C.A. Gayle: Marxist History and Postwar Japanese Nationalism

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Titel
Marxist History and Postwar Japanese Nationalism.


Autor(en)
Gayle, Curtis Anderson
Erschienen
London 2003: Routledge
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
82,- €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans Martin Krämer, Geschichte Japans, Ruhr-Universität Bochum

Spätestens seit der Schlageter-Rede Karl Radeks von 1923 weiß man in Deutschland, dass sich der Anspruch einer Organisation, kommunistisch zu sein, und ein positiver Bezug auf die Nation nicht ausschließen müssen. 1 Der Rede Radeks vor der Kommunistischen Internationale wohnte auch der japanische Kommunist Katayama Sen bei. Dass in Japan vor 1945 eine äußerst wirkungsmächtige Linke existierte, ist mittlerweile durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt. Noch sehr wenig allerdings liegt an systematischen Arbeiten über den Nachkriegsmarxismus vor, zumal in westlicher Sprache.

Die Studie von Curtis Anderson Gayle zum Marxismus der Nachkriegszeit ist ein wichtiger Beitrag, um diese Lücke zu füllen. In acht jeweils etwa 20 Seiten langen Kapiteln widmet sich Gayle der Beantwortung der Frage, wie es dazu kam, dass marxistische Historiker in Japan in den 1950er Jahren den Nationalismus zum politischen Ziel erklärten. Seine Untersuchung beschränkt er weitgehend auf die Mitglieder und Diskussionen der »Gesellschaft für geschichtswissenschaftliche Forschung« (Rekishigaku Kenkyuukai; im Folgenden kurz »Gesellschaft«), wobei zwei Themen für die Standortbestimmung der Mitglieder der »Gesellschaft« entscheidend waren und daher immer wieder in Gayles Buch auftauchen. Es handelt sich zum einen um die Bezugnahme auf China und den Erfolg der kommunistischen Revolution dort 1949, zum anderen um die bewusste Abgrenzung vom (gescheiterten) japanischen Marxismus der 1920er und 1930er Jahre.

Diese Abgrenzung war den Protagonisten der Nachkriegs-Debatte umso wichtiger, als sich schon ihre japanischen Vorgänger zu Beginn der 1930er Jahre Gedanken über das Verhältnis linker Politik zur Nation gemacht hatten. In Abgrenzung zu Otto Bauer war diesen dabei daran gelegen gewesen, sich von einem multiethnischen Nationalismus abzugrenzen. Eines solchen bediente sich nämlich der japanische Imperialismus in den 1930er Jahren zur Legitimation der Expansion des japanischen Reiches in Gebiete hinein, die historisch nie mit Japan zu tun gehabt hatten (S. 26–27). Die von Gayle untersuchten Nachkriegshistoriker sollten sich zwar wie ihre Vorgänger der 1930er Jahre daher an Stalin und dessen Betonung von einheitlicher Sprache, Kultur und Territorium orientieren, bemühten sich aber dennoch, jede Verbindung zu den Vorkriegsanstrengungen zu leugnen. Gayle sieht die Ursache dafür weder in der Veränderung der realpolitischen Gegebenheiten noch in theoretischen Differenzen als vielmehr in der Tatsache, dass der Vorkriegsmarxismus dem Faschismus unterlag und eine Assoziation mit den Gescheiterten tunlichst vermieden werden sollte (S. 34–36).

