J. Schneider: Statistik des Hamburger seewärtigen Einfuhrhandels

Cover
Titel
Statistik des Hamburger seewärtigen Einfuhrhandels im 18. Jahrhundert. Nach den Admiralitäts- und Convoygeld-Einnahmebüchern


Herausgeber
Schneider, Jürgen; Krawehl, Otto E.; Denzel, Markus A.
Reihe
Quellen und Forschungen zur Historischen Statistik von Deutschland 20
Erschienen
St. Katharinen 2001: Scripta Mercaturae Verlag
Anzahl Seiten
619 S.
Preis
€ 80,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Engel, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Göttingen

Der jüngst erschienene Band 20 der “Historischen Statistik von Deutschland” macht sich schon dem Titel nach den Skeptikern des Sammelns historischen Zahlenmaterials verdächtig. Die “Statistik des Hamburger seewärtigen Einfuhrhandels im 18. Jahrhundert” weist einen im Vergleich zu anderen Bänden der Reihe offensichtlich recht engen Zuschnitt auf, denn es wird die Handelsstatistik einer einzelnen Stadt präsentiert – ja mehr noch, sogar nur ein Ausschnitt aus einer Handelsstatistik, da der Ausfuhrhandel gar nicht und der Einfuhrhandel auch nur im seewärtigen, nicht im landwärtigen Teil berücksichtigt ist. Fast unausweichlich gelangen die Skeptiker zu dem – falschen – Eindruck, das in diesem Band versammelte Datenmaterial könne nur einem engen Zirkel engstirniger Spezialisten für eine selbstreferentielle Detailforschung dienen – und dieses Vorurteil wandelt sich schnell in einen Vorwurf, bedenkt man, dass zur Datenerhebung wie bei anderen Bänden der “Historischen Statistik” ein entsprechendes DFG-Projekt nicht unerhebliche Forschungsmittel gebunden hat. Um den Band in das richtige Licht zu setzen, muss genauer hingesehen werden.

1. Welche Daten finden sich in diesem Band?

Vor Überlegungen zur Konzeption und Verwendbarkeit muss der genaue Gegenstand der vorliegenden Statistik deutlich werden. In einem Satz: Es handelt sich um eine Aggregation der in den 36 ganzjährig erhaltenen Bänden der sogenannten “Admiralitäts- und Convoygeld-Einnahmebücher” (ACEB) aus den Jahren 1733 bis 1798 enthaltenen Daten. Zweck der ACEB war die Verzeichnung derjenigen nach Hamburg eingehenden Schiffsladungen, auf die der sogenannte Admiralitätszoll zu entrichten war – woraus sich weitere, über die erfreulich ehrliche (weil präzise) Titelangabe hinausgehende, Beschränkungen der gebotenen Handelsstatistik ergeben. Zum Ersten waren nur Einfuhren aus Häfen westlich der Schelde, aus Übersee und Archangelsk admiralitätszollpflichtig – der Ostseehandel und die gerade in den frühen Jahren nicht unwichtigen Handelsbeziehungen zu Holland werden hier also nicht erfasst. Zum Zweiten waren wenige, wenn auch wichtige Warengruppen wie Getreide nicht admiralitätszollpflichtig (hierzu gibt es aber andere Aufstellungen) und zum Dritten – dies wiegt schwerer – waren für den Hamburger Eigenverbrauch und den direkten Transithandel bestimmte Lieferungen ebenfalls vom Zoll ausgenommen. Die Quote der infolge letzterer Regelung nicht verzeichneten Importe hat – wie aus anderen Einzelbelegen zu erfahren ist – für die späteren Jahre z.B. bei Kaffee fast 50% erreicht. (S.12) Zum Vierten sind die in den ACEB verzeichneten Einfuhrwerte natürlich nur Schätzungen der Zöllner, die zum Fünften auch nicht vor Falschdeklarationen und Schmuggel gefeit waren.

