Cover
Titel
Richard Coudenhove-Kalergi. Umstrittener Visionär Europas


Autor(en)
Conze, Vanessa
Reihe
Persönlichkeit und Geschichte 165
Erschienen
Göttingen 2004: Muster-Schmidt Verlag
Anzahl Seiten
108 S.
Preis
€ 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandra Gerstner, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Seit einigen Jahren wächst das Interesse an der Geschichte der europäischen Einigungsbewegung und rückt die Vordenker und Visionäre der Europa-Idee zunehmend in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Die jetzt als Band 165 der Reihe „Persönlichkeit und Geschichte“ des Muster-Schmidt Verlags erschienene Biografie Richard Coudenhove-Kalergis bietet eine handliche Einführung in Leben und Werk des Gründers der Paneuropa-Union. Mit ihrer Studie legt Vanessa Conze die erste wissenschaftliche Biografie Coudenhoves vor. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, mit ihrer Darstellung „Coudenhoves tatsächlichen Einfluss auf das Integrationsgeschehen und die Bedeutung seiner Paneuropa-Union“ kritisch zu analysieren (S. 8). Daher fokussiert die Studie Coudenhoves paneuropäisches Engagement – das ist legitim, denn das Projekt „Paneuropa“ war Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Auf knappen hundertacht Seiten lässt daher Conze in erster Linie das Wirken des Paneuropäers auf dem politischen Parkett Revue passieren, resümiert abschließend die Wirkungsgeschichte und gibt weiterführende Quellen- und Literaturhinweise.

1923 verhalf der junge Coudenhove mit seinem Bestseller „Paneuropa“, in dem er seine Vision eines geeinten Europas einfach und prägnant darstellte, der Europa-Idee zu ungeahnter Popularität und gab ihr mit der Losung „Paneuropa“ eine einprägsame Formel. Coudenhoves wegweisende Leistung war es, der Idee mit der gleichzeitig initiierten Paneuropa-Union auch eine organisatorische Grundlage zu geben. Damit hob er sich von dem literarisch-intellektuellen Umfeld, in dem er sich bewegte, durch pragmatisch-politischen Sinn ab und nutzte zudem den glücklichen Zeitpunkt: Conze weist auf die entspannte internationale Lage nach Ruhrkampf und Rheinkrise hin (S. 16), die eine günstige Atmosphäre für den Einigungsgedanken schuf. So wurden im gleichen Jahr wie die Paneuropa-Union auch einige andere Europa-Verbände gegründet.1 Außerdem erkannte Coudenhove früh den Wert von Propaganda und Marketing - so entwarf er etwa ein Paneuropa-Symbol (ein rotes Kreuz auf einer goldenen Sonne), das fortan sämtliche Publikationen der Union, aber auch Fahnen, Wimpel und Anstecknadeln zierte, und organisierte publikumswirksame „Paneuropa-Kongresse“, auf denen namhafte Politiker und Schriftsteller für Coudenhoves Sache warben. Die Mobilisierung der Massen blieb für den demokratiekritischen Grafen jedoch ein zweitrangiges Ziel, in erster Linie wollte Coudenhove durch persönliche Überzeugungsarbeit Politiker und Staatsmänner für seine Ideen gewinnen.

Ausgewogen stellt Conze nicht nur Coudenhoves Verdienste dar, sondern auch die Schwierigkeiten, die er sich mit seinem autoritären Führungsstil und seiner Salonpolitik einhandelte und die die Durchsetzung seiner politischen Konzepte immer wieder verhinderten. Conze sieht die Gründe für Coudenhoves Scheitern bei der Durchsetzung seiner europapolitischen Ziele in erster Linie in seinem unangemessenen Habitus und seinem unversöhnlichen Beharren darauf, stets selbst die Zügel in der Hand zu halten. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg mussten diese anachronistischen Verhaltensmuster auf viele Anhänger der Idee abschreckend wirken. Erst im Zuge des Gaullismus konnte die Paneuropa-Union wieder die Bedeutung zurückgewinnen, die sie in den 1920er-Jahren einmal besessen hatte. Dennoch steht außer Frage, dass sich Coudenhove mit der Propagierung der Paneuropa-Idee in der Zwischenkriegszeit wie auch 1947 mit der Gründung der Europäischen Parlamentarier Union große Verdienste um die Europäische Integration erworben hat.

