R. Hölzl: Gläubige Imperialisten

Cover
Titel
Gläubige Imperialisten. Katholische Mission in Deutschland und Ostafrika (1830–1960)


Autor(en)
Hölzl, Richard
Reihe
Globalgeschichte
Erschienen
Frankfurt 2021: Campus Verlag
Anzahl Seiten
654 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Geert Castryck, ReCentGlobe, Universität Leipzig

Wer schon immer alles wissen wollte über die Missionsbenediktiner:innen von Sankt Ottilien und ihre Missionsarbeit in Ostafrika, kann sich mittlerweile gut versorgt fühlen. Nach der 2015er Monographie von Christine Egger1 ist 2021 erneut ein Buch erschienen, das sich akribisch mit diesem katholischen Missionsorden beschäftigt. Die Habilitationsschrift Richard Hölzls, eingereicht an der Georg-August-Universität Göttingen und veröffentlicht in der Reihe „Globalgeschichte“ des Campus Verlags, teilt die globalhistorische, verflechtungsgeschichtliche und raumbewusste Ausrichtung, die auch Eggers Buch prägt.

Im Vergleich zu Egger hat Hölzl einen längeren Zeitraum berücksichtigt, die Benediktinermission in die deutsche katholische Missionsbewegung eingeordnet und versucht, ostafrikanischen Akteur:innen eine Stimme zu geben. Zudem legt er besonders großen Wert auf die religiöse, theologische, spirituelle und pastorale Logik der katholischen Mission, was es ihm erlaubt, die katholische Mission sowohl im kolonialen Projekt einzuordnen als auch vom selben abzusetzen.

Auf stolzen 654 Seiten erzählt Hölzl zwei verflochtene Geschichten: zum einen die Entwicklung der katholischen Mission in Deutschland von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts (Kap. I, II und VII), zum anderen die Wirkung der Benediktinermission im Süden Deutsch-Ostafrikas bzw. Tanganjikas (Kap. III–VI). So unterschiedlich diese Geschichten auch erscheinen mögen, sie sind miteinander verflochten. Als heuristischen Beitrag zum Ansatz der Verflechtungsgeschichte betont Hölzl die Bedeutung von Brüchen, Konflikten, Grenzen und Gegensätzen auf mehreren Ebenen: im Rahmen des deutschen Kulturkampfes, zwischen deutsch-national und universal-katholisch, zwischen Mission in Deutschland und in Ostafrika sowie zwischen deutschen Benediktiner/innen und afrikanischen Katholiken.

In den ersten beiden Kapiteln erläutert der Autor das religiöse Denken der deutschen katholischen Mission von 1830 bis 1945. Am Anfang heilsgeschichtlich und auf Erlösung ausgerichtet wurde die Mission zunehmend zu einer Legitimationsmaschine der Kolonisierung, die nicht nur Seelen retten, sondern auch Sklaven befreien würde. Während der Kolonialzeit nationalisierte sich die Kolonialmission und wurde auch ihr katholischer Zweig zu einem Vehikel der kolonialen „Zivilisierungsmission“ – die aber weiterhin als „christliche Zivilisation“ zum religiösen Erlösungsbegriff passfähig blieb.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die aus Rom befürwortete Weltkirche, die einen lokalen Klerus mit einem katholischen Universalismus zusammenführen würde, zum neuen Ideal, das die national-imperialistische Ausrichtung ablösen, aber auch die deutsche katholische Mission überhaupt überleben lassen sollte. Meines Erachtens mäandert dieses Kapitel etwas zwischen einer deutschen und einer katholischen Lesart der Weltkirche, aber dort, wo Hölzl den „Ausblick: Mission und Nationalsozialismus“ anschließt, ergibt diese Unentschlossenheit empirisch Sinn. Die Spannungen zwischen national und katholisch, zwischen rassistischem Herrenvolkwahn und Kolonialismus verhafteter Weltkirche, lesen sich wie der Anfang eines vielversprechenden neuen Forschungsprojekts.