Angesichts dieser Beschränkungen mag sich ein an den dichten und ‚soliden’ Datenreihen des industriellen Zeitalters gewöhnter Historiker mit Grausen abwenden – dagegen ist aber einzuwenden, dass der unreflektierte Zugriff auf jede historische Datenreihe grundsätzlich leichtfertig ist und in diesem Fall der Leser in der – wenn auch kurzen – Einleitung doch deutlich über die Natur und Eignung der Daten unterrichtet wird. Einzig über die zeitgenössische Bestimmung der Warenwerte und die damit verknüpfte Verlässlichkeit der Daten wünscht man sich deutlich detailliertere Angaben – hier muss man wohl die Dissertation abwarten, mit welcher der Schlussbearbeiter der Statistik parallel zur Erstellung der Publikation eine Erstauswertung der Daten begonnen hat. 1

2. Was kann man mit diesen Daten anfangen?

Wenn auch im vorliegenden Band keine vollständige Handelsstatistik geboten werden kann, so sind es doch immerhin detaillierte und aussagekräftige Indikatoren zum hamburgischen Handel insgesamt, die neben den sehr guten englischen 2 und schwedischen 3 Belegen zu den vielleicht besten Angaben gehören, die für das Europa des 18. Jahrhunderts erhalten sind. Skeptisch kann man einwenden, dass auch die relativ beste Quelle zu einem Gegenstand immer noch unbrauchbar sein kann; dies ist hier aber gewiss nicht der Fall. Wenn auch keine exakte und kontinuierliche Rekonstruktion der Warenströme über den Hamburger Markt möglich ist – wer hätte dies auch erwartet? –, so können die relativen Bedeutungen einzelner Häfen und Waren bestimmt und ihre Entwicklung beobachtet werden; Schätzungen zur absoluten Größe der Warenströme können unter Hinzunahme weiterer Belege und Ergebnisse zu anderen europäischen Häfen vorgenommen werden.

Diese Erkenntnisse haben aus Sicht vieler Handelshistoriker einen Wert an sich – sie ermöglichen aber auch Zugang zu anderen, über klassische Handelsgeschichte hinausreichende Problemfelder. In Verbindung mit den dichten preishistorischen Quellen 4 zu Hamburg lassen sich etwa Fallstudien zu den Mechanismen vorindustrieller Märkte für eine Vielzahl von Waren durchführen. Da Hamburg als der mit weitem Abstand wichtigste deutsche Einfuhrhafen des 18. Jahrhunderts gelten muss – im Bereich der Kolonialwaren dürften z.T. mehr als zwei Drittel des deutschen Gesamtverbrauchs über hamburgische Importe gedeckt worden sein 5 –, kann man sich auch konsumhistorischen Fragen etwa nach der Größenordnung des deutschen Kaffeeverbrauchs gleichsam ‚von oben’ nähern.

3. Wie sind die Daten aufbereitet?

Dem Band zugrunde liegt eine Datenbank, in der fast 187.000 (!) Zolldeklarationen erfasst sind. Dieser Bestand ist auf zweierlei Weise aggregiert worden, zum Ersten nach Orten (jeweils nach Waren aufgegliedert) und zum Zweiten nach Waren (jeweils nach Orten aufgegliedert). Als dritte Möglichkeit ergäbe sich eine – allerdings auch nur für Spezialisten interessante – Aggregation nach den deklarierenden Importeuren, auf die hier aus guten Gründen verzichtet wurde.

In beiden Tabellenteilen wurden “sämtliche Orte bzw. Waren alphabetisch aneinandergereiht [...]. Ein gesondertes Register ist daher nicht erforderlich” (17), wird in den Benutzungshinweisen begründet. Warum die überflüssigen Register trotzdem mitgeliefert werden, bleibt da etwas rätselhaft. Zumindest im Fall des Warenverzeichnisses ist ein Nutzen erkennbar: Da bei vielen Deklarationen heute nicht mehr auflösbare Sammelbezeichnungen verwendet wurden – etwa “Farbholz” oder gar “Farbware” statt spezieller “Brasilholz” –, hilft das Warenverzeichnis, die zu einer bestimmten Ware gehörigen über- und untergeordneten Bezeichnungen zu identifizieren. Diese Zuordnung durch die Bearbeiter ist natürlich subjektiv, folglich kann darüber auch gestritten werden – und da die wenigen abweichenden Einschätzungen des Rezensenten nicht weniger subjektiv sind, brauchen sie an dieser Stelle auch nicht referiert zu werden. Bemerkt sei allenfalls, dass das Verzeichnis nicht ganz vollständig ist, da etwa einige Querverweise nur in eine Richtung führen. Auch davon abgesehen mag der Zugang zu verschiedenen Waren etwas mühselig erscheinen – die hier gewählte quellennahe Aufbereitung ist aber zu loben und einer Zusammenfassung zu größeren Kategorien wie etwa “Farbwaren” vorzuziehen, die der Leser bei Bedarf auch selbst durchführen, nicht aber – so sie schon in der Veröffentlichung vorgenommen wird – rückgängig machen kann.

