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Titel
Micky, Marx und Manitu. Zeit- und Kulturgeschichte im Spiegel eines DDR-Comics 1955-1990 - "Mosaik" als Fokus von Medienerlebnissen im NS und in der DDR


Autor(en)
Kramer, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
405 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wer irgendwie in der DDR groß geworden ist, las das "Mosaik". Selbst wenn er noch nicht lesen konnte und selbst wenn die Seiten schon mächtig zerfleddert waren, weil die Auflage nie den Bedarf decken konnte und von Hand zu Hand ging. Und bald griffen nicht nur die Kleinen begeistert danach, sondern auch die Großen. Denn manch einer fand hier wieder, was er schon in der eigenen Kindheit und Jugend mit Heißhunger verschlungen hatte: Spannung, Spaß und action. Das die Gestalter des "Mosaik" auch auf diesem Trip waren, lässt uns nun Thomas Kramer in seiner akribisch recherchierten Arbeit nachvollziehen. Und das ist in weiten Teilen vergnüglich zu lesen, wenn wir uns erst einmal durch die Darlegungen des theoretischen Ansatzes und der Methoden der Untersuchung hindurch gearbeitet haben. Diese freilich sind nicht zu unterschätzen, hat sich der Autor doch mit dieser Arbeit am Lehrstuhl Kinder- und Jugendliteratur des Instituts für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin habilitiert. Der Rezensent freilich ist nur Historiker und mit spezifisch literaturwissenschaftlicher Theorie und Methodik wenig vertraut. Darum sei ihm eine selektive Meinung und begrenzte Sicht auf die kleinen großen Comic-Figuren nachgesehen.

Erstmals wird hier der Versuch unternommen, die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Populärkultur bzw. Trivialliteratur in Deutschland über ein halbes Jahrhundert und in verschiedenen Systemen systematisch zu rekonstruieren. Kramer begeht hierfür zwei methodische Wege. Zum einen den der Untersuchung der Lesebiografie des Mosaik-Autors Lothar Dräger, der ihm umfangreiche Interviews und Einblicke in seine Lektüre von Jugend an gewährte. Zum Anderen den der Einordnung der Texte in das gesamte kulturelle Umfeld und die damit verbundenen Rezeptionsbedingungen im NS, in der SBZ/DDR und in der Bundesrepublik. Nach der Theorie und den Untersuchungsmethoden (Kap. 1) liefert ein historischer Aufriss eine kurze Geschichte des "Mosaik" von 1955 bis 1990 und charakterisiert widerspruchsvoll seine Schöpfer Hannes Hegen und Lothar Dräger als "bürgerliche" Künstler, die einen "sozialistischen" Comic machten (Kap. 2). Schließlich wird Dräger, der Texter des "Mosaik", als Nutzer ganz unterschiedlicher kultureller Quellen (Kap. 3) vorgestellt. Dies alles dient dem Unkundigen zur Einführung, um in den folgenden Kapiteln auf einem großen Streifzug detailliert und umfassend verfolgen zu können, woher Dräger seine Anregungen nahm und was man davon alles im "Mosaik" wiederfinden kann.

So analysiert Kap. 4 "Märchen und Abenteuerliteratur in der Lesebiographie Lothar Drägers und ihre Verarbeitung im DDR-Comic zwischen 1957 und 1990". Sagen und Historien spielen da ebenso eine Rolle wie das Werk Karl Mays, Helden aus Abenteuerheften der 30er Jahre (Rolf Torring und Jörn Farrow) ebenso wie Drägers Rezeption von Fritz Steuben und Thea von Harbou, von Charles Dickens und Leo Tolstoi. War auch Karl May lange Zeit in der DDR ein Unautor, so lässt doch sein gelehriger Schüler Ost: Lothar Dräger seine Digedags in der Amerika-Serie auf den Spuren Winnetous und Old Shatterhands wandeln (Parallelen ergeben sich zu dem ebenso gelehrigen Schüler West: Heinz Werner Höber und dessen Jerry Cotton) und Drägers Ritter Runkel von Rübenstein entpuppt sich als die Entwicklung eines "Mosaik" - Helden von Hadschi Halef Omar zu Kara Ben Nemsi.

Kap. 5 geht dann "Lothar Drägers SF - Jugendlektüre - ihrer Umsetzung und Erweiterung in einer sozialistischen Comicadaption" auf den Grund. Denn nach Karl May kam gleich Hans Dominik in Drägers früher Lektüre. Und diese Erfahrung ließ sich offensichtlich gut in den Anforderungen der SED-Propaganda seit 1958 verarbeiten. Technikgläubigkeit und Fortschrittsoptimismus hier wie dort. Science fiction, Visionen von der Möglichkeiten der Atomenergie und die Reise zu anderen Sternen (Neos - Serie) festigten die Beliebtheit des "Mosaik".

