Der Verhandlungsmarathon in den Jahren 1998 bis 2001, der schließlich zur Entschädigung von über einer Million überlebender Zwangsarbeiter führte, ist Gegenstand der Untersuchung von Susanne-Sophia Spiliotis. Die Autorin arbeitet bei der im Februar 1999 ins Leben gerufenen „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“ und versteht ihre Darstellung als „Innenansicht“ (S. 17, 194). Bislang ist der Verlauf der Entschädigungsverhandlungen ausführlich nur in einem Taschenbuch des bei der „Frankfurter Rundschau“ arbeitenden Journalisten Matthias Arning dargestellt worden.1 Während Arning in seinen Artikeln (weniger in dem recht ausgewogenen, etwas flott geschriebenen Buch) die politische Dimension der Entschädigungsfrage immer wieder hervorhob und die Wirtschaft kritisierte, weil sie an unrealistischen und an Maximalzielen orientierten Vorstellungen festhalte, erscheinen letztere bei Spiliotis als ganz natürlicher Ausfluss legitimen Sicherheitsdenkens. Es war in diesem Zusammenhang eine große rhetorische Leistung der Stiftungsinitiative und ihres umtriebigen Sprechers Wolfgang Gibowski, den Begriff „Rechtsfrieden“ zu besetzen und für die eigene Sache zu vereinnahmen. Rechtsfrieden war in dieser Lesart nicht der reparationspolitische Schlussstrich für die Bundesrepublik, und schon gar nicht Genugtuung für die betroffenen Opfer, sondern der Schutz der deutschen Wirtschaft vor aus der Zeit von 1933–1945 stammenden, auf dem Rechtsweg geltend gemachten Forderungen. Diese Lesart macht sich auch Spiliotis zu eigen.
Gleichwohl legt sie innerhalb des gesteckten Rahmens eine zuverlässige Darstellung des Verhandlungsprozesses vor (sehr nützlich: die Chronologie im Anhang), in die sich zuweilen auch selbstkritische Töne mischen. Denn die Stiftungsinitiative war nicht das Endglied einer Kette, an deren Anfang die Klägeranwälte, jüdische Organisationen und osteuropäische Regierungen standen, deren Interessen der US-Diplomat Stuart Eizenstat im Auftrag seiner Regierung zu bündeln versuchte, der sich wiederum mit seinem deutschen Pendant Bodo Hombach bzw. ab Juli 1999 Otto Graf Lambsdorff verständigen musste. Lambsdorff sah sich vor der schwierigen Aufgabe, die oft widerstrebende Stiftungsinitiative auf Linie zu bringen. Hinter dieser wiederum, und das macht das Buch von Spiliotis sehr deutlich, standen ganz unterschiedliche Interessen. Die zwölf Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative, die sich allesamt mit Sammelklagen auseinandersetzen mussten, waren eher zu Konzessionen bereit als viele andere Firmen, die nicht im Brennpunkt des öffentlichen Interesses standen und daher Boykottdrohungen nicht zu fürchten hatten. Wenn Spiliotis also immer wieder betont, die Stiftungsinitiative sei dem Wunsch der Wirtschaft entsprungen, historische Verantwortung zu übernehmen, und ihren Part am Entschädigungsfonds (fünf Mrd. DM) als humanitäre Geste verstanden wissen will, dann sind das offiziöse Phrasen. Das sehr aufschlussreiche Kapitel über die Mitgliederstruktur der Stiftungsinitiative macht dies überdeutlich. Denn während die von den Klagen betroffenen Unternehmen sich als Objekt einer koordinierten Erpressung sahen und gute Miene zum (aus ihrer Sicht) bösen Spiel machten, traten die anderen nur dann bei, wenn es aus verschiedenen Gründen opportun war, etwa wegen Exportinteressen. So setzten deutsche Unternehmen, die sich nach außen empört gegen Boykottdrohungen aus den Vereinigten Staaten verwahrten, genau dieses Mittel ein, um von ihnen abhängige Zulieferer zum Beitritt zur Stiftungsinitiative zu zwingen und dadurch die Wahrscheinlichkeit zu verringern, ihren eigenen Beitrag aufstocken zu müssen (was dann letztlich doch nötig war).
