Cover
Titel
The Art of Occupation. Crime and Governance in American-Controlled Germany, 1944–1949


Autor(en)
Kehoe, Thomas J.
Reihe
War and Society in North America
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 378 S.
Preis
$ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Laffin, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Herrschaft braucht Herrschende und Beherrschte. Erst recht trifft diese Charakterisierung, und die inhärente Dialektik von Unterdrückung und Legitimation, auf Fremdherrschaftsregime wie Besatzungen zu, besonders wenn deren militärische „Kernaufgaben“ um eine politische Konnotation erweitert sind. Seit dem Zweiten Weltkrieg war und ist verstärkt zu beobachten, dass Besatzungen auch einem genuin politischen Zweck dienen können. Als Übergangsphase zwischen Krieg und Frieden stellen sie ein Vehikel dar, um die gesellschaftliche Verfasstheit besetzter Staaten zu transformieren. Am prononciertesten ist dies für den Fall der (west-)alliierten Besatzung Deutschlands verhandelt worden. Dass ein Demokratie-Export mittels der autoritären Struktur von Militärverwaltungen erfolgte, war ein Widerspruch, den schon Zeitgenossen wie der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Carl J. Friedrich kritisch kommentierten. Dieses Spannungsverhältnis hat vor allem die rechts- und politikwissenschaftliche, in geringerem Maße auch die historische Forschung herausgearbeitet.

Es ist somit äußerst begrüßenswert, dass Thomas J. Kehoe den grundlegenden Mechanismus von Besatzungen entschlüsseln möchte, wie der Titel „The Art of Occupation“ andeutet. Sein Fokus auf „Crime and Governance“ ist gut gewählt, behandelt er mit der Durchsetzung und (Re-)Etablierung von Recht und Ordnung doch eines der wichtigsten Themenfelder von Besatzungen. Die Studie fördert zahlreiche spannende Teilergebnisse zu Tage, doch leider verblassen diese bisweilen in Anbetracht einer allzu starken Essentialisierung von Kriminalitätsstatistiken, einigen Verallgemeinerungen und einer mitunter isolierten Betrachtung des Geschehens. Doch zunächst zu den positiven Eindrücken.

Die Studie geht auf Kehoes 2015 an der Universität Melbourne eingereichte Dissertation zurück, die er nun in einer erweiterten Fassung veröffentlicht hat. Als Quellenbasis dienen ihm die vor allem im US-Nationalarchiv sowie in deutschen Stadt- und Kommunalarchiven verfügbaren Dokumente zu Kriminalfällen und Gerichtsverfahren. In der Summe kann er aus etwa 40.000 Einzelquellen für den Zeitraum vom September 1944 bis in die frühen 1950er-Jahre mit Schwerpunkt auf der US-Besatzungszone schöpfen. Neben den konkret militärischen Inhalten war der Gerichtsbarkeit eine politisch-symbolische Dimension eingeschrieben: Die Justiz sollte die Vorteile eines rechtsstaatlichen Systems plastisch vor Augen führen, wenngleich der Straf- und Sicherheitsaspekt in der Regel dominierte.

Kehoe möchte einen dezidierten Beitrag zur Historiografie der unmittelbaren Nachkriegszeit leisten, indem er das geläufige Bild einer weitestgehend gesetzlosen, von Anarchie und Chaos geprägten Zeit für die zweite Hälfte der 1940er-Jahre zu revidieren sucht. Ab 1946 sei ein erheblicher Rückgang von (Schwer-)Verbrechen zu konstatieren. Ein anarchischer Zustand habe zwar in der Transitionsphase von Kriegsende und Befreiung geherrscht, die sich indes oftmals in Augenblicken vollzogen oder allenfalls wenige Wochen gedauert habe (S. 50, S. 54). Wenn es etwas später zu Eindrücken von gesetzlosen Zuständen und „Social Disorder“ kam, sei dies vielmehr auf eine „Culture of Anxiety“ zurückzuführen (u.a. S. 178, S. 181, S. 187, S. 199). In dieser Atmosphäre nahmen die Sicherheits- und Justizorgane Verhaftungen vor, fällten ihre Urteile und formulierten Berichte. Drei Entwicklungen zeichneten laut Kehoe die Jahre zwischen 1945 und 1948 aus: ein Rückgang in der Kriminalitätsrate, eine große Furcht auf Seiten der (deutschen) Polizei und der Militärregierung vor inneren Unruhen sowie eine wachsende Effizienz bei der Polizeiarbeit (S. 182).

