Th. Großbölting u.a. (Hgg.): Unternehmerwirtschaft

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Titel
Unternehmerwirtschaft zwischen Markt und Lenkung. Oranisationsformen, politischer Einfluß und ökonomisches Verhalten 1930-1960


Herausgeber
Großbölting, Thomas; Schmidt, Rüdiger
Erschienen
München 2002: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
302 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Um es gleich vorweg zu nehmen, der vorliegende Sammelband enthält neun fundierte Studien, gleichwohl enttäuscht er, aber dazu später. Je drei der Aufsätze widmen sich dem Nationalsozialismus, der DDR und der Bundesrepublik. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen - was dem Titel des Bandes nicht so deutlich zu entnehmen ist - die Entwicklung mittelständischer Unternehmer und des Handwerks sowie der Industrie und Handelskammern. Die Solidität der vorgelegten Studien resultiert schon daraus, dass ihnen - bis auf eine - umfangreichere selbständige Publikationen älteren und neueren Datums zugrunde liegen und auch bei der einen Ausnahme ist wohl eine solche in Vorbereitung.

Im Komplex zum Nationalsozialismus untersucht Adelheid von Saldern Leistungsanreize und -druck für das Handwerk, wobei diese mit verschiedenen Mitteln erhöht wurden. Dabei nimmt sie Leistung als Ergebnis von Disziplinierung, als Ausdruck von Modernisierung, als soziale Konstruktion und Qualitätsarbeit, unter der Geschlechterperspektive, unter dem Aspekt des Ausschlusses von Leistungsschwachen und "nicht-arischer" Betriebe sowie der Ausbildung in den Blick. Abschließend widmet sie sich Fragen der moralischen Ökonomie im Handwerk der NS-Zeit sowie den Kontinuitäten und Brüchen nach 1945. Astrid Gehrig geht auf das Handeln dreier mittelständischer Maschinenbauunternehmen aus Südwestdeutschland in der NS-Rüstungs- und Kriegswirtschaft ein. Dabei fragt sie danach, wie sich im Rahmen des zunehmenden Dirigismus der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung das Produktionsprofil, die Kapazitäten, die Auftragslage und der Umgang mit den Beschäftigten veränderten. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Verhältnis der Unternehmer zur NSDAP und zu den Lenkungsmaßnahmen, um herauszuarbeiten, dass sich die Unternehmensinteressen in der letzten Kriegsphase zunehmend von den kriegswirtschaftlichen Erfordernissen entfernten. Bleibt Gehrig in ihrer Darstellung eng bei den drei von ihr untersuchten Unternehmen, versucht Petra Bräutigam die mittelständischen Unternehmen Südwestdeutschlands stärker übergreifend zu analysieren, wobei sie auf ihre eigenen Forschungen zu Schuh- und Lederindustrie sowie auf Studien anderer zurückgreift. Ihr geht es um die wirtschaftliche Entwicklung der Firmen und das persönliche Verhalten der Unternehmer während des Nationalsozialismus. Beides verbunden wird bei der Frage nach dem Umgang mit jüdischen Beschäftigten und Konkurrenten. Insgesamt zeichnet sie auf Basis der neueren Forschungen ein differenziertes Bild von der südwestdeutschen Unternehmerschaft: Sie hielten sich politisch von der NS-Bewegung eher fern, leisteten aber keinen Widerstand. Dagegen wollten sie die NS-Wirtschaftspolitik im Interesse ihres Betriebes nutzen. Ambivalent war auch ihr Umgang mit den Juden. Bräutigam bringt das Verhalten der südwestdeutschen Unternehmer auf den Nenner: "politische Attentisten, wirtschaftliche Profiteure" (S. 140). Die Konzentration dieser Studien auf den südwestdeutschen Raum wirft jedoch die Frage auf, inwieweit sich die Entwicklung dort von der in anderen Regionen unterscheidet oder dieser gleicht.

Den Industrie- und Handelskammern in der SBZ und der frühen DDR wendet sich Thomas Großbölting in seinem Beitrag zu. Er beschreibt ihre Wandlung von einer Institution, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit ihrer Funktion als Interessenvertreter des Mittelstandes noch weitgehend gerecht werden kann, mehr und mehr aber dem Zugriff der SED-Wirtschaftspolitik unterlag und der Aufgabe diente, die privaten Unternehmen in die Planwirtschaft zu integrieren, und schließlich auch dadurch hervortrat, dass sie an die Betriebsinhaber appellierte, in ihrem Handeln nicht nur an ihre einzelwirtschaftlichen Interessen, sondern ganz im Sinne einer zentral gelenkten Ökonomie auch die Privatinitiative den gesamtwirtschaftlichen Belange unterzuordnen. Ausgehend von dem Befund, dass in der DDR bis zu ihrem Ende ein selbständiges Handwerk existierte und oft auch sehr gut verdiente, geht Armin Owzar der Frage nach, welche Wirkung für diese soziale Gruppe die SED-Wirtschaftspolitik hatte, folgte sie doch grundsätzlich einem Sozialisierungsimpetus. Owzar arbeitet heraus, dass dem zu verschiedenen Zeiten immer wieder unterschiedliche Sachzwänge entgegenstanden. Gleichwohl kam es ebenso des Öfteren zu Versuchen, das Handwerk zu kollektivieren oder gar zu verstaatlichen. In der Folge der daraus resultierenden "Pendelbewegung" der SED-Mittelstandspolitik waren entweder Redifferenzierungstendenzen oder Versorgungsengpässe zu verzeichnen, auf die dann wieder mit neuen Wendungen der Politik reagiert wurde. Die Handwerker selbst arrangierten sich - so der Schluss von Owzar - wider Willen. Rüdiger Schmidt wiederum widmet sich der Enteignungspolitik in Sachsen-Anhalt von 1945-1948 an Hand dreier konkreter Fälle, um daraus zu folgern, dass Zonen-, Landes- und Kommunalbehörden miteinander um die enteigneten Betriebe konkurrierten, weil damit über ihre jeweiligen zukünftigen Möglichkeiten entschieden wurde. Schließlich versuchten sich die Betroffenen gegen das überwiegend politisch begründete Vorgehen mit juristischen Mitteln zu wehren.