Kapitel III spielt sich in Ostafrika ab, bietet jedoch noch weitestgehend eine deutsch-koloniale Perspektive. Hier wird die Gründung der Benediktinermission in Ostafrika besprochen, wobei der Forschungsstand zu den deutsch-kolonialen Eroberungskriegen in Ostafrika (1887–1907) weiterentwickelt wird. Die Mischung aus Unerfahrenheit und deutscher Kolonialmission bei den Missionsbenediktiner:innen unterscheidet diese von den erfahreneren und gründlicher erforschten nicht-deutschen Missionsorden der katholischen Weißen Väter oder der protestantischen UMCA. Wenn Hölzl in den nächsten Kapiteln vorwiegend nachweist, dass für die Benediktinermission zutrifft, was wir bereits allgemein über die Kolonialgeschichte wissen, führt ein Blick auf die national-imperiale Tollpatschigkeit der Benediktinermission hier jedoch zu einem Erkenntnisgewinn.

Im Kapitel IV wird der Frage der Wissensproduktion nachgegangen. Dass Missionare einen Beitrag zum ethnographischen Wissensbestand in der Kolonialzeit geliefert haben, ist an sich unumstritten, aber Hölzl zeigt, dass die Motivation der katholischen Missionare viel weniger wissenschaftlich als pastoral war. Sie versuchten ihre missionarische Zielgruppe zu verstehen und waren dabei von lokalen afrikanischen Informant:innen abhängig. Hölzl zeigt, dass die Wissensproduktion auf unterschiedlichen Ebenen stattfand: Während die afrikanischen Informant:innen auf lokaler Ebene vielleicht sogar die Wissenshoheit inne hatten, waren sie auf regionaler Ebene nicht repräsentiert.

Im Kapitel V taucht Hölzl tiefer in die alltägliche Arbeit der Mission ein. Nach dem Ersten Weltkrieg basierte die missionarische Rolle vorwiegend auf Bildung und kurative Funktionen, wobei die britische Kolonialpolitik eine steuernde Rolle spielte. Die afrikanischen Missionslehrer nahmen die entscheidende Schlüsselposition ein. Die Ausbreitung und der Alltag der Mission hingen weitestgehend von ihnen und ihren Ehefrauen ab. Sie waren nicht nur „Lehrer“, sondern mussten auch die Gemeinde aufrechterhalten.

Man würde sich wünschen, dass der Autor an dieser Stelle an die Idee der Weltkirche und die damit einhergehende Rolle eines lokalen Klerus (Kapitel II) zurückkoppeln würde. Spätestens hier stellt sich außerdem die Frage, ob der monastische Charakter der Benediktinermission ggf. ihre pastorale Arbeit beeinträchtigt und demzufolge die pastorale Rolle der Missionslehrer noch verstärkt hat.

Im Kapitel VI wird tatsächlich auf die Bedeutung der monastischen Regel eingegangen. Was dies für die pastorale Arbeit bedeutet, wird jedoch nicht angesprochen. Stattdessen werden Zutrittsgeschichten afrikanischer Schwestern und Priester erklärt, denen immer wieder ein gleichwertiger Zugang zum Orden versperrt blieb. Afrikanische Benediktinerinnen mussten den weißen Benediktinerinnen „dienen“. Ordinierte afrikanische Priester durften nicht als vollwertige Benediktinerväter agieren.

„Father John“ verdient besondere Beachtung. Er war einer der zwei ersten ordinierten afrikanischen Benediktiner-Priester. Er hat sich aktiv gegen seine Ungleichbehandlung gewehrt und sich später auch an die ersten afrikanischen Bischöfe in Ostafrika gerichtet, um gegen die rassistische Behandlung seitens der Benediktinermissionare anzugehen. Demgegenüber behaupteten die weißen Benediktiner – und ein indischer Arzt – er sei wahnsinnig. Diese „medizinischen“ Informationen sind für den Autor Grund, ihn zu anonymisieren (S. 464, Fußnote 131). Wie „Father John“ wirklich hieß, bleibt unbekannt. Ich fürchte, dass der Datenschutz in diesem Fall dazu führt, dass ein historischer Akteur ein weiteres Mal „unsichtbar“ gemacht wird.