Die Studie gliedert sich in drei Hauptteile, die jeweils aus drei bis vier Kapiteln bestehen. Der erste Teil präsentiert eine Genese des US-Denkens über Okkupationen, Kriminalität und (Verbrechens-)Kontrolle; hier nimmt der Autor den unmittelbaren Übergang mit Ankunft alliierter Soldaten in den befreiten und nachfolgend besetzten Gebieten unter die Lupe. Im zweiten Teil untersucht Kehoe für die Zeit vom Oktober 1944 bis zum Juli 1946 die Phase der direkten Herrschaftsausübung durch die Militärregierung. Schwerpunkte bilden etwa Displaced Persons (DPs), Jugendliche und Banden als kriminelle Akteure – anhand der Zuschreibungen, mit denen sie in den Fokus der Militärverwaltung gerieten. Der dritte Teil, der die Jahre 1947 bis 1949 abdeckt, beleuchtet schließlich die Phase der indirekten Ausübung der US-Besatzungsherrschaft. In jenen Jahren stieg die Beteiligung deutscher Akteure, zuvorderst mit der stärkeren Einbindung deutscher Polizeiorgane.

Neben der verdienstvollen Quellenarbeit überzeugen insbesondere jene Reflexionen, die die situativen Faktoren bei der lokalen Ausübung des Military Government aufzeigen. Dass sich Umfang, Inhalt und Ergebnisse der Rechtsprechung von Ort zu Ort unterscheiden konnten, ist ein wichtiger Befund. Hier hätte man sich noch stärker eine Einbeziehung der biografischen Hintergründe und Sozialisationsmuster der Besatzungsoffiziere gewünscht, wie sie Kehoe bisweilen vornimmt und wie sie das Quellenmaterial an anderer Stelle vielleicht nicht immer hergegeben hat (z.B. S. 63f., S. 138). Auch die Diskrepanzen zwischen ländlichen Gebieten und urbanen Zentren werden präzise herausgearbeitet. Besonders aufschlussreich sind außerdem jene Passagen, in denen Kehoe zeigen kann, dass eine klare Einteilung in Besatzer und Besetzte allzu schematisch gedacht ist. Die Trennlinien verliefen mitunter quer zu diesen Dichotomien, wenn etwa die DPs von der deutschen Zivilbevölkerung wie von der Militärverwaltung als elementares Sicherheitsrisiko identifiziert wurden. Mehr noch galt dies aber mit Blick auf die von den US-Soldaten selbst begangenen Verbrechen. Hier war die Frontstellung eher zwischen den lokal agierenden Besatzungsoffizieren, deutscher Polizei und Bevölkerung auf der einen sowie den US-Truppen auf der anderen Seite auszumachen (u.a. S. 161f.).

Doch neben diesen wichtigen Ausführungen, die vielfältige Anregungen für weitere Studien enthalten, trüben mehrere Kritikpunkte die Lektüre. Das methodische und theoretische Vorgehen der Arbeit wird selten expliziert. Eine Auseinandersetzung mit den zentralen Begrifflichkeiten rund um „Anarchie“, „Chaos“ und „Social Discorder“ wäre ebenso wünschenswert gewesen wie überhaupt eine Definition dessen, was der Autor unter Okkupation versteht. Eine dahingehende Orientierung nimmt Kehoe erst spät vor (etwa auf S. 134, wo es heißt, dass „Besatzung die Durchsetzung eines Systems von Militärgesetzen über feindlichen Raum war, um feindliche Völker zu befrieden“). Überdies greift sein Bestimmungsversuch zu kurz; er trägt der umfangreichen politik- und rechtswissenschaftlichen Forschung wenig Rechnung.

Die psychologisierenden Ausführungen zum „Angstzustand“ der Deutschen sind ein weiteres Manko. Hier fehlt eine produktive Zusammenführung mit der komplexen Debatte, die seit mehr als einem Jahrzehnt um Emotionen und deren Historisierung geführt wird, wenngleich Kehoe einige dazu einladende Literaturtitel in seinem Anmerkungsapparat nennt. Doch wird Angst weder als Emotion oder sozialer Faktor ausführlich erläutert, noch werden spezifische Studien berücksichtigt, die sich mit diesem Aspekt im untersuchten Kontext auseinandergesetzt haben. An erster Stelle zu denken wäre etwa an einschlägige Publikationen von Frank Biess, die seiner 2019 veröffentlichten Studie „Republik der Angst“ den Weg bereiteten.1 Auch in anderen Fällen wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand wünschenswert gewesen. Das gilt besonders für die DPs, die in jüngerer Zeit breites und differenziertes Forschungsinteresse erfahren haben.2 Dass der gesamte Themenkomplex der Internierung deutscher Zivilisten keine Erwähnung findet, verblüfft – zumal angesichts des Erkenntnisinteresses der Arbeit.3 Auch ein so zentrales Moment wie das im März 1946 verabschiedete „Befreiungsgesetz“ oder die Spruchkammerverfahren bleiben außen vor.