Mit der Lage ostwestfälischer Handwerker in der unmittelbaren Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik befasst sich Bernd Holtwick. Dabei arbeitet er heraus, dass der allgemeine Mangel in den Jahren bis 1948 nicht gleich verteilt war, vielmehr stellte sich die Lage für Industrie und Handwerk, für Anbieter und Nachfrager sowie Eingesessene und Neuankömmlinge unterschiedlich dar: Die Handwerker erwiesen sich unter diesen Bedingungen als die erfolgreicheren, als Anbieter ging es ihnen besser als den Konsumenten und die etablierten Betriebe profitierten stärker. Die Errichtung der Marktwirtschaft mit der Währungsreform barg für die Handwerker Risiken und Belastungen, die aber von den Chancen in dem sich entwickelnden Boom aufgewogen wurden. Die Entwicklung der Industrie und Handelskammern in Westdeutschland untersucht Jürgen Weise, wobei er den Kampf der Gewerkschaften um eine paritätische Umbildung dieser Unternehmervertretungen in den Mittelpunkt rückt. In dem abschließenden Beitrag widmet sich Volker Berghahn dem Selbstverständnis und dem politischen Einfluss der Unternehmer in der frühen Bundesrepublik, wobei er letzteren als hoch veranschlagt, aber darauf verweist, dass diese keinesfalls mit einer Stimme sprachen, sondern vielfältige Interessen verfolgten. In Bezug auf das Selbstverständnis der Unternehmer wirft Berghahn an Hand neuerer Ansätze und Literatur eine Reihe von offenen Forschungsproblemen auf. Dabei weist er in diesem Zusammenhang insbesondere noch einmal auf die Plausibilität der Amerikanisierungsthese hin. Diese Ausführungen wären vor dem Hintergrund jüngst erschienener Arbeiten noch einmal neu zu diskutieren.1

Insbesondere in den Beiträgen von Berghahn und von Saldern werden Fragen und Probleme aufgeworfen, die über die den Beiträgen zugrunde liegenden Studien - die in diesen Fällen auch bereits vor längerem vorgelegt wurden - hinausweisen. Insofern bleibt der Band enttäuschend, dass er - die Kenntnis der einzelnen Studien vorausgesetzt - nur wenig darüber Hinausgehendes enthält. Bei der Anlage des Bandes, den Mittelstand in drei verschiedenen Wirtschaftssystemen zu betrachten, hätte man zudem mehr Aussagen zum diachronen oder synchronen Vergleich ebenso wie einen stärkeren Blick über die gängigen Grenzen und Zäsuren erwartet. Auch die entsprechenden Aussagen der beiden Herausgeber in ihrer Einleitung bleiben holzschnittartig und führen in der Diskussion kaum weiter. Nahe liegende Fragen, beispielsweise welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Bewirtschaftungsmaßnahmen in der Kriegszeit, in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der SBZ und den Westzonen aufwiesen und weshalb dann die Entwicklung im Osten als Beibehalten bzw. Wiederaufnahme der NS-Lenkungsinstrumente zu qualifizieren ist und die im Westen nicht (S. 16ff.), werden weder aufgeworfen noch beantwortet. Zudem ist der Text in sich widersprüchlich, wenn u.a. die Friedensphase des Nationalsozialismus "durch ein hohes Maß an marktwirtschaftlicher Normalität" geprägt gesehen wird und dann wenige Sätze später (zu Recht) die "Etablierung planwirtschaftlicher Elemente" bei der Vorbereitung des Krieges konstatiert wird (S. 15). Außerdem muss auf eine ganze Reihe ärgerlicher, sachlicher Ungenauigkeiten im gesamten Band hingewiesen werden. Alles in allem ist das vorliegende Buch denjenigen zu empfehlen, die sich einen schnellen Überblick über die den Mittelstand in den drei Systemen betreffenden Studien verschaffen wollen. Zur umfassenderen Information sollten die Interessierten auf die den Beiträgen zugrunde liegenden Einzelstudien zurückgreifen.

Anmerkung:
1 Siehe vor allem: Kleinschmidt, Christian, Der produktive Blick. Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950-1985, Berlin 2002; Hesse, Jan-Otmar; Kleinschmidt, Christian; Lauschke, Karl (Hgg.), Kulturalismus, Neue Institutionenökonomik oder Theorienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmensgeschichte, Essen 2002.

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