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Titel
Liebe verwalten. "Ausländerehen" in Deutschland 1870–1945


Autor(en)
Lorke, Christoph
Reihe
Studien zur Historischen Migrationsforschung
Erschienen
Paderborn 2020: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
689 S.
Preis
€ 109,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lena Radauer, Nordost-Institut an der Universität Hamburg

1875 wurde die Eheschließung im deutschen Kaiserreich säkularisiert: über Ehevorhaben entschied nicht länger die Kirche, sondern der Staat, vertreten durch den Standesbeamten. Standesbeamten sind es, die als Handelnde im Fokus von Christoph Lorkes Studie stehen, das Standesamt insgesamt als „Raum der Erfahrung und der Möglichkeiten“ (S. 420). Die Einführung der Zivilehe eröffnete neue Möglichkeiten für Paare unterschiedlicher Konfessionen und Religionen, denen zuvor in den deutschen Ländern die Ehe verwehrt gewesen war. Eheanwärter:innen unterschiedlicher Herkunft stellten die Standesbeamten dabei vor besondere Herausforderungen, galt es doch, disparate Gesetzgebungen zu berücksichtigen. Die Gesetzeslagen bilden in Lorkes Erzählung jedoch lediglich eine Kulisse, vor der sich situative Aushandlungen und individuelle Entscheidungen abspielen.

In seiner umfassenden Monografie untersucht Lorke die Anforderungen und Möglichkeiten, mit denen Paare mit Partner:innen aus unterschiedlichen Ländern konfrontiert waren, wenn sie zwischen 1870 und 1945 in Deutschland die Ehe eingehen wollten. In drei Kapiteln nimmt er die Situation im Kaiserreich, in der Weimarer Republik sowie zur Zeit des Nationalsozialismus unter die Lupe und legt jeweils demografische Überlegungen, nationale und internationale gesellschaftliche Debatten über transnationalen Beziehungen sowie die Praxis im Umgang der Behörden mit binationalen Paaren dar.

Das Thema binationaler Eheschließungen beschäftigt die Geschichtswissenschaft seit Jahren1, wobei in der deutschen Geschichte die im Nationalsozialismus verpönten „Mischehen“ besonders im Fokus der Forschung standen.2 Auch das patrilineare Staatsbürgerschaftsrecht und seine Implikationen für Frauen erhielten verstärkt Aufmerksamkeit.3 Beide Themen spielen auch in dem vorliegenden Buch eine Rolle. Das Novum von Lorkes Studie aber liegt in der Langzeitperspektive, die die Entwicklung der Situation binationaler Eheanwärter über ein dreiviertel Jahrhundert hin nachzeichnet und das Zusammenspiel zwischen gesellschaftsgeschichtlichen Faktoren und institutionellen Entwicklungen ausleuchtet.

Dass die Anzahl binationaler Eheanwärter:innen in Zeiten steigender Mobilität zunahm4 – vor dem Ersten Weltkrieg avancierte das deutsche Kaiserreich zum weltweit zweitwichtigsten Einwanderungsland – ist naheliegend, doch Lorke stellt klar, dass transnationale Eheschließungen dennoch ein Randphänomen blieben. Eine genaue Quantifizierung birgt allerdings Schwierigkeiten: trotz zunehmender Beliebtheit statistischer Erhebungen stehen systematische Erfassungen transnationaler Eheschließungen erst ab den 1920er-Jahren zur Verfügung. Lorke behilft sich beispielsweise durch Auszählungen einzelner Heiratsregister und kann punktuelle Auswertungen zu tendenziellen Aussagen verdichten. Den Paaren wird dabei in detaillierten case studies eine Stimme verliehen, was dem Leser Einblicke in private Sphären intimer Beziehungen gewährt.

Als zentralem Aspekt seiner Studie geht Lorke den Handlungsspielräumen der Standesbeamten nach – die, so seine Erkenntnis, selbst im restriktiven Kontext des Nationalsozialismus erheblich blieben. Damit erweitert Lorke den Blick Maren Rögers, die die Möglichkeiten transnationaler Paare unter nationalsozialistischer Herrschaft thematisierte, um die Rolle des Standesamtes in diesem Aushandlungsprozess.5 Interessant ist insbesondere, dass Standesbeamte als Exekutoren rassenhygienischer Theorien fungierten, dies aus außenpolitischen Überlegungen heraus jedoch nicht formulieren sollten (S. 311, 509, 575).

Insgesamt stellt Lorke die Standesbeamten als geforderte Akteure dar, die komplexe Gemengelagen überblicken und situative Entscheidungen fällen mussten. Dabei habe durchaus eine Auseinandersetzung mit individuellen Heiratskandidat:innen stattgefunden (Lorke bringt u.A. das Beispiel eines Standesbeamten, der sich 1928 dafür einsetzte, die Heirat mit einer staatenlosen, ehemals tschechischen Staatsangehörigen durch einen Ehedispens zu ermöglichen, S. 338).