Die Stärke des Buches liegt darin, dass Spiliotis die Schwierigkeiten der von den Klagen direkt oder indirekt betroffenen Unternehmen und der Stiftungsinitiative beschreibt. Denn in der öffentlichen Diskussion machten es sich die Medien oft sehr leicht in der Verurteilung der Unternehmen, die ja mitten im Boom des shareholder value ihren Aktionären gegenüber einem viel stärkeren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt waren, als dies noch etwa zehn Jahre vorher der Fall gewesen wäre. Die Darstellung ist sprachlich sehr präzise und sicherlich von einigen Hausjuristen gründlich redigiert worden. Argumente der Gegenseite werden referiert, wobei überrascht, dass der in den Medien stets präsente Gibowski nur einmal, sein wortmächtigster Kontrahent Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte in Köln überhaupt nicht erwähnt wird. Auch wird kein Blick ins benachbarte Österreich geworfen, dessen Wirtschaft vor einem teils ähnlichen, teils anderen Problem stand, und wo man eine andere Lösung wählte. Ärgerlich ist, dass – genau wie im Buch von Arning – ein Register fehlt.
Mit seinem Buch „Unvollkommene Gerechtigkeit“ legt nun Stuart Eizenstat, Chef-Unterhändler der US-Regierung in den langwierigen Verhandlungen, seine Sichtweise der Ereignisse vor. Eizenstat war zunächst im Außenministerium und dann im Schatzamt als Vermittler in mehreren auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs zurückgehenden Verhandlungen tätig. Er sollte einerseits als legitim erachteten Opferansprüchen Nachdruck verleihen und andererseits darauf achten, dass die außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten gewahrt blieben. Seine aufreibendste Tätigkeit waren die Verhandlungen, die schließlich im August 1998 zum Schweizer Bankenvergleich führten. In diesen Verhandlungen versuchte Eizenstat, die Forderungen der einen Seite (US-amerikanischer Anwälte, die Sammelklagen eingereicht hatten, und Vertreter jüdischer Organisationen) mit den Möglichkeiten der anderen Seite (vornehmlich den Schweizer Banken) zum Ausgleich zu bringen.
Eizenstats Darstellung ist nichts weniger als ein spannender Krimi. Treibende Kraft sowohl des Bankenvergleichs als auch der Zwangsarbeiterentschädigung, hierin stimmt er mit Spiliotis überein, waren zwei Faktoren. Zum einen das Wohlwollen der Clinton-Administration, mit dem sie die Bestrebungen verschiedener Interessengruppen begleitete, aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende offene Vermögensfragen und die Entschädigung der Zwangsarbeiter zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Zum anderen waren dies die Sammelklagen, die den Schweizer Bankenvergleich und die deutsche bzw. österreichische Zwangsarbeiterentschädigung überhaupt erst ins Rollen brachten. Sowohl die deutschen als auch insbesondere vor ihnen die schweizerischen Wirtschaftskreise hatten große Schwierigkeiten, die Bedeutung der Sammelklagen zu verstehen. Im mitteleuropäischen Rechtsverständnis regelt der Staat über Gesetze, ob und wie rechtliche Ansprüche durchsetzbar sind. Die Sammelklagen in den Vereinigten Staaten haben dagegen aus übergeordneter rechtspolitischer Sicht die Funktion, Lücken des Gesetzes zu schließen. Der Erfolg einer Sammelklage steht und fällt eben nicht ausschließlich mit den Erfolgsaussichten vor Gericht. Wenn sie durch geeignete Publicity der klagenden Anwaltskanzlei droht, den Ruf der beklagten Partei – etwa eines multinationalen Unternehmens – zu schädigen, so kann es für letztere vorteilhafter sein, sich auf einen teuren Vergleich einzulassen, als den Fall bis zum bitteren Ende „erfolgreich“ durchzufechten. Etwas überspitzt könnte man somit sagen, dass die Erfolgsaussicht der Sammelklage davon abhängt, inwieweit sie dem „gesunden Volksempfinden“ entspricht. Class Actions sind somit eine rechtspolitische Ergänzung, die Probleme lösen sollen, die der Gesetzgeber übersehen hat oder bislang nicht anpacken wollte.
