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Titel
Prostitution in der DDR. Eine Untersuchung am Beispiel der Städte Rostock, Berlin und Leipzig von 1968 bis 1989


Autor(en)
Brüning, Steffi
Reihe
Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert 7
Erschienen
Berlin 2020: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Brenner, Collegium Carolinum e.V./SFB 1369 "Vigilanzkulturen", Ludwig-Maximilians-Universität München

Prostitution gehörte zu den Phänomenen, die es im Sozialismus eigentlich nicht geben durfte. Die sozialistischen Staaten verfolgten gegenüber diesem angeblich kapitalistischen Relikt einen Kurs, der zwischen Repression, Leugnung und Wegsehen schwankte. Für die Führung der Deutschen Demokratischen Republik hatte das Problem allerdings besondere Relevanz: In der direkten Konkurrenz mit der Bundesrepublik ging es ihr darum, das Image des moralisch überlegenen Staates zu verteidigen. Zugleich wurde der „Eiserne Vorhang“ durchlässiger. Dass Großveranstaltungen mit internationaler Besucherschaft wie die Leipziger Messen oder die Rostocker Ostseewoche auch Umschlagplätze für käuflichen Sex waren, war ein offenes Geheimnis. Darüber, wie die Staatssicherheit hier mitmischte, gab es schon vor dem Fall der Mauer viele Spekulationen. Nach 1989 sind unzählige Reportagen zu diesem Thema erschienen, doch solide historische Forschung fehlte weitgehend.1 Das hat sich mit dem Erscheinen von Steffi Brünings Arbeit über Prostitution in der DDR geändert.

Der Untertitel ihres Buches kündigt „Eine Untersuchung am Beispiel von Rostock, Berlin und Leipzig“ für die Jahre von 1968 bis 1989 an. Doch es leistet viel mehr. Brüning rekonstruiert in einem ersten Schritt die ideologischen, rechtlichen und institutionellen Grundlagen des Umgangs mit Prostitution in der DDR. Darauf aufbauend untersucht sie lokale Praktiken in den drei Beispielstädten, aber auch darüber hinaus. Dieser Hauptteil der Arbeit basiert auf umfangreichen Archivrecherchen im Bundesarchiv, in Landes- und Stadtarchiven sowie im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Schließlich geht Brüning in die Nahperspektive und lässt Frauen ihre Geschichten erzählen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren sexueller Arbeit nachgingen, einige von ihnen im Auftrag der Staatssicherheit. Dafür hat sie Oral History-Interviews geführt.

Die mit Prostitution befassten Akteure quellenmäßig zu erfassen, ist nicht einfach. Theoretisch sollte Prostitution im Sozialismus verschwinden, verbliebene „Asozialität“ gesamtgesellschaftlich bekämpft werden. Praktisch war es das Gesundheitswesen, dem die Aufgabe zufiel, sich um Prostituierte und Frauen zu „kümmern“, denen im Betrieb oder in der Nachbarschaft ein lockerer Lebenswandel nachgesagt wurde. Die geschlossenen venerologischen Abteilungen, in die Sozialbehörden diese Frauen zumeist widerrechtlich einlieferten und oft über Wochen festhielten, leisteten keine aus medizinischer Sicht notwendige oder sinnvolle Arbeit, sondern hatten die Funktion, Frauen zu disziplinieren und wegzusperren. Der Terror, der hier stattfand, war geschlechterdiskriminierend – vergleichbare Anstalten gab es für Männer nicht –, er richtete sich oft gegen sozial Schwächere und er hatte eine rassistische Komponente, da Frauen, die Beziehungen zu Ausländern eingingen, als „liederlich“ galten.

Wie im Gesundheitswesen, so erschienen Prostituierte auch im Bereich Justiz und Sozialfürsorge nicht als gesonderte Gruppe, sondern als Teil des „asozialen Milieus“. Brüning argumentiert mit der herausgehobenen Bedeutung, die Arbeit in der DDR zugesprochen wurde. Wer nicht regelmäßig arbeitete, wurde als „asozial“ abgestempelt und „Asozialität“ galt von 1968 an als Straftat. Brüning stellt fest, dass Prostitution allein selten Anlass für staatliches Eingreifen gab. Erst wenn Frauen nicht arbeiteten oder sich andere Straftaten zu Schulden kommen ließen, wurden Abschnittsbevollmächtigte der Polizei und die Justiz aktiv.

Frauen, die gegen sexuelle Normen verstießen, ob durch Promiskuität oder durch Prostitution, wurden nicht nur kontrolliert und diszipliniert, die Kriminalpolizei und die Staatssicherheit versuchten auch, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Viele von ihnen wurden durch Erpressung dafür gewonnen, das eigene Milieu oder Freier aus dem nichtsozialistischen Ausland zu bespitzeln. Oder sie hofften auf Erleichterungen und Begünstigungen – auf vorzeitige Entlassung aus der Haft, darauf, nicht weiter durch Kontrollen belästigt zu werden, oder auf Bezahlung. Mit den Stimmen aus ihren Interviews kann Brüning illustrieren, wie unterschiedlich die Motive waren und dass sie sich im Laufe der Jahre auch verändern konnten. Loyalität gegenüber Staat und Partei kam dabei auch vor, gerade bei den High-End-Mitarbeiterinnen, die von der Stasi in Interhotels eingesetzt wurden, aber noch mehr die Freude an einem aufregenden und luxuriösen Leben, die Neugierde auf Männer, die anders waren als die zu Hause. Die Interviews zeugen auch davon, dass die Frauen mitunter Beziehungen mit den Männern eingingen, die sie im Auftrag der Stasi trafen, und Gefühle ins Spiel kamen.