"Zwischen Bühne und Schreibtisch - Musik- und Sprechtheater in Drägers Sozialisation und deren Reflexion im Mosaik" ist der Titel von Kap. 6. Es zeigt die Geschichte der Commedia dell'arte in einer Mosaikserie von 1976/77 und vergleicht die Theatergeschichte in "Disneys Lustigem Tagebuch" mit der im "Mosaik". Kap. 7 widmet sich der "Lektüre und Geschichte - Dräger als professioneller Leser". Wir verfolgen den Umgang mit Geschichte im "Mosaik", z.B. in der Romserie, und den "Zwang" zur Realgeschichte ab 1960, etwa das Konzept der Erfinderserie und die hierfür notwendige technikgeschichtliche Lektüre Drägers. Wir sehen ihn auf dem schmalen "Grat zwischen bürgerlichem und marxistisch-leninistischem Geschichtsverständnis" (S. 255) wandern und realisieren die Umsetzung seines Berufswunsches in der Urzeitserie.

Kap. 8 "Vom Kolossalgemälde zum Comic-Panel. Die Ikonographie des ‚Mosaik' als Reflexion Drägerscher Lesegewohnheiten - von der Buchillustration zum Comic" verfolgt die medialen Prägungen in den Entwicklungsetappen Drägers zum Comic-Künstler, den Einfluss Wilhelm Buschs auf Pressekarikatur und Nachkriegscomic, deckt stilistische Parallelen zwischen USA- und DDR-Comic am Beispiel von "Prinz Eisenherz" und "Ritter Runkel" auf und zeigt den Platz von Historienmalerei und Heldenmythos, Alexander der Große als Comicfigur, im "Mosaik".

Abschließend stellt sich Thomas Kramer drängenden Fragen. War das "Mosaik" ein komischer Comic? War der DDR-Comic Kunst oder Kunsthandwerk? In welchem Verhältnis steht das "Mosaik" zur ästhetischen Moderne? Hinsichtlich des Humors war das "Mosaik" nach seiner Einschätzung typisch deutsch und erwies sich als "Träger von Staatsbürgerhumor" (S. 368). Im Unterschied zur Komik ließ es Satire fast gänzlich vermissen, das konnte natürlich seiner Popularität nicht schaden. Die Frage nach Kunst oder Kunsthandwerk findet keine explizite Antwort. Zwar versteht Kramer das "Mosaik" "auch als Teil der bildenden Kunst der DDR" (S. 325). En passant allerdings weist er darauf hin, dass sich im Aufgreifen von Motiven der Zigarettenbilder aus den 30er Jahren im DDR-Comic "auch die Nähe zum Kitsch" äußerte, von "Kitsch als den Effekt der Nachahmung nachahmende Gestaltung." (S. 305) Für problematisch halte ich die These, dass das "Mosaik" einen "Beitrag zur Blockierung der ästhetischen Moderne leistete" (S. 323) wie ebenso die Übernahme der Position Norbert Gansels von den "vormodernen" Gesellschaftsstrukturen in der DDR. Dies ist auch von Thomas Kramer nicht durchzuhalten, wenn er andererseits eine "teilweise durchgesetzte gesellschaftliche Modernität" (S. 327) konstatiert. Traditionelle Formen des Erzählens wie im "Mosaik" hat es und wird es immer geben, relativ unabhängig von prä-, teil- oder postmodernen Strukturen. Überhaupt scheint mir die Positionierung des "Mosaik" in einer Vormoderne zweifelhaft, denn erstens halte ich Comics an sich für einen Bestandteil moderner Massenkultur, darum stehen sie zweitens nicht im Gegensatz zur sondern neben der ästhetischen Moderne, und drittens wird dabei die Affinität von Massenkultur und Postmoderne außer Acht gelassen. Eine Antwort auf die Frage, was denn nun ein "sozialistischer" Comic ist und wodurch dieser sich auszeichnet, bleibt uns Thomas Kramer schuldig. Im Gegenteil. Er deckt vor allem die Gemeinsamkeiten der Comic-Kultur des 20. Jahrhunderts über alle Grenzen hinweg auf. Die von ihm plakativ benannten Widersprüche zwischen "bürgerlicher" Tradition und "sozialistischer" Politik lassen ihn dabei erstaunlicherweise übersehen, dass gerade die Kulturpolitik der SED auf wesentlichen bürgerlichen Fundamenten fußte.

Und um noch einmal den Titel der Arbeit aufzugreifen: Die verschlungenen Wege von Micky und Manitu in die Abenteuer der Digedags und der Abrafaxe hat uns Thomas Kramer kenntnisreich geführt. Von Marx allerdings keine Spur! Hier nun, das sei nicht verschwiegen, schreibt er selbst Trivialliteratur. Denn wo er da Zusammenhänge wittert, geht es gar nicht um Marx, sondern um den plumpen Vulgärmaterialismus ideologischer Agitation und Propaganda in der DDR. Hier werden dogmatische und triviale Bilder kolportiert, die mit "Marxismus" sehr wenig, mit den Windungen und Wendungen der Parteiideologie allerdings sehr viel gemein haben. Da würde ich mir nun wünschen, mehr über das Verhältnis und den Zusammenhang, über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Massenkultur (Comic) und Massenpropaganda (Ideologie) in den verschiedenen Systemen zu erfahren.

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