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Titel
Blue Jeans. Vom Leben in Stoffen und Bildern


Autor(en)
Schober, Anna
Erschienen
Frankfurt/New York 2001: Campus Verlag
Anzahl Seiten
326 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anatol Schneider, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Natürlich Jeans! Oder kann sich einer ein Leben ohne Jeans vorstellen? Jeans sind die edelsten Hosen der Welt. … Das kapiert einer mit fünfundzwanzig schon nicht mehr.“ Hat er im Gegensatz zum jungen W. aus Ulrich Plenzdorfs Werther-Roman diese Altersschwelle schon passiert und die Jeanserfahrung zuvor nicht am eigenen Leib gemacht, so erlaubt diesem vermutlich kleineren Teil der Bevölkerung wenigstens die Einnahme einer kulturwissenschaftliche Perspektive zu verstehen, weshalb sich jemand zu einem solchen Ausruf verleitet fühlen könnte. Hier spätestens erfährt man, daß „Natürlich Jeans!“ nicht nur meint, Jeans seien eben das einzig akzeptable Kleidungsstück, sondern daß das Überstreifen des groben Stoffes auch einen Rückgewinn von Natürlichkeit bedeuten soll. Dabei dokumentiert dieser von sich eingenommene Rousseauismus der modischen Art allerdings weniger die Nähe eines natürlichen Ursprungs, als vielmehr die Eingewobenheit in den Prozeß der medialen Inszenierung, welcher sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts entlang der schrägen Webstrukturen der Blue Jeans vollzieht.

In ihrer Studie ‚Blue Jeans. Vom Leben in Stoffen und Bildern’ hat Anna Schober nun auf der Grundlage fotografischer, filmischer sowie publizistischer Quellen den Versuch unternommen zu rekonstruieren, warum sich das 20. Jahrhundert in keinem Kleidungsstück selbst mehr wiedergefunden hat, als in den aus groben, mit Indigo gefärbten und mit Nieten besetzten Hosen aus Drillich, die unter dem Namen Blue Jeans im Umlauf sind. Vor dem Hintergrund der Überlegung, daß die Dinge unseres täglichen Leben in ihrer Materialität und der durch sie eröffneten Verwendung nicht aufgehen, sondern Träger und Objekte von Phantasien und Begehren sind und auf diese Weise Sinn und Bedeutung ihnen anhaftet, ist der leitende Gesichtspunkt der Arbeit, daß auch unsere „Kleidung eine Arbeit der Sinngebung“ (261) ist. Anna Schober verfolgt diesen Prozeß der Sinngebung auf unterschiedlichen Ebenen, im Zentrum steht jedoch das Wechselspiel zwischen medialer Inszenierung und dem Konsum der Menschen. Also mit Michel de Certeau als einem der ‚üblichen Verdächtigen’ in einem solchen Zusammenhang zu sprechen, das Wechselspiel zwischen den Strategien der gesellschaftlichen Institutionen, die versuchen ihr normatives Wertdiktat durchzusetzen, und den Taktiken des spontan-trickreichen, auf Lustgewinn zielenden Umgangs der Verbraucher mit den industriellen Offerten (29ff.).

Wenngleich ideologie- und machtkritische Töne besonders in der theoretischen Einleitung zu vernehmen sind, ist das Buch in seinen positivistischen Hauptpartien keineswegs auf diese Tonlage gestimmt, wo eher konventionelle Beschreibungen dominieren. Und auch der Schluß, der die Sprünge und Risse im Blue Jeans-Mythos aufsuchen und damit auf das Ende eines das 20. Jahrhundert dominierenden medialen Inszenierungsgeschehens verweisen möchte, tut dies recht schamhaft. Immerhin wird deutlich, daß ihnen landläufig nichts mehr von dem Ruf anhaftet, Ausweis unkonventioneller, ja sogar rebellischer Gesinnung zu sein. Schließlich lassen sich gehüllt in den blauen Drillich eines teuren Modelabels schon lange auch gesellschaftliche Pflichten mit Bravour absolvieren, – ein Umstand, der bereits Andy Warhols Faszination auf sich zog.

Mit der Blue Jeans ist die Kleidung endgültig im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit angelangt. Ihre Befreiung von der bürgerlichen oder, früher noch, aristokratischen Aura handwerklich ausgereifter Schneiderware, hat dem 20. Jahrhundert einen Gebrauchsgegenstand bereitgestellt, der es erlaubt, dem Individualismus nach den beiden von Georg Simmel bezeichneten Seiten hin durch das einfach Anziehen ein und desselben Kleidungsstückes Ausdruck zu verleihen, – nämlich nach seiner quantitativen und nach seiner qualitativen Seite. Denn, so erklärt und bekennt die Autorin gleich zu Beginn ihrer Untersuchung, „wie ein Blick auf uns selbst oder in die Straßen der nahen oder ferneren Städte unserer globalisierten Welt sofort deutlich macht, gebrauchen wir Jeans dazu, um als unverwechselbar aus der Menge herauszuragen, wobei sie uns gleichzeitig die Möglichkeit bieten, unauffällig in die Menge einzutauchen“ (9). Die Blue Jeans läßt ihren Träger als ununterscheidbaren Punkt in der namenlosen Masse untergehen und doch erlaubt ihm das Überstreifen des blauen Drillichs zugleich, die Masse zu überragen aufgrund des hierdurch vermeintlich gewonnenen Vorsprungs an persönlicher Authentizität und Natürlichkeit. Kurz, wie Barbara R. im Jahre 1961 ihre Anhängerschaft an das eben erst aus den USA nach Europa gekommene Kleidungsstück in einem Leserbrief an die Zeitschrift Bravo mit emphatischer Selbstbezogenheit begründete: „Ich möchte meinen eigenen Typ verkörpern und mich nach meinem eigenen Geschmack kleiden“ (257).