Die US-Anwälte, die seit 1996 Sammelklagen gegen Schweizer Banken und 1998 gegen deutsche und österreichische Unternehmen einreichten, wurden von ihren mitteleuropäischen Gegenspielern und der dortigen Öffentlichkeit zutiefst verachtet. Eizenstat, der in den Medien als knochentrockener US-Diplomat beschrieben wurde, in seinem Buch aber erstaunlich offene, manchmal auch humorvolle Einblicke in die Verhandlungen und seine Einschätzung der handelnden Personen gibt (die nicht jedem dort Beschriebenen lieb sein dürften), betrachtet sie ausgesprochen sportlich. Bei allen Vorbehalten insbesondere gegenüber ihren Methoden sieht er in ihnen zunächst professionelle Anwälte, ohne die die Entschädigungsfragen gar nicht erst angestoßen worden wären.
Die Schweizer Banken kommen bei Eizenstat nicht gut weg. Ohne Gespür für die Gefahr, die von den Sammelklagen ausging, hätten sie durch ihr arrogantes Auftreten und eine denkbar ungeschickte Öffentlichkeitspolitik die Situation verschlimmert. Was etwa bei Finkelstein als „smear campaign“ und Abzocken der Schweizer durch geldgierige jüdische Anwälte und Organisationen gebrandmarkt wird,2 erscheint bei Eizenstat als gerechte Strafe für unprofessionelles Verhandeln. Ungewohnt deutlich kritisiert der Ex-Diplomat Eizenstat die Schweizer Regierung und Notenbank. Aus Angst vor dem umtriebigen Rechtspopulisten Christoph Blocher schalteten sie sich nicht in die Verhandlungen ein und ließen die Banken alleine im Regen stehen. Sie mussten im August 1998 zur Vermeidung weiterer Imageverluste einem Vergleich zustimmen, der mit 1,25 Mrd. US-$ atemberaubend hoch ausfiel.
Aus deutscher Sicht war der Schweizer Bankenvergleich das Präludium zur Zwangsarbeiterentschädigung. Spiliotis‘ Darstellung suggeriert, dass der deutschen Seite die Bedeutung der Sammelklagen klar gewesen sei. Das trifft jedoch erst aus der Retrospektive zu. Wie man jetzt bei Eizenstat nachlesen kann, machten die Wirtschaft und insbesondere Bodo Hombach, der auf deutscher Regierungsseite die Verhandlungen koordinierte, die meisten Fehler, die bereits die Schweizer begangen hatten. Hombach nahm die Anwälte nicht ernst und versuchte die Opfergruppen gegeneinander auszuspielen. So wollte man seitens der deutschen Regierung und Wirtschaft von einer Entschädigung nichtjüdischer osteuropäischer Zwangsarbeiter zunächst nichts wissen. Die Wünsche der Osteuropäer wurden nicht ernst genommen, doch hatten diese unerwartete Verbündete. Nicht nur die Klageanwälte vertraten ihre Interessen, sondern auch die jüdischen Organisationen, die sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollten, nur etwas für ihre Klientel herausschlagen zu wollen. Anderenfalls hätte eine Zunahme antisemitischer Ressentiments gedroht – insbesondere in Osteuropa.
Wer auf deutscher Seite besonders schlecht wegkommt, ist der Verhandlungsführer der deutschen Industrie, Manfred Gentz. Gentz, der zweifellos einen höchst undankbaren Job übernommen hatte, ist in den deutschen Medien meist als honoriger Manager beschrieben worden, bei dem glasklarer juristischer Verstand und humanistische Interessen eine gelungene Symbiose bildeten. Bei Eizenstat, der in den Beschreibungen seiner Verhandlungspartner stets ausgewogen wirkt und sehr höflich immer die positiven Eigenschaften heraushebt, erscheint Gentz als engstirniger und verbissener Verhandlungspartner, der sich nicht zu schade war, darauf hinzuweisen, dass das, was die deutschen Unternehmen an Entschädigung zahlten, ihren oft jüdischen Aktionären weggenommen würde (S. 305). Während Eizenstat meist Verständnis für die Interessen der anderen Verhandlungsseite aufbringt, beschreibt er Gentz als unzuverlässigen Verhandlungspartner, der Dinge wieder auf den Tisch gebracht habe, die längst einvernehmlich gelöst worden seien (S. 340, 346, 349). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Gentz die ganze Zwangsarbeiterentschädigung als amerikanische Erpressung ansah; noch am Tag des Durchbruchs der internationalen Verhandlungen (12.6.2000) warf er Eizenstat eine „Diktatur der USA“ vor (S. 350). Die humanitäre Geste, von der Gentz und Gibowski in der Öffentlichkeit immer hochtrabend sprachen, entpuppt sich spätestens hier als pure Floskel.
