Max Drehers Salzburger theologische Dissertation behandelt die Geschichte der Münchener Niederlassung der Augustiner-Eremiten von der Reformation bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist zunächst die Vita des Autors (Jahrgang 1923), der als pensionierter Mediziner das Studium der katholischen Theologie begonnen und mit der vorliegenden Arbeit (Rigorosum 2002!) abgeschlossen hat. Das verdient Respekt. Vor dem Rezensenten liegt also keine übliche akademische Prüfungs- und Qualifizierungsarbeit. Dreher hat seine Untersuchung in einen historischen und einen systematischen Teil gegliedert. Der historische Teil stellt die äußere Geschichte des Klosters dar, der systematische Teil behandelt das innere Leben sowie das Inventar in Gestalt von Kunstschätzen, baulicher Ausstattung und Bibliothek. Die Bezeichnung „systematisch“ für diesen Teil ist vielleicht etwas unglücklich, da auch die Realien unter historischem Aspekt betrachtet werden. Die historischen Abschnitte bringen eine Vorgeschichte des Augustiner-Ordens im Allgemeinen und der 1294 in München gegründeten Niederlassung im Besonderen. Dabei geht Dreher auf erste Verfallserscheinungen im Orden und Versuche ihrer Überwindung durch die Gründung und Ausbreitung einer strengen Observanz ein. In diese für den inneren Zusammenhalt des Ordens schwierige Phase fällt die durch das Ordensmitglied Martin Luther ausgelöste Reformation, die in Deutschland für den Orden zu einer starken Existenzkrise wird, die auch der Münchener Konvent zu spüren bekommt. Durch den Generalvikar der deutschen Reformkongregation der Augustiner und ehemaligen Theologieprofessor Johann von Staupitz (1468-1524), Vorgänger Luthers auf der Wittenberger Lehrkanzel und gewesener Münchener Augustiner, gab es direkte Berührung mit den reformatorischen Auseinandersetzungen. Alles das hatte fast das Erlöschen des augustinischen Lebens in München zur Folge. Nur mit Mühe konnte die Übernahme des bis auf drei alte Patres entvölkerten Klosters durch die Jesuiten verhindert werden. Ausländische Augustiner, vor allem aus Italien, halfen mehr schlecht als recht dem Konvent, sich wieder zu konsolidieren. Hier ragt besonders der Flame Antonius van Keerbeck hervor, der sich vor allem die wirtschaftliche Gesundung des Münchener Konventes zum Anliegen gemacht hat. Mit dem Einsetzen der Gegenreformation begann für die Münchener Augustiner eine große Blütezeit. Die Patres waren gesuchte Prediger und Förderer der Volksfrömmigkeit. Der Münchener Konvent entwickelte sich überdies zu einem Ort der Gelehrsamkeit. Die Augustiner trugen die damals mit fast 15.000 Bänden größte Münchener Klosterbibliothek zusammen, übertroffen nur von der Hofbibliothek, der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek. Die Augustiner Gelasius Hieber (1671-1731) und Agnellus Cändler (1692-1745) initiierten zusammen mit dem Pollinger Chorherrn Eusebius Amort (1692-1775) den „Parnassus Boicus“, eine der ersten literarischen Zeitschriften Deutschlands. Etliche Mitglieder des Konventes traten als Schriftsteller hervor. Das Kloster hatte alles in allem in der Barockzeit den Charakter einer Akademie. Dreher stellt diese Periode besonders ausführlich dar und würdigt prominente Konventsmitglieder in bio-bibliografischen Kapiteln. Hier konnte er auf die reichen Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek zurückgreifen, wohin große Teil der Augustinerbibliothek nach der Säkularisation gelangt waren. Dreher ist es überdies gelungen, etliche Artikel des „Parnassus Boicus“ einzelnen Autoren des Ordens zuzuordnen. Er gibt so ein Bild vom geistigen Horizont eines gelehrten städtischen Mendikantenklosters der Barockzeit. Freilich nimmt das Münchener Augustinerkloster als Sitz der Provinzleitung am Ort einer Residenzstadt hier noch einmal eine besondere Stellung ein. Dreher beendet den historischen Abschnitt seiner Arbeit mit einer knappen Schilderung der Klostergeschichte bis zur Auflösung in der Säkularisation. Der zweite Teil behandelt die Realien des Klosters, wobei wirtschaftliche Fragen und die Bibliothek einen besonderen Schwerpunkt bilden. Im ganzen macht Drehers Arbeit einen fundierten Eindruck. Die Aussagen sind durchweg mit Quellen belegt; hier hat der Autor mit den hauptsächlich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv lagernden Urkunden des Klosters gearbeitet, die durch eine Arbeit von Josef Hemmerle aus dem Jahr 1956 bereits gut erschlossen waren.1