Im Kapitel VII kehrt Hölzl nach Deutschland zurück und zeigt, wie die Mobilisierung von Spender:innen für die Mission von einer „Dialektik“ der Identifizierung mit afrikanischen Katholiken, Abgrenzung vom heidnischen und islamischen Gegenüber, und Selbstvergewisserung des eigenen Glaubens angeregt wurde. Hölzl rekonstruiert die Gefühlswelt der – meistens weiblichen und ländlichen – Aktivist:innen anhand der von der Missionspropaganda verwendeten Kommunikationsmittel, die multi- oder inter-medial (Text, Bild, Film, Ausstellung, Rede, usw.) gestaltet waren.

Obwohl das Buch ausreichend lang ist und auf manche Wiederholung bzw. detaillierte Ausführung hätte verzichtet werden können, gibt es m.E. noch zwei Blickwinkel, die zu mehr Erkenntnissen hätten führen können. Erstens ruft der deutsche sozial-historische Kontext Fragen auf. Was war das Verhältnis zwischen der Kolonialmission und der inneren Mission in Deutschland? Und was waren die sozialwirtschaftlichen Hintergründe der katholischen Missionar:innen und deren Unterstützer:innen? Die Behauptung des Autors, die katholische Missionsbewegung habe zur Bildung eines „Schichten“-unabhängigen Milieus geführt (S. 577), scheint mir nicht ausreichend in der deutschen Sozialgeschichte begründet zu sein.

Zweitens, wenn man großen Wert auf die religiöse und theologische Logik der katholischen Mission legt, verdient auch die biblische Intertextualität Berücksichtigung. In der missionarischen Kommunikation ist die Vorstellung von Agatha (S. 560–1) als „eine starke Frau“ eindeutig ein Verweis auf das Buch der Sprichwörter, 31: 10–31. Ähnlich wie von J.D.Y. Peel bzgl. protestantischer Missionen schon angedeutet2, würde es mich nicht wundern, wenn auch in Berichten der Benediktiner:innen sowie in den Zeugnissen der afrikanischen Missionslehrer biblische Anspielungen gemacht wurden und sie demzufolge einen biblischen Bezug statt eine reine Inhaltsvermittlung ausdrücken würden.

Insgesamt hat Richard Hölzl eine von Brüchen, Konflikten, Grenzen und Gegensätzen geprägte Verflechtungsgeschichte der Benediktinermission zwischen Deutschland und Ostafrika sowie zwischen Katholizismus und Kolonialismus geschrieben. Die akribische empirische Herausarbeitung von etlichen Detailgeschichten, die jeweils einzeln von klugen Überlegungen und brauchbaren Ansätzen aus der Literatur untermauert werden, ist beeindruckend. Gleichwohl fehlt ein roter Faden, der das Buch im Ganzen zusammenziehen und für fallübergreifende Forschung anschlussfähig machen würde. Am Ende ist die gleichzeitige Verwendung von postkolonialen, religiösen und verflechtungshistorischen Ansätzen, die zusammen zu einem tieferen Verständnis der Missions- und Kolonialgeschichte führen, das größte Verdienst dieses Buches.

Anmerkungen:
1 Christine Egger, Transnationale Biographien. Die Missionsbenediktiner von St. Ottilien in Tanganjika 1922–1965, Köln 2015.
2 J.D.Y. Peel, For Who Hath Despised the Day of Small Things? Missionary Narratives and Historical Anthropology, in: Comparative Studies in Society and History 37 (1995), S. 581–607.

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