Titel
James Simon. Mäzen im wilhelminischen Zeitalter


Autor(en)
Matthes, Olaf
Reihe
Bürgerlichkeit, Wertewandel, Mäzenatentum, hg. von Thomas W. Gaethgens, Reinhard Rürup und Jürgen Kocka 5
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Walkenhorst Email:

Stiftungen und Mäzenatentum sind von der historischen Forschung in Deutschland lange Zeit kaum beachtet worden. Erst in den letzten Jahren ist vor allem im Bereich der Bürgertumsforschung ein zunehmendes Interesse an dieser Thematik zu verzeichnen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die von Thomas W. Gaethgens, Reinhard Rürup und Jürgen Kocka herausgegebene Reihe „Bürgerlichkeit, Wertewandel, Mäzenatentum“, die entscheidend dazu beigetragen hat, mäzenatisches Handeln als ein konstitutives Element bürgerlicher Kultur und Lebensführung zu verstehen. Mit der Studie von Olaf Matthes über den Unternehmer, Stifter und Mäzen James Simon (1851-1932) ist bereits der fünfte Band dieser Reihe erschienen.1 Mit ihm liegt nunmehr auch erstmals eine historische Biographie vor, die sich nicht damit begnügt, die Taten „großer Stifter“ zu preisen, 2 sondern versucht, die komplexe Motivation mäzenatischen Handelns herauszuarbeiten. Dabei ist dem Autor zugleich ein eindruckvolles Porträt einer einflussreichen Persönlichkeit der wilhelminischen Ära gelungen, die zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geraten war.

James Simon war einer der erfolgreichsten Unternehmer und bedeutendsten Mäzene seiner Zeit. Der Berliner Textilunternehmer jüdischer Herkunft ist heute vor allem noch als Kunstsammler bekannt, der – in enger Kooperation mit dem langjährigen Direktor der Gemäldegalerie Wilhelm von Bode – eine der bedeutendsten zeitgenössischen Privatsammlungen schuf, die er zum einem großen Teil den Berliner Museen vermachte. Als Begründer der „Deutschen Orient-Gesellschaft“ finanzierte er darüber hinaus die Grabungen im ägyptischen Tell el-Amarna, bei denen u.a. die Büste der Nofretete gefunden wurde, die Simon 1920 dem Ägyptischen Museum schenkte.

Simons vielschichtiges mäzenatisches Wirken beschränkte sich jedoch keineswegs auf die Bereiche der Wissenschaft, Kunst und Kultur, sondern erstreckte sich auch und vor allem auf soziale Belange. Geleitet von der Überzeugung, daß Reichtum zu sozialem Engagement verpflichtet, engagierte sich Simon sowohl finanziell als auch ehrenamtlich für zahlreiche Hilfs- und Wohltätigkeitsvereine, Krankenhäuser, sowie Kinder- und Waisenheime. Obwohl die Quellenlage gerade für diesen Bereich besonders lückenhaft ist, kann Matthes zeigen, daß Simon für soziale Aktivitäten in den 1890er Jahren etwa ein Viertel bis ein Drittel seines Jahreseinkommens bereitstellte – deutlich mehr als für andere Zwecke. Sein soziales Mäzenatentum bildete damit den quantitativ größten und wichtigsten Teil seines gemeinnützigen Engagements, was zeigt, daß soziale Verantwortung für ihn eine zentrale Maxime seines Handelns darstellte. Charakteristisch für Simons soziales Engagement war darüber hinaus, das er seine Mittel ausschließlich privaten Anstalten und Institutionen zukommen ließ. Diese Praxis verdeutlicht, daß er sein Mäzenatentum ausdrücklich als ein Instrument bürgerlichen Handelns verstand, das den Anspruch erhob, unabhängig von staatlichen Instanzen gesellschaftliche Reformimpulse zu entwickeln.

