Ohne Zweifel stellt die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland neben der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einen der am intensivsten aufgearbeiteten Bereiche der deutschen Zeitgeschichtsforschung dar. Seit den sechziger Jahren haben sich unzählige Detailanalysen, Gesamtdarstellungen, und Neuinterpretationen mit allen denkbaren Facetten dieses Themas auseinandergesetzt; der „lange Schatten des westlichen Frontstaats“ 1 Bundesrepublik wirkt in dieser Hinsicht bis heute nach. Sowohl die nach jeweils dreißig Jahren anstehende Öffnung der Archive als auch die nunmehr seit mehr als einem Jahrzehnt laufende Großedition der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“ des Instituts für Zeitgeschichte taten das ihre, einschlägige Forschungsstränge weiter zu intensivieren.
Angesichts der weltpolitischen Konstellationen verwundert es zudem nicht, dass in diesem Zusammenhang vor allem die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu zentralen Akteuren des internationalen Staatensystems wie den USA und der Sowjetunion bzw. Russland oder auch den großen europäischen Nachbarn, Großbritannien und Frankreich, besondere Aufmerksamkeit fanden. Eine vergleichbare Beachtung haben dabei nur noch die Beziehungen zu einem einzigen anderen Staat gefunden: diejenigen zu Israel. Das schwierige Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum jüdischen Staat fand seit den Verhandlungen über das Luxemburger Abkommen und die sogenannte Wiedergutmachung, dessen Ratifizierung sich im März 2003 zum fünfzigsten Mal jährt, immer besondere Aufmerksamkeit. So erschienen allein in den vergangenen beiden Jahren eine grundlegende Analyse der Anfänge der deutsch-israelischen Beziehungen von Dominique Trimbur 2 und eine umfangreiche Gesamtdarstellung der deutschen Israelpolitik von Markus Weingardt 3.
Nun hat Niels Hansen in die wissenschaftliche Auseinandersetzung um diesen Teilbereich deutscher Außenpolitik mit einem in vielerlei Hinsicht monumentalen Werk eingegriffen. Seine Schilderung der deutsch-israelischen Beziehungen der Jahre 1949 bis 1965 sprengt manche Grenzen und wird die Forschung sicher noch lange beschäftigen. Zum einen hängt dies schlichtweg mit Umfang und Detailgenauigkeit seiner Darstellung zusammen: Auf fast 900 Seiten, untermauert durch mehr als 3500 Fußnoten, zeichnet Hansen auf der Basis einer gründlichen Auseinandersetzung der in Deutschland und Israel verfügbaren Archivquellen sowie der Literatur die Entwicklung der bilateralen Beziehungen beider Staaten minutiös nach.
Zum anderen hat sich Hansen, von 1952 bis 1989 im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland, seit den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts professionell mit der deutschen Außenpolitik beschäftigt und ganz offensichtlich dabei Israel seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Als Mitarbeiter im Ministerbüro Heinrich von Brentanos (1955-1958) und in anderen Verwendungen war es ihm möglich, einen Teil der von ihm geschilderten Vorgänge persönlich zu verfolgen, später dürfte die Zeit als Botschafter der Bundesrepublik in Israel (1981-1985) sein Interesse an diesem Staat und den deutsch-israelischen Beziehungen weiter vertieft haben. Vergleichbare Voraussetzungen für eine solche Darstellung werden künftig niemand anderem mehr zur Verfügung stehen.
In Anlage und Methodik bleibt das Buch von Niels Hansen konventionell. Umrahmt von Prolog und Epilog schildert er die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel von den tastenden Anfängen der wechselseitigen Wahrnehmung in den späten vierziger Jahren bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen unter Bundeskanzler Ludwig Erhard im Mai 1965 und dem im folgenden Jahr vereinbarten „Abkommen über Wirtschaftshilfe“ im Mai 1966, mit dem die Bundesrepublik die auslaufenden Lieferungen aus dem Luxemburger Abkommen dauerhaft fortsetzte.
Der erste Teil (S. 25-153) behandelt zunächst die vor den ersten Kontakten auf deutscher wie israelischer Seite bestehenden Schwierigkeiten angesichts des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden. Besonders in der Schilderung des israelischen Meinungsbildungsprozesses kommen die vielen Vorbehalte deutlich zum Vorschein. Doch auch die treibende Rolle Konrad Adenauers auf deutscher Seite und das Zögern der westlichen Alliierten werden kenntnisreich dargestellt. Im folgenden Teil (S. 155-366) wird „Der Weg zum Luxemburger Abkommen“ minutiös und in all seinen Verästelungen nachgezeichnet, wobei vor allem der Seitenblick auf die Haltung Österreichs (S. 277-289) die Beachtung lohnt.
