Die zahlreichen kulturellen Formen innerhalb der Grenzen des römischen Imperiums und die Fülle des archäologischen Materials haben zu zahlreichen Spezialisierungen in der Altertumswissenschaft geführt. Eine davon ist die Disziplin der Provinzialrömischen Archäologie, die sich mit der materiellen Hinterlassenschaft in den römischen Provinzen befaßt. Allein dieses Verständnis provoziert die Frage, ob die zunächst juristische Definition der römischen Provinz einer kulturellen Einheitlichkeit des Betrachtungsgebietes entspräche. Zudem besteht das Problem, inwieweit sich die Archäologie der Stadt Rom von der des Römischen Reiches sinnvoll scheiden ließe und wie Wechselbeziehungen und lokale Traditionen in dem Begriff der Provinz aufgefangen werden könnten. Aufgrund dieser Fragen, aber auch wegen der mittlerweile unübersehbaren Menge der Spezialstudien ist es zu begrüßen, wenn mit dem vorliegenden Band eine Studieneinführung in diese Spezialwissenschaft und eine Klärung theoretischer Fragen geboten werden soll.
Die Anzahl der Abhandlungen dieses Buches macht eine Konzentration auf deren gemeinsame Anordnung notwendig. Geboten wird eine thematisch gegliederte Behandlung des Materials, um das sich in achtzehn Kapiteln vierundzwanzig Verfasser bemühen. Ein Vergleich des umfangreichen Literaturverzeichnisses (S. 325-392) mit der Autorenliste (S. 393f.) zeigt, daß es sich dabei oft um Spezialisten handelt, die selber an der jeweiligen Forschung mitwirken. Es fällt allerdings auf, daß eine generelle Überregionalität der Autorenschaft nicht angestrebt wurde. Ein Großteil der Beiträge wurde von Mitgliedern des Archäologischen Instituts der Universität Köln verfaßt. Ein Blick in vergleichbare, aktuelle Publikationen zeigt,[1] daß in dieser Autorenwahl keine Notwendigkeit lag. Das alleine ist kaum negativ zu bewerten, geht aber mit einer ebenso bemerkenswerten Beschränkung des Materials zusammen: Der Fokus der Darstellungen ist durchgängig auf die nordwestlichen und überwiegend germanischen Provinzen gerichtet, was eher wissenschaftshistorisch als aus der Sache selber begründet wird (S. 11f.).
Es kommt hinzu, daß der erste Eindruck auch durch einige formale Schwächen des Buches gestört wird. So fehlt z.B. ein Index, der sehr nützlich gewesen wäre und durch wenige Querverweise im laufenden Text kaum zu ersetzen ist. Zwei Karten können schwerlich die gebotene Informationsfülle visualisieren, eine genaue Karte der bevorzugt behandelten Provinzen wäre angesichts der zahlreichen Ortsnennungen sinnvoll gewesen. Die Illustrationen schließlich sind den Beiträgen eher ungleichmäßig zugeordnet und meist von schlechter Qualität (z.B. im Beitrag über die Wandmalerei, S. 165ff.). Unterschiedlich ist auch das Zusammenspiel von Text und Abbildung. So kann es geschehen, daß dem Leser als Illustration zu einem topographisch vor allem auf Mitteleuropa festgelegten Beitrag über Bewaffnung (S. 224ff.) die Abbildung eines Schildes aus Dura-Europos ohne diesen Herkunftshinweis geboten wird (S. 244); man könnte die Provenienz allenfalls nach Angaben an anderem Ort erraten (S. 228).