Otto Graf Lambsdorff, dem Nachfolger Hombachs, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundespräsident Johannes Rau und seinen österreichischen Verhandlungspartnern nimmt Eizenstat dagegen ihr ernsthaftes Interesse an einer einvernehmlichen und angemessenen Entschädigungsregelung ab. Interessant ist auch zu erfahren, dass Altbundeskanzler Helmut Kohl, der sich in dieser Frage während seiner Amtszeit stets unzugänglich gezeigt hatte, bereits im November 1999, also vor der Festlegung der Entschädigungssumme Mitte Dezember, Eizenstat seine Unterstützung zusicherte (S. 319).
Was Eizenstats Buch so fesselnd macht, ist seine erstaunlich offene Beschreibung der Verhandlungsatmosphäre. Nie hätte sich der Rezensent in seinem naiven und laienhaften Politikverständnis vorgestellt, dass in hochkarätigen internationalen Verhandlungen Emotionen eine so starke Rolle spielen. Da verlieren Topleute die Contenance, es wird geschrien und beleidigt. Eizenstats Schilderung wirkt übrigens auch deswegen sehr aufrichtig, weil er eigene Fehler einräumt (z.B. S. 142, 336, 342).
Wem die Bücher von Eizenstat und Spiliotis zu differenziert sind, der ist bestens mit „The Final Insult“ der „gruppe offene rechnungen“ bedient. Als unmittelbar oder mittelbar Beteiligte haben Eizenstat und Spiliotis naturgemäß ein überwiegend positives Bild der in Deutschland und Österreich geschnürten Entschädigungspakete. Viele Kritikpunkte, von denen es gerade in der Zwangsarbeiterentschädigung einige gibt, werden bei ihnen nicht genannt. Die findet man (zum Teil) in „The Final Insult“, allerdings weit verstreut zwischen diffusen Anschuldigungen und Verschwörungstheorien des internationalen Kapitals, als einer deren übelster Helfershelfer z.B. Götz Aly („Schlussstrich-Apologet“, S. 53, vgl. auch S. 255-258) zu firmieren die Ehre hat. Selbst Ulrich Herbert betätigt sich demnach affirmativ und relativierend, indem er den Nazi-Begriff „Fremdarbeiter“ verwendet (S. 23), usw. Es ist immer wieder erfrischend zu lesen, welch einfache Antworten es auf schwierige Fragen gibt.
Zurück zu Eizenstat und Spiliotis. Ihre beiden Bücher haben einen sehr unterschiedlichen Charakter. Spiliotis‘ Darstellung ist Ausfluss intelligenter und zuverlässiger, fast aseptischer Lobbyarbeit. Eizenstats Version der Ereignisse ist einerseits bewusst subjektiv, andererseits ist dem Autor das Bemühen anzumerken, die Dinge möglichst fair zu sehen. Ersteres macht das Buch so gut lesbar, letzteres macht es so glaubwürdig. Gleichwohl, es ist eine Autobiografie mit all ihren Vor- und Nachteilen. Man darf auf weitere Arbeiten zum Thema gespannt bleiben.3
Anmerkungen:
1 Arning, Matthias, Späte Abrechnung. Über Zwangsarbeiter, Schlussstriche und Berliner Verständigungen, Frankfurt am Main 2001, rezensiert für H-Soz-Kult von Peter Heuss (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=719). Vgl. auch Spoerer, Mark, Zwangsarbeit im Dritten Reich und Entschädigung. Verlauf und Ergebnisse einer wissenschaftlichen und politischen Diskussion, in: Sächsisches Staatsministerium des Innern (Hg.), Fremd- und Zwangsarbeit in Sachsen 1939–1945, Halle 2002, S. 89-106.
2 Finkelstein, Norman G., The Holocaust Industry. Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering, London 2000, chap. 3, Zitat S. 91 (dt.: Die Holocaust-Industrie. Wie das Leid der Juden ausgebeutet wird, München 2001).
3 Vgl. auch Herko, Thomas, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter unter nationalsozialistischem Regime auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich. Der Weg zur Errichtung des Österreichischen Versöhnungsfonds, Diss. iur., Salzburg 2002.