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Titel
Adel und Bürgertum in Deutschland II. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert


Herausgeber
Reif, Heinz
Erschienen
Berlin 2002: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Wienfort, Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie

Als Fortsetzung eines ersten Bandes über "Adel und Bürgertum in Deutschland", der sich mit dem 19. Jahrhundert beschäftigte, geht es im zweiten Band des Berliner Forschungsprojektes zum Elitenwandel um das Verhältnis zwischen Adel, Militär und Politik vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Die Einleitung von Heinz Reif verfolgt dabei den Ansatz einer Beziehungsgeschichte zwischen Adel und Bürgertum im Kontext der Frage nach den wesentlichen Elementen von Elitenbildungsprozessen in der Moderne. Während die im ersten Band vorgeschlagene Periodisierung für das 19. Jahrhundert sich an den politischen Zäsuren orientierte - eine Phase der Annäherung von Adel und Bürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der nach der Revolution von 1848/49 zumindest in Preußen eine Zeit der Überlegenheit des von der preußischen Monarchie gestützten Adels folgte, und schließlich der Wilhelminismus, der bürgerlichen Reichtum in die Elite des Kaiserreichs zu integrieren suchte - erscheint die Elitengeschichte zumindest aus der Perspektive des Adels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich diffuser. Der radikale Einschnitt der Revolution von 1918/19 und die Abschaffung von Adel und Monarchie führten den deutschen Adel in den permanenten Abwehrkampf gegen den Ausschluß aus der politisch-sozialen Elite, freilich mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, die immer noch die Differenziertheit des deutschen Adels vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht spiegelten. Vorstellungen von der Berufung des deutschen Adels zu gesellschaftlicher Führung überdauerten dabei selbst das Jahr 1933, nicht aber das Kriegsende 1945.

Der Beitrag von Mark Stoneman betont am Beispiel des bürgerlichen Generals Wilhelm Groener die Bedeutung der Professionalisierung des Offizierskorps im Kaiserreich, der adlige und bürgerliche Offiziere gleichermaßen unterlagen. Der Bedeutungsgewinn eines die soziale Herkunft zunehmend vernachlässigenden Leistungsethos ging aber einher mit der Aneignung adliger Traditionen, die nach innen integrationsfördernd wirkten und nach außen die soziale Exklusivität der Armee gegen die zivile Gesellschaft in den Blick rückten. Diese Vorgeschichte läßt den Beitrag von Marcus Funck zum preußischen Militäradel in der Weimarer Republik ganz besonders zentral erscheinen: Mit der Heeresreduzierung 1920 verloren tausende von adligen Offizieren ihre Berufsperspektive. Nicht bloß, daß diese Offiziere nichts anderes gelernt hatten und von Kindheit an auf diese Laufbahn hin erzogen worden waren, ist entscheidend. Vielmehr kommt der Tatsache Bedeutung zu, daß sich die adligen Offiziere dem "bürgerlichen" Leistungsprinzip unterworfen hatten und nun trotzdem den "Weltuntergang" der Monarchie und der eigenen Zukunftspläne erleben mußten. Dabei schnitt der Adel bei der unter professionellen Gesichtspunkten durchgeführten Reorganisation der Armee mit einem Anteil von 20% an den Offizierspositionen keineswegs schlecht ab. Trotzdem blieben zu viele ehemalige Offiziere übrig, die sich von nun an aus dem immer noch adlige Repräsentationsformen pflegenden Offizierskorps ausgeschlossen sahen. Funck arbeitet überzeugend heraus, wie die ökonomische und soziale Deklassierung im Kontext von professionalisiertem Beruf und traditioneller Berufung vielfach für eine politische Radikalisierung verantwortlich zeichnete. Der Weg nach rechts und der Kampf gegen die Republik versprachen ehemaligen Offizieren Bedeutungsgewinne für den Adel in einer remilitarisierten Gesellschaft.

Die Rolle der Monarchie für das Scheitern adlig-bürgerlichen Zusammenwirkens in der Weimarer Republik beleuchtet der Beitrag von Martin Kohlrausch. Die Enttäuschung über die Flucht Wilhelms II. in die Niederlande schwächte die traditionelle Monarchietreue des preußischen Adels, der symbolische Bekenntnisse anläßlich des Kaisergeburtstages nicht mehr mit konkreten politischen Perspektiven monarchischer Restauration verband und damit für Staatsstreichideen von rechts anfällig wurde. Axel Schildt deutet den Kapp-Putsch als Resultat adlig-bürgerlichen Zusammenwirkens, dem gleichwohl eine umfassende Mobilisierung konservativ-autoritärer Milieus jenseits der deklassierten adligen Offiziere mißlang.

