R. Zöllner: Einführung in die Geschichte Ostasiens

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Titel
Einführung in die Geschichte Ostasiens.


Autor(en)
Zöllner, Reinhard
Reihe
Erfurter Reihe zur Geschichte Asiens 1
Erschienen
München 2002: Iudicium-Verlag
Anzahl Seiten
158 S.
Preis
€ 15,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sepp Linhart, Institut für Ostasienwissenschaften - Japanologie, Universität Wien

Der erste Band der neuen Erfurter Reihe zur Geschichte Asiens, als deren Herausgeber der Autor Reinhard Zöllner selbst auf dem Schmutztitel genannt wird, wendet sich gleich einem beträchtlichen Teilgebiet der Geschichte Asiens zu, um diese überblicksartig vorzustellen: der Geschichte Ostasiens. Zöllner, Professor für Ostasiatische Geschichte an der Universität Erfurt, ist sich natürlich bewusst, dass ein derartiges Unterfangen begründet werden muss, denn selbst wenn hierzulande von Ostasien und Westasien, von Nordasien, Zentralasien und Südasien die Rede ist, so sind das doch in erster Linie rein geografisch gedachte Orientierungshilfen für uns Nichtasiaten und keineswegs irgendwelche Realitäten, die etwa in den Köpfen der Ostasiaten vorhanden sind („Wir Ostasiaten“ wie „Wir Europäer“) oder politische Entsprechungen haben, vergleichbar mit der EU in Europa. Daher beginnt er sein Unterfangen mit einer Einleitung „Was heißt Ostasiatische Geschichte?“ und definiert Ostasiatische Geschichte als die Geschichte desjenigen Teils von Asien, der vom außertropischen Monsun klimatisch und von der historischen chinesischen Zivilisation kulturell geprägt ist. Der Raum Ostasien umfasst daher China, Korea, Japan und Vietnam. Es ist Zöllner zweifelsohne zuzustimmen, dass neben der klimatischen Komponente die chinesische Zivilisation besonders prägend war, weshalb man ja auch vom Kulturkreis spricht, der durch die chinesische Schrift zusammengehalten wird oder durch den Konfuzianismus. Andererseits könnte man sehr wohl die These aufstellen, dass im 20.Jahrhundert der Einfluss der japanischen Zivilisation auf diese Großregion wesentlich stärker war als der der chinesischen.

Für Zöllner hat seine Definition zwei wichtige Konsequenzen: Erstens ist die Geschichte Ostasiens nicht durch die Beziehung dieser Region zu Europa zu kennzeichnen. Ostasiatische Geschichte muss mehr sein als europäische Expansionsgeschichte, eine Aussage, die eigentlich überflüssig sein sollte, angesichts der Realität der Schulbücher aber nicht oft genug wiederholt werden kann. Und zweitens sollte in einer Geschichte Ostasiens die Geschichte der Region als Ganzes Vorrang haben vor einer nationalgeschichtlichen Betrachtung. Zöllner siedelt hier also den Begriff Regionalgeschichte nicht auf einer Ebene unter der Nationalgeschichte an (etwa Geschichte Hokkaido¯s), sondern auf einer Ebene darüber, die quasi eine Zwischenstufe zwischen Nationalgeschichte und Weltgeschichte bildet. Konkret meint er damit, dass er eine Darstellung versucht, die jene Entwicklungen besonders betont, die für die Geschichte des gesamten Raumes von herausragender Bedeutung sind.

