Cover
Titel
Brutale Neugier. Walter Henisch. Kriegsfotograf und Bildreporter


Herausgeber
Stadelmann, Christian; Wonisch, Regina
Erschienen
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Agnes Matthias, Kupferstich-Kabinett Dresden

Vom 30. Oktober 2003 bis zum 6. Januar 2004 zeigte das Wien Museum die Ausstellung „Brutale Neugier – Walter Henisch. Kriegsfotograf und Bildreporter“. Zu sehen waren Fotografien des österreichischen Pressefotografen Henisch aus seiner Zeit als Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg und im Nachkriegsösterreich. Dazu erschien ein von den beiden Ausstellungsmachern Regina Wonisch und Christian Stadelmann herausgegebenes kompaktes Buch gleichen Titels. Nun weisen solche Begleitpublikationen häufig zweierlei Tendenz auf: Entweder handelt es sich um reine Abbildungsbände, denen allenfalls ein kurzes Vorwort vorangestellt ist, oder aber um eine Textsammlung, die kaum Bezug zu den ausgestellten Objekten aufweist. Hier aber ist ein anderer Ansatz gewählt worden, der den Transfer eines räumlich-inszenatorischen Ausstellungskonzeptes in die Bild-Text-Abfolge eines Buches versucht. Wie Wolfgang Kos, Direktor der Museen der Stadt Wien, in seinem Vorwort schreibt, sollte die Ausstellung zu Henisch „mehr als eine Präsentation historischer Fotografien“ (S. 5) sein. Von diesem Anspruch ist auch die Publikation getragen.

Davon abgesehen, dass jeder Präsentation eine Deutung inhärent, eine neutrale Form der Ausstellung also gar nicht möglich ist, müssen Walter Henischs während seiner Zeit als Mitglied einer Propaganda-Kompanie im Zweiten Weltkrieg entstandene Aufnahmen heute einer umfassenden Kritik unterzogen werden – dies eigens zu betonen, scheint kaum mehr notwendig. Nicht zuletzt die Diskussion um die erste Wehrmachtsausstellung hat die Problematik der Kontextualisierung von Fotografien auch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst gemacht.

Angeregt wurde die Ausstellung von Walter Henischs Sohn Peter. Das von Kos angeführte ‚Mehr‘ besteht in der Perspektive des Sohnes, die in Form von Textzitaten aus dessen halbbiografischem Roman „Die kleine Figur meines Vaters“ einer Betrachtung der Bilder vorgeschaltet wird. Erstmals 1975 erschienen, stellt dieses Buch eine Auseinandersetzung insbesondere mit der Kriegsvergangenheit des Fotografen-Vaters dar. Es ging aus auf Tonband aufgezeichneten Gesprächen hervor, die der Sohn, Jahrgang 1943, kurz vor dem Tod des Vaters mit ihm geführt hatte.1 Die Aussagen des Vaters und deren Kommentierung durch Peter Henisch, die zentraler Bestandteil der Ausstellung waren, sollten eine „mehrschichtige Reflexion über die Herstellungsbedingungen öffentlicher Bilder“ ermöglichen (S. 5).

Formal wurde diese Mehrschichtigkeit in der Ausstellung durch die Staffelung verschiedener Ebenen von Text und Fotografien in die Raumtiefe hinein realisiert. Ein kurzer Beitrag des Ausstellungsarchitekten Bernhard Denkinger am Ende des Buches – eine für die Konzeption solcher Kataloge äußerst empfehlenswerte Idee – macht das Konzept transparent und die Übertragung auf das Text-Bild-Layout im Buch möglich. In der zweidimensionalen Umsetzung sind zwischen die einzelnen Textbeiträge längere Bildstrecken gesetzt worden, ohne dass die Auswahl der Abbildungen und ihre Chronologie vollständig mit der Ausstellung übereinstimmen. Reproduktionen von Fotografien unterschiedlicher Größe, versehen mit erläuternder Bildunterschrift und Datierung, werden begleitet von einem immer in die untere rechte Ecke der Seite gesetzten grauen Kasten. Dort befindet sich jeweils ein Zitat aus Peter Henischs Roman, so dass kein Bild für sich steht, sondern immer zugleich kommentiert wird.

Daher stellt sich die Frage, ob die formale Mehrschichtigkeit auch inhaltlich eingelöst wird. Es ist vor allem Peter Henisch, der in der Publikation zu Wort kommt. Vertreten mit drei Texten, von denen allerdings keiner ein Originalbeitrag ist, berichtet der Sohn über seine eigene Faszination, die die Kriegsbilder des Vaters als Kind auf ihn ausübten, von den ‚anderen‘, nicht für die Veröffentlichung in den nationalsozialistischen Medien tauglichen Fotos aus Russland sowie dem Selbstentwurf des Vaters in der Nachkriegsgesellschaft. Peter Henisch äußert sich kritisch über das fotografische Selbstverständnis des Vaters im Rahmen seiner nationalsozialistischen Propagandaarbeit; zugleich spricht aus seinen Überlegungen eine emotionale Nähe, die das grundsätzliche Dilemma späterer Generationen im Umgang mit der Kriegsvergangenheit ihrer Eltern und Großeltern spiegelt. Christian Stadelmann und Regina Wonisch schreiben in ihrem einführenden Text vom Wunsch nach Verstehen, der Peter Henisch in seinen Gesprächen geleitet habe (S. 8).