Dass sie einer Arbeit nachgingen, die nicht als Arbeit anerkannt war, isolierte Frauen in Prostitution in der DDR von der Mehrheitsbevölkerung. Diejenigen unter ihnen, die ein besonders hohes Einkommen hatten und Devisen und Westprodukte erhielten, hoben sich sichtbar von der Masse ab, was Misstrauen und Neid hervorrief. Dagegen bauten Frauen in Prostitution Netzwerke auf, zu denen oft auch ihre Helfer oder Zuhälter gehörten, beispielsweise Ehepartner, Barmänner, Portiers oder Wohnungsgeber. In Anlehnung an Howard S. Becker, mit dessen Konzept von Zuschreibungsprozessen und abweichenden Karrieren Brüning arbeitet, konstatiert sie, hier sei eine spezifische „abweichende Kultur“ entstanden (S. 260f.). Wozu dieser Begriff dient, wird nicht ganz klar, zumal Brüning im letzten Teil des Buches die Vielfalt der Milieus herausarbeitet, in denen Prostitution stattfand. Das Spektrum reichte vom Straßenstrich bis zu den teuersten Hotels der Republik; entsprechend unterschiedlich waren vor allem die materiellen Verhältnisse und die Gewalterfahrungen der involvierten Frauen.

Verbindend war ohne Zweifel die Kriminalisierung, auf die Frauen in Prostitution mit Strategien reagierten, die sie unauffällig machen sollten. Die stets drohende Gefahr, mit dem Staat in Konflikt zu geraten, wurde partiell aufgehoben, wenn Frauen in den Dienst der Kriminalpolizei oder der Stasi eintraten und aus verbotener Arbeit in den Augen des Staates nützliche wurde. Brüning ist es ein Anliegen, nachzuweisen, dass die Frauen in diesem Verhältnis nicht ohne Macht und Handlungsspielräume waren. Sie konnten Vorteile für sich aushandeln, sich aber auch Aufträgen verweigern. Letztlich saß der Staat aber am längeren Hebel und griff tief in ihr Leben ein. Manche Frauen versuchten, sich diesem Zugriff durch Eheschließung, Mutterschaft oder Ausreise in die BRD zu entziehen, was nicht immer gelang.

Wichtig ist festzuhalten, dass staatliche Akteur/innen Frauen in Prostitution grundsätzlich als Täterinnen einstuften, unabhängig davon, ob sie anschaffen gingen, um eine Sucht zu finanzieren, oder aus Lust am Luxus. Wurden sie Opfer, etwa von Gewalt, konnten sie nicht mit Schutz und Unterstützung rechnen; das galt auch in Konstellationen, bei denen es sich eindeutig um Zwangsprostitution handelte. Mit dem Ende der DDR fand die Kriminalisierung ein Ende, die Einstufung von Prostitution als Nicht-Arbeit beeinflusst das Leben der interviewten Frauen allerdings bis in die Gegenwart; etwa sind sie mit extrem niedrigen Renten häufig von Altersarmut betroffen.

Steffi Brüning hat eine bahnbrechende Arbeit vorgelegt, die vieles aufklärt, was bisher Vermutungen überlassen war. Die Quellenbasis, auf die sie sich stützt, ist enorm. Statt daraus steile Thesen abzuleiten, weist die Autorin immer wieder auf die Grenzen ihres Materials hin. Viele Fälle, die sie vorstellt, sind in den Archiven nur bruchstückhaft überliefert – wie sie ausgingen, bleibt offen. Vorsichtig ist Brüning auch mit der Verallgemeinerung der Ergebnisse ihrer Städtestudien für die gesamte DDR.

In manchen Buchteilen zeigt sich noch der Charakter einer Dissertationsschrift, etwa wenn die Grundlagen – Traditionsstränge, Begriffe, Sekundärliteratur – extensiv dargelegt werden, die sich für die Publikation etwas hätten kürzen lassen. Diese Gründlichkeit kommt Brüning aber bei der Einordnung von Prostitution in die Geschichte der Politik der DDR gegenüber Menschen zugute, die sich normabweichend verhielten. So legt sie überzeugend dar, wie eng das herrschende Normenkorsett war und wie brutal die Reaktion, wenn jemand aus ihm ausbrach – gerade, wenn es sich dabei um Frauen handelte. Dass sich die Staatssicherheit nicht an Gesetze halten musste, verdeutlicht Brüning an Fällen, in denen die Polizei und die Sozialfürsorge mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in Konflikt kamen.

Im Lauf der Jahrzehnte ließ die Kontrollfähigkeit des Staates nach. Die Wirksamkeit des Stigmas „Asozialität“ indes, das hat schon Inga Markovits gezeigt2, verlor sich nicht. Mit der Kombination von Ideologie-, Politik- und Institutionengeschichte führt Brüning vor Augen, wie dieses Stigma konstruiert und in die Praxis umgesetzt wurde. Sie gibt in ihrem Buch aber auch Frauen, die mit diesem Stigma lebten – oft ein gutes Leben führten – Raum, über diese Erfahrung zu sprechen. Damit ergänzt sie das Bild von Herrschaft und Alltag in der DDR um ein weiteres, wichtiges Element. Ein sperriges Element, das sich der einfachen Zuordnung in Opfer und Täter/innen widersetzt.

Anmerkungen:
1 Nicht übergangen werden sollte an dieser Stelle die Pionierstudie von Uta Falck, die das Thema auf deutlich schmalerer Quellenbasis behandelt: Uta Falck, VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR, Berlin 1998.
2 Inga Markovits, Gerechtigkeit in Lüritz. Eine ostdeutsche Rechtsgeschichte, München 2006.

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