J. Leichsenring (Hg.): Frauen und Widerstand

Cover
Titel
Frauen und Widerstand.


Herausgeber
Leichsenring, Jana
Reihe
Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli e.V. 1
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
165 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannah Ahlheim, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität Berlin

„Und meiner Meinung nach würden alle dazugehören, sie wären alle meine Helden gewesen.“ So beschreibt eine Frau das Bild, das sie in ihrer Kindheit von denen hatte, die Widerstand gegen das nationalsozialistische System leisteten (S. 108). Dieser Satz ist nur eine von vielen sehr persönlichen Aussagen, die „Zeitzeugen“ zur 14. Königswinterer Tagung der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli e.V.“ beitrugen. Auf der Konferenz zum Thema „Frauen und Widerstand“ wurden die „Perspektiven der Forschung […] mit den Perspektiven der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen konfrontiert“ (S. 12). Diese Konfrontation, die Jana Leichsenring in der Einleitung beschreibt, zieht sich wie ein roter Faden auch durch den von ihr herausgegebenen Tagungsband.

Die Forschungsgemeinschaft, so Fritz Delp und Joachim Scholtyseck in ihrem Vorwort, wisse sich „der Erinnerung an den gesamten deutschen Widerstand verpflichtet“. Schließlich sei das „Erbe des deutschen Widerstandes […] konstitutiv für den Neubeginn nach Kriegsende und besitzt heute noch Gültigkeit auch über die Grenzen Deutschlands hinaus“ (S. 7). Was jedoch zu diesem „Erbe“ gehört, wo der Widerstand begann, wer diesen definiert und an welchen Widerstand erinnert wird, ist noch immer eine schwierige Frage. Und konnte „der“ deutsche Widerstand, an dem nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung beteiligt gewesen war, wirklich konstitutiv sein für den Neubeginn nach 1945?

Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage, „ob es zwischen 1933 und 1945 einen frauenspezifisch motivierten Widerstand gab, den Frauen leisteten, weil sie Frauen waren“ (S. 36). Die einzelnen Beiträge versuchen auf unterschiedliche Art, die Themenstellung „Frauen und Widerstand“ zu bearbeiten und die Frage nach „frauenspezifischer“ Motivation zu begründen. Im ersten Artikel bestimmt Birthe Kundrus den „Standort der Kategorie ‚Geschlecht’ im Nationalsozialismus“ (S. 15). Kundrus stellt heraus, dass man von einer Geschichte „der“ Frauen im Nationalsozialismus nicht sprechen könne, und betont, dass es für unterschiedliche Gruppen von Frauen „je unterschiedliche Handlungschancen und Handlungsgrenzen“ gegeben habe (S. 16). Entscheidend war nicht die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, sondern die Zuteilung zu einer „Rasse“. „Unterhalb dieser […] Prämisse zeigte sich das Regime durchaus flexibel und anpassungsfähig.“ (S. 15)

Der Versuch, das „Geschlechtsspezifische“ an Widerstandshandlungen herauszuarbeiten, kann freilich auch dazu führen, dass sich die „klassischen“ Bilder vom „Männlichen“ und „Weiblichen“ fast unbemerkt wieder einschleichen. Das legen zumindest einige Passagen in Nathan Stoltzfus’ Beitrag nahe. Stoltzfus beschäftigt sich mit den Protesten deutscher Frauen im Anschluss an die so genannte „Fabrikaktion“ Ende Februar 1943. Tag für Tag postierten sich „arische“ Ehefrauen und Angehörige vor einem Gebäude in der Berliner Rosenstraße, in dem ihre „jüdischen“ Männer und Kinder zehn Tage lang eingesperrt waren und – so die damals nahe liegende Erklärung – auf ihre Deportation warteten. Abgesehen von der Kritik, die in den Diskussionen um die „Rosenstraße“ – und um den gleichnamigen Film – an Stoltzfus’ Thesen und Interpretationen der Ereignisse formuliert wurde1, spiegeln Stoltzfus’ Formulierungen auch eine ganz bestimmte Sicht der „Frau“ wider, wenn er schreibt (S. 88): „Auf eine sehr grundlegende Weise ist die Geschichte dieser Frauen [in der Rosenstraße, H.A.] jedoch derjenigen der anderen deutschen Frauen ganz ähnlich: Sie folgten ihrem Gefühl dafür, was ihre Rolle als Frau von ihnen verlangte.“ Diesem „Widerstand des Herzens“2 stellt Stoltzfus die – männlichen – „wahrhaft heldenhaften Verschwörer des 20. Juli 1944“ zur Seite (S. 88).