Sodann setzt sich Hansen unter der etwas unglücklichen Überschrift „Paradigmenwechsel zur Formalisierung“ (S. 367-537) mit den vielfältigen Problemen des bilateralen Verhältnisses zwischen 1953 und 1960 auseinander. Während Israel immer mehr auf die Herstellung diplomatischer Beziehungen drängte, zögerten die Entscheidungsträger in Bonn, wo man zunächst diese „Formalisierung“ des Verhältnisses durchaus angestrebt hatte, angesichts der inzwischen gleichsam zum Dogma erhobenen Hallstein-Doktrin und arabischer Drohungen mit der Anerkennung der DDR. Hansens Darstellung der Anfänge der geheimen Rüstungszusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik, die auf einen von ihm bereits 1999 publizierten Aufsatz zurückgreift 4, stellt dabei die bislang gründlichste und nüchternste Schilderung dieses ungewöhnlichen Kapitels deutscher Außenpolitik nach 1945 dar (S. 479-502).
Es folgt ein Abschnitt über das berühmte Treffen von Konrad Adenauer und David Ben Gurion in New York und seine Folgen (S. 539-690). Allerdings lässt sich nur bedingt nachvollziehen, warum unter anderem sowohl das Problem der Verjährungsfrage bei nationalsozialistischen Gewaltverbrechen wie die Beziehungen Israels zur EWG inhaltlich ausgerechnet den Konsequenzen der Begegnung in New York zugeordnet werden. Im letzten Abschnitt behandelt Niels Hansen unter der sprachlich wiederum etwas misslungenen Überschrift „Die Verwicklung des gordischen Knotens und seine Kappung“ (S. 691-823) die Krise in den deutsch-arabischen Beziehungen der Jahre 1964/65 sowie die Israelpolitik der Regierung Erhard; auch hier werden die Ereignisse und die Meinungsbildung der zentralen Entscheidungsträger insgesamt mustergültig nachgezeichnet.
Insgesamt bietet das Buch von Hansen nicht nur die umfassendste Darstellung der Thematik, es vermag zudem auch durch im großen und ganzen ausgewogene Wertungen zu überzeugen. Deutlich zu kurz kommt allerdings die Einbindung der Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen in den Kontext der internationalen Politik. Die Verwendung lediglich zweier Bänder der „Foreign Relations of the United States“, beide zudem aus der Serie 1964-1968, sowie die komplett fehlende Erwähnung der „Documents Diplomatiques Français“ – die entsprechenden Archive hat Hansen gleichfalls nicht aufgesucht – belegen schlaglichtartig, dass diese zeitweise entscheidende Dimension des bilateralen Verhältnisses, gerade bei zwei Staaten, die beide in einem extrem abhängigen Verhältnis zu den USA standen, viel zu wenig Beachtung findet. Ähnliches gilt mutatis mutandis für die arabischen Staaten.
Ein zweiter, durchaus bedeutsamer Kritikpunkt hängt schließlich mit dem Umfang des Buches, vor allem jedoch mit dem Stil von Niels Hansen zusammen: Die Lektüre des detailgesättigten Werks ist ein ausgesprochen mühsames und trockenes Unterfangen. So steht zu befürchten, dass leider nur wenige die lohnende Mühe auf sich nehmen werden, die beste Darstellung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel in der Ära Konrad Adenauer und David Ben Gurion zu lesen. Seinen wissenschaftlichen Wert wird das Buch dennoch behalten.
Anmerkungen:
1 Vgl. Michael Gehler, Zeitgeschichte zwischen Europäisierung und Globalisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 51-52 (2002), 23. Dezember 2002, S. 32f.
2 Vgl. Dominique Trimbur, De la Shoah à la réconciliation? La question des relations RFA-Israël, Paris 2000.
3 Vgl. Markus A. Weingardt, Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Die Geschichte einer Gratwanderung seit 1949. Frankfurt am Main, New York: Campus, 2002.
4 Vgl. Niels Hansen, Geheimvorhaben Frank; Kol. Zur deutsch-israelischen Rüstungszusammenarbeit 1957 bis 1965, in: Historisch-politische Mitteilungen 6 (1999), S. 229-264.