Wer war dieser Mann und was waren die Motive für sein umfangreiches mäzenatisches Engagement? Henri James Simon wurde am 17. September 1851 in Berlin geboren, wo er auch seine Kindheit und Jugend verbrachte. Im Jahre 1876, im Alter von 25 Jahren, wurde er Teilhaber des Familienunternehmens Gebrüder Simon, das sich auf den Großhandel von Leinen- und Baumwolltextilien spezialisiert hatte. Nach dem Tode seines Vaters im Juli 1890 leitete James Simon zunächst zusammen mit seinem Onkel Louis, später dann mit seinem Cousin Eduard die Geschicke des Unternehmens, das um die Jahrhundertwende eines der größten Textilunternehmen auf dem europäischen Kontinent darstellte. Der Erfolg des Unternehmens machte Simon zu einem der reichsten und angesehensten Männer Berlins, Preußens und Deutschlands.

Der berufliche Erfolg und die mit ihm einher gehende gesellschaftliche Stellung vermittelten Simon im Jahre 1901 schließlich sogar die persönliche Bekanntschaft mit Kaiser Wilhelm II. Simon zählte zu dem kleinen Kreis sehr erfolgreicher jüdischer Unternehmer, die mit dem Kaiser in regelmäßiger Verbindung standen. Zu dieser Gruppe, die der Zionist Chaim Weizmann später verächtlich als „Kaiserjuden“ bezeichnet hat, gehörten außer Simon u.a. der Generaldirektor der HAPG Albert Ballin, der Kohleunternehmer Eduard Arnhold, die Bankiers Carl Fürstenberg und Paul von Schwabach sowie Emil und Walther Rathenau von der A.E.G. Für Wilhem II. waren diese Männer zunächst aufgrund ihres ökonomischen Fachwissens als Gesprächspartner von Interesse, gleichzeitig jedoch auch als Mäzene und Kunstkenner. Simon avancierte für den Monarchen darüber hinaus zu dessen Vertrauensperson für alle jüdischen Belange, so daß er schließlich schließlich immer dann anwesend sein mußte, wenn der Kaiser über jüdische Angelegenheiten zu entscheiden hatte. Vor allem aus diesem Grund ist der Abschnitt über das Verhältnis zwischen Simon und Wilhelm II (S. 55-78) auch für die politische Geschichte des Kaiserreichs von Interesse.

Das Verhältnis zwischen Simon und dem Kaiser trug immer privaten, nie offiziellen Charakter und stand hauptsächlich in Zusammenhang mit den Aktivitäten der „Deutschen Orient-Gesellschaft“ (DOG) sowie dem Erwerb neuer Kunstwerke für die Berliner Museen. Simon verstand es dabei, seine Beziehungen zum Monarchen für die Ziele der DOG zu nutzen. Zu keinem Zeitpunkt jedoch versuchte er, einen persönlichen Vorteil aus seiner Stellung beim Kaiser zu ziehen, was dessen Vertrauen in ihn weiter befördert haben dürfte.
Für Wilhelm II. war Simon nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Mäzen und Kunstexperte von Interesse, an dessen „Spendenbereitschaft“ er wiederholt appellierte. So gehörte Simon zu den ersten Spendern, die 1911 dem Aufruf des Kaisers folgten und sich an der Finanzierung der „Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“ (KWG) beteiligten.

Aus dieser Zweckbeziehung entwickelte sich im Laufe der Zeit jedoch eine persönliche Beziehung, die, wenn vielleicht auch nicht von freundschaftlichen Gefühlen, so doch von gegenseitiger Wertschätzung geprägt, was angesichts der beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten keineswegs selbstverständlich war: auf der einen Seite der konservative Monarch, Oberhaupt der protestantischen Kirche mit einer latent antisemitischen Gefühlswelt, auf der anderen der liberale Unternehmer jüdischer Herkunft, der zu den Mitbegründern des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ zählte und politisch der Freisinningen Partei nahe stand. Daß ihre Beziehung gleichwohl auf gegenseitiger persönlicher Wertschätzung beruhte, zeigt sich vor allem daran, daß beide ungeachtet aller politischen und weltanschaulichen Unterschiede den Kontakt auch nach der Abdankung des Kaisers 1918 aufrechterhielten. Wie sehr Wilhelm II. Simon persönlich schätzte, verdeutlicht seine Geste zu dessen Beerdigung 1932: Er ließ einen Kranz an Simons Grab niederlegen. Diese Geste verdient um so mehr Beachtung als Simon sich zu keinen Zeitpunkt für eine Rückkehr zur Monarchie ausgesprochen, sondern die Weimarer Republik von Anfang an aktiv unterstützt hatte, wie sein frühes Engagement für die neu gegründete „Deutsche Demokratische Partei“ (DDP) belegt. Später, nachdem die Partei zunehmend nach rechts driftete, wandte er sich von der DDP ab und sympathisierte fortan mit der SPD. Auch politisch stellte Simon damit eine Ausnahmeerscheinung unter den wilhelminischen Eliten dar.