Der Eindruck einer unzureichenden Redaktionsarbeit verstärkt sich angesichts nicht weniger Flüchtigkeitsfehler (die Schlacht von Actium fand z.B. sicher nicht 27 v.Chr. statt, S. 104), aber auch unnötiger Überschneidungen. So wird der Leser etwa an zwei Stellen über Herkunft und Bedeutung der numeri aufgeklärt (S. 108, 119). Über die antiken Militärschriftsteller handelt man mehrmals (S. 103f., 113, 123), die Hinweise auf Textausgaben oder Übersetzungen sind aber sehr vereinzelt oder fehlen. Die Bibliographie an sich ist ausführlich, aber wie die Beiträge keiner vereinheitlichenden Redaktion unterzogen worden. Dies stört vor allem, wenn hier aufgeführte Literatur im Text offensichtlich nicht verarbeitet wurde oder wenn Zitate in der Literaturliste nicht aufgelöst werden (u.a. S. 77f., 113, 187). Teils ist die Bibliographie aber auch zu knapp: So werden Sarkophage angesprochen (S. 161), aber die bewährten Handbücher von Guntram Koch und Hellmut Sichtermann nicht erwähnt.[2]
Aus der Kapiteleinteilung geht keine geschlossene Herangehensweise hervor. Die Beiträge scheinen beziehungslos aneinandergereiht, sie orientieren sich vor allem an Denkmälergattungen, Bautypen usw. Darin ist kaum ein größerer, eben provinzialer Zusammenhang zu erkennen. Am Anfang stehen vier Kapitel über Methodik und Forschungsgeschichte der Provinzarchäologie. Der terminologisch doch grundlegende und sehr informative Artikel von Werner Eck über die Definition von Provinz erscheint allerdings erst an fünfter Stelle (S. 43ff.). Ab dem sechsten Kapitel begrenzen die jeweiligen archäologischen Denkmälergattungen die Abschnitte. Auf Städtebau und Architektur folgen Betrachtungen zu Landwirtschaft und Verkehr, dann zur militärischen Organisation und Infrastruktur. Es folgen (Kapitel 11 bis 14) Darlegungen zur Kunst, Medizin, Religion und zu Grabsitten. Das Kapitel 15 behandelt Hortfunde, im Kapitel 16 werden Inschriften, Schmuck, Keramik und dergleichen unter dem Oberbegriff "Fundmaterial" subsumiert. Die letzten beiden Kapitel behandeln ganz knapp die archäologische Evidenz der Beziehungen zwischen römischen Provinzen und der Germania libera.
Es sei dabei unbenommen, daß etliche der genannten Beiträge einen hohen Informationswert besitzen. Jedoch kann nicht aus allen Beiträgen erkannt werden, wo das spezifisch provinziale und vor allem nordwestlich-provinziale Moment liegen mag. In der Einleitung wird zwar eine "individuelle, unverwechselbare Provinzkultur" bezeichnet (S. 14). Es wäre aber gerade doch interessant gewesen, den Unterschieden und Gemeinsamkeiten, den Romanisierungstendenzen sowie der entsprechenden Literatur ein eigenes, synthetisierendes Kapitel zu widmen, statt bloß die Gattungen aneinander zu reihen. An den Betrachtungen der religiösen Sitten (S. 184ff.), aber auch an der Erörterung von Architektur (S. 68ff.) und Kunst (S. 152ff.) wird deutlich, wie schwierig die vereinfachende Differenzierung in Provinzen und Reichszentrum ist.
Am Ende fragt man sich gezwungenermaßen, was eigentlich Provinzialrömische Archäologie ist. Weder in den Methoden noch im Material sind Spezifika zu erkennen. Betont werden muß außerdem, daß in diesem Buch immer von kaiserzeitlichen Provinzen die Rede ist; eine Historisierung des Materials hinsichtlich der Republik und Spätantike wurde nur teilweise angestrebt. Es bringt auch nichts, der erörterten Disziplin einen Eigenwert zumessen zu wollen, indem verwandte Fächer - vor allem die Klassische Archäologie - in ihren Methoden festgelegt bzw. abgewertet werden. Es wird z.B. davon gesprochen, daß "Kontexte" in der Klassischen Archäologie erst seit den letzten Jahren eine größere Rolle spielen würden (S. 15, 152); eine Behauptung, die sich natürlich als schlichtweg falsch erweist, weist man nur auf die traditionsreichen Grabungen Klassischer Archäologen in Olympia und Pergamon hin. Die oben bemerkte Restriktion auf die nordwestlichen Provinzen wird nicht aufgelöst und nur selten ist es Ziel, über dieses Gebiet hinauszuweisen und dem Leser ein vergleichendes Bild zu bieten; als positives Beispiel ist der Beitrag von Johannes Heinrichs über Münzen zu nennen (S. 213ff.). Dagegen erwähnt Egon Schallmeyer in seinem Beitrag zu den limites (S. 123ff.) nur in wenigen Zeilen die östlichen Grenzen des Reiches und bleibt dem Leser den Verweis auf wesentliche Vergleichsliteratur, wie die Werke von Benjamin Isaac oder Joelle Napoli,[3] schuldig. Irritierend ist die sehr unterschiedliche Länge der Beiträge und dabei vor allem die Konzentration auf das römische Militär. Dieser Eifer läßt sich vielleicht mit dem reichen Material begründen, drängt allerdings anderes auch unnötig zur Seite. Während den burgi acht Seiten eingeräumt wurden (S. 143ff.), bleiben für die Tempel nur zwei (S. 77ff.).
Bisher wurde auf Schwächen in der Struktur und Anlage der vorliegenden Publikation hingewiesen. Das sagt jedoch nicht notwendig etwas über den Charakter der einzelnen Beiträge aus, die überwiegend sehr aufschlußreich sind und auch für sich begriffen werden sollten. Dazu gehören insbesondere der Beitrag von Renate Thomas über die Wandmalerei (S. 165ff.) und die Ausführungen zur Keramikproduktion von Pia Eschbaumer u.a. (S. 267ff.). Dennoch seien hier einige Kritikpunkte angeführt.