Gerade wegen der Ereignisse in der Rosenstraße drängt sich die Frage auf, wo „Widerstand“ beginnt, ob es „frauenspezifische“ Protestformen gibt, nach denen Stoltzfus fragt, und wie man widerständiges Verhalten rekonstruieren und bewerten kann. In ihrem Beitrag über katholische Frauen im Nationalsozialismus beschreibt Jana Leichsenring die Schwierigkeit, das Handeln der von ihr vorgestellten drei Frauen in die Kategorie „Widerstand“ einzuordnen. Leichsenring bietet zu Beginn ein breites Spektrum an Begriffen, mit deren Hilfe man „widerständiges Verhalten“ in ein Raster einteilen könne, das „von Nonkonformität über Verweigerung und Protest bis zum aktiven Widerstand reichte“ (S. 37). Für die drei Frauen, die sich für die ihnen anvertrauten „nichtarischen“ Katholiken einsetzten, sei an die Stelle des „bürokratischen Arbeitsaufwandes“ bei der Betreuung der Personen die „ganz persönliche, freundschaftliche Beziehung zu den Betroffenen“ getreten (S. 47). Die Frauen seien jedoch in ihrer Verweigerung nicht so weit gegangen, „sich politisch aufzulehnen“ (S. 48).

Auch der Lebensweg der Vikarin Katharina Staritz, den Hannelore Erhart darstellt, zeigt, wie schwierig es ist, widerständiges Verhalten zu beschreiben und dabei „frauenspezifische“ Motivationen zu bestimmen. So könne man die Frage, ob es „in erster Linie Frauen waren“, die sich für die christlich getauften „Nichtarier“ einsetzten, nicht in „dieser Allgemeinheit beantworten“ (S. 72). Eine weitere Facette des Themas „Frauen und Widerstand“ zeigt Sigrid Jacobeit in ihrem Beitrag „Das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück“, das „nicht nur Frauen als Häftlinge, sondern auch Täterinnen und Männer als Täter“ zusammenbrachte.

Persönliche „Geschichten“ werden dann im zweiten Teil des Bandes erzählt, der durch die Beiträge von Zeitzeuginnen einen ganz anderen Charakter erhält als der erste Teil. Nach der vorangegangenen Lektüre der wissenschaftlichen Vorträge irritieren diese Texte zunächst durch ihren sehr emotionalen Tenor. Doch auch in den Diskussionen im Anschluss an die Vorträge des ersten Teils waren schon Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort gekommen. Durch die vollständige – an manchen Stellen vielleicht ein wenig zu wortgetreue – Wiedergabe der Diskussionsbeiträge der Zeitzeugen erhält die vorliegende Veröffentlichung den Charakter eines Protokolls, das die Struktur der Diskussion deutlich macht, aber auch ein wenig von der Atmosphäre dieses Treffens einfangen kann. Und gerade der dokumentarische Charakter macht die Lektüre des Bandes spannend. Die Reaktionen und Fragen der Teilnehmer belegen, wie emotional das Thema „Widerstand“ noch immer verhandelt wird. Die intensiv geführte Diskussion über den Widerstandsbegriff zeigt die Varianz und Bandbreite der angelegten Maßstäbe und damit die Notwendigkeit der Differenzierung.

„Handlungsräume“ können, wie Leichsenring es formuliert, „lebensgeschichtlich belegt“ werden (S. 12). Gleichzeitig machen die Diskussionen der Tagung jedoch auch deutlich, dass sich die persönliche und lebensgeschichtliche Wahrheit nicht immer mit den Kategorien und Ergebnissen der Forschung deckt. Die „Konfrontation“ beider Perspektiven muss nicht zu einer endgültigen „gemeinsamen“ Perspektive führen.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Gruner, Wolf, Ein Historikerstreit? Die Internierung der Juden aus Mischehen in der Rosenstraße 1943. Das Ereignis, seine Diskussion und seine Geschichte, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), S. 5-22.
2 Stoltzfus, Nathan, Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße – 1943, München 1999. Siehe dazu die Rezension von Rainer Decker: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=175>.

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