Die erste Schwierigkeit ergibt sich bei der Periodisierung: die traditionelle Einteilung des historischen Ablaufs nach Dynastien ist schon für die einzelnen Nationalgeschichten nicht zielführend, für eine Geschichte Ostasiens kommt sie natürlich überhaupt nicht in Betracht. Zöllner entscheidet sich für eine Einteilung in zehn Perioden, die natürlich sehr China-lastig ist. Er beginnt mit der Periode der frühen Lokalkulturen, Stadtstaaten und Priesterkönigtum (6000 – 221 v. Chr.), gefolgt vom frühklassischen China als universalistischer Monarchie (221 v. Chr. bis 221 n. Chr.) und der Periode der kleinen Reiche und der ostasiatischen Völkerwanderungen (221-650). Danach kommen die Perioden des spätklassischen China als Zentrum und als Modell ostasiatischer Reichsbildung (650-900), der Dezentralisierung des chinesischen Reiches und des Aufstiegs der Peripheralreiche (900-1270) und der Mongolenherrschaft, Mongolenabwehr und inneren Krisen (1270-1370). Von 1370 bis 1640 setzt Zöllner die Periode der Reorganisation der Reiche und der Bildung des pazifischen Handelsraumes an, worauf die Periode der territorialen Monarchien und der Abschließung gegenüber dem Westen von 1640 bis 1840 folgt. Der Rest des 19. Jahrhunderts entfällt auf die kurze Periode der Krise der Monarchien, der Einbindung in die westliche Weltordnung und des Aufstiegs Japans. Schließlich bezeichnet er das 20. Jahrhundert bis 1989 als „Jahrhundert der Ideologien“, auf das wohl das bekannte „Ende der Geschichte“ folgt, denn über die Zeit danach schweigt der Autor. In einer Art Epilog vertritt er die Meinung, dass von Ostasien als Region am Ende des Kalten Krieges wenig geblieben ist, und das Ostasien als Region mit einem eigenen Gesicht nur in der Geschichte zu finden ist (S.133-134).

Wie bei vielen anderen Periodisierungsversuchen auch irritiert den Leser wohl, dass Zöllner Zuschreibungen nach verschiedenen Gesichtspunkten vornimmt, von welchen am ehesten noch der Aspekt der Herrschaft dominiert. Wenn es zu äußerst diversen Herrschaftsformen kommt, dann wird ein anderer Überbegriff gesucht, wie eben die Dominanz der Ideologien im 20. Jahrhundert, was insofern erstaunlich ist, als sich doch gerade für diese Periode eine Überschrift wie „Das japanische Jahrhundert“ gut angeboten hätte, aber das wäre vielleicht zu reißerisch gewesen.

Mit der Aufzählung der Perioden ist auch bereits das Wesentliche über die Strukturierung des Buches gesagt. Die Kapitellängen schwanken zwischen 8 und 17 Seiten, lediglich das Kapitel über die Mongolenherrschaft ist mit nur vier Seiten wesentlich kürzer, und das über die Periode der Ideologien mit 24 Seiten erheblich länger. Das weckt die Vermutung, dass das Buch aus einem Vorlesungsmanuskript (1 Vorlesung Einleitung und 11 Vorlesungen á ca. 10 Seiten) hervorgegangen ist, worüber uns der Autor allerdings nicht aufklärt.

Wie Zöllner selbst in seiner Einleitung erklärt, sind besonders die Sozial- und die Kulturgeschichte bei seiner Darstellung zu kurz gekommen, aber auch die Wirtschaftsgeschichte wird gegenüber der politischen Geschichte stiefmütterlich behandelt. Das ist etwas widersprüchlich, wenn man die ostasiatische Gemeinsamkeit vor allem im Kulturellen und Klimatischen sieht, wie eingangs erwähnt.

Da im Buch nicht Probleme diskutiert werden, sondern die Darstellung von Fakten dominiert, beansprucht der Autor für seine Darstellung auch keine Originalität (S. 11), eine Aussage, die durchaus verständlich ist. Die Studierenden und anderen Leser erwarten sich von einem solchen Buch in erster Linie gesichertes Wissen und die Originalität ist ihnen wohl egal. Auf den letzten zehn Seiten findet man allerlei interessante Karten und Abbildungen, deren Auswahl für den Rezensenten jedoch nicht ganz schlüssig nachzuvollziehen ist. Ein gewaltiger, dreizehnseitiger Index und eine äußerst knappe einseitige Bibliografie mit ausgewählter Literatur (zu Japan etwa nur sieben Titel) beschließen das Buch.