Die "Forschungsgeschichte" (S. 16ff.) von Jürgen Obmann ist sprachlich etwas frei, da ist z.B. unkommentiert die Rede von "kriegerischen, nationalen und sittenreinen Germanen" (S. 20). Auch ist kein Bemühen erkennbar, in der historischen Entwicklung des Faches irgendwelche Alternativen zu sehen. Man hat den Eindruck, daß Provinzialrömische Archäologie das Rheinland behandelt und auch dort gemacht wird. Das stimmt dann allerdings nicht mit einer eher zögerlichen Definition des Faches am Anfang des Buches (S. 13ff.) überein. Unerwähnt bleibt etwa, daß sich die (Klassische) Archäologie in der ehemaligen DDR nicht aus Borniertheit, sondern aufgrund politischer Zwänge nur wenig in der gewünschten Weise dem Bereich der römischen Provinzen zuwenden konnte. Daß die ostdeutschen Wissenschaftler dann aber mit ihren Arbeiten vor allem in Iatrus an der Donau Alternativen demonstrieren konnten, hätte eine Erwähnung verdient.
Teilweise sind die Beiträge ziemlich allgemein gehalten. Was etwa über Grabungsmethoden geäußert wird (von Thomas Fischer, S. 32ff.), ist zu knapp, als daß nicht doch der Griff zum Spezialhandbuch notwendig wäre. Ähnliches gilt für den Beitrag über die römischen Inschriften (von Thomas Lobüscher, S. 207ff.), der weder in seiner Länge noch seines Inhalts nach ausreicht, um dieser gewichtigen Quellengattung gerecht zu werden. Andererseits sind manche Äußerungen aber auch zu speziell, um den intendierten propädeutischen Zweck zu erfüllen. Das gilt vor allem für die Äußerungen zum Militärwesen. Was ist "Fundmaterial" und was nicht (16. Kapitel)? Darunter werden Schmuck und Terrakotten verbucht, während Kleinbronzen offenbar eher zur "Kunst" gehören (S. 155f., allerdings ohne die Nennung der Statuetten aus Köln).[4] Viel zu allgemein sind auch die Angaben zur "Religion" (von Thomas Lobüscher, S. 184ff.). Der Abschnitt über den Mithras-Kult ist sprachlich etwas unklar, auch wäre der Verweis auf das bedeutsame Londoner Heiligtum wichtig gewesen.[5] Der Isis-Kult, der wahrscheinlich in Köln und Mainz angesiedelt war, spiegelt sich zwar in der Literaturliste wider, im Text findet er aber keine Erwähnung.
Abschließend läßt sich zusammenfassen, daß in dem vorliegenden Band nur bedingt eine Einführung in die Belange der römischen Provinzen und ihre Archäologie erkennbar ist. Als besonderer Mangel wurde die fehlende Theoretisierung, aber auch die geographische Beschränkung empfunden. Der Wert einzelner Beiträge liegt nicht so sehr in der Intention des Buches oder seiner Gesamtredaktion, sondern vor allem in der Sorgfalt der jeweiligen Verfasser begründet. Der Nutzen der Publikation wird sich also letztlich im selektiven Zugriff des Lesers zeigen.
Anmerkungen
[1] Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht. Ausstellungskatalog München 2000, hrsg. v. L. Wamser, Mainz 2000.
[2] Sichtermann, H./ Koch, G.: Römische Sarkophage, München 1982; Koch, G.: Sarkophage der römischen Kaiserzeit, Darmstadt 1993.
[3] Isaac, B. H.: The limits of empire. The Roman army in the East, Oxford 1990; Napoli, J.: Recherches sur les fortifications linéaires romaines, Rome 1997.
[4] Vgl. Franken, N.: Die antiken Bronzen im Römisch-Germanischen Museum Köln. Die Bronzestatuetten ohne Fundortangabe. Die Statuetten aus dem Fund von La Comelle-sous-Beuvray, in: KölnJb 27 (1994), S. 405-511; ders.: Die antiken Bronzen im Römisch-Germanischen Museum Köln. Fragmente von Statuen. Figürlicher Schmuck von architektonischen Monumenten und Inschriften. Hausausstattung, Möbel, Kultgeräte, Votive und verschiedene Geräte, in: KölnJb 29 (1996), S. 7-203.
[5] Shepherd, J. D.: The temple of Mithras, London. Excavations by W. F. Grimes and A. Williams at the Walbrook, London 1998.