahrhunderts trat zudem die europäische Großmacht Frankreich nicht als Stabilisierungs-, sondern als Destabilisierungsfaktor auf.
Der Friedenskongress von Baden spielt auch eine Rolle im Beitrag von Renger de Bruin, der das multinationale Ausstellungsprojekt der Jahre 2013–2015 zu den eng miteinander zusammenhängenden Friedensschlüssen von Utrecht, Rastatt und Baden vorstellt. Dabei ist der Beitrag nicht nur informativ mit Blick auf Konzept, Durchführung und Inhalte der Ausstellung zu einem wichtigen europäischen Friedensereignis, sondern fügt sich auch in die thematische Ausrichtung des Bandes ein. So betont der Autor die unterschiedlichen landesspezifischen Schwerpunktsetzungen der in vier Ländern gezeigten Exposition, die auf diese Weise internationale mit regionalen Perspektiven verband.
In der eigens für den Beitrag von Helmut Rönz als Ausblick eingerichteten vierten Sektion geht es um die Auswirkungen dreier Friedensschlüsse (Campo Formio, Lunéville und Tilsit) auf das Rheinland unter französischem Einfluss in der Zeit von 1794 bis 1815. Dabei ist die Fragestellung sehr breit angelegt und reicht von den politischen, administrativen und rechtlichen bis hin zu den „kultur- und mentalitätsgeschichtlichen“ sowie „ideengeschichtlichen“ (S. 298) Implikationen der genannten Friedensschlüsse auf das Rheinland und die damalige Bevölkerung.
Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass es dem Herausgeber und den Autorinnen und Autoren des Bandes gelungen ist, die Bedeutung landesgeschichtlicher Zugänge für die Historische Friedensforschung herauszustellen. Das Gros der versammelten Einzelstudien macht deutlich, dass regionale Perspektiven auf erfolgreiche, aber auch auf gescheiterte Friedensstiftung und -wahrung erheblich zu einem besseren Verständnis frühneuzeitlicher Friedensprozesse beitragen. Es erscheint angesichts dessen überaus angebracht und auch überfällig, den zahlreichen „makropolitischen Untersuchungen“ (S. 8) großer Friedensschlüsse weitere regional- und lokalhistorische Studien folgen zu lassen, um genauer herausarbeiten zu können, wie Frieden gewissermaßen vor Ort – auf der Mikroebene – umgesetzt und gesichert worden ist.
Anmerkungen:
1 Andreas Hedwig / Christoph Kampmann / Karl Murk (Hrsg.), Bündnisse und Friedensschlüsse in Hessen. Aspekte friedenssichernder und friedensstiftender Politik der Landgrafschaft Hessen im Mittelalter und in der Neuzeit, Marburg 2016.
2 Peter Moraw / Volker Press, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (13.–18. Jahrhundert). Zu einem Forschungsschwerpunkt, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 95–108.