Titel
La politique du peuple. Racines, permanences et ambiguïtés du populisme


Autor(en)
Dupuy, Roger
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für höhere Studien, Universität Leipzig

Das neue Buch von Roger Dupuy führt dessen langfristige Beschäftigung mit den Bauernerhebungen in der Bretagne, die zuerst für und schließlich gegen die Französischen Revolution gerichtet waren, in der Forschung mit dem Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit zum 19. und 20. Jahrhundert zusammen. Die kanonische Weisheit von der Entstehung des Populismus im Moment der Krise des Boulangismus 1885 bis 1889 gilt dem Verfasser als Herausforderung, die durch die Beobachtung der rechten populistischen Praxis von Le Pen und seines Front National noch akzentuiert wird. In dem Bestreben, die Definition von populistischer Politik vom unmittelbar nationalgeschichtlichen Bezug in der französischen Geschichtswissenschaft abzulösen, fasst er unter Populismus ganz allgemein alle politischen Bewegungen, die die elementarsten und weitgehend spontanen Tendenzen in den eher politikfernen Bevölkerungsschichten aufgreifen und ausnutzen.

Dupuy hatte vor mehr als anderthalb Jahrzehnten vorgeschlagen, zwischen der auf eine mehr oder minder integrale Restauration des Ancien Régime gerichteten Konterrevolution und dem Widerstand von Bauern und städtischen Unterschichten gegen die Disziplinierungsmechanismen der bürgerlichen Gesellschaft als Antirevolution in der Sache und auch begrifflich zu unterscheiden. Diesen Ansatz verwendet er nun und weitet ihn aus. Er unterscheidet (reaktionäre) Infragestellungen der dritten wie der vierten und fünften Republik Frankreichs durch politische Bewegungen einerseits vom Protest der negativ von den Modernisierungstendenzen betroffenen Bevölkerungsgruppen. Dieser Protest ist keineswegs durchgängig einem geschlossenen Weltbild verpflichtet und sucht sich lediglich (zeitweise) ein Sprachrohr des Missbehagens in der politischen Arena.

Das Buch, das nicht ohne Polemik gegen die Hauptrichtungen der Geschichtsschreibung zur französischen Entwicklung seit dem späten 18. Jahrhundert und ihrer Fixierung auf das Handeln und Denken von Eliten geschrieben ist, klagt die Rehabilitierung des Blickes von unten ohne alle Idealisierung ein und analysiert die Widersprüche zwischen einer von den Eliten betriebenen Modernisierung und dem Anspruch derjenigen, die nicht zu den Gewinnern dieser Modernisierung zählen, mit ihren Interessen und Bedürfnissen ebenfalls an der Definition von Modernität teilzuhaben. Der Verfasser zeigt auf, welches Demokratisierungspotential, aber auch welche Möglichkeiten der Instrumentalisierung für reaktionäre Zwecke ("reaktionär" im Sinne einer sozialen Beschränkung der materiellen Gewinne aus dem technologischen und ökonomischen und kulturellen Fortschritt auf wenige und ihre Abschließung gegen breitere Partizipationsmöglichkeiten, sei es durch Betonung der sozialen, der nationalen, der Rassen- oder der Geschlechterfrage).

Dupuy versucht zu zeigen, in welchem Maße eine Geschichtsschreibung in die Irre gehen kann, die nicht zwischen populisme spontanée und populisme instrumentalisé unterscheidet. Die politischen Folgen einer solchen Unschärfe sind ebenfalls eklatant, wenn das Volk als der eigentliche Feind der Demokratie imaginiert wird und Protestbewegungen ("an sich") betrachtet werden, anstatt sich zu vergewissern, auf welche Weise, in welcher Koalition sie ihre politische Stimmlosigkeit jeweils überwinden. Dupuys Buch zeigt, wenn es denn dieser Demonstration bedürfte, dass sich aus der Geschichte der Französischen Revolution noch mancherlei lernen lässt - die Verbindung zur Gegenwart darf nur nicht durch die Aufgabe einer kritischen Perspektive blockiert werden.

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