Wie es der Blue Jeans gelingt, die Emphase des reinen Selbstausdrucks auf sich ziehen zu können, verfolgt die kulturwissenschaftliche Studie im Anschluß an die geraffte Darstellung von in solchen Zusammenhängen zur Genüge bekannten Theoriestellungen. Ihr Ansatz, die „Beziehungen zwischen massenmedialer Vorführung und milieuspezifischer kultureller Praxis“ (12) nachzuvollziehen, wird dabei an vier ausgewählten Fällen exemplifiziert. Eine solche Beschränkung liegt nahe, da Vollständigkeit ohnehin nicht zu erreichen wäre und die These überdies eine apriorische Evidenz hat, die durch Faktenfülle eher verloren gehen als an Deutlichkeit gewinnen könnte. So erkundet Anna Schober zunächst die in einer ‚Vorgeschichte’ lokalisierten Transformationen der Blue Jeans, die ihre spätere Verwendung in gewissem Sinne prädeterminieren. Es folgen eine Milieustudie der Ostküstenstädte der USA in den 1910er Jahren, eine Untersuchung des Bilderstreits im Amerika der 30er und 40er Jahre, wobei auch die Fotoserien von Dorothea Lange zur Sprache kommen, und zuletzt springt die Autorin über den Atlantik in die bundesrepulikanische Szene der ‚Halbstarken’ und ‚Schwulen’ in den 50er und 60er Jahren. Allein schon diese Aufzählung macht deutlich, daß in allen Fällen nur Stichproben vorgenommen werden konnten. Ausgewählte Filme und Fotos wurden auf die Art und Weise ihrer Inszenierung der Blue Jeans befragt und in Beziehung zueinandergesetzt.

Die Ursprungslegenden der Blue Jeans, mit denen sich die „Vorgeschichte“ befaßt, sind zahlreich, sie alle führen jedoch in die nordamerikanischen Minenarbeiterlager der Comstock-Region der 60er und 70er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück, in denen Goldsucher in diesem Fall allerdings auf der Suche nach robusten Hosen auf Levi Strauss trafen. Der aus dem oberfränkischen Buttenheim stammende Textilhändler fertigte aus Zeltstoff stabile Hosen und wurde so zum ‚Vater’ der Blue Jeans. Die Entstehung der Hose gerät damit zum Mythos, in welchem aus der bürgerlichen Gesellschaft Ausgescherte um ein magisches Metall gruppiert sind. Die spätere Firma Levi Strauss & Co gewinnt hieraus ihren Adel über alle anderen Jeans-Fabrikanten und die spätere Firma Levi Strauss & Co gewinnt hieraus ihren Adel über alle anderen Jeans-Fabrikanten. Die Bezeichnung Jeans selbst stammt übrigens von der amerikanischen Schreibung für ‚Genois’, d.h. für genuesischen, schräggewebten Drillich. Abgesehen von der Verwendung dieses Stoffes, welcher zusammen mit der Färbung durch Indigo und dem aufgrund der Webart besonderen Verschleiß der Färbung der Hose im Gebrauch eine gewisse Unverwechselbarkeit verleiht, ist die Produktästhetik darüber hinaus schon bald unabänderlich festgelegt. Daß die Markenzeichen der Blue Jeans – sichtbare Außennähte, Nieten, Labels – auf die industrielle Fertigung der Hose verweisen, schließt dabei erstaunlicherweise keineswegs aus, daß das Tragen dieser Hose zum Ausweis gerade von Individualität wird. Ein zweiter Blick macht vielmehr deutlich, daß diese Hose – so wie sich dem Körper anschmiegen kann – gerade aufgrund ihrer industriellen ‚Eigenschaftslosigkeit’ die Möglichkeit hat, sich so um jeden einzelnen Menschen zu legen, als sei sie der einzig angemessener und vollkommene Ausdruck sogar seines Selbsts. Gerade ihre Qualitätlosigkeit disponiert sie mit anderen Worten, zu mehr als einem nur modischen Ausdruck derjenigen Qualität zu werden, um welche der moderne Mensch verzweifelt ringt, eben seine Persönlichkeit.

Unter dem Titel ‚Eine Re-Lektüre der Deutungen’ bündelt Schober die in den voraufgehenden Passagen entfalteten Perspektiven. Ihre Absicht einer abstrakteren Fassung des Problems führt sie dabei zuletzt auch in die Sphäre theologischer Assoziationen: die Jeans als Sakrament des modernen Lebens und Levi Strauss & Co gleichsam als ‚Sakramentalsverwalter’ – dahin ist es nur noch ein Schritt, wenn die Geste des Jeanstragens unter Verwendung eines Begriffs von Ernsto Laclau als Bezeichnung der Anwesenheit einer abwesenden Fülle gedeutet wird. Die Jeans fungiert als Zeichen der Anwesenheit eines abwesenden Lebens, das nicht mehr durch Konventionen und Reglements erstickt wird. Dass die Vielzahl der Marken den Gewinn dieses religiös deutbaren neuen Lebens nicht gerade erleichtert und Häresie wie in der Religion so auch im Jeansbusiness nicht nur das Heil der Seele in Frage stellt, sondern auch außerordentlich geschäftsschädigend ist, haben die italienischen Produzenten der Marke ‚Jeans Jesus’ richtig erkannt, als sie zu Beginn der 70er Jahre mit dem Slogan warben: „Non avrei altri jeans all’infuori di me“ – habe keine andere Jeans außer mir. Dass die Geschäftsleitung ihren Sitz in Rom hat, ist indes nur eine Vermutung.

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