In der frühen Nachkriegszeit konzentrierten die Historiker der »Gesellschaft« ihre Bemühungen zunächst darauf, den Schwerpunkt der japanischen Geschichtsschreibung vom Kaiserhaus auf das Volk zu verlegen. Die Debatte um die Frage, ob es eine spezifische Kultur des Volkes im Japan des 19. Jahrhunderts gegeben habe, führte 1947 erstmals dazu, dass sich das Interesse der marxistischen Historiker dem Besonderen der japanischen Kultur zuwandte (S. 49–50). Doch erst der allmähliche Wandel der Politik der US-amerikanischen Besatzungsarmee in Richtung Repression der ArbeiterInnenbewegung, Einschränkung von BürgerInnenrechten und Wiederaufrüstung führte zu einem grundlegenderen Gesinnungswandel innerhalb der KPJ und der ihr nahestehenden Historiker. Die KPJ gründete 1948 die »Gesellschaft zur Bewahrung der japanischen Kultur«, der sich auch viele Mitglieder der »Gesellschaft« anschlossen. Eine Begleiterscheinung dieser Wendung war eine scharfe Kritik an der europäischen Moderne, wie sie beispielhaft von dem nicht direkt mit der KPJ assoziierten Sinologen Takeuchi Yoshimi 1948 artikuliert wurde, der lobte, China habe es geschafft, in der Konfrontation mit dem Westen sein inneres Selbst zu wahren. Maos Befreiungsnationalismus sei auch beispielhaft für Japan, das in seiner Begegnung mit dem Westen nur eine oberflächliche Wendung nach der nächsten vollzogen habe (S. 58–60).

Auf Takeuchi beriefen sich denn auch die Historiker der »Gesellschaft«, als sie ihre positive Bezugnahme auf den Nationalismus um 1950 herum offen zu artikulieren begannen. Nach der Gründung der Volksrepublik China und dem Beginn des Korea-Krieges deklarierte die KPJ 1951 Japan offiziell zu einer Kolonie der USA; die sich daraus ergebende konkrete Handlungsforderung lautete, eine soziale Revolution könne nur durch eine nationale Befreiung erreicht werden (S. 85). In den beiden Kernkapiteln seines Buches untersucht Gayle anhand zahlreicher Veröffentlichungen die Positionierung der Historiker der »Gesellschaft« unter diesen neuen Rahmenbedingungen. Dabei unterteilt er diese in zwei Gruppen: Die erste habe die japanische Nation sich in langjährigem historischen Prozess herausformen sehen und eine präkapitalistische Keimzelle nationaler Gemeinsamkeiten postuliert (Touma Seita, Matsumoto Shinpachirou und Ishimoda Shou, S. 86–105); die zweite hingegen habe eine japanische Nation erst mit der Modernisierung und der Einführung des Kapitalismus unter dem Druck westlicher Kolonialisierungsversuche sich bilden sehen (Eguchi Bokurou, Suzuki Shirou, Inoue Kiyoshi und Touyama Shigeki, S. 106–116). Die etwas ermüdende Wiedergabe zahlreicher Texte erscheint dem Rezensenten umso weniger gerechtfertigt, als Gayle selbst anschließend resümiert, die beiden Gruppen habe im Grunde nicht viel getrennt, da sie sich beide letztlich nach Stalins Vorbild eines historischen Konstruktionismus bedient hätten, um einen kulturellen Essenzialismus politisch nutzbar zu machen (S. 116–117).

Gayle vermag aber in den beiden abschließenden Kapiteln, das auf den vorangegangenen 50 Seiten rein deskriptiv Dargestellte nun zu kontextualisieren und zu kritisieren. Denn bei allen Bemühungen der Historiker der »Gesellschaft«, ihre Behauptungen über die japanische Nation als historisch konstruiert darzustellen, schlussfolgerten sie doch, der Klassenkonflikt lasse sich allein durch »nationales Erwachen« überwinden (S. 124). Ihre Bestimmungen »des japanischen Volkes« rekurrierten dabei immer wieder auf »rassische Homogenität«. Die Brisanz dieser Konzeption glaubten sie allein dadurch entschärfen zu können, dass sich die von ihnen definierte japanische Nation nicht auf den Staat gründen solle, womit die Verbindung zu Imperialismus und Geopolitik gekappt sei. Ironischerweise aber legten die marxistischen Historiker sogar mehr Wert auf rassische Homogenität als der multiethnisch argumentierende Diskurs der vorkriegszeitlichen Kolonialpolitik (S. 143–144).