Neben diesen inhaltlichen Kritikpunkten fallen manche Mängel in Darstellungsweise und Textstruktur auf. Die DPs oder die Bandenkriminalität tauchen wiederholt auf, ohne dass neue Erkenntnisse generiert werden. Bisweilen finden sich dieselben Fälle mit wortwörtlichen Wiederholungen (so etwa auf S. 76 und S. 127, S. 99 und S. 126, S. 115 und S. 158). Dass zudem in mehreren Kapiteln die Fußnoten offensichtlich um eine oder mehrere Positionen verrutscht sind, kann im Arbeitsprozess fraglos passieren, hätte aber spätestens bei der Drucklegung korrigiert werden müssen (u.a. ab S. 125, ab S. 167 und ab S. 183).

Und um noch einmal zum Titel der Arbeit zurückzukehren: Dem gesamten Bereich „Crime and Governance“ kommt für Besatzungsherrschaften zweifelsohne eine erhebliche Bedeutung zu; ob dieses Themenfeld allein die „Kunst der Besatzung“ ausmacht, erscheint aber doch fraglich. Wie verhält es sich zum Beispiel mit der Versorgungslage? Die unmittelbare Verbindung zum Schwarzmarkt erschließt sich hier von selbst. Dass der „Traum vom Sattwerden“ (Michael Wildt) die Schwarzmarktpraktiken geradezu erzwang4, gesteht auch Kehoe zu. Aber sind es nicht gerade diese zahllosen kleineren Aktivitäten – mehr als Morde, schwere Diebstähle und dergleichen –, die die Wahrnehmung einer von Anarchie und Chaos geprägten Zeit hervorbrachten? Wo das Recht kontinuierlich unterwandert wird und der Gleichheitsgrundsatz nicht beherzigt wird, wie der Autor selbst anhand der Behandlung von Verbrechen alliierter Soldaten zeigt, kristallisiert sich eine vermeintliche Gesetzlosigkeit heraus, die eben nicht auf Recht und Ordnung als normative Prinzipien abzielt, sondern diese vielmehr als pragmatisches Instrumentarium zur Befriedung der Besatzungsgesellschaft begreift. So ähnlich argumentiert bisweilen auch Kehoe. Doch sei es bloß eine Wahrnehmung gewesen, da sich der Zustand von Chaos und Anarchie nicht in den Verbrechensraten widergespiegelt habe. Vielmehr sei ab dem Sommer 1945 „die Rückkehr der geordneten Zivilgesellschaft und effektiver lokaler Verwaltungen in den Bezirken“ zu beobachten gewesen (S. 214). Solche Aussagen lassen sich indes nur treffen, wenn man Kriminalitätsstatistiken nicht weiter kontextualisiert und den in zeitgenössischer Perspektive wie in der Forschungsliteratur attestierten Gesellschaftszustand ausblendet.

Stattdessen insistiert Thomas J. Kehoe gebetsmühlenartig auf seinen Thesen. Doch erhöht die Repetition eines Arguments nicht dessen Überzeugungskraft. Vielmehr hätte es einer theoretischen Auseinandersetzung mit „Angst“ bedurft und eines weiter gerahmten Okkupationsverständnisses. Der vorliegende Revisionsversuch etablierter Mythen der Nachkriegsgeschichte ist zwar gut zu lesen, greift aber letztlich zu kurz.

Anmerkungen:
1 Frank Biess, Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik, Reinbek bei Hamburg 2019. Auf S. 65–81 findet sich dort ein Kapitel zum „Schock der Besatzung“, das Kehoe noch nicht berücksichtigen konnte.
2 Siehe z.B. Matthew Frank / Jessica Reinisch (Hrsg.), Refugees in Europe, 1919–1959. A Forty Years’ Crisis?, London 2017.
3 Siehe zuletzt Andrew H. Beattie, Allied Internment Camps in Occupied Germany. Extrajudicial Detention in the Name of Denazification, 1945–1950, Cambridge 2019.
4 Michael Wildt, Der Traum vom Sattwerden. Hunger und Protest, Schwarzmarkt und Selbsthilfe in Hamburg 1945–1948, Hamburg 1986.