Der Beitrag von Stephan Malinowski stellt zwei wichtige elitäre Vereinigungen der Weimarer Republik, die "Deutsche Adelsgenossenschaft" und den "Deutschen Herrenclub" einander gegenüber. Während die "Deutsche Adelsgenossenschaft" in der Weimarer Republik eine Mehrheit des nordostdeutschen protestantischen Kleinadels organisierte und sich als moderne Interessenvertretung in einer Massengesellschaft verstand, blieb der "deutsche Herrenclub" exklusiv und zählte wohlhabende Adlige und bürgerliche Offiziere, Beamte, Diplomaten und Industrielle, unter denen sich auch einige Juden befanden, zu seinen Mitgliedern. Die Adelsgenossenschaft rekurrierte dabei mangels anderer ideologischer Ressourcen immer stärker auf einen blutmäßig legitimierten Führungsanspruch, der die Verbindung zwischen Adel und nationalsozialistischer Rasseideologie betonte. Die "Herren" beschäftigten sich dagegen mit der Schaffung von Diskussionsforen für die "Neue Rechte", auf denen die traditionelle Distanz zwischen Landadel, bürgerlichen Beamten und Industrievertretern in der Suche nach gemeinsamen ideologischen Grundsätzen und politischen Perspektiven überbrückt werden sollte.

Wolfgang Zollitsch stellt den relativ gutsituierten preußischen Landadel in der Endphase der Weimarer Republik in den Mittelpunkt seines Beitrages. Die Zusammenarbeit mit Bürgerlichen scheiterte hier an der Fragmentierung der konservativen Eliten. Der "Hauptverein der Deutschkonservativen", eine Hochburg des ostelbischen Adels, konnte sich letztlich mit der sozial heterogenen und auch bäuerliche Milieus integrierenden DNVP nicht arrangieren. Erst in der Annäherung an den Nationalsozialismus, in der völkischen Rechten, trafen sich zahlreiche Konservative bürgerlicher wie adliger Herkunft.

Guido Müller stellt in seinem Beitrag die interessante Frage nach der Existenz einer "internationalen Aristokratie" und der Verbreitung einer spezifischen Europa-Idee in der Zwischenkriegszeit. Die Ausformung paneuropäischer Ideen bei Karl Prinz Rohan und Richard Graf von Coudenhove-Calergi, beider böhmischer Herkunft, erweist sich als dezidiert antiliberal, antidemokratisch und rechtskatholisch. Der Europa-Gedanke knüpfte hier an ein großdeutsch-katholisches Reichskonzept an, das seine räumliche Verankerung im Habsburgerreich fand. "Adel" galt vornehmlich als geistige Elite, und damit eher in kulturell-ästhetischer als in politisch-sozialer Hinsicht. Die Anziehungskraft eines solchen Modells auf die deklassierten Adelsgruppen, denen weniger an einem verfeinerten Lebensstil an sich als an den materiellen Grundlagen adligen Lebens lag, blieb begrenzt. Gleichwohl scheint es bedeutungsvoll, die über das Preußisch-Nationale hinausreichenden Perspektiven und Verbindungen des Adels, vor allem der Hocharistokratie und des katholischen Adels, stärker als bisher in das Blickfeld zu rücken.

Schließlich skizziert Eckart Conze die Verbindungslinien von Adel und Widerstand im Attentat vom 20. Juli 1944. Die Adels- und Elitekonzepte des Widerstands zeugten von dem Willen, in der "Auslese der Besten" auch den historischen Adel zu berücksichtigen. Einerseits überwand das Elitedenken der konservativen Widerstandskreise geburtsständische Legitimationsfiguren, andererseits ließ die Ablehnung parlamentarischer und demokratischer Elitenrekrutierung den "neuen Adel" aus dem alten hervorgehen. Auch im Widerstandshandeln selber blieben adlige Dispositionen und Voraussetzungen spürbar. Besonders wichtig wurden adlige Kulturmodelle im Kontext von Pflicht, Treue und Opfer sowie adlige Kommunikationsforen. Familiäre Beziehungsnetze in Gestalt von Verwandtentreffen konnten selbst durch die Überwachungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Staates nicht zerstört werden.

Zu den Vorzügen diese Bandes gehört es, die Rolle des preußisch-deutschen Adels in Militär und Politik aus einer konsequent sozialgeschichtlichen Perspektive zu beleuchten. Politische Radikalisierung erscheint so vor allem als Folge von Abstiegsängsten eines Adels, der einerseits an traditionellen Elitenansprüchen festhielt, sich andererseits aber an die professionellen Standards der "bürgerlichen" Gesellschaft, z.B. in der Armee durchaus angepaßt hatte. Es wäre interessant, den Wegen des deutschen Adels im 20. Jahrhundert in weiteren gesellschaftlichen Teilbereichen, vor allem in Wirtschaft und Kultur nachzuspüren. Damit ließe sich der Untersuchungszeitraum auch über das Jahr 1945 hinaus ausdehnen, denn zumindest aus der Geschichte der Massenmedien dürfte der Adel heute kaum wegzudenken sein.

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