Dennoch könne man, so Gayle, die Historiker der »Gesellschaft« selbstverständlich nicht mit den Expansionisten von vor 1945 gleichsetzen. Bei aller antiwestlichen Rhetorik und kulturalistischen Verortung Japans in Asien stellten sie doch klar, dass Japan in Asien keine führende politische Rolle zukommen solle. Dennoch sei die rassistische Definition der japanischen Nation auf eine Ausgrenzung vieler vom Konstrukt »Japan« hinausgelaufen – Gayle nennt insbesondere die koreanische Minderheit als blinden Fleck der von ihm untersuchten Historiker (S. 148–149). Schon 1956, nach Einsetzen der Stalinkritik in der UdSSR und der sowjetischen Intervention in Ungarn, finden sich selbstkritische Stellungnahmen innerhalb der KPJ, die eine Berücksichtigung der Tatsache einfordern, dass Japan keineswegs zu den unterdrückten Nationen, die sich erst selbst befreien müssten, gehöre (S. 150).

Zum Ende des Buches schlägt Gayle den Bogen zur Gegenwart. Die von ihm herausgearbeiteten Wesensmerkmale des Diskurses der marxistischen Historiker der frühen Nachkriegszeit – Eintreten für eine rassisch definierte, kulturell unabhängige Nation sowie Widerstand gegen Monopolkapital und US-Imperialismus – wurden auch von Gruppen der extremen Rechten im Nachkriegsjapan geteilt. Tatsächlich lässt sich die geschichtsrevisionistische Rechte der 1990er Jahre nicht nur in ihrem Denken, sondern sogar personell auf die von Gayle untersuchte Gruppe zurückführen. Fujioka Nobukatsu und Nishibe Susumu, zwei Wortführer der gegenwärtigen Neuen Rechten, waren vor ihrer antikommunistischen Wende aktive Mitglieder in der nationalistischen marxistischen Bewegung der 1950er Jahre gewesen (S. 163).

Offen lässt Gayle, wie die Stellung der Historiker der »Gesellschaft« innerhalb des Nachkriegsdiskurses der japanischen Linken insgesamt zu verorten ist. So bleibt unklar, ob die von ihm geschilderten Entwicklungen für die gesamte KPJ-Intelligenzija galten, ob die Historiker lediglich Parteivorgaben nachvollzogen oder gar selbst kursbestimmend für die Partei waren. Aus Sebastian Conrads »Auf der Suche nach der verlorenen Nation« 2, das Gayle nicht kennt, hätte er erfahren können, dass sich die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit und der historische Rückbezug dieser Forderung auf den »erfolgreichen antikolonialen Kampf« der Meiji-Zeit nicht auf marxistische Historiker allein beschränkte, sondern eine die gesamte Geschichtswissenschaft der frühen Nachkriegszeit durchziehende Figur war. Auch bleibt Gayles Vorkriegskapitel etwas blass. Die starken Distanzierungsversuche der Nachkriegsakteure von ihren VorgängerInnen der 1930er Jahre lagen sicherlich auch darin begründet, dass es ausgerechnet die durch spektakuläre öffentliche Lossagung von der KPJ (»tenkou«) 1933 abtrünnig Gewordenen waren, die in Japan zuerst aus der Linken heraus eine positive Bezugnahme auf die Nation gefordert hatten. 3

Ein richtiges Ärgernis ist schließlich, dass das schmale Bändchen (200 Seiten inkl. Fußnoten und Register) stolze 82 Euro kostet – und das trotz miserablem Lektorat: Allein auf den 165 Seiten des Textteils konnte der Rezensent 68 Fehler in Orthographie und Grammatik zählen. Im Verbund mit dem holprigen Stil und der idiosynkratischen Kommasetzung des Autors fördern diese nicht gerade den Lesefluss.

Anmerkungen:
1 Protokoll der Konferenz der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Hamburg 1923, S. 240–245.
2 Conrad, Sebastian, Auf der Suche nach der verlorenen Nation. Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan, 1945–1960, Göttingen 1999. Rezensiert in H-Soz-u-Kult: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=231>
3 Siehe Butz, Olaf: »Eine linke Geschichte: Der Verräter Sano Manabu«, in: Richter, Steffi (Hg.), Japan-Lesebuch III: Intelli, Tübingen, S. 86–107, hier S. 101.

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