Ursprünglich ein Erfolgsgrund der Paneuropa-Idee, später aber Ursache für heftige Kritik, war die Unbestimmtheit von Coudenhoves Europa-Konzept. Außer der vagen Idee eines wirtschaftlichen und politischen Bundes der europäischen Staaten und einer antikommunistischen Haltung gab es wenig Konstanz in Coudenhoves Denken. Aus pragmatischen und opportunistischen Gründen formulierte er seine Pläne stets neu und passte sie den politischen Zielen derjenigen an, von denen er hoffte, dass sie die Paneuropa-Idee umsetzen könnten. Leider versäumt es Conze, die Grundlinien von Coudenhoves Europa-Konzept, wie er es in seinem Buch „Paneuropa“ dargelegt hat, darzustellen, so dass die zahlreichen späteren Wandlungen für den Leser nur schwer nachzuvollziehen sind. Gerade da die Bände der Reihe als Einführungen gedacht sind, wäre es wünschenswert, wenn mehr grundlegende Informationen geboten würden. Dies gilt auch für die komplexe Darstellung der Nachkriegszeit: Auch hier wird bereits ein großes Hintergrundwissen vorausgesetzt, so dass von den angesprochenen Zielgruppen „Lernende und Lehrende der Geschichtswissenschaft“ (S. 8) zumindest erstere häufig überfordert sein dürften.

Der Fokussierung auf die Paneuropa-Bewegung geschuldet, kommt auch die persönliche Entwicklung Coudenhoves etwas kurz. Seine Verankerung im deutsch-französischen Umfeld der pazifistischen Intellektuellen nach dem Ersten Weltkrieg und sein aus einem vehementen „Antimaterialismus“ entspringender Antikommunismus hätten es sicherlich verdient, ausführlicher dargestellt zu werden. Während Conze seine Beziehungen und Verhandlungen mit Politikern und Staatsmännern sehr plastisch herausarbeitet und durch passende Zitate ergänzt, die die teilweise argwöhnische Beobachtung der Union durch das deutsche Auswärtige Amt widerspiegeln, bleiben Coudenhoves Kontakte zu Intellektuellen und Schriftstellern eher blass. Die Debatten um das Ziel einer europäischen Einigung zwischen „Abendland“, Mittel- und Paneuropa werden ebenfalls nur gestreift. Coudenhoves ideologische Nähe zur so genannten Konservativen Revolution skizziert Conze dagegen treffend und kann hieraus auch sein ambivalentes Verhältnis zur Demokratie und seine Annäherung an faschistische und autoritäre Regimes erklären. Davon abgesehen bleiben ideen- und kulturgeschichtliche Aspekte in dieser Studie weitgehend ausgeklammert, so dass sie vor allem eine Einführung in die politische Geschichte der Paneuropa-Union zwischen 1924 und 1972 bietet.

Wohl aufgrund eines verzögerten Publikationszeitpunktes ist der im abschließenden Literaturbericht präsentierte Forschungsstand nicht aktuell. Einige der monierten Forschungslücken wurden durch die auf breitem Archiv- und Quellenmaterial basierenden Studien von Anne-Marie Saint-Gille und Anita Ziegerhofer-Prettenthaler gefüllt, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten ausführliche Darstellungen der Paneuropa-Bewegung in der Zwischenkriegszeit liefern.2 Leider sind nicht alle Literaturangaben korrekt.3

Insgesamt erfüllt die Studie den Anspruch, den Einfluss Coudenhoves auf das europäische Integrationsgeschehen und den Einfluss der Paneuropa-Union kritisch darzustellen und bietet für diese Fragestellung eine gute und anspruchsvolle Einführung, die zudem angenehm und flüssig zu lesen ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Burgard, Oliver, Das gemeinsame Europa - Von der politischen Utopie zum außenpolitischen Programm. Meinungsaustausch und Zusammenarbeit pro-europäischer Verbände in Deutschland und Frankreich 1924-1933, Frankfurt am Main 2000.
2 Vgl. Saint-Gille, Anne-Marie, La „Paneurope“. Un débat d'idées dans l'entre-deux-guerres, Paris 2003; Ziegerhofer-Prettenthaler, Anita, Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren, Wien 2004. Ziegerhofer-Prettenthaler wertet auch die im Moskauer „Zentrum zur Aufbewahrung historisch dokumentarischer Sammlungen“ (seit 1999 Teil des Zentralen Militärstaatsarchivs) befindlichen Bestände zur Paneuropa-Union aus. Hinzuweisen ist außerdem auf die biografische Skizze von Holl, Karl, Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi und seine Vision von „Paneuropa“, in: Duchhardt, Heinz, Europäer des 20. Jahrhunderts. Wegbereiter und Gründer des „modernen“ Europa, Mainz 2002, S. 11-37.
3 Coudenhoves erste Autobiografie heißt „Crusade for Pan-Europe. Autobiography of a Man and a Movement“ (S. 56, 104); die Zeitschrift „Paneuropa“ erschien von 1924 bis 1938, nicht bis 1933 (S. 104). Zur Zeitschrift vgl. auch Paul, Ina Ulrike, In Kontinenten denken, paneuropäisch handeln. Die Zeitschrift „Paneuropa“ 1924-1938, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 5 (2004), S. 161-192.

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