Was aber waren die Triebkräfte für Simons soziales und mäzenatisches Engagement? In der Beantwortung dieser Frage liegt eine der Stärken des Buches, denn Matthes zeigt auf überzeugende Weise, daß die Motive von Simons gemeinnützigem Handeln ebenso vielschichtig waren wie seine Persönlichkeit. Eine prägende Erfahrung war ohne Zweifel die geistige Behinderung und der frühe Tod seines dritten Kindes, der Tochter Marie Luise, die im Jahre 1900 im Alter von 14 Jahren verstarb. Für die Motivation seines intensiven Engagements zugunsten kranker Kinder dürfte hier eine der Ursachen liegen.

Obwohl Simons Verhältnis zum Judentum ambivalent war – er beteiligte sich nicht aktiv am Gemeindeleben und ging auch nicht regelmäßig in die Synagoge – steht sein Mäzenatentum doch auch eindeutig in einer spezifisch jüdischen Tradition, die allerdings eng mit seinem Handeln als Bürger verknüpft war. Zu dieser Tradition gehörte etwa die „Zedaka“ (das hebräische Wort für Wohltätigkeit), die Unterstützung Bedürftiger mit dem Ziel, ihre Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Diese Tradition war eine entscheidende Ursache für die Überlegenheit der Arbeit jüdischer Hilfs- und Wohltätigkeitsvereine gegenüber vergleichbaren christlichen Organisationen.3 Gleichwohl würde es zu kurz greifen, wollte man Simons philanthropisches Handeln nur aus der jüdischen Tradition heraus erklären. Denn wohltätig und mäzenatisch zu wirken, war eben auch eine der vornehmsten Bürgerpflichten. In dieser Haltung unterschieden sich jüdische und christliche Mäzene nicht grundsätzlich voneinander. Darüber hinaus zeigt Matthes, daß sich Simons mäzenatisches Engagement nicht als Kompensation gesellschaftlicher Defizite und Diskriminierungen, wie sie für Juden im der wilhelminischen Ära allgegenwärtig waren, verstehen läßt. Als Hauptmotiv identifiziert er vielmehr das Bestreben Simons, sich in die öffentlichen Belange einzumischen und im Idealfall auf Teilbereiche der Gesellschaft prägend zu wirken.“ In dieser Motivation manifestierte sich „eine Form von Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft“, die „ein zentrales Ideal bürgerlichen Handeln“ darstellte (S. 15), das auch heute wieder hochaktuell geworden ist. Nicht nur aus diesem Grund ist die Lektüre dieses ebenso lesenswerten wie lesbaren Buches wärmstens zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Bislang erschienen sind: Thomas W. Gaethgens/Martin Schieder (Hrsg.): Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft, Berlin 1998; Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hrsg.): Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin, 1998; Andrea Meyer, In guter Gesellschaft. Der Verein der Freunde der Nationalgalerie Berlin von 1929 bis heute, Berlin 1998; Manuel Frey: Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1999.
2 Vgl. Joachim Fest (Hg.): Die großen Stifter. Lebensbilder - Zeitbilder, Berlin 1997.
3 Vgl. hierzu: Elisabeth Krauss, Jüdische Stiftungstätigkeit: Das Beispiel der Familie Mosse in Berlin, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 45, 1997, S. 101-121; Simone Lässig, Juden und Mäzenatentum in deutsch. Religiöses Ethos, kompensierendes Minderheitenverhalten oder genuine Bürgerlichkeit?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 46, 1998, S. 211-236.

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