Einige kleine Hinweise seien noch gestattet: Eines der wichtigsten Unterkapitel, in dem auch gut die ostasiatische Gemeinsamkeit zum Ausdruck kommt, ist für mich das von der Gelben Gefahr, in dem Zöllner von dieser Ideologie beeinflusste Ereignisse von ca. 1880 bis 1920 beschreibt. Dass er als Deutscher hier die berüchtigte Hunnenrede Wilhelm II. unerwähnt lässt, ist mir genauso wenig verständlich wie, dass er deren Anlass, die Entsendung deutscher Truppen zur Niederschlagung des Boxeraufstandes, nicht auch in diesem Kontext zur Sprache bringt. Weiterhin, dass Japan, nachdem es trotz seines Sieges über Russland nicht als ‚weiße Macht’ anerkannt wurde, seinerseits den Spieß umkehrte und in Asien von der weißen Gefahr zu sprechen begann. Und schließlich wäre das Fortleben dieser Idee in den USA zunächst im Pazifischen Krieg, dann im Kalten Krieg gegen China, im heißen Krieg gegen Vietnam, schließlich in den Auseinandersetzungen um die japanische Außenhandelspolitik gegenüber den USA sowie in Präsident Bushs Festlegung von Nordkorea als einem Teil der ‚Achse des Bösen’ durchaus eine Erwähnung wert gewesen und hätten das Buch aktueller gemacht. Aber das ist vielleicht nicht seriöse Geschichtsschreibung.

Bei der Darstellung unzähliger Fakten aus 8000 Jahren ostasiatischer Geschichte können sich natürlich auch kleine Fehler einschleichen, wie etwa auf S. 123, wo behauptet wird, dass den Koreanern im April 1945 das Wahlrecht für das japanische Ober- und Unterhaus zugestanden wurde. Das japanische Oberhaus war bis 1947 ein Adelshaus, für das man 1884 eigens einen Adel geschaffen hatte, und dessen Mitglieder naturgemäß nicht vom Volk gewählt wurden, schon gar nicht von dessen koreanischem Teil.

Angesichts der Liste mit weiterführender Literatur musste der Rezensent betrübt zur Kenntnis nehmen, dass seine eigenen Versuche, etwas zur Verbreitung der Kenntnisse über die Geschichte Ostasiens beizutragen, von Zöllner nicht gewürdigt werden. Weder Ladstätter, Otto; Linhart, Sepp, China und Japan. Die Kulturen Ostasiens (Wien1983), das immerhin in sechs Auflagen in mehr als 30.000 Exemplaren verbreitet wurde, noch Ostasien. Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, herausgegeben von Sepp Linhart und Erich Pilz (Wien 1999) sind unter den dreißig dort genannten Werken zu finden.

Es stellt sich abschließend die Frage, ob es Reinhard Zöllner wirklich gelungen ist, aus dem Nebeneinander der verschiedenen Nationalgeschichten (derzeit sind es derer mindestens sechs) eine übergeordnete Regionalgeschichte zu konstruieren, ob er also wirklich seinem eigenen, in der Einleitung aufgestellten, Anspruch gerecht werden konnte. Ich glaube, dass die Darstellungsweise, die Zöllner gewählt hat, diesem Anspruch entgegensteht. Obwohl er jede Periode mit einigen Zeilen einleitet, in welchen er deren Charakterisierung vornimmt, stehen innerhalb der Periodenkapitel dann doch die Fakten der einzelnen Nationalgeschichten wieder nebeneinander. Hier hätte er konsequenterweise auf viele Fakten verzichten und das Verbindende, Vergleichbare oder auch das Abweichende hervorheben müssen. Aber vielleicht ist eine solche Geschichte, die ein außergewöhnlich hohes Maß an mutiger Reflexion erfordern und zweifellos, wie immer sie auch ausfiele, eine Fülle an Kritik nach sich ziehen würde, erst in einem nächsten Schritt machbar.

Zöllners Buch ist zweifellos ein wichtiger Lehrbehelf für alle Studierenden, die eine Vorlesung über ostasiatische Geschichte besuchen und ein Buch zum Nachlesen brauchen. UniversitätslehrerInnen, die eine entsprechende Vorlesung anbieten, ist es wahrscheinlich gleichermaßen als Lehrbehelf äußerst willkommen. Insofern deckt das Buch sicherlich eine Lücke ab, und es ist ihm in den asienwissenschaftlichen Studiengängen, aber auch bei interessierten Laien, eine weite Verbreitung zu wünschen.

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