Dreher stellt die Geschichte des Klosters überzeugend in den profan- und kirchengeschichtlichen Kontext. Er ist nicht der Gefahr erlegen, nabelschauartig um die Geschichte der Münchener Konventes zu kreisen. Freilich ist die Orientierung am allgemeinen Lauf der Geschichte einerseits und die gesonderte Behandlung der Realien in einem systematischen Teil andererseits nicht ohne Probleme. Dreher ist zu Wiederholungen genötigt. Deutlich wird dies in der Darstellung des schon erwähnten Anton van Keerbeck, dessen Wirken redundant beschrieben wird (S. 132-136; S. 225-231), übrigens mit uneinheitlicher Namensgebung: einmal „Anton van Keerbeck“, dann „Antonius Keerbeck“. Nach jedem Abschnitt gibt Dreher ausführliche Zusammenfassungen. In einem über zwanzig Seiten langen Abschnitt am Ende seiner Arbeit fasst er die gesamte Untersuchung noch einmal zusammen. Das ist für den eiligen Leser von Vorteil, bläht den Text aber etwas auf. Ähnlich wirken auch die sehr ausführlichen bibliografischen Angaben zu den einzelnen Werken der Münchener Augustiner. Dreher bietet durchgängig vollständige Titelblattkopien. Im Zeitalter zunehmender Online-Verzeichnung alter Bücher (z.B. durch das VD 17: Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts, www.vd17.de) ist der Sinn einer derart ausführlichen Bibliografie fraglich, wenn die Titel als solche nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Erörterung sind. Dreher hat die einschlägige Literatur nicht umfassend eingearbeitet. Es fehlt der Artikel über Ininger im BBKL ebenso2 wie der Aufsatz von Peter Krauss zum Parnassus Boicus in der Festschrift für Lätitia Boehm3 oder als neuere Zusammenfassung der Augustinergeschichte der Beitrag von Willigis Eckermann in der Kulturgeschichte der christlichen Orden von Dinzelbacher/Hogg 4, um nur einige, recht schnell ins Auge springende Lücken zu nennen. Das Literaturverzeichnis weist Lexikonartikel übrigens nicht separat aus, was bei einer stark personengeschichtlich orientierten Arbeit ein Mangel ist. Es sei noch angemerkt, dass das Standardwerk der deutschen Augustinergeschichte von Adalbero Kunzelmann in Würzburg, dem heutigen Sitz des deutschen Provinzialats der Augustiner, und nicht in Münster erschienen ist.5 Dreher hat seine Arbeit fein untergliedert und ihr damit einen handbuchartigen Charakter gegeben. Von daher kann das Fehlen eines Sachregisters, nicht jedoch eines Personenregisters verschmerzt werden. Insgesamt hinterlässt die Arbeit einen gemischten Eindruck. Sie ist einerseits mit ihrer zusammenfassenden und ordnenden Art ein ordentliches Beispiel für eine Klostermonografie, andererseits hat der Leser das Gefühl, streckenweise bloß einen illustrierenden Kommentar zu den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek und des Hauptstaatsarchivs in der Hand zu haben. Nicht von Dreher zu vertreten, aber nichtsdestotrotz deutlich zu kritisieren, ist der für eine geisteswissenschaftliche Arbeit, auch angesichts der schlichten Ausstattung bei großzügigem Schriftbild unverhältnismäßig hohe Preis; leider ein unrühmliches Markenzeichen des Verlages. In Zeiten knapper Erwerbungsetats wird Drehers Arbeit ihren Weg wohl nur in wenige, auf bayerische und Ordensgeschichte spezialisierte Bibliotheken finden.
Anmerkungen:
1 Hemmerle, Josef, Archiv des ehemaligen Augustinerklosters München, München 1956.
2 Tenberg, Reinhard, Art. „Ininger, Johannes Baptista“. In: BKKL II (1990), Sp. 1276.
3 Krauss, Peter, Enzyklopädische Bildungsidee, frühe Aufklärung und Wissenschaftspopularisierung. „Historie“ im Parnassus Boicus (1722-1740), in:
Müller, Winfried (Hg.), Universität und Bildung. Festschrift Laetitia Boehm zum 60. Geburtstag, München 1991, S. 223ff.
4 Eckermann, Willigis, Augustiner, in: Dinzelbacher, Peter; Hogg, James (Hgg.), Kulturgeschichte der christlichen Orden, Stuttgart 1997, S. 55ff.
5 Kunzelmann, Adalbero, Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten, Würzburg 1969-1976.