Plastisch beschreibt er die unübersichtlichen Vorgaben, die Standesbeamte zu navigieren hatten, musste doch die Gesetzeslage im jeweiligen Herkunftsland der nicht-deutschen Partner:innen ebenso beachtet werden wie die von Land zu Land variierenden Anforderungen von deutscher Seite. Schlüsseldokument für nichtdeutsche Eheanwärter:innen war – und ist bis heute – das Ehefähigkeitszeugnis, das in der Regel vom Herkunftsstaat ausgestellt und den deutschen Behörden vorgelegt werden musste. Dass Heiratsanwärter:innen teilweise nicht um ihre eigene Staatsbürgerschaft wussten, führt die Komplexität der internationalen Situation im Untersuchungszeitraum vor Augen. Standesbeamte hatten die Möglichkeit, von dessen Beibringung abzusehen – nutzten das Dokument aber auch als Regulierungswerkzeug. Zu den Paarkonstellationen, die reduziert werden sollten, gehörten zunehmend jene mit deutschen Frauen, die exogam heiraten wollten, da ihnen als “Reproduzentinnen einer ethnischen Gruppe” (S. 189) ein besonderer Platz in der deutschen Gesellschaft zugewiesen wurde. Bemerkenswert ist Lorkes Beschreibung, dass der Staatsbürgerschaftsverlust für deutsche Frauen bei der Heirat mit einem nicht-deutschen Partner als Chance gesehen wurde, Erstere von diesem Schritt abzuhalten (S. 223). Insgesamt geht das Standesamt als eine Institution hervor, die Frauen mit „männlich-behördlichem Beschützergestus“ (S. 184) bevormundete.

Lorke zeichnet ein öffentliches Bild grenzüberschreitender Paare, das in der Weimarer Republik zurückhaltend positiv war. Der Erste Weltkrieg geht bei Lorke aufgrund der zunehmenden Internationalisierung als Schlüsselmoment für grenzüberschreitende Paare hervor, und die Präsenz ausländischer Kriegsgefangener in Deutschland als Auslöser für den Abbau von Vorurteilen.6 Zu behördlichen Lockerungen sei es insbesondere aus sittlich-moralischen Erwägungen heraus gekommen.7 Der Zweite Weltkrieg hingegen wirkte sich gegenteilig auf transnationale Paare aus und erschwerte Konstellationen, die zuvor keine Skepsis hervorgerufen hatten.

Mit seiner Monografie liefert Christoph Lorke ein umfassendes Werk, das das Phänomen transnationaler Eheschließungen vielseitig ausleuchtet. Obwohl der Untersuchungszeitraum mit dem „Siegeszug amtlicher Statistik“ (S. 48) zusammenfiel, kommt Lorke selbst ohne Tafeln aus, die den Leser:innen doch manchmal gelegen gekommen wären. Dennoch gelingt es Lorke, komplexe Prozesse eindrücklich zu schildern. Er kreiert durch die Darlegung verschiedener Räume – derer, die Gesetze machen und ausüben, der Öffentlichkeit sowie der transnationalen Paare – eine beeindruckende Gegenüberstellung von administrativen Gegebenheiten und Fallbeispielen. Dabei liefert Lorke – oft en passant – eine Vielzahl spannender Erkenntnisse. So liefert er einen wichtigen Beitrag dazu, wie die Eheschließung bzw. deren Verhinderung als Werkzeug zur Migrationskontrolle genutzt wurden. Auch weist er auf interessante Themen hin, die hoffentlich von künftigen Forscher:innen aufgegriffen werden, beispielsweise was Abstufungen in der Definition von Fremdheit bzw. Flexibilitäten in der Perzeption einzelner Herkunftsstaaten angeht.

Anmerkungen:
1 Zuletzt siehe: Julia Moses / Julia Woesthoff (Hrsg.), Intimate Relationships Across Boundaries, New York 2021; Adrienne Edgar / Benjamin Frommer (Hrsg.), Intermarriage from Central Europe to Central Asia. Mixed Families in the Age of Extremes, Lincoln 2020; Lena Radauer / Maren Röger, Mobilität und Ordnung. Eine Rechts- und Gesellschaftsgeschichte deutsch-russländischer Eheschließungen von 1875–1926, in: L’Homme 1/2020, S. 69–86.
2 U.A. Silke Schneider, Verbotener Umgang. Ausländer und Deutsche in Nationalsozialismus. Diskurse um Sexualität, Moral, Wissen und Strafe, Baden-Baden 2010; Maren Röger, Die Grenzen der “Volksgemeinschaft”. Deutsch-ausländische Eheschließungen 1933–1945, in: Klaus Latzel / Elissa Mailänder / Franka Maubach (Hrsg.), Geschlechterbeziehungen und “Volksgemeinschaft”, Göttingen 2018, S. 87–108.
3 U.A. Miriam Rürup, Das Geschlecht der Staatenlosen. Staatenlosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945, in: Journal of Modern European History 14 (2016), 3, S. 411–429; Doerte Bischoff / Miriam Rürup (Hrsg.), Ausgeschlossen. Staatsbürgerschaft, Staatenlosigkeit und Exil = Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 36 (2018); Ute Gerhard, Family Law and Gender Equality: Comparing Family Policies in Post-war Western Europe, in: Karen Hagemann / Konrad H. Jarausch / Christina Allemann-Ghionda (Hrsg.), Time Policies: Child Care and Primary Education in Post-war Europe, New York 2011, S. 75–93.
4 Vgl. Dirk Hoerder, Migrations and Belongings, Cambridge 2014.
5 Maren Röger, Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939–1945, Frankfurt am Main 2015.
6 Auch die Situation der Frauen hatte sich durch den Ersten Weltkrieg erheblich verändert. Siehe Gisela Bock, Geschlechtergeschichten der Neuzeit. Ideen, Politik, Praxis, Göttingen 2014.
7 Ein Band zu den Beziehungen zwischen Frauen und ausländischen Kriegsgefangenen in beiden Weltkriegen erscheint in Kürze: Matthias Reiss / Brian L. Feltman (Hrsg.), Prisoners of War and Local Women in Europe and the United States, 1914–1956. Consorting with the Enemy, London (voraussichtlich 2022).

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