Keine gute Idee hingegen ist der Verzicht auf Aggregation an einer anderen Stelle: Für jede Kombination aus Ware und Ort wurden die Warenwerte der entsprechenden Deklarationen jahrweise summiert angegeben, so dass sich leicht übersehen lässt, wie viel Kaffee pro Jahr aus Marseille und wie viel aus London eingeführt worden ist. Was sich dagegen überhaupt nicht übersehen lässt, ist wie viel Kaffee pro Jahr denn INSGESAMT nach Hamburg importiert wurde – hierzu muss der Leser die Angaben zu den einzelnen Häfen nachträglich selbst zusammenfassen, im Falle des Kaffees also zehn Spalten mit Daten – rund 600-700 Angaben! – per Hand nach Jahren getrennt summieren. Das Problem potenziert sich, falls die Reihe für eine Sammelbezeichnung wie “Farbhölzer” oder gar “Farbwaren” gefragt ist.

Dieses Versäumnis ist ebenso befremdlich wie ärgerlich, da so der Benutzungsaufwand des Bandes für jeden, der nicht nur an Einzelangaben interessiert ist, unnötige – für manchen vielleicht abschreckende – Dimensionen annimmt. Die erzielte Seitenersparnis kann diesen Verzicht keinesfalls rechtfertigen, zumal angesichts der großzügigen Seitenränder (z.B. links und rechts 3,5 cm) Raumnot auch kaum ein Problem gewesen sein kann.

4. Schlussfolgerungen

Angesichts der überragenden Bedeutung Hamburgs als deutscher Einfuhrhafen im 18. Jahrhundert und angesichts der ansonsten desaströsen Quellenlage kommt der vorliegenden Statistik trotz der Bruchstückhaftigkeit und den Beschränkungen der Quelle eine für die Geschichte des Handels in Mitteleuropa enorme Bedeutung zu. Zusammen mit dem über die klassische Handelsgeschichte hinausgehenden Nutzen z.B. zu ‚markt’- und konsumhistorischen Fragen ist der für die Kompilierung des Bandes betriebene hohe Aufwand durchaus zu rechtfertigen, hält man mit ihm doch ein Stück quantitativer Grundlagenforschung zum 18. Jahrhundert in den Händen.

Da ist es umso betrüblicher, dass nach den jahrelangen Arbeiten ‚auf der Zielgeraden’ die Konzeption des Bandes nicht zu Ende gedacht wurde und die resultierende mangelhafte Benutzbarkeit der Auswertung Grenzen setzen wird. Der Leser mag sich mit der Erkenntnis trösten, dass ihm die Daten überhaupt zur Verfügung stehen und das entsprechende DFG-Projekt nicht, wie bei solchen Großvorhaben regelmäßig drohend, in einen kolossalen ‚Datenfriedhof’ mündete – eine Gefahr, die durchaus bestanden hat, wie im Geleitwort aufrichtig eingeräumt wird. So verdient die langwierige und unerquickliche Arbeit der Datenaufnahme und -kompilierung in jedem Fall höchsten Respekt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Frank Schulenburg, Die Auswertung der hamburgischen Admiralitätszoll- und Convoygeld-Einnahmebücher: Ein Beitrag zur Geschichte der wirtschaftlichen Rückwirkungen der europäischen Expansion. In: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 1 (2001), S. 175-180.
2 Elisabeth Boody Schumpeter, English Overseas Trade Statistics 1697-1808, Oxford 1960.
3 Statistiska Centralbyrån (Hrsg.), Historisk Statistik för Sverige, Bd. 3: Utrikeshandel 1732-1970, Stockholm 1972.
4 Ab 1736 vollständig erhalten ist der Hamburger Preiscourant, für 129 Waren jahrweise aggregiert bei Hans-Jürgen Gerhard / Karl Heinrich Kaufhold (Hrsg.), Preise im vor- und frühindustriellen Deutschland. Nahrungsmittel – Getränke – Gewürze. Rohstoffe und Gewerbeprodukte, Stuttgart 2001.
5 Dies wird aus verschiedenen Einzelbelegen deutlich, vgl. etwa Paul Butel, Le trafic européen de Bordeaux, de la guerre d’Amérique à la Révolution. In: Annales du Midi, 78 (1966), S. 37-82, hier: 46-49.

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