Ergänzend zu diesen Texten hat Anton Holzer in seinem Beitrag biografische Notizen zu Henischs Leben zusammengestellt. Bernd Boll liefert wichtige Informationen über die Propaganda-Kompanien der deutschen Wehrmacht als Henischs beruflichem Umfeld: über deren Aufbau, vor allem aber über den ideologischen Apparat, der klar der antisemitischen und rassistischen Politik der Nationalsozialisten folgte, wenn dies auch später von den Beteiligten verleugnet und der Auftrag der scheinbar neutralen Information in den Vordergrund gestellt wurde. Leider findet sich in Bolls Text aber keinerlei Verweis auf Henischs Arbeit als PK-Fotograf selbst. Ebenso verhält es sich mit Susanne Breuss’ Darstellung der Pressefotografie in Österreich nach 1945. Bis auf den kurzen Vermerk, dass Henisch als sehr guter Kinderfotograf galt und damit Bilder lieferte, die die Selbststilisierung des Landes als Opfer nationalsozialistischer Aggression illustrierten, fehlt auch hier jegliche Einbettung seiner Fotografien, die er zunächst für die unter sowjetischem Patronat herausgegebene „Welt-Illustrierte“, später dann für verschiedene sozialdemokratische Zeitschriften anfertigte.

Liefern diese Texte also genügend Informationen zur Person Henischs sowie zum Entstehungskontext seiner Fotos, besitzt das Projekt dennoch ein großes Manko. „Ich habe den Krieg, sagt die Stimme meines Vaters auf dem Tonband, vom Anfang bis zum Ende als eine Folge von Bildern gesehen. Der ganze Zweite Weltkrieg liegt heute als ein riesiger Stoß von Bildern vor mir“ (S. 53) – so wird Walter Henisch von seinem Sohn zitiert. Seltsam ist nur, dass die Fotografien selbst in den einzelnen Textbeiträgen nahezu vergessen worden sind. Walter Henisch hatte seine fotografische Praxis immer rein funktional definiert: Er nahm mit der Kamera auf, was ihm innerhalb seiner Aufgabe als Kriegsberichterstatter von Interesse schien. Als Mensch versteckte er sich hinter Schlagworten wie „Dokumentationsmanie“ und „brutaler Neugier“ (S. 16), die ihn allein in seiner Arbeit geleitet hätten. Ereignisse, gleich welcher Art, seien für ihn immer nur Motive für seine Kamera gewesen. Dieser fotografische Mythos der quasi neutralen, aufzeichnenden Kamera hätte dringend als solcher entlarvt werden müssen. Peter Henisch versucht dies zwar ansatzweise, kommt über die Ebene der Bildmotive aber nicht hinaus. Eine stilistische Analyse und Fragen der Ästhetik fehlen gänzlich. Formal-gestalterische Parameter wie Nähe oder Distanz, Aufsicht oder Augenhöhe geben, ob vom Fotografen gewollt oder nicht, Aufschluss über Empathie, Gleichgültigkeit oder Verachtung, über Begeisterung oder Abscheu. So findet sich allein immer wieder der Hinweis auf Henischs Faible für Gegenlichtaufnahmen, die der Heroisierung des deutschen Soldaten Vorschub geleistet hätten. Ein Vergleich mit Aufnahmen anderer PK-Fotografen hätte zum Beispiel zeigen können, inwiefern dies tatsächlich allein eine persönliche Vorliebe Henischs gewesen ist, und ebenso auf inhaltlicher Ebene, was Henisch vielleicht nicht fotografiert hat. Wie schon Timm Starl in seiner Rezension angemerkt hat, wäre auch die Kontrastierung mit Fotografen der ‚anderen‘, der gegnerischen Seite interessant gewesen;2 Robert Capas oder Tony Vaccaros Aufnahmen hätten sich dafür angeboten.

So bleibt festzustellen, dass die „sezierende Herangehensweise“, die Wolfgang Kos einleitend fordert (S. 5) und die in der Präsentation der Bilder im Buch durchaus gelungen ist, im Textteil nicht erfüllt wird. Vielleicht hätte man Henischs Leitvorstellung der „brutalen Neugier“ – so widersprüchlich sie sein mag – auf das eigene Vorhaben übertragen müssen. Dies hätte möglicherweise dabei geholfen, die Fotografien selbst genauer anzuschauen.

Anmerkungen:
1 Neben der Fassung von 1975 erschienen weitere in den Jahren 1987 und 2003.
2 Vgl. Starl, Timm, Die „brutale Neugier“ eines Fotografen und die ungestillte des Publikums, in: Rundbrief Fotografie N.F. 40 (2003), S. 26f., hier S. 27.

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